Bhagavad Gita

von Krishna chandra


Ich habe die gesamte Gita bereits übersetzt und kommentiert. 

Allerdings braucht es da noch einige Überarbeitung, bis sie gedruckt werden kann.


Anbei ist schon einmal die Einleitung und die ersten beiden Kapitel:

Einleitung zur Bhagavad Gita

 

Unser Innerstes ruft nach Selbstverwirklichung. Jede Seele findet sich wieder in einem unglaublichen Kampf zwischen den Verführungen und Verlockungen kurzfristiger Interessen und der grundlegenden Wichtigkeit spiritueller Erfüllung. Aus dem entsteht eine Gespaltenheit, ein tiefer Graben zwischen dem, was uns eigentlich vom Innersten her wesentlich ist, und wie wir meistens unsere Zeit verbringen.

Die Geschichte hat gezeigt, wie diese innerlichen Konflikte sich äusserlich manifestieren können in sozialen Unruhen und sogar Kriegen. Um die versteckte Dynamik aufzuzeigen, beschreibt der Heilige Vyasa im Mahabharata die komplexe Geschichte der psychologischen Archetypen des Menschen.

Die Bhagavad Gita ist ein philosophisches Gespräch zwischen Sri Krishna, dem ursprünglichen Gott und Arjuna, seinem Freund und Schüler.
Die Szenerie, in welcher es stattfindet ist die grosse Schlacht des Mahabharata auf dem Schlachtfest von Kuruksetra.

Da die Bhagavad Gita nicht ein separates Buch ist, sondern nur ein kleiner Teil des Bhishma Parva vom Mahabharata, sind die darin erwähnten Persönlichkeiten und Hintergründe des historischen Geschehens nur im Zusammenhang verstehbar.

Die Gita schildert den auf dem Thron sitzenden blinden König Dhritarashtra, welcher seinen Minister Sanjaya befragt, was sich denn auf dem entfernten Schlachtfeld von Kuruksetra abspiele. Sanjaya hat von seinem Lehrer die Fähigkeit erhalten, Geschehnisse an weit entfernten Orten wahrzunehmen.

Die Kämpfer der Welt haben sich nun versammelt. Die Kauravas werden von Dhritarashtras ältestem Sohn Duryodhana angeführt und die Pandavas von König Yudhistira. Arjuna, der weltbekannteste Bogenkämpfer ist dessen jüngerer Bruder.

 

Das Mahabharata ist die Geschichte der Pandava-Prinzen, welche das gute Gewissen repräsentieren und das bereitwillige “Sich-Eingeben” in die Führung Gottes, nach Harmonie mit den Kräften des Universums, und der Dynastie der machtorientierten Kauravas, die für unlimitierte materielle Wünsche stehen und dem Wunsch nach Manipulation, weil man in der Besetztheit durch eigene Pläne die vor den eigenen Augen ausgebreitete Ordnung Gottes nicht mehr zu erkennen vermag.

In einem Würfelspiel verlieren die Pandavas all ihren Besitz, ja sogar sich selber (die guten Seelenkräfte existieren nur noch latent, da sie sich verloren, bzw. vergessen haben). Identitätslos wandern sie nun in der Verbannung in den Wäldern – die ewige Seele wandert durch verschiedenste Lebensformen – heimatlos, sich selber vergessend.

In der langen Zeit der Einsamkeit beginnt in den Pandavas das Selbstvertrauen in die innere Führung, in die göttliche Führung wieder zu erwachen. Das ist der Moment, wo die Seele die Treue zu den feinen und anfangs noch sehr zaghaften inneren Bedürfnissen wieder entdeckt.

Mit dem Geist des Vertrauens in die Wahrheit (Yudisthira), göttlichem Mut (Bhima), klare Unterscheidungskraft (Arjuna), hingebungsvoller Loyalität (Nakula), und innerer Stetigkeit (Sahadev), kommen die Pandavas aus der Verbannung zurück und bringen ihr Anrecht auf das verlorene Königreich zum Ausdruck.

Der blinde König Dritarashtra (wörtlich „der am Königreich festhält“) mit seinem Sohn Duryodhana (materielle Wünsche, die Dinge fordern, die einem nicht gehören. Duryodhana bedeutet wörtlich „schwer zu besiegen“. Damit sind die nie versiegenden Wünsche nach  falschem Besitz, Dingen, die uns nicht gehören, gemeint), in der Allianz mit einem falsch gerichteten Selbstinteresse (Bhisma) und starken Gewohnheiten (Drona) scheinen fast unbesiegbar. In ihrer Hoffnungslosigkeit bitten die Pandavas um göttliche Führung (Sri Krishna).

Der dramatische Höhepunkt wird erreicht, wenn die gegenüberliegenden Interessengruppen sich konfrontieren auf dem Schlachtfeld von Kurukshetra, dem Lebensfeld: auf der einen Seite die Blindheit (die Selbstvergessenheit) mit seinen Komplizen und auf der anderen Seite das reine Bewusstsein, das nun keine Kompromisse mit Falschheit mehr eingehen darf – auch nicht aus Mitgefühl zu ihm heraus.

Die Bhagavad Gita beschreibt nicht einen Krieg für eine bessere Welt, sondern eine Initiation ins Gottesbewusstsein. 

 

In dieser Ausgabe der Bhagavad Gita wollen wir uns auf den uns alle ansprechenden ewigen Inhalt der Bhagavad Gita eingehen, und den historischen Hintergrund, in welchen die Bhagavad Gita eingebettet ist, nämlich das Mahabharata, weitgehend auslassen. Erstens weil dadurch für Menschen, welche sich nicht so mit dem Inhalt des Mahabharata vertraut sind, unnötige Konfusionen entsteht. In der Rahmengeschichte des Mahabharata tauchen so viele Namen, Geschichten, und auch Sanskritbegriffe auf, die eigentlich nicht viel mit dem ewigen Inhalt der Gita gemein haben. Es ist eine wesentliche Aufgabe von spirituellen Suchern in unserer Zeit, einen ewigen Inhalt aus dem kulturellen Kontext herauszulösen. Wenn man dies nicht tut, verkommt ein Grossteil der spirituellen Praxis zur Imitation der Folklore eines geographischen Gebietes. Das innerste Gewissen ruft aber auf zur aufrichtigen Suche nach Wahrheit.

Auf dem zutiefst unbequemen Weg, dem Weg, der jegliche Trägheit meidet, gibt es keine Kochrezepte mehr, wie sie dem einfachen Gläubigen einfach ausgehändigt wurden und die man mit nach Hause nehmen konnte, um sie zu befolgen.
Das bedeutet, dass man immer wieder aufgefordert ist, zu prüfen und sich nicht einfach Konzepte aneignet, um der Komplexität und der eigenen Nachforschung auszuweichen.
Aus der Ungewissheit des Lebens heraus beginnt man nach Ersatzsicherheiten zu suchen, die man oft mit Wahrheit verwechselt.
-Die religiöse Version davon nennt man: «Volksreligion» -  Glaubensthesen, die selber der Ich-Identifikation entstammen. Da sie über Jahrhunderte vermittelt wurden, haben sie eine starke Wucht und sogar einen scheinbaren Wahrheitsgehalt.
Der innere Weg ist nicht mehr an Strohhalmen interessiert, die vermeintlichen Halt liefern. Er führt in die Bereitschaft, allen Halt loszulassen aus dem tiefen Grundvertrauen heraus, dass darunter tragende Substanz existiert.
Dort erst wohnt der wahre Gott.
Es gilt zu prüfen, ob das Vermittelte einem wirklich nach innen begleitet, oder ob die Praxis aus alt gelernter Tradition aus einem mythischen Welt-und Gottesbild stammt und einem ein Gefühl von Aufgehobenheit und Sicherheit vermittelt, die nicht aus der Wahrheit stammen, sondern aus der Kongruenz mit alter Überlieferung.

 

Die Bhagavad Gita sollte nicht betrachtet werden als das Gespräch zweier historischer Persönlichkeiten, sondern als ein fortwährendes Fragen und Antworten zwischen unserem tiefsten Inneren und dem ewigen Du, dem Gegenüber Gottes, Sri Krishna. Man darf sich dabei selber an die Stelle Arjunas versetzen und die Worte Krishnas als an uns direkt gerichtet empfinden. Das sind sie wirklich. Sri Krishna will uns durch seinen Gesang (Gita) effektiv ansprechen und uns aus der gewohnheitsmässigen Indifferenz erwecken.

Krishnas Worte sind an alle Menschen gerichtet. Sie richten sich auch nicht einfach nur an die Fakultät des Verstandes, sondern an den ganzen Menschen. Sie sollen unser gesamtes Wesen anrühren, den Verstand, den Willen, aber auch das Herz, die Emotionen und Gefühle, denn zu wahrer spiritueller Entwicklung , die eine Umwandlung unseres gesamten Wesens bedeutet, müssen alle uns gegebenen Kräfte integriert werden.

Die Bhagavad Gita vermittelt das Wesentlichste eines solchen grundlegenden Wandlungspfades. Sie etabliert uns wieder in unserer wirklichen Existenz und weist uns wieder hin auf unser Zuhause, den Ort, wo wir als ewige Seelen hingehören.

Die Bhagavad Gita führt eine Seele von dem Punkt an, an dem sie gerade steht, weiter, bis hin zur Welt Gottes, die keinerlei Berührung mit den Wandelwelten mehr hat. Reife und Geduld sind nötig, diesen Pfad auch vollständig begehen zu können.

 

Die Bhagavad gita  ist ein Buch, welches eigenes Nachdenken anregt. Es ist nicht eine Information, die gelesen und als „interessant“ oder eventuell auch als „langweilig“ abgelegt werden soll.  Man ist als Leser eingeladen, diesen Inhalt im eigenen Herzen weiterentwickeln zu lassen. Das ist die Bedeutung von heiligen Offenbarungsschriften, von Resonanzliteratur: sie bringt in einem etwas zum erklingen, sie berührt den innersten Kern. Aber damit ist der Prozess nicht abgeschlossen. Es soll weiterklingen, das heisst, die Gedanken sollen im Leser ihren Fortgang finden. Ohne das eigene ernste Nachdenken kann man sich gar nicht mit Gott befassen oder sich ihm zuwenden.

Auch intellektuelles Verstehen kann Teil der Kommunikation mit Gott sein. Krishna verlangt aber nie den Gehorsam und die absolute Folgsamkeit. Denn das wäre das Auslöschen der Freiheit des Lebewesens, welches Gottes Gegenüber ist und an welchem Gott ja wirkliches Interesse hat.

Offenbarungsschrift ist „zu tief für Worte“, sie ist ein hochkonzentriertes Destillat, welches durch die Reflektion im eigenen Inneren erst zugänglich wird.

Selbstständiges Denken ist von uns gefordert, denn wir sind Teile dessen, der ein unabhängiges denkendes Wesen ist. Wenn man blind folgt, dann ist das nicht ein Zeichen der Ergebung, sondern eher von Gleichgültigkeit, Oberflächlichkeit und Desinteresse.

 

 

Auch wäre es falsch zu denken, die Bhagavad gita wäre ein Aufruf zur Abkehr von der Welt. Sie ist vielmehr ein Appell zur Abkehr von den Mentalitäten der Weltlichkeit, die sehr genau analysiert werden. Niemals ist die äussere Welt zu verurteilen, sondern es gilt nur unsere Interpretation dessen zu korrigieren.

Die Welt, wie sie ist, ist sicher nicht Gottes Wille, aber er lässt in ihr auch die Disharmonie mit seiner ursprünglichen Absicht zu und das Resultat ist eine Welt mit tiefen Konflikten, in der wir heute leben.

 

Ein Kommentar zu Bhagavad Gita soll nicht nur Sachinformationen vermitteln, sondern vor allem in das Mysterium von Gottes Liebe einführen, dem Leser eine Resonanz im Herzen erzeugen und schliesslich eine Ermutigung zu seinem eigenen Aufbruch sein. Das wiederholende und neu komponierte Umkreisen eines Themas gleicht demzufolge eher einer musikalischen Dichtung als einer sachlichen Abhandlung.

Der Text bedarf auch einer Bemühung des Verstandes, denn Krishna sagt, dass das Absorbieren der Intelligenz in das Heilige Thema auch Verehrung sei (18.70) und Verehrung offenbart Inhalte, die menschliches Verstehen überschreiten.

Letztlich aber kommt es darauf an, über den Text zu meditieren, damit er seine ihm eigene verwandelnde Kraft in jedem Leser so entfaltet, damit das spirituelle Wachstum gefördert wird. Jeder einzelne Vers der Gita ist ein Wegweiser zu dem Ziel der immer tieferen Begegnung mit Sri Krishna selber.

Der Text kann anleiten und begleiten, aber den Weg muss jeder selber gehen.

Heiliges Wissen ist der Wegproviant, damit der Wanderer in Momenten der Erschöpfung und Inspirationslosigkeit wieder gestärkt weiter gehen kann. Es ist ein Aufruf zu einer grundlegenden Umkehr, zu einem Exodus aus der Identifikation mit der Wandelwelt.

 

prati-shloke prati-akshare nana artha kaya

„In jedem einzelnen Vers und in jeder Silbe der Offenbarungsschrift sind unzählige Bedeutungen enthalten.“

(Caitanya Caritamrta 2.24.318)

 

Die Bhagavad Gita vertritt keinen „Ismus“, obwohl sie von verschiedensten Ismen in Anspruch genommen wurde. Sie lehrt nicht einmal dvaita (Theismus) oder advaita (Monismus), oder irgendeine Doktrin oder Glaubensüberzeugung, sondern will die Seele erheben, begleiten und ermutigen, unabhängig von ihrem Glauben oder Ansichten.

 

 

 

Yoga in der Gita

 

Jedes Kapitel der Bhagavad Gita behandelt ein Yoga-Pfad, der jeweils als Einführung kurz erläutert wird.

Das Wort „Yoga“ hat vielerlei Bedeutungen.

Krishna definiert Yoga als den Gleichmut inmitten gegensätzlicher Erfahrungen in der Welt (2.48). Dies ist die eigene Positionierung im Ewigen, im Unverrückbaren, aus der man nicht mehr berührt wird vom scheinbar Angenehmen und Unangenehmen innerhalb der materiellen Schöpfung.

Yoga kann auch übersetzt werden als Stabilität des Bewusstseins (6.20), welche erlangt wird, wenn sich der Geist völlig von der Materie zurückgezogen hat.

In den Yoga-Sutras von Patanjali wird Yoga definiert als die Einebnung aller Strömungen des Verstandes, als Still-Legung aller mentalen Tendenzen.

„Dann ruht der Sehende, der Wahrnehmende, die ewige Seele, in ihrer eigenen, wahren Natur. (Yoga Sutra 1.3)

Wenn die Seele diese Verbindung zu Krishna erkennt, und begreift, dass Trennung eigentlich nie bestanden hatte (nitya yoga), der Zustand der Verbundenheit andauernd und nicht unterbrechbar ist (nur unser Erinnern daran kann in Vergessenheit geraten), tritt sie ein in einen wunschlosen transzendentalen Zustand (nirvikalpa avastha). Das ist der Ort, an dem suddha-bhakti, das Abenteuer der ewigen Beziehung mit Gott, erst beginnt.

Die Bhagavad gita ist die Einladung Gottes dahin. Ein Aufruf an uns.

 

Jedes Kapitel der Bhagavad gita behandelt Yoga

1. Vishada Yoga – Yoga der Verzweiflung

2. Sankhya Yoga – Yoga der Analyse

3. Karma Yoga – Yoga des Handelns

4. Jnana-Karma-Sannyasa Yoga – Yoga der Entsagung und des Handelns in Erkenntnis,

5. Karma-Sannyasa Yoga – Yoga der Entsagung von Handlungen

6. Dhyana Yoga – Yoga der Versenkung

(Atma-samyama Yoga – Yoga der Kontrolle des Verstandes)

7. Jnana-Vijnana Yoga – Yoga der Erkenntnis und der Verwirklichung

8. Taraka-Brahma Yoga – Yoga des Ereichens vom Absoluten

9. Rajaguhya Yoga – Yoga des grossen Mysteriums

10. Vibhuti Yoga – Yoga der Wertschätzung der göttlichen Herrlichkeiten

11. Vishvarupa-Darshana Yoga – Yoga der Schau der kosmischen Gestalt (Yoga der Theophanie)

12. Bhakti-Yoga – Yoga der liebenden Hingabe

13. Kshetra-Kshetrajna-Vibhaga Yoga – Yoga der Unterscheidung von Feld und Feldkenner

14. Guna-Traya-Vibhaga Yoga – Yoga der Unterscheidung der drei Grundeigenschaften

15. Purushottama Yoga – der Yoga der Höchsten Person

16. Daiva-Asura-Sampad-Vibhaga Yoga – Yoga der Unterscheidung zwischen göttlicher und widergöttlicher Existenz

17. Shraddha-Traya-Vibhaga Yoga – Yoga der Unterscheidung von drei Arten des Glaubens

18 Moksha-Sannyasa Yoga – Yoga der Befreiung und der Weltentsagung

 

 

 

 

Vorbemerkung

 

In der Übersetzung habe ich all die Namen, mit denen Krishna Arjuna anspricht weggelassen und auch all die Namen, mit der Arjuna Sri Krishna anspricht. Der Grund dafür ist einzig und allein der Fluss der Gedanken, welche ohnehin schon anspruchsvoll sind und wenn nun noch so viele Namen hineinfliessen, dann ist es der Klarheit nicht dienlich.

Arjuna wird mit 23 Namen angesprochen und Sri Krishna mit 46 verschiedenen Namen.

Ich bin mir bewusst, dass jeder einzelne Name im Kontext eine bestimmte Bedeutung hat, doch gibt es schon Bhagavad-gita Ausgaben, welche dies sehr ausführlich erläutern – und somit wäre es nur eine Wiederholung gewesen.

Für Studierende der Gita, die dies genau erfassen möchten, empfehle ich die Bhagavad Gita von Srila Vishvanatha Cakravarti Thakur und die Ausgabe von Bhaktivedanta Narayana Maharaja.

 

Die Verse der Gita sind möglichst wortgetreu übersetzt und manchmal habe ich, um das Verständnis noch ein wenig zu klären, ein paar Worte in Klammern hinzugefügt. Es gibt manchmal im deutschen nicht ein einzelnes Wort, das die Sanskrit-Bedeutung voll zu umfassen vermag. Deshalb sind manchmal noch klärende Ergänzungen angefügt.

 

Immer am Ende des Kommentars habe ich in kursiver Schrift die Verbindung zum nächsten Vers angefügt. Auf diese Weise kann man den gedanklichen Fluss der Bhagavad Gita leichter mitverfolgen und man versteht sie nicht einfach als aneinander gereihte Verse.

 

Natürlich hat Krishna nicht Kapitel gesprochen. Die Bhagavad Gita ist ein Gespräch von Herz zu Herz. Vom Herz Gottes zum Herz einer jeden Seele.

Für das Verständnis der Nachwelt hat Srila Vyasadeva, der dieses Gespräch aufgeschrieben hatte, Vers-Nummern und Kapitel-Unterteilungen gemacht.

 

Einige Worte werden in ihrer Bedeutung nicht immer wieder erklärt– dafür stehen am Ende die Begriffserklärungen zur Verfügung.

 

Da der  erste Vers des Dreizehnten Kapitels keine Nummer trägt, haben ihn einige Kommentatoren weggelassen. Der Grund hierfür ist wahrscheinlich, dass die Bhagavad Gita auf diese Weise die gerade Nummer von 700 Versen hat. Ich habe ihn aber dennoch als Nummer 1 gegeben, damit man mit anderen Ausgaben leichter vergleichen kann. Deshalb hat diese Ausgabe der Gita nun 701 Verse.

 

Die Nummern in Klammern (8.16) beziehen sich auf die Kapitel und Vers-Nummer anderer Verse, die das Beschriebene genauer beleuchten und ergänzen.

Um repetitive Aussagen im Kommentar zu vermeiden, verweise ich manchmal auf vorangegangene Kommentare (Z.B. siehe 8.16).

 

Wenn in einem Vers eine Mehrzahl von Eigenschaften aufgelistet wird, gehe ich manchmal auf die einzelnen ein und damit klar ist, über welche nun gerade geschrieben wird, ist sie in fetter Schrift markiert. (Zum Beispiel 15.5)

 

Diese Ausgabe der Bhagavad Gita wird aufgrund des sonst überquellenden Umfanges, nicht auf die historischen Hintergründe eingehen, die im Mahabharata beschrieben sind. (Es gibt ja mittlerweile viele deutsche Übersetzungen davon). Die 18 Kapitel der Bhagavad Gita sind ein ganz kleiner Teil des Mahabharata (Bhisma-Parva Kapitel 25-42).

 

 

 

 

 

 

 

Geschichtlicher Hintergrund

 

 

 

Die Bhagavad Gita ist der Ruf Gottes an die Seele. Die Einsicht in die Konsequenz dieses Rufes, nämlich der endgültige Abschied von all dem, was man in seiner Welt-Identifikation als „ich“ und „mein“ bezeichnete, lässt die Seele erst einmal erstarren.

Krishnas Worte führen die Seele dann aus allen Verwirrungen, die viel tiefer steckten, als man erst angenommen hatte, heraus. Mit Arjuna, dem ursprünglichen Zuhörer der Gita, wird auch der aufmerksame Mitbegeher dieses Weges, der Leser, diese unfassbare Transformation erfahren und hingeführt werden zu einer Klarheit, welche in Selbsterkenntnis gründet.

 

Das erste Kapitel beginnt damit, dass die Armeen der Pandavas und der Kauravas in zwei Schlachtreihen einander gegenüberstehen. Arjuna sitzt nun in seinem Kampfwagen zwischen den Fronten. Seit jeher ist diese Ausgangslage auch symbolisch interpretiert worden:

 

Das Schlachtfeld von Kurukshetra, auf dem sich zwei grosse Heere versammelt haben, stellt die Ausgangslage eines jeden Lebewesens dar: Es bezeichnet unsere Welt, in der unaufhörlich zwei entgegengesetzte Kräfte die Klarheit unseres ursprünglichen Bewusstseins verzerren. Das Lebewesen ist von den dualen Kräften des Lebensfeldes umhergezerrt. Wir sind involviert im Kampf mit den Dualitäten. In einem Kampf von Gut und Böse, Angenehmem und Problematischen, Liebe und Hass, Barmherzigkeit und Selbstbehauptung. Wir identifizieren uns mit einem Pol und haben dann ein meist recht schwerliches Verhältnis zum anderen.

Die Pandavas repräsentieren das Wahre, die Kauravas die Verdunkelung davon – die Unwahrheit. Das Schlachtfeld ist das Feld des Lebens und Arjuna ist die Seele, das Selbst, das in dem Wagen des Körpers sitzt.

Die Pandavas, die gesetzmässigen Könige, sind von ihrer Position vertrieben und von Duryodhana ins Exil geschickt worden. Duryodhana repräsentiert das selbstsüchtige Ich mit seinen unzähligen Leidenschaften.

Das heisst, in der Situation, in der wir uns in dieser Welt befinden, verfügt das Selbst nicht mehr über die Kontrolle, ist in einer unnatürlichen Situation, die ihr eigentlich wesensfremd ist, und ein falsches Ich hat die Führung usurpiert. Dhritrarastra, Duryodhanas Vater, ist bezeichnenderweise blind. Diese Besetzungsmacht hat keine Perspektive als das kurzfristige Geniessen-Wollen. Ihr ist jede Eschatolgie, das Sehnen nach Letztendlichem, abhanden gekommen.

 

Genau in dieser Situation befindet sich Arjuna. Er sieht in den gegenüberliegenden Schlachtreihen Verwandte, Freunde, und selbst seinen Lehrer Drona und er fragt sich: „Wie kann ich gegen sie kämpfen?“ Dies entspricht der gespaltenen menschlichen Natur. Arjuna empfindet, dass er die bevorstehende Schlacht nicht aushalten kann, und in Verzweiflung legt er seine Waffen nieder und sagt: „Ich will nicht kämpfen!“

An diesem Punkt kommt sein Wagenlenker Sri Krishna ins Spiel. Die Bildsprache ist klar: Der Wagen ist der Körper, Arjuna die Seele und der Wagenlenker repräsentiert Gott, der alles, selbst unseren eigenen Körper, lenkt. Der Höchste Gott, der im Moment der echten Verzweiflung auch als innere Führung erscheint und der Seele Mut zuspricht, sich im Kampf mit der falschen Natur zu bewähren.

 

Der denkende Geist muss einen Vorwand und einen überzeugenden Glauben als Ausflucht finden um in der Situation, in der er nun bereits steht, seine Anhaftungen, zu verteidigen. Daher wendet sich Arjuna an Krishna – im Grunde aber versucht er nur sein Gewissen zu beruhigen - indem er Krishna die „reine“ Motivation seines Tuns darlegen möchte. Das wird aber von der inneren Führung nicht toleriert und so fordert ihn Krishna auf, diese „Schwäche des Herzens“ zu überwinden.

 

 

Die Pandavas waren für zwölf Jahre in die Verbannung geschickt worden. Danach war es ihnen bestimmt, ein weiteres Jahr inkognito zu leben, und erst dann könnten sie zurückkehren, um den Thron zu besteigen.

Im Exil im Wald sind die geistigen Sucher aus der Welt fortgetrieben. Gegen Ende der Vertreibung erreicht man den Punkt, wo die Kräfte des Geistes zu schwinden und die Mächte des Dunklen ganz und gar die Kontrolle zu übernehmen scheinen. Das ist in der Tat oft so, dass vor dem Durchbruch zu einer grossen spirituellen Erneuerung die inneren Kräfte zunächst an ihrem schwächsten Punkt angekommen zu sein scheinen. Man erlernt die echte Zuflucht, ein Einsatz, der nicht nur Durchsetzung von Eigeninteressen bedeutet, sondern „Sich-zur-Verfügung-stellen“.Die Pandavas sind durch die dunkle Nacht der Seele gegangen und kommen jetzt zurück, um ihr rechtmässiges Erbe anzutreten. Das ist die Rückkehr zur eigenen Bestimmung.

Sie können nicht einfach durch Verhandlungen mit der Besetzermacht zu einem Kompromiss gelangen (Duryodhana proklamierte, dass sie nicht so viel Land bekämen, wie es braucht, um eine Nadel einzustecken). Das bedeutet, dass ein Ausgleich, auf der Ebene der Bedingtheit nicht gefunden werden kann, weil es nicht darum geht, in Harmonie im Zeitweiligen zu generieren. Die Wahrheit lebt nicht im Konkubinat mit der Illusion. Es benötigt viveka, Unterscheidungskraft: Was ist wirklich und beständig? Was ist zeitweilig und deshalb nicht substanziell? Was bin wirklich ich, was ist meine Identität und was ist nur angenommene Identifizierung? Was ist das, was ich wirklich will und was sind nur übernommene Wünsche, in die ich Hoffnung der inneren Erfüllung anklammere?

So sieht Arjuna auf dem Schlachtfeld unter seinen Feinden Freunde und Verwandte. Mit anderen Worten: das Vertraute. Arjuna erkennt, dass er in sich selbst gespalten ist. Das ist die conditio humana: in der Schlacht des Lebens sind wir gegen uns selbst angetreten, und es gibt in der Tat keine Lösung auf der menschlichen Ebene.

Solange Arjuna in diesem Bereich der Dualität bleibt, gibt es keine Antwort. Da erscheint nun Krishna und erhebt ihn auf eine ganz andere Bühne. Er solle nicht die Wellen glätten.

 

Krishna erzieht ihn zur Individuation, zur Ganzheit. Das heisst, dass es keine Händel mit der Bedingtheit geben darf. Krishna fordert seine Bereitschaft zur Entfaltung der vollkommenen Sehnsucht - der Bereitschaft, alles andere zurückzuweisen. Das ist die spirituelle Rücksichtslosigkeit. Das ist genau das, was die wenigen unterscheidet von der Masse der Menschen, die Kompromisse eingehen und sich in dieses Gemauschel des Geistes einlassen.

Sie wollen frei sein - aber: "ich habe auch noch andere Dinge zu tun. Wie soll ich denn...? Ich habe Freunde, ich habe einen Mann, ich habe Kinder..."

 

Die meisten spirituellen Sucher sind immer noch Hobbysucher, Hobbyselbsterforscher, Hobbyphilosophen. Die spirituelle Suche erscheint ihnen immer noch als ein Luxus, der erst dann vollständig gelebt werden kann, wenn die unendliche Kette anderer Bedürftigkeiten gesättigt sind – was natürlich nie eintreten wird.

Aber dieses vollkommene Interesse aufzubringen, diese totale Bereitschaft für alles, koste es, was es wolle, bedeutet: „ich bin bereit, alles dafür zu geben, was auch immer der Preis ist, der verlangt wird. Kein Preis kann dafür zu hoch sein, wenn man erahnt, worum es wirklich geht.

 

Man weiss, dass man eine angenehmere Zeit im Kino verbringen könnte. Heute ist Sonntag und man könnte picknicken gehen, mit dem Hund spazieren, Freunde besuchen…

Die Begegnung mit der Einladung zur bedingungslosen Hingabe ist nicht grundsätzlich unangenehm, aber für den Geist, der sich im Winterschlaf befindet, ist es manchmal äusserst ungenehm, wachgerüttelt zu werden. Es gibt massive Kräfte in einem, die gar kein Interesse daran haben, aufzuwachen. Sie schlafen lieber, betäuben sich und fühlen sich auch noch wohl darin.

Die Menschheit hat sich eingerichtet in ihrem Leiden, in ihrem inneren Kleingarten. Wer die Unendlichkeit nicht kennt, ist mit dem zufrieden, was er hat, und diese falsche Selbstzufriedenheit darf überwunden werden. Es ist die Selbstgefälligkeit des Leidens, die Ignoranz der Wirklichkeit gegenüber.

Viele verbringen ihre Zeit so, als wäre der Wunsch, frei zu sein, DIE Nebensächlichkeit des Lebens.

Alles muss diesem Wunsch untergeordnet werden, wenn man ihn als wirklichen Wunsch anerkennt. Die meisten Menschen spüren diesen Wunsch gar nicht, und das bedeutet nur, dass sie sich dieses Wunsches nicht gewahr sind, denn in Wirklichkeit ist es der tiefste Wunsch eines jeden Menschen. Die Nichtfühlung damit ermöglicht erst das Leben an der Oberfläche mit seinen kleinen Bedürftigkeiten.

Die Erfüllung dieses Wunsches erfordert jedoch eine vollkommene Bedingungslosigkeit und alles, was man sein Leben nennt, hat sich dem zu fügen.

 

Der innere Weg verlangt von einem eine Haltung, in der man bereit ist, alles zu geben ohne Reserven zurückzuhalten. Und das hat man völlig verlernt.

Was wir gelernt haben ist, Kompromisse einzugehen – so gehäuft, dass das gesamte Leben zu einem lauen Kompromiss wird.

 

Diese Kompromisslosigkeit, eben die spirituelle Rücksichtslosigkeit, ist die Kraft, welche die Beziehung - die letztlich nichts anderes ist als meine Beziehung zum Schein, meine Beziehung zu Bildern und Rollen - durchtrennt.

Und dazu gehört auch die Bereitschaft, das Gefallenwollen aufzugeben, die Bereitschaft anzuecken.

Wenn diese Kraft (letztlich eine sakti Lord Shivas) auftritt, kann das Widerstand hervorrufen, Staub aufwirbeln. Es wird ein Schlachtgetümmel. Und in dieser Beziehungslosigkeit fühlt man sich dennoch nicht abgetrennt, denn sein Wagenlenker ist ganz nahe bei einem. Die innere Führung wird konkret.

 

Der Gotteswiderstand zeigt sich erstmal als natürliche Tendenz, jede Nichtigkeit als Ablenkung willkommen zu heissen. Das Einhängen in die Ablenkungen, die uns ja ständig umgeben, ist ein Zeichen, dass man nicht wirklich will.

Der eigene Widerstand zu Gott darf nun in aller Heftigkeit erfahren werden.

In der stillen Annahme von ihm wird ein Umkehrungsimpuls geboren.

 

 

Was von Arjuna gefordert wird, ist genau das, was den Kampf so schwierig macht. „Ich muss all meine Verwandten und Freunde töten!“ Arjuna, die Seele in dieser Welt, in einem menschlichen Körper inkarniert, ist in seinem Dasein von einem Heer von Täuschungen umgeben, welche er zu überwinden nun aufgefordert ist, um zur Erkenntnis seiner göttlichen Natur zu gelangen. Da ihm aber viele dieser Täuschungen lieb geworden sind, und er mit ihnen eng vertraut geworden ist, aus Gewohnheit und Bequemlichkeit, fällt es ihm schwer, gegen dieselben anzukämpfen, ja sie sogar zu zerstören.

Das ist das Problem, wenn wir aufgefordert sind, effektiv aufzubrechen, und alles uns liebbgewordene abzulegen. Es scheint, dass nichts von uns übrig bleibe. Wir haben die Welt verloren und es scheint zuerst, dass man dabei nichts gewonnen hätte. Das ist der in aller Spiritualität notwendige Glaubenssprung.

 

Das ist der tiefe Grund für Arjunas Verzweiflung. Er lässt die Arme sinken und weigert sich, den Kampf auzunehmen, weil es nichts mehr zu geben scheint, wofür er kämpfen könnte, denn selbst wenn er den Sieg erringen sollte, würde er doch dabei alle seine Geliebten, die ihm nun als Feinde gegenüberstehen, getötet haben. Diese Enthebung materieller Motivationen ist der Beginn von unverzweckter Spiritualität.

 

Anyabhilasita sunyam  jnana karmady-anavrtam

Anukulyena krishnanu-silanam bhaktir uttama

 

"Der kontinuierliche, natürlich spontane, ununterbrochene Fluss (so wie Honig aus dem Honigglas herausfliesst) des Bewusstseins und aller Bemühungen des Körpers, des Geistes (der inneren Gemütsstimmungen) und aller Worte ganz allein zur Freude von Sri Krishna, wird reine Bhakti genannt.

Diese Hingabe ist frei von  irgendwelchen materiellen Motivationen, die einem von seiner Wesensnatur entfremden -  nämlich der Ambition, irgendetwas von Gott zu bekommen und dem Flehen, vor etwas bewahrt zu werden.“

 

 

Die Fragestellung der Bhagavad gita ist: warum entsteht die Welt? Was ist die natürliche Funktionsweise des Individuums? Was ist die Absicht, welche Gott in seine Schöpfung hineingelegt hat? (Teleologie) In welcher Beziehung steht das Individuum mit der göttlichen Instanz?

 

 

Krishna hat eine ewige, unveränderliche unbegrenzte Form mit transzendentalen Eigenschaften.

Die Seele ist niemals das Unbegrenzte, auch nicht im befreiten Zustand. Auch nach der Befreiung vom Kreislauf von Geburten und Toden bleibt die Seele ein reines spirituelles Teil, lebt dann aber wieder sein volles Potential als bhagavat-parikara, ein ewig Beigesellter Gottes.

 

Wer ist Arjuna?

Er ist ein ewig Beigesellter von Krishna. Eine befreite Seele, welche Krishna in Sakya-rasa (als Freund) dient und niemals unter den Einfluss des Vergessens, der Illusion und der Gleichgültigkeit gelangen kann. Krishna hat die „Lamentation“ und „Täuschung“ Arjunas arrangiert, damit er durch die Unterweisung an ihn alle Lebewesen dieser Welt mit der ewigen Weisheit der Bhagavad gita segnen kann. Durch das Medium dieses Gespräches definiert Krishna die svarupa (die wahre Natur) seiner Selbst, sowie des derjenige des Lebewesens. Er erklärt reine Gottesliebe, Seine ewige Welt, die materielle Natur (sambandha) und die Beziehung zwischen allem (abhideya). Sowie auch das Höchste letztliche Ziel (prayojana).

 

 

 

Die Botschaft der Bhagavad gita

(zusammengestellt von einer Inspiration von Baladevas „Prameya Ratnavali“ und Bhaktivinods „Dasa Mula tattva“)

 

1. Es gibt nur einen einzigen Gott für alle Religionen und alle Menschen. (sanatan dharma)

 

2. Dieser eine Gott ist allmächtig, allgut und allgegenwärtig und umfasst alles Geschaffene. Er selber ist die Ursache aller Ursache, die dann selber keine Ursache mehr hat, das heisst ewig besteht. (bhagavan)

 

3. Die materielle Natur (prakrti), in der wir gegenwärtig leben, ist real und ewig, da sie eine Spiegelung der ewigen spirituellen Wirklichkeit darstellt. Die Dinge (Erscheinungsformen) und unsere Handlungen innerhalb dieser Welt jedoch sind vergänglich und wandelbar. Das ewig Seiende des Ursprunges dieser Welt reflektiert sich aber im Vergänglichen ewiglich als zyklisches Entstehen und Vergehen.

 

4. Gott ist aber nicht nur immanent in Seiner materiellen Schöpfung gegenwärtig, sondern gleichzeitig auch transzendent dazu, d.h., Er befindet sich weit jenseits dieser Schöpfung ewig in Seinem eigenen Reich (Vrindavana).

Dies bedeutet, dass Er in Seiner Allumfassenheit parallel existiert als allgegenwärtige Energie (brahman) und in einer individualen ewigen Form mit unzähligen anziehenden Eigenschaften in einer unzerstörbaren und unwandelbaren Sphäre weilt.

Würde ihm einer dieser beiden Aspekte fehlen, wäre er nicht vollkommen.

 

5. Alle Lebewesen (jivas) sind winzig kleine, bewusste und ewige Teile Gottes. In dieser Welt beseelen sie alle Körperformen, also auch Tiere, Pflanzen. Sie behalten ihre Identität  bei, auch nach der Befreiung des Kreislaufes der Wiedergeburten. Wenn ihre aufgesetzte materielle Identifikation mit dieser Welt, die nur eine Bedeckung des jiva darstellt, vollkommen abgelegt ist, manifestiert sich erst dessen wahre Individualität (svarupa).

Die Anzahl der jivas ist unbegrenzt, und sie weisen die gleichen spirituellen Eigenschaften wie Gott selber auf (sat, cit, ananda), im Gegensatz zu Gott jedoch nur in begrenztem Ausmass.

 

6. Der Grossteil der jivas jedoch sind ewig befreit, und verehren Krishna mit Liebe und Hingabe (bhakti) und leben mit Ihm in der spirituellen Welt, wobei sie reine Liebe zu Gott (prema) erfahren.

 

7. Das Liebesangebot Gottes ist freiwillig, denn Liebe impliziert die Freiwilligkeit. Die Seelen, die nicht nur noch für Gott leben wollen und ihre Prioritäten noch im Zeitweiligen sehen, werden, da sie unzerstörbar sind, an dem Ort ihrer Bewusstseinsausrichtung wiedergeboren, das bedeutet, im Zeitweiligen, in dieser Welt.

Die Seelen nehmen gemäss ihren individuellen Wünschen, Gedanken und den daraus entstehenden Handlungen (karma) innerhalb der materiellen Welt in einer spezifischen Lebensform Geburt (als Pflanze, Tier, Mensch, Deva...) und wandern so fortwährend von einem Körper zum andern (samsara). Es entspricht alles dem Gesetz Gottes, aber nicht Seinem Willen.

 

8. Das Ziel dieser Seelenwanderung durch die verschiedenen Lebensformen ist es, dass die Seele sich selbst nicht mehr als Teil einer toten Welt erkennt. Das, was sie hindert, ist ihr eigenes Sehnen nach illusionären Freuden (maya), die eigentlich nichts anderes darstellen als ihr verdecktes Suchen nach Gott. Dies erkennend, wendet sie sich wieder Ewigkeit zu, die ihrer Natur entspricht.

 

9. Durch Seine unbegrenzte Kraft (acintya sakti) ist Krishna jedoch auch in der materiellen Welt erfahrbar, und zwar durch yoga, dem Pfad der Wiederaufnahme der Beziehung mit Ihm.

 

10. Die Pfade, die Krishna in diese Welt hineinlegt als Möglichkeit der Rückkehr sind unbegrenzt. Sie sind so konzipiert, dass, unabhängig der Verhaftung und des Hineinprojezierens  des jiva in die Materie, jede Seele ein Interesse finden kann und angesprochen wird.

Alle Yogapfade sind angelegt wie eine Leiter mit verschiedenen Sprossen, die die Seele durch verschiedene Verwirklichungen hindurchführt.

 

 

11. Das letzliche Ziel und die ursprüngliche Stellung des jiva (svarupa) ist es, reine Liebe zu Krishna zu erfahren und mit Ihm in einer ewigen Sphäre einen liebevollen Austausch zu pflegen. 

 

 

 

Bhagavad Gita

Was ist bedeutet der Name? Generell wird es übersetzt als der „Gesang Gottes“

 

„bhaga“ heisst Opulenz oder auch grosses Glück. Vad bedeutet, „jemand, der besitzt“. Er ist dieses Wesen, der alle Füllen in vollkommen innehat (und die Vrindavan-Übersetzung: Derjenige, der das Glück hat, von Radhika geliebt zu werden). Er hat Acintya Sakti. In dieser Welt lösen sich die Gegensätzlichkeiten auf. Aber aufgrund seiner unbegreiflichen Kraft vereinigt er in sich alle Gegensätze und vermeintliche Widersprüche. Er ist gross und klein zugleich. In seiner Form als Mahavishnu haben alle Universen in einer Pore seines ewigen Körpers Platz. Und in allen Atomen ist er als Kleinstes Teil als Überseele enthalten.

Die bedeutendste aller Füllen ist Schönheit. Alle Schönheit hat seinen Ursprung in Sri Krishna und er übertrifft alles an Schönheit. Ein Wesen, der diese Eigenschaften in sich vereinigt, heisst in der Sanskritsprache „Bhagavan“ (Gott). Der Gesang aus dem Herzen dieses Wesens heisst Bhagavad Gita.

 

Die Bhagavad Gita wurde von Krishna zu Arjuna übermittelt. Aber keiner der  Beiwohnenden konnte das mithören. Nur Sanjaya, ein direkter Schüler Vyasadevas, hat durch die Gnade seines Guru all das mithören können, obwohl er sich geographisch weit weg von Kurukshetra befand. Er vermittelte das Vernommene dem blinden König Dritarashtra.

 

Es gibt Menschen, die denken, man könne die Bhagavad gita im Eigenstudium lesen und dass das Thema des spirituellen Lehrers nicht wirklich Bedeutung habe. Aber die gesamte Bhagavad gita, jede Silbe davon, spricht von der Dringlichkeit, einen Guru anzunehmen – da Sanyaja dieses heilige Gespräch nur hören und sehen konnte durch den Segen seines Guru.

 

Ganz am Anfang der Gita existiert ein dramatischer Kontrast: auf der einen Seite ist Dhritarastra, der körperlich und auch geistig blind ist, da er Position und Ansehen in dieser Welt erstrebt, seine Ursehnsucht missplaziert, was in Anhaftung an Vergänglichem resultiert – und auf der anderen Seite ist Sanjaya, der nicht nur physisch sieht, sondern durch die Gnade seines Lehrers Einsicht in die Wirklichkeit bekommen hatte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 1

 

Das erste Kapitel heisst „vishada-Yoga“, das Yoga der Verzweiflung, das Yoga der Erschütterung, das Yoga der Niedergeschlagenheit und Verwirrung. Dumpfheit ist gesetzter Staub, Verwirrung ist aufgewirbelter Staub. Deshalb stellt genau dies einen wesentlichen Yogapfad dar.

Verzweiflung, die Kapitulation der weltlichen Identität, ist eine Initiation, ein Anfang für den Yogaweg. Eine Erfahrung der Leere, der Desillusionierung ist für die meisten notwendig, um zur grossen Transformation aufzubrechen. Damit ist nicht die Enttäuschung gemeint, dass einen der Partner verlassen hatte, ein geliebter Freund gestorben ist oder man gerade seinen Traumberuf verloren hatte. Wer denkt, alles sei in Ordnung, wie es nun ist - man hat genug Nahrung, einen anständigen Beruf und ist umgeben von Menschen, die einen lieb haben – kann niemals eine echte Türe zur Transzendenz finden. Es braucht die Erfahrung der grundlegenden Leere, des „Zuwenig“ in dieser Welt, eine Rebellion zu einem verbürgerlichten Leben, ein Zweifel an der bisherigen Existenz, welche in der Begegnung und innerer Konfrontation mit der Transzendenz geboren werden. Vor dieser Begegnung war die Welt noch in Ordnung. Die Angst vor dieser sehr existentiellen Erschütterung mag eine Erklärung sein, weswegen viele Menschen ein Leben an der Oberfläche vorziehen, denn sie wissen, dass der Rattenschwanz der Konsequenzen zu lange wäre.

Diese Verzweiflung ist nicht gleichzusetzen mit Enttäuschung, Frustration und Depression, welche Symptome sind, die Hoffnungen auf die Welt zwar noch zu haben, aber nicht erfüllt zu bekommen. Sie ist ein Gewissenskonflikt, eine Folge des inneren Herauswachsens und ein Abschied nehmen und Gesättigt-sein von einem Leben der kleinen Annehmlichkeiten. Wenn der spirituelle Weg motiviert wird durch die Bekümmernis der Verunmöglichung materieller Umstände, wäre er nur eine Instrumentalisierung innerweltlichen Einrichtens.  

 

Das erste Kennzeichen einer erwachenden Seele besteht darin, dass sie Seele nicht mehr wie früher Freude empfindet an allen schönen, guten und liebenswürdigen Dingen dieser Welt. Und zwar nicht aus Enttäuschung oder Frustration heraus, sondern weil sie langsam aus ihr herauswächst, genauso wie jemand aus dem Spielzeug-Alter ganz natürlich herauswächst.

Die Seele fühlt, zuerst schwach, dann immer stärker und öfter: "Das ist alles irgendwie zuwenig".

Es füllt sie nicht mehr aus. Wohl wusste sie immer, dass sie nicht daran satt sein könne für immer. Da sie vorher ja fromm lebte, verband sie ganz von selbst jenes Freuen auch mit Gott,  den sie in der Schönheit der Natur und in der sinnvollen Abfolge der Geschicke wahrnahm. So freute sie sich mit Ihm, aber doch mit Ihm an jenen Wesen, an Blumen, Sternen, Menschen, an Musik, Bild und Dichtung, an hohen Gedanken und edlem Tun, an Geschichte, Reisen und Begegnungen.

 

Nun aber wird dies alles schal. Es verklingt und versandet.

Die Seele erfährt eine innere Unsicherheit: "Was ist mit mir geschehen? Weshalb freut mich dies nun nicht mehr von Herzen? Bin ich krank?"

 Die Seele empfindet eine grosse Leere und Ernüchterung, wenn sie mit diesem Altgewohnten umgeht. Zuweilen steigert sich das zu einem richtigen Widerwillen, der mit einer nachdenklichen Traurigkeit gepaart ist.

 Nicht kontinuierlich ist dies so. Die Seele kann auch wieder einmal ganz aufgehen in einem schönen Buch, ganz verzaubert sein von einer herrlichen Symphonie. Aber dann bricht das wieder ab, manchmal mitten während der Freude. Etwas Graues verhüllt alles, entleert und entwertet es. Und sie weiss, dass sie etwas ganz anderes sucht und will. Sie spürt es im tiefsten immer deutlicher: Dass es Gott ist, nachdem ihr Herz sucht, und schon seit unzähligen Leben gesucht hat.

Das Suchen kann zum Schreien werden. Sie wandert draussen durch blühende Wiesen, die bisher ihr grosses Entzücken bildeten, sie entdeckt eine seltene Blume, auf die sie sich immer schon gefreut hatte. Aber was ist in ihr? Kein Jubelruf, sondern etwas wie ein Schmerz zieht durch sie hindurch. Oder sie starrt auf dieses kleine Wunder der Schöpfung, und ihr ist, als flüstere sie ganz in der Tiefe: "Dies nur gibst Du mir? Warum nur das? Warum nicht Dich?

Die Seele ist sich gewahr: Krishna ist allgegenwärtig, Sein Wesen leuchtet aus allem, was sie sieht.

Aber sie will mehr. Sie will Ihn ohne das andere, ohne seine Werke, die Ihn verhüllen.

Dieses „Zuwenig“ ist die Erfahrung des Yoga der Verzweiflung (vishada-yoga), welches das Yoga des ersten Kapitels ist. Dieser existenzielle Schmerz zeigt an, dass etwas grundlegend falsch ist, dass man noch nicht bei seiner wesentlichen Bestimmung angekommen ist. Diese Form der Verzweiflung ist eine Initiation in den Yoga-Pfad.

Die meisten Menschen sind in so einem Lebenszustand, dass sie diesen Schmerz nur ganz selten wahrnehmen und ihn dann meistens gleich wieder betäuben.

Man kann Vishada auch als Enttäuschung übersetzen. Man hat also die Hoffnung aufgegeben, seine Heimat im Fluss der Zeitweiligkeit zu definieren.

 

Ungesichertheit ist kein Hindernis in der Selbsterforschung.

 

„Krishna, Ich lebte in der Verlässlichkeit in die gewohnte Welt…

Was für ein Geschenk ist da Krishnas Intervention, die erst einmal als Irritation ins eigene Leben tritt.“

 

 

 

Diejenigen, die glauben, sie könnten sich hingeben, wenn sie sich sicher fühlen, zuhause in dem Kämmerlein, in dem Kleingarten der Scheingeborgenheit, halten noch fest am Widerstand gegenüber der Wahrheit.

Aus mangelndem Glaube heraus entsteht schnell einmal die Übergläubigkeit.

Das ist ein Ausdruck der Religion, die aus sich sehnendem Sicherheits- und Aufgehobenheitsbedürfnis entsteht und eine starke Tendenz zu verfestigten Glaubensvorstellungen in sich trägt.

Wenn man sich aller Ungewissheit stellt, entsteht eine natürliche und authentische Gläubigkeit – den erlebten Sinngehalt aller Schöpfung. 

Konfessionelle Spiritualität glaubt, Gewissheit vermitteln zu können. Durch solche Versprechen werden Menschen angezogen, die der Unsicherheit entfliehen wollen und deshalb schnell ein hohes Aggressionspotenzial an den Tag legen, wenn sie ihr religiöses Heil bedroht sehen.

Auf dem inneren Weg aber kann man kein Konzept eines Heilmittels anwenden, von dem man glaubt, es sei unser einziges und immerwährendes auf dem gesamten Weg. Wir brauchen immer neue, immer andere, immer die, die dem Augenblick angemessen sind. Das ist kein Weg der Kochrezepte; Kochrezepte sind für einfache Gläubige - die wollen wissen, wie es geht, wie man zu Gott gelangt, wie man ein guter Mensch werde und wie man in den Himmel komme. Vereinfacht will man alles aufgetischt bekommen - welche moralischen Werte man einhalten muss und welche es zu vermeiden gilt – und glaubt, das würde genügen. Einfach alles von einem Priester verschrieben bekommen…. Es scheint einfach und einleuchtend, ist aber nicht der Weg zur Wahrheit. Dieser führt erst einmal in die grundlegende Seins-Verunsicherung. Die gesamte säkulare Gesellschaft und auch die konfessionelle Spiritualität ist ein erfolgloser Versuch, der fundamentalen Ungesichertheit irgendwie auszuweichen.

Aber gerade aus der Gnade der Ungesichertheit wird das Wahre geboren. Deshalb beginnt die Bhagavad Gita mit dem Kapitel „Yoga der Verzweiflung“.

 

Wenn man lernen möchte, mit Unsicherheit umzugehen, geht man in eine Psychotherapie. Wenn man lernen möchte, mit Ungewissheit nicht mehr umzugehen und sie wirklich zuzulassen, ist das der Eintritt für einen inneren Weg.

 

Wenn Religion Inseln der Geborgenheit in einem Meer der Unübersichtlichkeit liefern soll, 

gesicherte Werte in einer konfusen Welt oder die Einstellung, einer Gemeinschaft von Wissenden anzugehören, die sich von der unwissenden Welt abhebt, wird sie nicht nur fragwürdig, sondern gefährlich. Sie erhöht so nur die Hoffnungen des Eigennutz.

Religion fordert erst einmal zum Aufbruch in die absolute Ungesichertheit auf.

Sie legt ein Urvertrauen in die Seele hinein, dass im Abbau aller Sicherheit das Allerwesentlichste nicht verloren geht.

 

Die Verteidigung meiner Gedankenwelten und Weltanschauungen wird erst möglich, wenn man sich mit ihnen identifiziert. Denn erst dann werden die Ich-Rolle und die eigene Geschichte bedeutsam. Dann nenne ich sie nicht mehr „meine momentane Wahrheit“, sondern „die Wahrheit“.

Die klare nach innen gerichtete Wahrnehmung ist dankbar, wenn die Gedankenwelten und alle bisherigen Perspektiven umgestossen werden. Denn dies bedeutet, dass die Sichtweise erweitert werden darf.

 

 

Alle Infragestellung darf nun eingeladen werden.  
Solange man den grundlegenden Zweifel nicht willkommen heisst,  bleibt man am Anfang des Weges. Man glaubt, durch den inneren Weg die alte Sicherheit zu stabilisieren zu können, anstatt einzutreten in den Raum unerschütterbarer Wahrheit.

Das erste Kapitel führt an diesen Punkt wesentlicher Erschütterung hin. Dann erst kann spirituelle Unterweisung beginnen.

 

Die Erlangung der Leidensbewusstheit ist eine wesentliche und nicht zu umgehende Stufe des inneren Weges.

Es ist gar nicht so tragisch, wenn man die Erschütterung wirklich zulässt. Es war viel schlimmer, sie nicht zuzulassen und im ständigen Versuch zu verweilen, Herr über sie zu werden.

Es ist nicht die Hingabe, die schmerzt, sondern der Widerstand vor ihr.

 

 

 

 

Latente Ungewissheit

 

In der ganz dünnen Schicht unseres Wachbewusstseins, das wir für unser “ich” halten, denken wir, wir würden die Welt wahrnehmen. Aber neun Zehntel des Eisberges stehen unter Wasser. Die meisten Abläufe in unserem Inneren geschehen ohne die bewusste Entscheidung des gegenwärtigen „Ich“.

Dieser Schatten meiner eigenen Vergangenheit, meiner Samskaras (der Eindrücke meiner vergangenen Leben) begleitet die Seele und ist in den Entscheidungsprozessen von gewichtigem Einfluss. Das Koordinatengitter menschlich bedingten Verhaltens, unsere Einordnungen in "richtig", "falsch", "gut", "schlecht", spielen sich viel mehr auf der  Ebene fluktuativer  Empfindsamkeiten ab, als wir uns eigentlich eingestehen wollen.

 

So leben wir fremdgesteuert von der eigenen Vergangenheit einen Grossteil unseres Lebens praktisch schlafend, nicht proaktiv auf das Handeln hinzugehend. Und unser Verstehen bleibt dementsprechend reduziert und partiell. Und mit jedem Erkenntnisbrocken kommt gleichzeitig ein grosser Schatten mit, der missinterpretiert, der verzerrt und entstellt, der verwechselt und das kleine Erkennen gleich wieder verworren macht.

 

Das wahrnehmende Bewusstsein ist ja bereits nur eine ganz dünne Schicht über dem Unterbewussten, welches ganz massgeblich diese Wahrnehmung prägt und was immer es aufnimmt, wird sofort gefiltert durch das drohende Gewicht des Schattens.

Und so glaubt und denkt man, man hätte Einsicht, man hätte etwas verstanden, man sei am Erwachen, aber es ist nichts anderes als ein erneutes Missverständnis. Die Komplexität wächst nun aber: nun ist man in der Illusion, die Illusion überwunden zu haben.

 

Deshalb ist die Beobachtung der Funktionsabläufe im Unbewusstenten essentiell, da sonst alles vermeintliche Erkennen nur wieder ein erneutes Missverstehen beinhaltet und da hinein mündet.

Die Sonne des Sadhana wird viele bisher unerwünschte Anteile meiner materiellen psychischen Hülle bewusst machen, und es braucht „dhirata“ (BG 2.13), Ruhe in der spirituellen Verankerung, dass man diese erkannten Wesensanteile nicht gerade wieder verdrängt und somit wieder dem Schatten zuordnet.

Im Alltagbewusstsein in der Umgangswelt denken wir, dass wir manchmal etwas missverstehen, dass wir aber doch das meiste erkennen und verstehen.

Sat-Sang, Gemeinschaft mit Heiligen, lässt uns das Gegenteil diagnostizieren: auch wenn man im spirituellen Leben meint, etwas verstanden zu haben, ist es mit grosser Wahrscheinlichkeit einfach ein erneutes Verkennen.

Diese Missdeutung und Verfälschung geschieht eben aufgrund des riesigen Schattens, den wir mit uns tragen. Ohne dieses Handycap wäre jegliches spirituelles Bemühen eine Einfachheit.

Dieser dicke Filter unserer eigenen selbstverursachten Vergangenheit kreiert auch im Heiligsten wieder Dunkelheit.

Alles Verstehen, jede Verwirklichung wird dadurch verzerrt und es untersteht nicht einmal der eigenen Kontrolle, es nicht zu verzerren.

Aber was man tun kann, ist, dies einzugestehen, dieses Phänomen anzuerkennen, die Achtsamkeit vergrössern, dass der verzerrende Teil des Unterbewusstseins verkleinert wird.

Erst im Licht des Gewahrwerdens, in konstanter Aufmerksamkeit löst sich der Schatten allmählich auf, der ja genau aus der Unaufmerksamkeit besteht.

Erst in der vollkommenen Bewusstheit und Wachheit wird dann das Missverständnis ausgeschlossen. Der Erwachte erst versteht wirklich. Und bis dahin ist die Erkenntnisfähigkeit gefärbt und getrübt, das Wissen auch immer noch teilweise Täuschung. In der Annahme und der Akzeptanz dessen wird das Ego geringer, da es sich einzugestehen hat, dass all sein Verstehen sehr relativiert wird von einem gleichzeitigen Missverstehen. All das, auf das sich das Ego behaupten möchte, ist gar nicht so gesichert. Das Ego verliert seine Sicherheit, wenn es sich eingestehen muss, dass all seine Annahmen Eventualitäten sind. Es wird durchlässiger. Auf jeden Fall wird man einfacher und unschuldiger und in der Unschuld wird die Meditation erst möglich.

 

Wenn die Widerstände gegen die Ungewissheit meiner Wahrnehmung und meines Verstehens sich auflösen, wird man offener und sensibler für die Möglichkeiten, die sich ausserhalb meines gegenwärtigen Verständnisses befinden. Man wird weniger bestimmt,  und festgesetzt, denn der Wissensstand ist noch nicht definitiv. Die arrogante Sicherheit löst sich auf, die gerade im Religiösen den eigenen Zugang zur Wirklichkeit blockiert.

 

Wenn jemand verliebt ist in eine andere Person, fällt es enorm schwer zu sagen: „Es besteht die Möglichkeit, dass ich dich liebe. Ich liebe dich vielleicht“ Aber es entspricht der Wahrheit, denn im momentanen Zustand kann nicht mehr gesagt werden. Denn wie oft dreht sich diese sogenannte Zuneigung in ganz kurzer Zeit in Hass um.... Wieso der dünnen Spitze des Eisbergs unseres Oberflächenbewusstseins gerade ganz vertrauen? Im nächsten Moment kann die Entscheidung wieder ganz anders aussehen, da im riesigen Bereich des Schattens noch ganz andere Informationen verborgen liegen, die das Handeln dann gezwungenermassen prägen werden.

 

Ein grosser buddhistischer Heiliger, Mahavira, benützte auch als erleuchtete Seele das Wort “vielleicht” “wahrscheinlich” in jeder Antwort, die er den Fragenden gab, was natürlich jede Aussage relativierte.

Aus diesem Grund hatte er nicht viele Schüler, denn die bedingte Seele möchte Gewissheit, auch wenn es in ihrem Zustand gar nicht möglich ist. So lässt der Wunsch nach Sicherheit alles Gehörte zu einem Konzept versteifen, was die Erfahrbarkeit, die Verwirklichung des Verständnisses natürlich verunmöglicht.

Die Menschen sind schon in einer unsicheren Existenz, in einem ungewissen Leben. Und aus dem heraus will man ein klares und absolutes Glaubenssystem.

Deshalb spricht Krishna in der Bhagavad Gita davon, dass man für die Begegnung mit der ewigen Wahrheit (sanatan dharma) alle Hoffnung aufgeben und alle Schein-Sicherheiten hinter sich lassen muss (sarva dharman parityaja).

 

Mahavira vermittelte keine Konzepte (das ist ein wichtiger Ansatz im Buddhismus geblieben). Als ihn jemand nach Gott gefragt hat, antwortete er: „Vielleicht“. Aber wenn man ein Gott verehren möchte, der ein „Vielleicht“ ist, dann würde auch das Gebet zu ihm zu einem „Vielleicht“ werden und das gesamte Glaubenssystem, seine Religion wäre eine Idee der Relativität. Aber in den konfessionellen organisierten Religionen sind „vielleicht“ und „aber“ gebannt.

 

In aller Verwirrtheit und Konfusion des Alltags will der unernsthafte Gottsucher nun einfach Gewissheit und Sicherheit. Er will sich nicht der ewigen Suche nach Gott ausliefern, die ihn zunächst einmal noch in viel existentiellere Unklarheit hineinbringt, in der dann alle bisherigen akzeptierten Grundlagen auch noch zerfallen.

 

Und so mag der Ursprung des Glaubens noch so heilig und transzendental sein, aber er sucht ja nur ein kleinliches Festhalten, ein verbürgerlichtes Glaubenwollen, das ihm Sicherheit und Schutz, Gewissheit und Sorglosigkeit, letztlich eine Rechtfertigung für seine Anhaftungen im Leben vermittelt - ein gerettetes Leben als eine Bürgschaft für ein gutes Gefühl.

Er will nur ein Gott, der ihn, seine Familie und sein Weinkeller beschützt, und zu dem er beten kann, wenn er gerade nicht mehr weiter weiss und wenn es ihm gerade schlecht ergeht – und will sich nicht von ihm erschüttern und entwurzeln lassen.

Hätte er den Gott nicht, würde er sich einfach verloren und einsam fühlen. Und dafür soll Gott nun sein magisches Pflaster werden.

Echte Heilige geben nicht oberflächlichen Trost und illusionären Mut, sondern zerstören ihn.  Sie vermitteln nicht Behaglichkeit und Wohlergehen, sondern eine radikale Kehrtwende, in der man sich selber verliert. Srila Sridhar Maharaja sprach immer wieder davon, „zu sterben, um zu leben“. Wir haben Angst davor.

 

Wenn wir dieser Angst nicht begegnen, wird die ganze Spiritualität ein Ausweichen vor der Wirklichkeit, ein Einnisten in einer erneuten Illusion – die nun aber noch viel schwieriger zu durchschauen ist, da man ihr einen heiligen Deckmantel umlegte.

Die echte Spiritualität setzt sich bereitwillig dem Vakuum der Ungewissheit aus, und darin wird man zu einem wahren Sucher.

Man ist bereit, selbst alle bisherige Erkenntnis in Frage zu stellen, sämtliche angewohnte Denkvorgänge kollabieren zu lassen. Und es bereitwillig einstürzen lassen. Man will nicht Scheinsicherheit, sondern Wahrheit, und für die müssen alle Hoffnungen und Erwartungen und Ansprüche hinfällig werden.

Es braucht eine Bereitschaft für die Totalität, sonst wird man weiterhin einfach nur kleine Einsichten haben.

 

Unwissenheit wurde bestraft und ausgenutzt. Deshalb ist man in der materiellen Welt konditioniert, diesen Zustand möglichst schnell zu beenden. In einer solchen Situation greift man verständlicherweise vorschnell zu Schein-Erkenntnis. Wir bezeichnen dieses im Kollektiv der Zivilisation dann als „Bildung“.

 

Viele neigen dazu, einem begrenzten Urteilsvermögen Raum zu geben, bevor man wirklich versteht.... Die deutsche Sprache nennt dies „Vor-Urteile“, dass der Geist zu Urteilen gelangt und dabei einen Erkenntnisprozess schliesst, bevor er in Verstehen gegründet ist. Die Situation ist nun noch schlimmer, da die vermeintliche Erkenntnis des Vorurteils als Verstehens-Blockade wirkt.

Man muss es aushalten lernen, nicht zu verstehen. Es ist ein Zustand, in dem nichts mehr klar ist und in dem man sich nicht mehr festhalten kann und in dem Unsicherheit und mangelnde Geborgenheit herrschen.
Lieber hält man sich an ein Strohhalm-Konzept fest, das einem vermeintlichen Halt schenkt als sich gänzlich der Ungewissheit auszuliefern. Dies ist einem nie gelehrt worden.

Genau dies aber fordert der echte Gotteszugang.

 

Krishna hat Verständnis für Verwirrung.

Verwirrt zu sein in einem Zustand von Unwissenheit und Nicht-Verstehen ist aber Faulheit. Auf Gnade hoffen darf man erst, nachdem man alle Eigenkapazität und Bemühung ausgeschöpft hat.

Verwirrung nachdem man verstanden hat, ist eben Ausdruck der Gnade. Es ist das heilige Staunen, das die natürliche Antwort der Seele auf Krishnas unerschöpfliche Unbegrenztheit darstellt.

 

 

 

 

 

 

1.1

Dhritarastra sprach:

O Sanjaya, was taten meine Söhne und die Söhne Pandus, als sie sich an der heiligen Pilgerstätte von Kurukshetra, dem Feld des Dharma, voller Kampflust versammelt hatten?

 

 

Die Ausgangslage der Bhagavad Gita ist eine Frage von einem Blinden – das sind wir.

Was ist die Blindheit des Königs? Die drückt er in diesem Vers bereits aus: mamakah - das Verständnis der Verhaftung, dass irgendwelche Dinge oder Personen in dieser Welt einem zugehörig seien. Diese Verhaftung erzeugt Zersplitterung. man denkt, das sei einem zugehörig und das nicht. „Ich gehöre zu dieser Glaubensgemeinschaft (der Hindus, Christen Moslems, Juden) und habe Recht und die anderen sind Aussenseiter.“ Es ist diese Mentalität, die das Symptom spiritueller Blindheit darstellt.

 

Es geht im Wesentlichen nicht um die domestic questions (die Fragestellungen über das eigene praktische Leben mit seinen Kleinproblemen), sondern immer nur um die Grundfragen nach dem Selbst und dessen Beziehung zu Radhe-Syam.

Wie gelange ich aus der Verwirrung heraus, zu glauben, genau diese Person zu sein? Erst dieses Erfragen bringt einen in die Heimat des unvergänglichen Friedens. Die Detailplanung des praktischen Lebens absorbiert ohnehin zu viel Lebensaufmerksamkeit.

 

 

 

Der Schauplatz des Kampfes ist das Feld des Dharma, das Feld der Bewahrung der kosmischen Ordnung.

Weil sich jeder in seiner Schlachtreihe befindet, erfahren sie einen Enthusiasmus. Es ist ein erstaunliches psychologisches Phänomen, dass der Mensch glaubt, seine Seite sei die Beste.

Dass man sich für ein bestimmtes Lager entscheidet, ist einerseits der Eigennutz des Ego, welches immer nach seiner Selbstüberhöhung strebt, da es keine wirkliche Identität hat.

Doch darunter liegt als Triebkraft die Angst, die Unsicherheit, die Eingeschüchtertheit… deshalb will man sich mit seiner Weltanschauung über diesen armseligen Zustand erheben.

Dieses erste Kapitel schildert dieses Phänomen ausführlich und wie Krishna den spirituell Suchenden erst einmal aus diesem Gefängnis herausheben muss.

 

Dhritarastra fragt: kim akurvata (was taten sie)? Das ist die Frage, die die Bhagavad gita beantwortet. Was habe ich als menschliches Wesen in dem ganzen Universum zu tun? Was ist meine Aufgabe (nitya-dharma) in dieser Welt von unendlichen Möglichkeiten?

 

 

Die Bhagavad Gita beginnt mit einer Frage. Der Anfang aller Praxis ist das Fragen danach. Man kann nur die Wahrheit aufnehmen, die man auch erfragt.

Die Grundfragen des Menschseins haben höhere Priorität als der Kampf um Erhaltung des Alltags.

Würden wir Antworten einfach geliefert bekommen, ohne sie auch wirklich zu erfragen, würde das in Stumpfheit enden. Aus diesem Grund ist es wichtiger, Fragen in sich zu tragen, sie zu kauen, sie auch an uns nagen zu lassen. Das ist wertvoller als tausend Antworten, die gar nichts in unserem Realitätsverständnis bewirken.

Antworten zu erhalten auf Fragen, die man sich nicht wirklich aufrichtig gestellt hat, ist der Grenzpunkt zur Indoktrination. Dort verwandelt sich Philosophie, die Liebe zur Wahrheit, zu Ideologie, einem religiösen Aktionsprogramm.

 

Heilige Texte provozieren Fragen. Erst wenn diese im Bewusstsein der Seele auftauchen, werden diese heiligen Texte zu Antworten. Das Zusammentreffen eigener Fragen mit den gegebenen und schlüssigen Antworten, generiert das Urvertrauen.

Ohne das dringliche Erfragen ist die Auseinandersetzung ideologieanfällig und führt in die Stumpfheit.

 

 

Philosophie ist nicht Unterhaltung Zeitvertrieb. Die Auseinandersetzung mit Grundfragen ist der Urgrund, auf den wir alle Entscheidungen stellen. Deshalb ist es not-wendig auch in einer Welt, in der die Menschen eigentlich schon mit dem Alltag überlastet sind, innezuhalten und die Grundparameter für das Leben zu stellen. Dies ist der Anspruch der Bhagavad gita. Und die Entscheidung ist dann dem Lebewesen überlassen. (18.63)

 

1.2

Sanjaya sprach:

O König, nachdem Duryodhana über die Heer geblickt hatte, die von den Söhnen Pandus in Schlachtordnung aufgestellt worden war, trat er vor seinen Lehrer und sprach die folgenden Worte.

 

Duryodhan hat grosse Vorbereitungen getroffen, die Macht über die Welt zu erlangen. Seine Armee ist bei weitem grösser als diejenige der Pandavas und der grösste Krieger seiner Zeit, Bhisma, ist auf seiner Seite. Sri Krishna aber ist auf der Seite der Schwächeren.

 

1.3

O mein Lehrer, betrachte das gewaltige Heer der Söhne Pandus, welches dein intelligenter Schüler, der Sohn Drupadas, geschickt aufgestellt hat.

 

Dieser intelligente Schüler heisst Dristadyummna und bei seiner Geburt ertönte eine Stimme vom Himmel und kündigte an, dass er in Zukunft Drona töten würde. Drona, der Guru, wusste dies genau und unterwies ihn dennoch in der Kriegswissenschaft.

Duryodhana als perfekter Diplomat versucht dies nun Drona vorzuhalten, um ihn zu inspirieren, nun ganz intensiv zu kämpfen, da man doch den Kurs noch ändern könne.

Das ist die Mentalität eines äusserlichen Menschen, der die Linien des Schicksals mit grossem Aufwand zu verändern sucht. Drona, der hier das göttliche Prinzip verkörpert, fühlt sich so eingebettet in das Weltgesetz in das Dharma, aufgehoben in das, was geschehen wird, dass er sich nicht zur Aggression aufraffen könnte. Die Freiheit des Lebewesens soll nicht damit verspielt werden in den Änderungen im Äusseren, die bereits feststehen, sondern ist eben der Pfad in die Mitte, zu dem die Gita jede Seele ermutigen möchte. Von dieser Gelassenheit aus ist es nur eine dünne Trennlinie zur Vernachlässigung. Es braucht geistige Wachheit, um diese beiden zu unterscheiden.

 

1.4

Hier in diesem Heer gibt es viele heldenhafte Bogenschützen, die Bhima und Arjuna im Kampf ebenbürtig sind – grosse Kämpfer wie Yuyudhana, Virata und Drupada.

 

1.5

Es sind auch andere grosse, heldenhafte und mächtige Kämpfer anwesend, wie Dhristaketu, Cekitana, der tapfere König von Kashi, Purujit, Kuntibhoja, und Saibya

 

1.6

Dort stehen der gewaltige Yudhamanyu, der äusserst mächtige Uttamauja, der Sohn Subhadras (Abhimanyu), und die Söhne Draupadis. All diese Krieger sind wahrhaft grosse Wagenkämpfer.

 

Duryodhana hat all die Kämpfer der Armee der Pandavas aufgezählt, um in Drona Kampfeswut zu erregen, damit er in Eifer kämpfen möge. Dann kam ihm ein zweiter Gedanke, dass nämlich Drona die Pandavas eigentlich bevorzugte und parteiisch werden könnte, wenn er zu lange über sie nachdenkt. Deshalb wechselt er schnell den Blickwinkel zurück auf seine eigene Armee.

 

1.7

O bester der Brahmanas, ich möchte dir zu deiner Information aber auch mitteilen, welches die mächtigsten Anführer meiner Streitmacht sind.

 

1.8

Es sind dies Persönlichkeiten wie du selbst, Bhisma, Karna, Kripa, Asvatthama, Vikarna, und der Sohn Somadattas, die in der Schlacht alle immer siegreich sind.

 

1.9

Und noch viele andere Helden sind bereit, für mich ihr Leben zu opfern. Sie alle sind mit den verschiedensten Waffen ausgerüstet, und alle sind in der militärischen Wissenschaft erfahren.

 

 

Das Wort tyaktva-jivitah bedeutet, dass sie eigentlich ihren Körper bereits aufgegeben haben. Sarasvati devi inspirierte Duryodhana, die Zerstörung seiner eigenen Armee bereits vorauszusehen.

Krishna sagt das Gleiche ein wenig später auch noch einmal(11.33).

 

1.10

Unsere Stärke, unter der Führung Bhismas, ist begrenzt. Wohingegen die Stärke der Pandavas, die von Bhima sorgfältig beschützt werden, unermesslich ist.

 

Der Grund dafür ist, dass Bhisma so viel Zuneigung zu den Pandavas hegt und deswegen nicht motiviert zum Kampfe ist.

 

1.11

Bitte bezieht nun die strategischen Schlüsselpositionen, und beschützt Bhisma in jeder Hinsicht.

 

1.12

Bhisma, der grosse heldenhafte Ahnherr der Kuru-Dynastie, blies darauf in sein Muschelhorn. Es dröhnte wie das Brüllen eines Löwen und erfüllte Duryodhana mit Freude.

 

1.13

Dann wurden die Hörner und Pauken, die Zymbeln, Trommeln und Trompeten plötzlich auf einmal angestimmt, dass es einen gewaltigen Lärm gab.

 

Damit wird die enthusiastische Kampfbereitschaft, die im Vers 1.1 erwähnt wird, noch einmal unterstrichen. Dhritarashtra befragte Sanjaya, was seine Söhne und die Söhne Pandus auf dem Schlachtfeld machen würden. Bis anhin beschrieb er seine Söhne und geht nun über zu der Beschreibung der Pandavas

 

1.14

Dann liessen auch Krishna und Arjuna, die in einem grossen Streitwagen standen, der mit weissen Pferden bespannt war, ihre himmlischen Muschelhörner erschallen.

 

Eigentlich müsste doch, wie auf Seiten der Kauravas, ebenfalls der Heerführer anfangen, das Muschelhorn zu blasen. Aber Krishna ist immer der Anführer, auch wenn er nur der Wagenlenker Arjunas ist. Ein Name Krishnas ist „Acyuta“, „immer Derselbe“.

Manchmal müssen sich Menschen erheben und sich einen Wert geben, indem sie sich einen höheren Posten zuschreiben oder Karriere machen. Krishna ist aber auch als Wagenlenker natürlicherweise das Zentrum vom allem.

 

1.15

Sri Krishna blies sein Muschelhorn namens Pancajanya, Arjuna in das seine namens Devadatta, und Bhima, der unersättliche Esser und Vollbringer grosser Taten, blies in sein grosses Muschelhorn namens Paundra.

 

Arjunas Muschelhorn heisst übersetzt „Gottesgabe“. Das wird zu einem zentralen Begriff werden in der Bhagavad Gita.

Wir sind bereits im Besitze von einem göttlichen Geschenk und halten es in den Händen, aber es braucht Ausführungen wie die Bhagavad Gita, damit dessen Bedeutung uns auch bewusst wird.

 

1.16

König Yudhisthira, der Sohn Kuntis, liess sein Muschelhorn, das Anantavijaya (Sieg ohne Ende) ertönen, und Nakula und Sahadeva bliesen das Sughosa (Süssklingende) und das Manipushpaka (Juwelenband)

 

1.17 -18

Der König von Kashi, ein grosser Bogenschütze, der grosse Kämpfer Shikhandi, Drishtadyummna, Virata und der unbezwingbare Satyaki, Drupada, die Söhne Draupadis, und die anderen, o König, wie der starkarmige Sohn Subhadras, liessen ebenfalls ihre Muschelhörner erklingen.

 

In der vedischen Tradition heisst es, dass der Klang des Muschelhornes die heilige Silbe „AUM“ erzeugt. Es ist der ursprüngliche Same allen heiligen Wissens.

Der Anfang des inneren Pfades ist die Bereitschaft, sich dem inneren Kampf zu stellen. In der Aufrufung dieses Klanges drückt die Seele diese Bereitschaft aus.

 

1.19

Der Klang der Muschelhörner war gewaltig, und da er sowohl im Himmel als auch auf der Erde widerhallte, zerriss er die Herzen der Söhne Dritarashtras.

 

Obwohl die Armee der Kauravas bei weitem grösser ist, hatte ihr Kampfruf nicht diese erschreckende Wirkung auf die Pandavas. Der Grund ist, dass das Herz der Gerechten, der Pandavas, angstlos und unberührt von äusseren Einflüssen ist, aber der Geist von denen, die gegen das Dharma, das Weltengesetz handeln, immer gestört ist. Jeder trägt einen Gerechtigkeitssinn in sich und ein Anzeichen der Abweichung von innerern Führung ist Aufwirblung der Gedanken.

Allein durch den Klang der Muschelhörner der Pandavas erschreckten die Kauravas, da in ihnen das Gewissen angesprochen wurde, etwas Ungerechtes zu tun. Dann findet man keinen Frieden mehr. Das Böse leidet.

 

1.20

Da nahm Arjuna, der Sohn Pandus, auf dessen Streitwagen sich die Fahne mit dem Zeichen Hanumans befand, seinen Bogen auf und machte sich bereit, seine Pfeile abzuschiessen. Er blickte über die Schlachtreihe der Söhne Dritarashtras, und dann, o König, sprach er zu Krishna die folgenden Worte.

 

Nach dieser Einführung beginnt nun der Dialog zwischen Krishna und Arjuna mit dem Wort „atha“ (hier und jetzt), wie auch das Vedanta sutra oder Patanjali yoga sutra, und endet im Vers 18.74 mit dem Wort „iti“(somit).

 

Solange man noch in den eigenen Schlachtreihen positioniert ist, existiert Kampfeslust – die aber sofort versiegt, wenn man eine andere Position annimmt. Innerweltliches Enthusiasmus zerfällt, wenn man bereit ist, den Blickwinkel der bisherigen Selbstplatzierung zu verlassen.

 

 

1.21-22

Arjuna sagte:

O Unfehlbarer, bitte lenke meinen Streitwagen zwischen die beiden Heere, damit ich all diejenigen sehen kann, die sich hier voller Kampfbegierde versammelt haben und gegen die ich in dieser grossen Schlacht meine Waffen richten muss.

 

Das ist das erste Mal, wo Krishna in der Bhagavad gita erwähnt wird. Und er ist der Befehlsempfänger von Arjuna, der Diener seiner Geweihten. Das hat viel mit dem Gottesbild zu tun, das die Gita vermittelt.

Krishna ist nicht der regierende und befehlende Gott, sondern derjenige, der durch die Liebe seiner Geweihten kontrolliert ist. Er selber lässt sich wirklich auf das Abenteuer des Liebesaustausches ein.

 

In den meisten Religionen wird ein Konzept Gottes vermittelt, dass er der Grösste, Mächtigste und der Gerechte ist.

Aber die erste Begegnung mit Krishna in der Bhagavad gita ist nicht, dass er regierend auf einem Thron sitzt, dass er die Wesen richtet, dass er der Ursprung von Moral ist, die Schöpfung macht und alles kontrolliert, sondern in der Rolle als Wagenlenker von Arjuna.

 

Das ist seine spezielle Eigenschaft. Bhagavan wird definiert als derjenige, der die Quelle und die Verkörperung aller Schönheit ist. Alles Schöne kommt von ihm und weist auf ihn hin, da es ein Bruchstück seiner unendlichen Schönheit ist. Er möchte nicht alle kontrollieren, sondern liebt es, seinen eigenen Geweihten zu dienen. Ein Name Krishnas ist „Bhakta-vatsala“, derjenige, der sich müht mit seinen Geweihten, in einen Wettstreit liebenden Austausches zu treten.

 

Die Botschaft der Gita lehrt, Gott nicht nur als den Mächtigsten und Allumfassendsten zu betrachten, sondern primär als das schönste und dadurch anziehendste Wesen.

Was schenkt man einem Milliardär zum Geburtstag? Wenn jemand schon so viel hat, ist es schwierig, ihn noch zu erfreuen. Was zu schweigen von Gott. Was kann ihn erfreuen? Sri Krishna ist derjenige, der alles besitzt (bhagavan). Er will unsere Liebe und Zuneigung, das, was ihm die Seelen dieser Welt seit unzähligen Leben vorenthalten. Und wenn eine Seele ihm dann wieder ihr Herz schenkt und den sinnlos aufrechterhaltenen Widerstand einstellt, dann gibt er sich selbst dieser Seele und wird ihr Diener. Das erste Mal, wenn man Krishna begegnet, ist er genau darin beschäftigt, seinem Geweihten zu dienen- und das ist es, was er am liebsten tut.

Er ist ein Wagenlenker und kümmert sich um die Arjunas Pferde, massiert sie, bringt ihnen Wasser und füttert sie. Er selber wird nicht kämpfen, sondern will nur der unbedeutende Wagenführer von Arjuna sein.

 

 

1.23

Ich möchte mir diejenigen genau ansehen, die sich hier versammelt haben und kämpfen wollen, um dem törichten Sohn Dritarashtras gefällig zu sein.

 

Ohne diese freiwillige Einwilligung von Seiten der Seele, dass Gott einem in die Mitte aller Dualität hinführen dürfe, würde alle spirituelle Unterweisung nur zu einer intellektuellen Übung zurückgestuft.

 

1.24

Sanjaya sprach:
Nachdem Arjuna dies sprach, lenkte Krishna den herrlichen Wagen in die Mitte zwischen den beiden Heeren und hielt an.

 

Die erste Begegnung mit Krishna, mit Gott, in der Bhagavad Gita ist eine erstaunliche: Die individuelle Seele gibt ihm, dem alles-Lenkenden, einen Befehl.
Hier manifestiert Sri Krishna seine bhakta-vatsalyata – obwohl er alle Universen und alles in der Schöpfung lenkt, führt er nun einen Befehl seines Geweihten aus. Das ist die liebende Verbindung zwischen dem Herrn und seinen Geweihten, die ihm alles ergeben haben. Er selbst möchte sich auch ihnen schenken.

Deshalb wird Arjuna hier auch Gudakesa genannt (derjenige, der den Schlaf überwunden hat). Er lebt in der Liebe Gottes und hat deshalb den Schlaf seiner Indifferenz zu Gott überwunden.

 

1.25

In der Gegenwart von Bhisma, Drona und allen anderen Herrschern der Welt der Welt sprach der Herr: O Partha, sie nur all die Kurus, die sich hier versammelt haben.

 

Arjuna ist bereit zum Kampf. Er bläst sein Muschelhorn (1.14), das Zeichen des Schlachtbeginns, nimmt seinen Bogen und macht sich bereit, seine Waffen abzuschiessen (1.20). Dann bittet er Sri Krishna, seinen Wagen zwischen die beiden Heere zu lenken, damit er diejenigen sehen kann, die sich voller Kampfbegierde versammelt haben, und gegen die er zu kämpfen hat (1.21-22).

 

Was bloss wie eine formale Einleitung für Krishnas Belehrungen aussieht, hat, genauer betrachtet, eine wesentliche inhaltliche Bedeutung. Mit dem ersten Kapitel weist uns die Bhagavad Gita auf die Notwendigkeit einer inneren Vorbereitung hin, welche allein es der Seele - vertreten durch Arjuna - überhaupt ermöglicht, transzendentales Wissen aufzunehmen und zu verstehen wie jenes, das Krishna im 2. Kapitel zu erklären beginnt.. Dieses erste Kapitel ist also nicht einfach nur eine historische Einleitung. Und wenn man durch diese Entwicklung nicht selber hindurchgeht, führt die gehörte spirituelle Information nicht zu einer Ermächtigung des Lebewesens - nämlich dass die Seele sich wirklich erheben kann gegen die Tendenzen der Verzettelung in das Äussere und  dadurch  sich wieder auf das Wesentliche zu beziehen lernt in einer Vereinigung ihres gesamten Wesens - sondern zu einer Selbstentfremdung. Man kann das Gehörte nicht wirklich verstehen, und beschäftigt sich dann nur mit versimplifizierten spirituellen Lehren und Anschauungen. Und diese intellektuell und sentimental übernommene, oberflächliche Spiritualität führt die Seele letztlich zu einer Gottesentferntheit, da man in dieser inneren Diskrepanz von "auswendig-gelernt" und "erlebt" den Bezug zu sich selber verliert. Wenn diese Fühlung zu seinem Innersten nicht da ist, erlebt man eine Trennung von einem selbst und der erhofften Spiritualität, eine unbewusste Abspaltung zwischen dem, was ich mir erhoffe und einbilde und meiner Wirklichkeit. Und die Existenz, die in dieser Abgetrenntheit lebt, wird schwächlich.

 

Nachdem die Krieger beider Parteien ihre Kampfbereitschaft durch Waffenlärm, Trommel-schlagen, Trompeten- und Muschelhornblasen zum Ausdruck gebracht haben, bittet Arjuna Krishna, ihn zwischen die beiden Heere zu fahren. Er wolle "diejenigen sehen, die hierher zum Kampf gekommen sind.“ (BG 1. 23). Das ist erstaunlich. Schliesslich kennt Arjuna seine Gegner alle persönlich und ist es noch nicht lange her, dass er ihnen von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Er mag jetzt wegen der grossen Distanz ihre Gesichter nicht sehen, doch lässt sich mit Recht fragen, wozu das ausgerechnet jetzt noch nötig sein soll.

 

Als ersten Schritt benötigt es den Wunsch, in die Mitte gehen zu wollen. Zwischen die Polarität der verschiedenen Parteien. Der Schiedsrichter in der Mitte ist derjenige, der keine Position mehr hat, das Geschehen nicht aus der einen oder anderen Warte aus betrachtet (aus dem Begehren oder Abwehren), sondern nur beobachtet.

Inmitten der Schlachtfelder, aus der Neutralität innerhalb der Dualität heraus, konnte Arjuna plötzlich keine Feinde mehr erkennen, und verlor alle bisherige Motivation des Handelns. Das, was einem vorher als Lebensziel geliebt im Herzen lag, erscheint nun plötzlich fahl und leer. Es ist die Entrückung aus dem Alltäglichen, der radikale Bruch, der Moment, wo alles, was ich bisher geglaubt und getan habe, sich als überflüssig und unnötig entpuppt. Viele weichen vor dieser Erschütterung wieder zurück in die Nestwärme des Gewöhnlichen.

In die Mitte der Schlachtfelder zu gehen, bedeutet auch, das vermeintlich „Gute“ und „Richtige“ zu verlassen, die Tradition und die weltliche Religion. Weltliche Religion ist Religion, welche auf die eigene Persönlichkeit abgebucht wird und diese durch mentale Konzepte, Dogmen und Doktrinen und auch sentimentale Berauschung und Verklärung noch verstärkt

Aus der Verwirrung heraus kann eine Wahrheit entstehen, die jenseits von Worten und Geschehnissen liegt, eine Wahrheit, die Zugang zu einer gänzlich anderen Bewusstseinsebene verschaffen kann.

Allerdings ist die in einem solchen Moment von einer Seele erlebte Unsicherheit, welche Zweifel an der Richtigkeit unserer Bemühungen auslöst, ein wichtiger und wesentlicher Antrieb im spirituellen Leben. Es ist ein Impuls, ständig nach dem „wahren Gott“ Ausschau zu halten, und nicht nur in den  projizierten Bildern seiner selbst stecken zu bleiben. Darum wird sie auch immer wieder erfahren. Auf eine Phase der Harmonie unserer inneren Kräfte folgt stets einen Zeitraum der Verwirrung und der Unordnung. Fehlt die Disharmonie, drohen trügerische Selbstzufriedenheit und Selbstgerechtigkeit, welche beispielsweise Christus den Pharisäern vorgeworfen hat. Arjuna hat gelernt und weiss, was seine Pflicht ist, vermag jedoch durch besondere Umstände seine Verpflichtung nicht mehr von innen heraus zu erfüllen. Er erlebt die Pflicht als etwas Auferzwungenes, dem er nicht mehr nachkommen mag. Seine Reaktion darauf lehrt, wie der Selbstentfremdung mit göttlicher Hilfe zu begegnen ist.

 

Die materielle Welt ist ein von Krishna geschaffenes Feld, das den Seelen, die ihn vergessen wollen, eine Möglichkeit gibt, sich in den Dualitäten freiwillig gefangen zu halten. Und da wir so auf die Pole (dargestellt durch die beiden Schlachtparteien) fixiert sind, verlieren wir die Fähigkeit, Ihn, der gerade dahintersteht, unseren ewigen Freund, Sri Krishna, wiederzuerkennen.

"Durch die Wirkung von Begehren und Abneigung, durch die Verblendung der Wahrnehmung in Gegensätzen (Absorbation in der Dualität), fallen alle Wesen von Anbeginn der Schöpfung in Verwirrung."   (Bhagavad-gita 7.27)

 Die Ursache für die Verblendung ist, dass wir von den Sinnen auf das gelenkt werden, was angenehm für sie ist, und von dem ferngehalten werden, was die Sinne als unangenehm empfinden. So bekommen wir einen verblendeten Blick auf die Wirklichkeit, weil er durch den Blendspiegel unserer weltlichen Emotionen und der Relativität dessen, was unsere Sinne im Moment gerade als angenehm oder unangenehm empfinden, verzerrt ist.

 

Aus diesem Grund ist die Neutralität innerhalb der Dualität ein Anfang für die Sicht der Transzendenz.

Aus diesem neuen Standpunkt heraus zerfällt alle bisherigen Handlungsmotivation.

Wenn man aus der eigenen Schlachtreihe herausgetreten ist, in welcher man seine eigene Rolle innehatte, sieht man sich selber in einem ganz neuen Licht. Man erkennt die Beschönigung, die man dem eigenen Leben verliehen hatte, da man immer glaubte, man sei im Recht und gehöre zu den Guten. Das beinhaltet ein Erkennen eigener Schattenseiten, meiner inneren Feinde. Es ist ein Innehalten und Betrachten, wo man wirklich steht.

 

Nur selten - wenn überhaupt - nehmen wir uns die Zeit, innezuhalten, unser unstillbares Wünschen zu hinterfragen und die leidverursachende Unbeständigkeit unserer Ziele wahrzunehmen.

 

Krishna führt nun Arjunas Wagen direkt vor Bhisma und Drona (1.25). Dies bedeutet, dass Krishna damit eine bestimmte Absicht verfolgte, denn das Heer bestand aus vielen Millionen von Kämpfern und er hätte ja auch woanders "parkieren" können.

Und dann spricht Krishna die ersten Worte in der Bhagavad Gita:

pasyaitan samavetan kuru - "Schau dir diese Armee der Kurus an."

Wenn ich dies nur äusserlich verstehe, ergibt diese Aussage keinen Sinn, denn Arjuna bat Krishna bereits zwei Mal, dass er diese Armee sehen möchte (1.21 und 23).

Krishna präsentiert Arjuna genau die beiden Dinge, an die er noch am meisten verhaftet war. Dies bedeutet, Krishna offenbart als erstes unsere Anhaftungen. Bhisma repräsentiert die "Familien-Anhaftung" (das bedeutet, das Verknüpftsein mit dem, was mich umgibt, dem gewohnten Lauf der Tätigkeit, der geglaubten Selbstverständlichkeit und der scheinbaren Sicherheit in die ich mich immer wieder einbette) und Drona ist die "guru-Anhaftung" (der guru kann auch eine materielle Anhaftung sein: wenn ich denke, eine andere Person wird mir automatisch auf magische Weise meine Probleme lösen und ich werde einfach als Zuschauer daneben sitzen können. Oder wenn ich mich zum Beispiel nur an jemanden festklammern möchte, um die Verantwortung meines Lebens abzugeben. Die Trauer der Nichtbewältigung meiner Lebensführung verwandle ich einfach in eine Hoffnung, die ein anderer mir nun erfüllen zu erfüllen hat). Die Guru-Anhaftung verkörpert auch der Glauben, den gegebenen Verheissungen zu folgen und dadurch der eigenen Realität ausweichen zu wollen. Da nun alles gut wird, braucht man sich ja nicht mehr mit dem Unversöhnten in einem auseinander zu setzen.

 

Am Anfang unseres spirituellen Lebens offenbart Krishna unsere dunklen Stellen, unsere Anhaftungen auf eine solche Weise, dass viele dies nicht ertragen wollen und gleich wieder umkehren. Der Weg der Konfrontation mit sich selbst erscheint ihnen zu mühselig; aber er ist unumgänglich.

Deshalb fühlen viele spirituell Übende, dass sie vor Beginn ihrer Praxis fast ruhiger und innerlich ausgeglichener waren als nachdem sie angefangen haben zu beten und meditieren. Viele Anhaftungen entdecken wir nicht einmal in uns, bis Krishna unseren Wagen genau vor sie hin positioniert und sagt: „Schau“. (1.25)

Die dunklen Tendenzen unseres Geistes waren bisher nur verdeckt.

In der Unbewusstheit eigener Schatten beeinflussen einen diese noch viel kräftiger. Deswegen ist das Bewusstwerden meiner Verhaftungen der erste Schritt ihrer Überwindung. Dämonen sind nur in der Dunkelheit stark - so sind auch die dunklen Tendenzen in mir drin nur so lange wirklich stark, solange sie in der Verdrängung agieren. Wenn ich mich weigere, meine Schattenseiten anzuschauen, werde ich von ihnen bestimmt. Durch mein Begegnen mit ihnen beginnen sie, ihren Einfluss einzubüssen.

 

Und wenn man sie sieht und erkannt hat, wird man vor die nächste Frage gestellt: will man sich nun stellen oder nicht. Krishna führt den Wagen unseres Lebens, aber WIR müssen kämpfen. Sind wir bereit, das, was uns in dieser Welt am nächsten und am liebsten war, aufzugeben, wenn es einem höherem Ziel im Wege stehen sollte?

 

Arjuna wollte anfänglich nicht.. Die meisten Menschen wollen dies auch nicht. Deshalb gehen sie nie über das 1. Kapitel der Bhagavad Gita hinaus. Man will auch lieber flüchten und die Herausforderung der Konfrontation mit der eigenen Unehrlichkeit meiden

Arjuna hatte die gute Eigenschaft, dass er ehrlich genug war, sich selber in Frage zu stellen. Anfänglich wollte er fliehen, dann aber besann er sich und hörte Krishna offen zu - jenseits des Bezugrahmens seiner Anhaftung, die sonst das Blickfeld ganz reduziert hätte. Hier lehrt mich die Gita, unabhängig von meinen momentanen Ansichten und Anhaftungen, den ewigen Worten des Herrn Gehör zu schenken. Es ist das Prinzip des "offenen Hörens". Tageseindrücke, Sorgen und Probleme, die ein Grossteil unseres Bewusstseins ausmachen und die Wahrnehmung einschränken, darf man einmal auf die Seite legen und nicht gerade aus der Begrenztheit her werten, urteilen und reagieren.  

Arjuna hat sich so lange Zeit vorbereitet gehabt auf diese Schlacht - er erhielt Pasupati, göttliche Waffen von Devas, Segnungen von den Rsis (Heiligen) im Wald, und so lange Zeit der eigenen Übung - aber in dem Moment, wo er mit der Wurzel seiner Anhaftungen konfrontiert wird, ist alles wie weg. Auch wir tätigen viel spirituelle Übung und auch wir werden vor die Frage gestellt, ob sich das Realitätsverständnis wirklich verändert hat - sonst sind auch all die Jahre unserer spirituellen Übung wie weg, vergeblich, speziell in den essentiellsten Momenten unseres Lebens.

 

Krishna addressiert in seinen ersten Worten (BG 1.25) die Krieger nicht als  "Söhne Dhrtarastras", sondern "Söhne Kurus", womit Er auf die gemeinsame Verwandtschaft der beiden Parteien hinweist. Die Seite Duryodhanas ist lediglich der Schatten einer verweltlichten religiösen Kultur. Alle Seelen haben den gleichen Ursprung, wir sind eng miteinander verwandt - über unseren Vater. Das Gefühl des vasudevam kutumbakam ("alle Lebewesen sind meine Familie und ich lebe in universeller Verwandtschaft") darf von der erwachenden Seele nachempfunden werden, denn erst die Gelöstheit innerhalb der Spannungen aller menschlichen Beziehungen, erlaubt es der Seele, sich auf Tieferes zu besinnen. Alles spirituelle Bemühen ist wertlos ohne dieses geschlechts-, rasse-, und Lebensform überspannende Geschwisterlichkeits-Gefühl.

Ein Guru fragt die Schüler, woran man den Zeitpunkt zwischen dem Ende der Nacht und dem Anfang des Tages erkennen könne.

„Sobald man aus der Ferne ein Schaf und ein Hund unterscheiden kann“. „Nein“, ist seine Antwort. „Sobald man Handlinien auf der eigenen Hand erkennt“. „Nein“

„Wenn die Welt wieder farbig wird“. „Nein. Aber wenn du alle Wesen als deine Brüder und Schwestern verstehst, dann ist das der Anfang des Tages. Vorher ist es noch Nacht.“

 

"Jemand, der Verehrung ausführt, jedoch nicht versteht, dass der Höchste Herr als Paramatma im Herzen eines jeden Lebewesens weilt, muss in Unwissenheit sein und wird mit jemandem verglichen, der seine Opfergaben der Asche darbringt.

Jemand, der Mir Achtung erweist, aber irgend einem anderen Wesen gegenüber noch Groll empfindet, erreicht niemals inneren Frieden.

Als das lodernde Feuer des Todes verursache ich grosse Angst in jedem, der aufgrund einer unterscheidenden Betrachtungsweise zwischen sich und anderen Lebewesen den geringsten Unterschied sieht." (Srimad Bhagavatam 3.29.22-23, 26) (Siehe auch Matt 5,24)

 

1.26

Da erkannte Arjuna, der mitten zwischen den Heeren beider Parteien stand, seine Väter, Grossväter, Lehrer, Onkel mütterlicherseits, Brüder, Söhne, Enkel, Freunde und auch seine Schwiegerväter und seine Gönner.

 

Wenn Krishna einem den Hinweis schenkt, genauer hinzuschauen, erkennt man, wie die Verhaftungen eigentlich wesentlich grösser sind, als man angenommen hätte. Die meisten Menschen leben in Idealisierungen ihrer selbst.

 

1.27

Als der Sohn Kuntis, Arjuna, all diese verschiedenen Freunde und Verwandten sah, wurde er von Mitleid erfüllt und sprach voll Traurigkeit:

 

Die Ich-Struktur eines Menschen konstituiert sich aus den Dingen, die einen umgaben – die Familie, die Erziehung, die Sozialisierung, die Umwelt. Das Ich ergab sich aus den eigenen Anhaftungen heraus. Spirituelle Traditionen haben erkannt, dass dieses übernommene Gebäude nichts zu tun hat mit wahrer Identität. Das Identitätsgefühl, welches sich aus der Umgebung her formte, darf zusammenstürzen. Diese Selbstdistanzierung vom geglaubten Selbstbild ist ein notwendiger erster Schritt, welcher nicht übersprungen werden darf. Dann erst kann die wahre Individualität der Seele hervor scheinen.

 

Als Arjuna zwischen den beiden Schlachtreihen war, trat er einen Schritt zurück aus der Perspektive der Verhaftung und eine gänzlich neue Sichtweise tauchte auf.

Krishna fordert Arjuna auf, nicht wörtlich seine Familie oder sein Lehrer zu töten, sondern das Ich-Gefühl, welches aus ihnen erwachsen ist, sterben zu lassen. Das ist der Beginn der Bhagavad Gita. Loslösung aus der Ich-Begrenzung ist der erste Schritt, damit sich universale Liebe manifestieren darf, die anders ist als die manifestierte Verhaftung, welche nur ausgesuchte Objekte zu lieben glaubt. Krishna hat Arjuna seine Verhaftungen vor Augen geführt, damit er sie aus dieser Bewusstwerdung heraus überschreiten kann und zu dem werden, was seine innerste Bestimmung ist.

 

Das Ich stellt sich immer Alpträume, Horrorvisionen und Schreckensgespenster und riesige vor, was einem erwarten würde, wenn man ein wenig über es hinausgehen würde. Der Kontrollverlust ist aber ein ganz wesentliches Durchgangstor. Bei vollstem Bewusstsein darf man das schier unmögliche Tun: getrost einen Schritt weiter gehen.

 

Man widersetzt sich, weil die Angst zu gross ist und weil man Widerwille hat, und weil man den Geschichten mehr glaubt als der Hand, die einen gereicht wird.

Die Erlangung der Leidensbewusstheit ist eine wesentliche und nicht zu umgehende Stufe des inneren Weges.

 

Ab diesem Punkt entfaltet sich der Dialog zwischen Krishna und Arjuna.

 

 

1.28

Arjuna sprach:

Mein lieber Krishna, beim Anblick meiner Freunde und Verwandten, die mit solcher Kampfbegierde vor mir stehen, erschlaffen meine Glieder, und mein Mund trocknet aus.

 

Jede Seele begegnet angesichts der Perspektive zur unbegrenzten Hingabe erst einmal einem Schrecken, welcher einen wieder zurückkehren lässt in die Verengung und ins bekannte Eingebettetsein seiner alten Welt.

Wenn man durch Gnade wieder an diesen Punkt geführt wird, ist man sich gewahr, dass der Schrecken auftauchen wird und man hat gelernt, dass man ihm nicht Folge leisten muss.

Man lässt sich auf die Ausdehnung allen Selbstgefühls durch die Gottes-Hingabe ein.

Wo führt denn das hin? Wo ist die Grenze?

-Es hat keine Grenzen mehr. Es bedarf nicht eines Ortes, welchen der Verstand fassen und kontrollieren kann, um sich sicher und zuhause zu fühlen.

 

Auf dem inneren Weg beginnt man Grundfesten, auf der die ganze innere Welt aufgebaut ist, in Frage zu stellen, zu erforschen – und was stellt das für eine Erleichterung dar, sie einstürzen zu lassen. Man wird nun erleben, dass das, was früher die sakrosankte Weltperspektive war, eigentlich nur eine unglaublich schwere Last darstellte.

 

 

1.29

Ein Zittern durchläuft meinen Körper und mir sträubt sich das Haar.

Mein Gandiva-Bogen gleitet mir aus der Hand und meine Hand brennt.

 

Das entgleiten seiner Waffe ist das, was die Vorbereitung für jegliche Transzendenz darstellt: es bedeutet die Disidentifizierung mit der bisherigen Rolle. Das bisherige „Ich“, welches sich konstituierte aus der Vergangenheit (Erziehung durch Bhishma und Ausbildung von Drona) darf zusammenfallen, wenn man sich spiritueller Wahrheit stellen möchte. Ewige Wahrheit kann nicht einfach in das System der Anhänglichkeit an das Alte integriert werden. Dieses erste Kapitel beschreibt die tiefe Erschütterung in der Psyche des Menschen, wenn die gesamte bisherige Identifikation auseinander bricht.

Arjuna glaubte, seine Bestimmung (sein Dharma) physisch aufgeben zu müssen, und nicht innerlich. Das ist der Beginn seiner Zerrissenheit.

 

1.30

Ich vermag nicht mehr aufrecht zu stehen und mein Denken wirbelt durcheinander. Ich entdecke unglücksverheissende Omen.

 

In spiritueller Gemeinschaft, speziell von fortgeschrittenen Seelen, machen viele Menschen die Erfahrung, in einen Zustand grundlegender Verunsicherung zu fallen.
Das ist ein interessanter Zustand, in dem Vertrauen im Sinne eines "Sich-Anvertrauenes" entstehen könnte. Aber oft ringt man einfach um Fassung, also um Selbstvergewisserung im Sinne von "ich bin doch etwas", und die Chance ist vertan.
"Sri Krishna, ich freue mich auf weitere Verunsicherungen und Erschütterungen".

 

Sri Krishna erklärt diese Abgetrenntheit von seinem eigenen Selbst, und den Ängsten und Sorgen, die damit verbunden sind, im Srimad Bhagavatam "Wenn ein Atma sich von mir abgewendet hat, dann vergisst er, wer er selber ist und hält sich für das Gegenteil von dem, was er ist (asat acit und nirananda). Er überträgt sein Identitäts-Bewusstsein auf den Leib und den Geist, den ihm maya, meine äussere Energie, liefert.

Sich selbst vergessend, in dem unwahren Ichbewusstsein, versunken in etwas "Zweite", das er gar nicht ist, erfasst ihn Furcht um des Wohl seines unsteten unwahren Ichs willen." (11.2.37)

 

In der existentiellen Krise, in welcher er nun auch gar nicht mehr geheilt werden soll, wird das Erkennen der Dringlichkeit für die Zuwendung für das Heilige geboren, und erst da wird es dem hobbymässigen Interesse enthoben und in eine Lebensbestimmung gewandelt.

 

 

Diese Seins-Verunsicherung ist ein wunderbares Tor, das die meisten Menschen der Welt negativ einstufen, aber das "Ich" (das, mit dem man sich bisher identifizierte) SOLL sich unsicher fühlen. Es weiss im Kern ganz genau, und spürt es latent, dass seine als so wirklich angesehene Realität falsch ist.

Deshalb tätigt es eine beständige Anstrengung, Meinungen und eigene Ansichten zu vertreten, um immer wieder die Position des Ichs zu verteidigen und zu definieren. Das "Ich" ist nur ein Zusammentragen von leeren Identifikationshüllen, zusammengesetzt aus unserem Sicherheitsbedürfnis heraus. Aufgehobenheit wäre effektiv in der Absorption in Gott erfahrbar, aber nun wird versucht, sie auf die durch oberflächliche Wünsche geschaffene Scheinwelt zu übertragen. Und Angst ist die Folge.

Die gesamte existentielle Seins-Unsicherheit wird nun ersetzt und überdeckt durch eine Scheinsicherheit, welche man in der Welt zu etablieren versucht. Doch genau in diesen Versuchen verleugnet und ignoriert man die Tatsache, dass dies alles zum Scheitern verurteilt ist, denn man verliert alles, was man festhalten kann. Alles, für das wir uns anstrengen müssen, es nicht zu verlieren, ist eine Investition in eine vergebliche Mühe - ist bereits verloren.

 

...und man verbringt viele Leben damit, vermeintliche Sicherheit zu finden. Ein Leben aber, das sich nur um Tun und Festhalten dreht, ist sehr armselig, denn es vermeidet ewige Wahrheit.

 

Man ist solange verunsichert, wie man nicht wirklich weiss, wer man ist (svarup jnana).

Sanatan Goswami fragt  Caitanya Mahaprabhu: "Ich weiss nicht, wer ich bin und was ich

hier soll?"

Wenn man im tiefsten Wesenskern diese in einem noch offene Frage zulässt, erhebe man sich über die Wolkendecke des bedingten Denkens.                         

Es ist der Beginn der Kapitulation der vermeintlichen Identifikationen.

Der Spalt des Zweifels ist glücklicherweise geblieben im weltlichen Leben, obwohl man ihn seit Urzeiten zu asphaltieren versuchte.

 

Es ist gnadenreicher, sich an diese existentielle Seins-Unsicherheit zu erinnern und ständig darüber bewusst zu sein. Wir aber investieren einen Grossteil unserer Lebensenergie darin, sie heilen zu wollen. Diese Heilung wird aber immer unvollständig sein. Man muss ganz tief in einem zulassen, dass man nicht geheilt werden muss und soll, denn die Verunsicherung ist noch die einzige Erschütterung in einem zu eingebetteten Dasein.

Spirituelles Leben ist nicht nur von der Theorie zur Praxis, sondern noch viel tiefer: von der Theorie zur Wirklichkeit, zu Gott.

 

Und dafür ist Erschütterung notwendig. Die Grundfesten zur Welt müssen schwanken und zusammenbrechen.

 

Aber der menschliche Geist - voll gestopft mit spirituellem Wissen – flüchtet davor und versucht mit geistiger Wendigkeit immer neue Schleichwege zu finden sich in seiner weltlichen Geborgenheit zu wahren.

 

Wer nicht bereit ist, sich erschüttern zu lassen wird immer kleine Einsichten haben, ein kleines Verstehen, kleine Freuden und Erleichterung von der Welt- aber die wirkliche Frucht - die direkte Begegnung mit Krishna - wird ihm verborgen bleiben.

 

Eine ehrliche Seele zu sein bedeutet da: „Ich bin im Moment der Verzweiflung - im Wissen, dass ich immer wieder in eine Sackgasse gelaufen bin.“ Es einmal zulassen und bis in die letztliche Konsequenz eingestehen: "Ich habe mir bisher immer glaubhaft versichern lassen - von meinem Geist – dass es wieder neue Auswege gibt - von der Konfrontation mit meiner gesamten falschen und so real geglaubten Wirklichkeit.

 

Verbindung zu den nächsten Versen:

In den nächsten 15 Versen legt Arjuna ethische, stategische, religiöse, kulturelle und persönliche Ausreden vor, sich der Absicht Krishnas zu entziehen. Die Vorwände haben eines gemeinsam: sie entspringen der Ich-Perspektive, welche die eigentliche Verschleierung zur Wirklichkeit hin darstellt. 

 

 

1.31

Ich sehe nicht, wie etwas Gutes entstehen kann, wenn ich in dieser Schlacht meine eigenen Verwandten töte. Ich verlange nicht zu siegen und wünsche mir weder Herrschaft über ein Königreich noch Wohlleben und Vergnügen.

 

1.32-34

O Govinda, was nützt uns ein Königreich, Glück oder sogar das blosse Leben, wenn all jene, für die wir dies begehren, jetzt in Reih und Glied vor uns auf dem Schlachtfeld stehen?

 

O Madhusudana, Lehrer, Väter, Söhne, Grossväter, Onkel mütterlicherseits, Schwiegerväter, Enkel, Schwäger und andere Verwandte sind bereit, ihr Leben und ihre Besitztümer aufzugeben, und zu kämpfen. Selbst wenn sie mich töten, habe ich dennoch keinen Wunsch, sie zu töten.

 

1.35

O Erhalter aller Lebewesen, ich bin nicht bereit, mit ihnen zu kämpfen, nicht einmal wenn ich dafür die drei Welten bekäme, und erst recht nicht für irdische Macht. Welche Freude werden wir daraus ziehen, wenn wir die Söhne Dritarashtras töten?

 

Man lebt ja jetzt gut auch ohne die Dinge, die wir nicht besitzen. Die Knappheit und das Nichthaben ist weniger Leid wie der Schmerz des Verlustes, nach dem man die Dinge besessen hatte. Das ist das Drama der Gier. Man hat viel Arbeit, Dinge zu besorgen oder zu erwerben, dann hat die Angst, sie wieder verlieren zu können und letztlich bleibt man zurück mit dem Kummer und Herzweh des Verlustes.

Arjuna denkt sich, wie viel einfacher das Leben ohne Gier sein könnte.

 

1.36

O Madhava, es ziemt uns nicht, Dritarashtra und unsere Verwandten zu töten. Würden wir sie ermorden, wie könnten wir dann noch glücklich sein?

 

1.37-38

O  Janardana, diese Männer, von Habgier geblendet, mögen keinen Fehler darin sehen, die eigene Familie zu töten oder mit Freunden zu streiten. Sollten wir uns nicht entschliessen, eine solche sündliche Tat zu unterlassen, da wir sehen können, welches Verbrechen es ist, eine Familie zerstören, und solche Taten der Sünde begehen?

 

Viele Menschen folgen einer religiösen Tradition. Für einige aber beinhaltet dies nicht eine effektive Ausrichtung auf Gott in jedem Augenblick des Lebens, sondern eher eine soziale Formalität, eine Konvention. Man bezeichnet sich so und so, geht von Zeit zu Zeit in eine Kirche oder einen Tempel und empfindet den religiösen Raum als angemessener Übergangsritus für die Schwellenmomente des Lebens wie Geburt, Heirat oder Tod. Für sie ist die Religion eine Stütze und eine zusätzliche Hilfe für ihre eigene Lebens-Agenda.

Krishna bringt Arjuna in eine intensivste Lebenssituation, wo selbst die angestammte Religions-Lebensstütze gefällt werden muss. Er will in Arjuna ein radikalster Bruch mit allen bisherigen Lebensspuren und Arten der Weltbetrachtung einleiten.

Dies ist der Beginn eines Heimweges.

 

 

 

1.39

Mit der Zerstörung der Dynastie wird die dharmische Tradition (die Kenntnis der ewigen Menschenrechte) vernichtet, und wenn ist die Ordnung einmal geschwunden, überkommt Gesetzeslosigkeit und so verdirbt das ganze Geschlecht.

 

1.40

O Krishna, wenn Orientierungslosigkeit (das Fehlen des Dharma) in der Gesellschaft vorherrschend wird, werden die Frauen sittenlos. Und somit werden varnasankaras (unerwünschte Nachkommen) geboren.

 

1.41

Wenn die unerwünschte Bevölkerung zunimmt, verursacht dies sowohl für die Familie als auch für diejenigen, die die Familienordnungen zerstören, ein schreckliches Dasein. Die Ahnen fallen ebenfalls (von Pitriloka), weil die Zeremonien, in denen man ihnen geweihte Speise und Wasser darbringt, vollständig eingestellt werden.

 

Wesen, die zu sehr an ihrem Körper, den Errungenschaften des Lebens (an dem, was sie aufgebaut und besessen haben) haften, oder den Körper in einem unbewussten Zustand verlassen (unter Drogen oder Schmerzmittel) und auch Personen, die das Dharma, die ewigen Gesetze, missachteten (die Umwelt oder Mitgeschöpfe ausbeuteten), werden nicht sofort wieder inkarniert und erhalten einen Geist-Körper. Darin nehmen sie zwar ihre Umgebung, in welcher sie gelebt haben, wahr, vermögen aber nicht auf sie einzuwirken. Sie haben Wünsche und Bedürfnisse, aber nicht die Möglichkeit eines Körpers, diesen Ausdruck zu verleihen. Um solche Wesen von diesem schrecklichen Dasein zu befreien, gibt es in der vedischen Kultur bestimmte Zeremonien (Sraddha), die von den Nachfahren dargebracht werden können. Dies geschieht meistens in Form einer Darbringung von zu Sri Vishnu geweihter Speise (Prasadam). Das ist eine weltliche Weihehandlung, um Verstorbenen von einem Dasein als Geist zu befreien und ihnen sogar Zugang zu einer höheren Sphäre, Pitri-loka, zu verschaffen. Dort können sie zeitweiliges Glück geniessen, was ja für die meisten inkarnierten Seelen identisch ist mit Lebenserfüllung.

Pitri-loka ist ein Ort in der Dimensions-Sphäre von Bhuva-loka, wo man auch mit den Ahnen zusammenleben kann.

Das ist in vielen religiösen Vorstellungen der Himmel. Doch nur schon auf die Sphäre von Svarga-loka zu gelangen, die wirklich himmlischen Planeten, muss man die naive Vorstellung der Familienzugehörigkeit in seinem Bewusstsein ablegen.

 

1.42

Durch die üblen Machenschaften derer, die die Familientradition zerstören und somit die Entstehung unerwünschter Kinder verursachen, gehen die zeitlosen Familientraditionen und das Dharma der Geburt (pflichtgemässe Tätigkeiten für das Wohl des eigenen bedingten Selbstes sowie auch der Gesellschaft) verloren.

 

1.43

O Krishna, ich habe von Autoritäten gehört, dass diejenigen, welche das kula-dharma (das zeitweilige Dharma, die Familienordnungen) zerstören, werden selber für lange Zeit in qualvollen Umständen residieren.

 

Alle haben schon irgendwann irgendetwas gehört. Das Problem ist, dass man die Unvollständigkeit bereits für die Wahrheit hält und somit stagniert.

 

Das, was sich als Wissen ausgibt, aber eigentlich noch vermischt ist mit Eigeninteressen, ist schwieriger zu entlarven. Es ist Scheinwissen. Halbwissen ist nicht mehr als die Unwissenheit. Es proklamiert sich nur als die Erkenntnis selber. Das Nicht-Erkennen, dass man an der Unwissenheit und dem Halbwissen leidet, ist der Garant für ihre Fortsetzung.

Unter der Arroganz des Halbwissens verbirgt sich meist eine Verzweiflung… nämlich, dass es nicht standhält und realitätstauglich ist, wenn es durch Lebensmomente wirklich geprüft wird.

 

Diese Verzweiflung hat sich resigniert damit abgefunden, auf dem spirituellen Weg einfach nur zu praktizieren, aber eigentlich sehr weit von einer effektiven Verwirklichung entfernt zu sein. Man macht einfach mehr und mehr Übungen, im Glauben, dadurch transzendente Zustände zu erreichen. Man nennt dies auch die magische Entwicklungs-Stufe der Religion. Darin imitiert man bestimmte vorgegebene Verhaltensweisen in der Erwartung, dass sich die Umstände dann automatisch verändern werden. Irgendwann spürt man, dass es eine Sackgasse war. Nur schon die gänzliche und widerstandslose innere Annahme dieser Einsicht würde eine ungeheure Wachheit bewirken.

 

Halbwahrheit ist schlimmer als reine Unwissenheit, da man glaubt, sie sei Erkenntnis.

 

 

 

1.44

Ach, wie seltsam ist es, dass wir uns anschicken, schwere Sünden zu begehen. Getrieben von dem Wunsch, königliches Glück zu geniessen, sind wir selbst bereit, unsere eigenen Verwandten zu töten.

 

1.45

Es wäre besser für mich, wenn ich auf dem Schlachtfeld unter den Waffen der Söhne Dritarashtras unbewaffnet sterben würde, ohne Widerstand zu leisten.

 

Arjunas Argumente sind nicht falsch, aber sie entspringen einer selbstsüchtigen Motivation der eigenen Verblendung. Sie verdecken eigene Verhaftung mit der Rede schöner Prinzipien.

Einem Richter, der in seinem Leben viele Schuldige zum Tod verurteilte, wurde sein eigener Sohn vorgeführt, als dieser einen Mord begangen hatte. So war es nun seine Aufgabe, seinen eigenen Sohn zum Tode zu verurteilen. Aber nun zögerte er. „Das Todesurteil ist ganz unmenschlich. Eine solche Strafe aufzuerlegen, ist des Menschen nicht würdig. Dem Schuldigen wird dadurch jede Möglichkeit genommen, sich zu korrigieren. Der Mörder tötete im Aufruhr der Gefühle. Ihn dann, wenn seine Vernunft zurückkehrt, kühl und ruhig zur Hinrichtung zu führen und zu töten, ist eine Schande für die menschliche Gesellschaft, ein grosses Verbrechen.“

 

Hätte nicht sein eigener Sohn so vor ihm gestanden, hätte dieser Richter für den Rest seines Lebens Menschen so gerichtet, wie er es bisher gewohnt war. Aus Teilnahme an seinem eigenen Sohn, argumentierte er nun so. Dies war aber nicht die Stimme seines innersten Selbstes, seine tiefsten Überzeugung, sondern sie war aus Bindung geboren.

Die schönen Worte entsprangen dem Konzept „ich und mein“.

Das ist der Kern, an welchen Krishna jede Seele hinführt. Alle schönen Worte zerfallen in dieser Erschütterung und man wird in die existenzielle Krise hineingeführt.

 

Krishna fordert nicht zu Gewalt auf, aber er konfrontiert jede Seele mit den grössten Extremsituationen, denn erst darin zeigt sich, ob die eigene spirituelle Überzeugung Bestand hat. 

 

1.46

Sanjaya sprach:

Als Arjuna so gesprochen hatte, setzte er sich in seinem Streitwagen nieder, liess seinen Bogen und Pfeile fallen, und sein Herz war von Kummer erfüllt.

 

Das ist die Ausgangslage der Selbstverwirklichung. Anfangs war er voller Kampfeslust (1.1), und kampfbereit (1.20) und nun in einer solchen existentiellen Verzweiflung. Visada-yoga, das Yoga der Verzweiflung, besteht darin, dies einmal anzunehmen, effektiv zu kapitulieren.

Wer sich von der Umklammerung des bisherigen Moral- und Religionsverständnis befreit, kann wirklich eine Initiation bekommen.

 

Das Ego braucht die Einsicht in seine Machtlosigkeit.

Es muss die Macht wieder abgeben, die es einfach in Beschlag genommen hat und damit das Leiden geschaffen hat. Das weltliche Ich, welches sich selber profilieren will, macht aus Religion einen Kult, einen Ego-Kult. Es ist eine Selbstdarstellung, die sich mit Ewigen schmücken will.

 

 

Wenn das Ego gedemütigt wird und sieht, dass es in Wirklichkeit sehr klein ist, dann ist das der Beginn der Anerkenntnis der Allmacht Gottes, die Wiederentdeckung der Ehrfurcht.

Es ist die Arroganz des Ego besteht darin, sich mit fremden Federn zu schmücken, indem es sich eine Grösse verleiht, die es in Wahrheit nicht besitzt.

Die eigenständige Machtidee des Ego muss zerstört werden. Die Kraft darf wieder dem zurückgegeben werden, von wem sie stammt: von Gott. 

 

In der Entwicklungsphase des Kleinkindes beginnt das Ego zu glauben, dass es magische Kräfte besitzt. Das Kind hat Hunger und die Mutter kommt und gibt ihm etwas zu essen. Das Kind schreit und die Mutter kommt, es zu wiegen. Das Kind ist müde und die Mutter kommt und bringt es ins Bett. Und in diesem Moment entsteht das magische Denken des Ego, so als würde „ich“ es machen. Das Ego denkt: „So läuft das hier also… ich mache die Welt, ich mache die Dinge, ich bin es, der hier der Herr im Hause ist.“

Und es entsteht die Täuschung des Kausalzusammenhanges, der in Wirklichkeit nicht existiert. Dieses magische Denken ist es, welches in jedem Ego das Fundament des Weltbildes ist.

Die Macht muss aber wieder abgegeben werden. Ein bewusstes Zugeständnis an die Machtlosigkeit. Das ist etwas ganz anderes als die „Erfahrung der Machtlosigkeit“, welche nur ein resignierter Machtwunsch darstellt.

 

Die Stimmung des echten Aufgebens als Beginn einer tieferen Fragestellung ist das Resultat von vishada yoga.

Wenn dieses "ich" - ein System bestehend aus mentalen Konstrukten, Hoffnungen, sozialen Vereinnahmungen und angewöhnten Konzepten konfrontiert wird mit dem nitya dharma (meiner eigentlichen und wichtigsten Aufgabe), beginne ich zu erahnen, dass das gesamte "ich" nur eine Einbildung war, an die ich mich eigentlich überflüssigerweise festhalte.

Durch diese Erkennen ist das System aber noch nicht aufgelöst und zerstört, sondern nur aufgeschreckt, erschüttert.

Resignation ist nicht Aufgabe (Ergeben) - es ist nur Widerstand, der für einen Moment so schwach geworden ist, dass der Kampf kurz brachliegt. Es ist brachliegender Widerstand. Resignierte sind oft starre und hartnäckige Widerständler.

 

Ein westlicher Gelehrter ist einmal bei einem indischen Guru in den Ashram gezogen, um sich von ihm unterweisen zu lassen. Es war Monsunzeit und der Guru wies ihn an, den ganzen Tag im Regen zu stehen mit ausgebreiteten Armen. Abends fragte er ihn, wie er sich fühle. „Wie der grösste Trottel“. „Das ist doch schon eine erstaunliche Verwirklichung für den ersten Tag.“ Das ist vishada-yoga.

 

Arjuna spricht aus dem Standpunkt der Tugend, aus der weltlich gesehen höchsten Moral. Aber Krishna möc seine Weltzugewandtheit, seine Illusion in einen anscheinend spirituellen Mantel, den Krishna aber sofort wieder auflöst. Arjuna spricht anscheinend spirituelle Philosophie, aber es ist nur verpackte Verhaftung.

 

Man mag sich sicher fühlen in seiner Umgebung. Aber wenn alle bisherigen vermeintlichen Sicherheiten wegfallen, fällt der Umhang der Gefasstheit weg und die darunter liegende Orientierungslosigkeit kommt zutage. In der Extremsituation bleibt plötzlich nur noch Verwirrung übrig.

Selbsterforschung in extremen Wetterlagen – genau darin zeigt sich das Wirkliche. Das erste Kapitel lehrt, wie eine Seele auf ihrem Weg zuerst einmal die gewohnte Positionierung ihrer Schlachtreihe aufzugeben hat und sich in die Mitte der Pole der Dualität führen lassen darf.

Darin zerfallen erst einmal alle bisher angenommen Sichtweisen und Wertzuschreibungen seiner selbst. Wenn diese äussere Form der Fassung wegfällt, taucht erst einmal Verzweiflung auf. Wenn man diese aber nicht gerade wieder heilen möchte an der Oberfläche, sondern sich in sie hineinfallen lässt, entsteht ein Raum innerster Verletzbarkeit – das heisst Empfänglichkeit für Transzendenz.

 

 

 

Relevanz des ersten Kapitels: Die Grundlage

 

In der Bhagavad Gita will ja Arjuna lieber unter Bäumen meditieren, als sich der Welt (dem Schlachtfeld) stellen. Krishna führt ihn aber aufs Schlachtfeld und will seinen Wunsch nach Weltflucht (zu glauben, man würde die Welt überwinden obwohl man sich ihr noch nicht einmal gestellt oder wirklich ausgesöhnt hat) nicht akzeptieren.
Tatsächlich findet man in gerade religiösen Gruppen unzählige Menschen, die sich nicht wirklich auf das Leben in der Welt einlassen können und wollen. Ihre Glaubensanschauungen geben ihnen sogar noch die Legitimation zu glauben, sie seien bereits über die materielle Welt erhaben. Wenn dies vor der effektiven Versöhnung mit allem in der Welt geschieht, wird nicht Transzendenz die Erfahrung, sondern eine tiefe Spaltung zwischen dem Heiligen und dem Weltlichen. Nicht die Klarheit der Integration, sondern verwirrte Schwachheit ist die Folge.

Eine tiefe Sehnsucht nach Befreiung aus dem Körper und der eigenen Psyche steckt aufgrund der Leiderfahrungen und der Gefangenheit in ihnen in jedem von uns. Da ist die Sprache der Religion geradezu verführerisch: sie spricht von einer absolut heilen Welt, von einer überirdischen Liebe und Lieblichkeit. Die Faszination religiöser Bilder und die Anziehungskraft spiritueller Weisheiten legitimieren einen das Nichteinlassen mit der Welt. Denn wer möchte sich angesichts solcher Verführungen ins Schöne und wunderbar Gute noch der schweren Arbeit stellen, sich mit der Welt zu versöhnen? Diese Verlockungen führen die Seele nicht in die eigentliche Selbstbegegnung, sondern entheben sie ihrem momentanen Standort und entrücken sie in eine Schein-Lichtwelt. Wenn man nun darin wandeln möchte, braucht es eine konstante Anstrengung, sich die Bedrohung der Welt und ihren Versuchungen fernzuhalten. Das bedeutet, dass man im Paradigma des Kampfes anhängt.
Darin erlangt man niemals innerem Frieden, denn man ist von der Zerrissenheit der Überzeugung geprägt, dass "Geist" und "Materie" unvereinbar seien. Die Folge ist Angst vor tiefer Nähe und Verbindlichkeit, denn das Zeitweilige ist nur Verblendung, und die Anziehung, welche man zu ihr hin spürt eine Zuflüsterung des "Bösen". Die Religionen fördern diese Zerrissenheit noch weiter, indem sie dieses Nichteinlassen-Können in die Welt als die Tugend der "Losgelöstheit von der Welt" preisen. Und schon ist man mit unglaublichen Schuldgefühlen belastet, da man in seinem Innersten halt doch auch noch Weltzugewandheit spürt. Doch das Thema der Schuld ist eine Manifestation eines disfunktionalen Gottesbildes, welches ein Gott vermittelt, der einen die Welt nicht gönnen vermag. Krishna spricht in der Gita als Kontrast dazu sogar von einem Glück in der Welt, welches ausserhalb der Beziehung zu Gott möglich ist. (Bhagavad Gita 14.9).

Das erste Kapitel der Bhagavad Gita weist die Seele an, zuerst einmal in die Dualität hineintreten (inmitten der Schlachtreihen), und sich dem Mensch-sein mit der gesamten Palette von Gedanken und Gefühlen zu stellen. Inmitten der Involvierung mit der Materie wird das Lebewesen die Erfahrung machen, nicht in Gottesferne zu sein. Diese Abtrennung war nicht die Materie, sondern die Mentalität in einem selber drin. In der Advaita-Tradition wird die ganze vor uns manifeste Welt als die Maya (Illusion) verstanden. Aus der theistischen Perspektive ist aber nicht die Welt das Problem, sondern die eigene Interpretation, die man auf die Welt richtet und sein eigenes Interesse auf die Schöpfung Gottes überstülpt. Maya ist also der Eigenwille getrennt von der Absicht Gottes.

 

Mit dem Herausnehmen aus der Materie ist nicht der Rückzug von der Welt gemeint, sondern die Lösung der Identifikation von der Materie. Man verklebt seine Seele nicht mit dem Tätigsein in der Welt ohne äusserlich aus ihr herauszugehen. 

Man darf spirituelle Verwirklichung nicht einfach mit der Verlorenheit und Unfähigkeit des Umganges mit der Materie gleichsetzen.

Spiritualität ist nicht der Halt und Anker bei den Geschehnissen auf der materiellen Ebene. Sie ist nicht das Wunderheilmittel, welches nun die Lösungen, denen ich mich nicht stellen möchte, automatisch bewerkstelligen soll.

Krishna ist das letztliche Objekt der Liebe, welche konkreter wird, wenn man in der Versöhnung mit der Welt erkennt, dass eine wir zu einer transzendenten Liebe eingeladen sind, ohne die Liebe in der Welt zu verneinen. Alles in dieser Welt ist Hinweis auf das Vollkommene für das wir bestimmt sind.
Bhakti ist das Erweitern der Liebe über das persönliche Begehren hinaus... auf Krishna hin.

 

 

Im Kampf ist Welt und Ich, und nur in Gott ist Frieden,

Weil Welt und Ich in Gott nicht weiter sind geschieden.

Friedrich Rückert

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2. Kapitel

Sankhya-yoga (Yoga der Weisheit, Yoga der Unterscheidung)

 

Sri Krishna beginnt hier erst seine eigentliche Unterweisung. Er erklärt, dass das Atma-dharma, die wesensgemässe Aufgabe des Lebewesens nicht mit den sich selbst auferlegten und von aussen angenommenen Pflichten gleich zu setzen ist. Die Seele verbirgt sich in dieser  Welt hinter fremden Berufungen und arbeitet an der vermeintlichen Selbstverwirklichung im Beruf und im Wohnort, und reduziert sich im Horizontalen. Die Identifizierungen mit den äusseren Rollen lässt das Wahrnehmungsvermögen der Seele einschrumpfen und kann deswegen die umfassenderen Zusammenhänge, in die sie eigentlich eingebettet ist, nicht mehr erkennen.

Durch die Identifikation mit den Verblendungen erleidet das Lebewesen unendliche Beschwernisse. Bis sie an den Punkt der Verzweiflung kommt und letztlich erkennt, dass sie kapitulieren soll.  Sich freiwillig ergeben. Dies bedeutet nicht, sich aus der Betätigung und dem Umgang mit der Welt zurückzuziehen, sondern lediglich, die Identifikation mit der Materie aufzulösen durch die Selbst-Verankerung in der ewigen Seele.

Und in dieser Ergebung erst erkennt die Seele das Ausmass ihrer Verwicklung, ihre Unwissenheit.

In dieser Ergebung eröffnet sich das innere Feld, in welchem das Yoga der Weisheit erfasst werden kann.

 

Viveka, Unterscheidung ist eine grundlegende Eigenschaft für den spirituellen Weg. Sie bezeichnet die Fähigkeit, zwischen dem Wirklichen und Unwirklichen unterscheiden zu können. Wir leben in einer Welt, in der das Wirkliche und das Unwirkliche immer vermischt sind. Selbst innerhalb einer Wahrheitslehre existieren immer Teile von Falschheit, und es fordert den Wahrheitssuchenden immer zur Wachheit heraus, eben zur Unterscheidung. Selbst die heiligen Offenbarungsschriften werden manchmal wieder verloren gehen im Verlaufe der Geschichte (4.2, Srimad Bhagavatam 11.14.4)

 

Bhaktivinoda Thakur schreibt vor 150 Jahren

 

„Das Bhagavatam lehrt uns, dass Gott uns die Wahrheit in der gleichen Weise schenkt, wie er sie Vyasa gegeben hatte: wenn wir nämlich ernsthaft danach suchen. Wahrheit ist ewig und unerschöpflich. Die Seele empfängt eine Offenbarung, wenn es sie begierig danach verlangt. Die Seelen grosser Denker aus vergangenen Zeiten, die jetzt auf spirituelle Weise fortleben, nähern sich oft unserem fragenden Geist und stehen ihm in seiner Entwicklung bei. Auf diese Weise erhielt Vyasa von Narada und Brahma Beistand.

Unsere Offenbarungsschriften enthalten längst nicht alles, was wir von unserem unendlichen Vater erhalten könnten. Es gibt kein Buch ohne Fehler. Gottes Offenbarung ist die absolute Wahrheit, aber sie wird nicht in ihrer natürlichen Reinheit empfangen und bewahrt.“

 

Unterscheidung ist ein Ausdruck des freien Willens der Seele und ist auch im Ungang mit heiligen Texten gefragt, im Umgang mit Religion.

Unterscheidung besteht darin, die ewige Wirklichkeit von der wandelbaren Wirklichkeit der täglichen Erfahrung des erlebten Alltags zu trennen,

Und doch ist das Ewige auch im Zeitlichen. Es durchwebt es. Viveka ist dann das Herausfiltern der ewigen Wirklichkeit aus unseren eigenen Missverständnissen, eben dem Unwirklichen.

Wer so unterscheidet, wird frei, wird im eigenen Selbst verankert und wird nicht konstant von den Prozessen des Lebens hin und her geworfen.

 

Viveka wird im Allgemeinen für jenen Geisteszustand gebraucht, in dem man der grossen Lebensprobleme gewahr wird sowie der Täuschungen, die dem gewöhnlichen Menschenleben innewohnen. Im Zustand von Aviveka (Nicht-Unterscheidung) nehmen wir alles als selbstverständlich hin. Die grossen Lebensprobleme existieren für einen nicht als ein Thema, mit dem man sich ernsthaft befassen könnte. Es besteht darin kein Wunsch, das Leben zu ergründen, über die Alltags-Illusionen hinauszublicken oder zwischen den Dingen von echtem, bleibendem Wert und jenen von vorübergehendem Interesse zu unterscheiden. All dies ändert sich, wenn das Licht von Viveka im Verstand heraufdämmert. Wir werden sehr sensibel für die Situation, in welcher wir als ewige Seele uns darin befinden, und beginnen, uns aus dem Strom gewöhnlicher Gedanken und Wünsche zu lösen. Vor allem erwacht ein brennendes Interesse, alles zu investieren für die Wahrheit, die hinter dem Fluss der Erscheinungen verborgen liegt. Wirkliches Viveka ist nicht eine Laune oder momentane Tugend, die aus enttäuschenden Erlebnissen mit dem Versuch, die Welt zu geniessen, resultiert, sondern ist ein dauernder Bestandteil der Einstellung zum Leben. Sie ist eine Qualität der Seele.

 

Viveka - die klare innere Sicht "das bin nicht ich" lässt einen die Identifikation mit dem, was man nicht ist, was man nur über sich gestülpt hat, auflösen. Kein einziger Mensch leidet an der Realität, sondern an der eigenen Vorstellung und Einbildung, wie die Realität aus dem Blickwinkel dieser Identifikation mit dem Zeitweiligen zu sein hätte. Das was sie leiden lässt ist nicht das, was real ist, sondern ihre eigenen Einbildungen. Aber sie erkennen diese Einbildungen nicht als solche und glauben daran und halten es für die Wahrheit und Realität.

Wenn man in dieser klaren inneren Schau der Unterscheidung („ich bin spirituelle Seele und nicht die begrenzte und vergängliche und geglaubte Persönlichkeit“) etwas als überflüssig erkennt, als eine Täuschung, wie eine Luftspiegelung in der Wüste, dann ist dies noch kein Endpunkt, sondern dort beginnt erst der Pfad der Liebe. 

 

Es gibt keinen anderen Weg, die Spaltung der Aufsplitterung des Bewusstseins in die komplexen Lebenssituationen aufzuheben, als selber ungespalten ganz als Seele zu sein.

Deshalb offenbart Krishna in diesem Kapitel atma-jnana, das Wissen über die ewige Seele.

 

 

2.1

Sanjaya sprach:

Zu Arjuna, der von Trauer besetzt, von Mitleid ergriffen, und dessen ruhelose Augen von Tränen erfüllt waren, sprach Sri Krishna die folgenden Worte.

 

 

 

2.2

Der Höchste spricht:

O Arjuna, wie konnte diese Täuschung über dich kommen? Sie ziemt sich nicht für einen Menschen, der die höheren Werte des Lebens kennt. Sie führt nicht zu höheren Planeten, sondern nur zu Schande.

 

2.3

O Arjuna, erliege nun dieser entwürdigenden Schwäche nicht. Entledige dich dieser Schwachheit des Herzens und erhebe dich.

 

 

In uns ruft die Aufforderung, unbekannte Schichten aufzudecken, uns zu erheben. Ungeahnte Möglichkeiten und Lebensvariationen warten ins uns, entdeckt zu werden.

Es treibt uns von der Wiege bis hin zur Bahre. Die Unwilligkeit zur Tiefe hin, stellt ein tiefes Leiden dar. Ken Wilber nennt es den seichten Oberflächenbereich des Lebens, das „flatland“.

Krishna beginnt damit, dass er Arjuna wegen seiner Schwäche tadelt. Er nennt ihn „klaibyam“ („Du Eunuch!“). Krishna provoziert ihn, um zu schauen, ob er nur getröstet werden möchte und den Zustand der relativen Annehmlichkeit, des bequemen Elends, wieder hergestellt haben möchte, oder ob er wirklich tiefere Wahrheit sucht.

Er appelliert zuerst an Arjunas soziales Gewissen. Hätte sich Arjuna aufgrund dessen wieder aufgerichtet und erhoben, hätte ihn Krishna in seinem weltlichen Leben belassen und die Unterweisung der Bhagavad Gita gar nicht gesprochen, da er sich schon mit Vorläufigem zufrieden geben liesse.

Diese Motivation konnte Arjuna jedoch nicht begeistern. Wenn gewöhnliche Handlungsantriebe fade werden, eröffnet sich das Tor, das allgemeine Verständnis der Dinge zu übersteigen und zu einer tieferen Einsicht über den Platz seiner Selbst im Universum zu gelangen.

Krishna appelliert auch an die Trägheits-Schlaufe des Geistes: Wir dürfen aufhören, uns als Opfer unserer eigenen Geschichte dazustellen, zu jammern und zu klagen oder zu kämpfen und zu rebellieren und andere dafür verantwortlich zu machen.

„Steh endlich auf!


Die Gita legitimiert nie Gewalt. Es ist eine Friedensbotschaft, die auf dem Schlachtfeld gesprochen wurde und in der uns bekannten Historie nicht eine einzige gewalttätige Auseinandersetzung legitimiert hatte.

Der innere Pfad lehrt immer die Verzeihung und die Toleranz gegenüber der Feindseligkeit, die einem entgegengebracht werden könnte. Aber genau darin würde ja auch die Gefahr des Fatalismus liegen.

Wenn man selber aus der Verstrickung mit inneren Antreibern wie Zorn, Wut und Angriffslust, welche immer Dunkelheit erzeugen, herausgewachsen ist, erkennt man klar, wann eine Handlung angebracht ist. Die Gleichgültigkeit gegenüber Unrecht verwickelt einen ebenso mit der Materie wie die eigensüchtige Reaktion der Aggression.

 

In der inneren Lehre ist Frieden nicht das Gegenteil von Krieg. Das denkt der Mensch, der in diesen Polaritäten gefangen ist. Er glaubt, dass Frieden dann eintreten kann, wenn das Prinzip des Kampfes aus der Welt geschaffen ist.

Da könnte man ewiglich warten, denn das Spannungsfeld der äusseren Welt bleibt immer bestehen.

Die Gita versteht unter „sasvat-santim“ (dem unvergänglichen Frieden“) nicht das Gegenteil von äusserem Krieg, eben nicht der eine Pol der Dualität. Es ist ein Zustand, zu welchem man als Seele immerwährend eingeladen ist unabhängig welcher Pol in der Aussenwelt gerade die Überhand hat. Es ist ein Zustand jenseits der äusseren Polarität, jenseits von Krieg und Frieden, jenseits von Harmonie und Disharmonie, jenseits von Ordnung und Chaos. Dieser innere Frieden kann nicht warten auf irgendeinen Zustand der Aussenwelt.

Dazu bedarf es der Fähigkeit des inneren Fallenlassens in die eigene Identität als Seele und sich da der Führung Krishnas anheim stellen. Alle Anspannung und Unruhe war nur das Symptom des Unterlassens davon.

Als Folge dieser Verankerung wird man die Ungerechtigkeit und den Wahn der Welt nicht mehr als einfach nur gegeben hinnehmen. Aber es ist nicht mehr ein Aktivismus, der sich gegen die Wellen des Meeres zu glätten versucht, sondern ein natürliches Sich-zur-Verfügung-Stellen.

 

 

 

Die reife liebende Gebets-Haltung beinhaltet sowohl den weiblichen Anteil von Empfänglichkeit und Hingabe - Leiden wird eingeladen und in Gleichmut angenommen – als auch den männlichen – die Kreativität. Man wendet dabei aus Liebe den Umständen auch ein entschiedenes Nein entgegen.

Dieses Sich-Wehren ist nicht die Trotzreaktion des Ego, welches seine Wünsche durchkreuzt sieht. Es ist vielmehr die Nein, welches sich gegen die Gefährdung der Liebe richtet. Es ist ein Engagement für das Wahre.

Dieser Kampf akzeptiert das Inakzeptable nicht.

Dort, wo die harmonische Weltenordnung mutwillig aus Begierde und Egoismus zerstört wird, da erschallt das aus der Seele befeuerte Nein aus Liebe.

Die Gottesliebe findet sich mit den Missständen nicht einfach ab. Sie erhebt sich. Sie wird da, wo im eigenen Wirkungsbereich verletzt, erniedrigt und entwürdigt wird, kraftvoll einschreiten.

Aber ohne die weibliche Haltung der stillen Toleranz, wird die Distanz zum Ego nicht erkannt und der Kampf würde zum unnötigen Aufreibungs-Krieg.

Erst durch den Frieden der Gelassenheit vermag man zu unterscheiden, ob es wirklich ein Antrieb aus dem Heiligen heraus ist oder ein Kampf für seinen Glauben, seine Überzeugungen und seine Wahrheit.

 

 

Verbindung zum nächsten Vers:

 

Arjuna muss aber diesen Zweifel an seiner Alltagspflicht erst einmal noch selber formulieren:

 

2.4

Arjuna spricht:

O Krishna, wie kann ich Bhisma und Drona in dieser Schlacht mit Pfeilen angreifen, denn beiden schulde ich Verehrung.

 

Bhisma steht für Arjunas Familie. Es sind also unsere Vertrautheiten, die Dinge, mit denen wir gewohnheitsmässig zusammen sind, unsere Anhaftungen. Dinge, die wir schon zu uns gehörig betrachten. Drona als Guru steht für die kulturelle Tradition, die Dinge, die man in ihr gelernt hat, Gesetze und Gepflogenheiten, die man übernommen, meistens ohne einen tiefen Prozess der Überlegung und Reflektion, sondern einfach, weil man es immer schon so gemacht hat.

Krishnas Anspruch ist, dass wir diese töten, um zur echten Transzendenzerfahrung zu gelangen. Wir alle glauben wie Arjuna, dass dann ja nichts mehr von unserer Persönlichkeit übrig bleibe. Wenn die gesamte Identifikationsrolle wegfällt, glaubt man, nicht mehr zu existieren. Das ist ein fundamentales Missverständnis.

 

2.5

Besser ist es, schuldlos zu sein und vom Betteln zu leben als diese verehrungswürdige Männer zu töten. Obwohl sie vom Wunsch nach Bereicherung in der Welt getrieben sein mögen, sind sie immer noch Höhergestellte. Wenn sie erschlagen würden, wäre alles, was ich geniesse, mit Blut befleckt.

 

Arjuna möchte lieber ein Bettler werden und sich von der Gesellschaft verabschieden, als in ihren Kämpfen verstrickt zu werden.

Krishna erlaubt sein Flüchten nicht. Denn das Unangenehme will vermieden werden. Durch eine Negation gelangt man nicht zur Seele. Alleine durch „genug haben“ entsteht noch kein Darüberstehen, keine Weltüberwindung. Der Überdruss führt nicht in die Transzendenz.

Es braucht die Konfrontation mit den unangenehmen  Situationen. Man muss sie annehmen und sich ihnen ganz stellen. Das Akzeptieren, was man nicht wahrhaben wollte..

 

2.6

Auch wissen wir nicht, was vorzuziehen ist – die Söhne Dritarashtras zu besiegen oder von ihnen besiegt zu werden. Doch nun stehen sie vor uns auf dem Schlachtfeld. Selbst wenn wir sie getötet haben, wollen wir nicht mehr leben.

 

Das ist das Arjunas erkanntes Dilemma: Es gibt effektiv keine Lösung auf der Ebene der Vergessenheit seiner Selbst.

Alle Versuche nach psychischer Heilung und innerweltlicher Harmonie bleiben letztlich Flickwerk.

Arjuna spricht hier im Plural, das heisst er schliesst auch noch gleich Sri Krishna in seine eigene Verwirrtheit ein, vergessend, dass Krishna nicht nur sein Freund und Wagenlenker ist, sondern auch der Höchste Herr aller Universen. Man will nicht alleine dastehen in der Verlorenheit und bezieht so andere mit ein.

Aber durch dieses Annehmen, das Zugeben seiner Verwirrung und Unklarheit wird der Grundstein gelegt, der wirklichen Natur Gottes auch wieder zu begegnen, und ihn nicht einfach für sich einzunehmen.

 

2.7

Nun bin ich verwirrt und weiss nicht mehr, was meine Bestimmung ist, und ich habe aus Schwäche meine Fassung verloren. In diesem Zustand bitte ich dich, mir klar zu sagen, was das Beste für mich ist. Jetzt bin ich dein Schüler und eine Dir ergebene Seele. Bitte unterweise mich.

 

Arjuna hat die Perspektive auf sein Dharma verloren.

Wissen kann sich in dem Masse offenbaren, wie wir wirklich danach fragen. Hier beginnt Arjuna danach zu bitten. Ohne dieses aufrichtige Interesse ist selbst das Kontaktieren des heiligesten Wissens nur Indoktrination.

Bis anhin gab Krishna auf die Verzweiflung Arjunas keinen Rat und auch keine spirituelle Unterweisung. Er hörte einfach nur zu. Für die Offenbarung spirituellen Wissens ist Ergebung nötig, das Resultat der Einsicht in die eigene Kleinheit, Machtlosigkeit und Unbedeutsamkeit.

Verwirrtheit ist das Resultat vom Vergessen seiner Svarupa (ewigen Verankerung in der Seele).  

Gotteshingabe, die aus der äusseren Not und aus der Bedrängnis der Situation (siehe 2.8) bedingt ist, hat keine Langlebigkeit und keinen transformativen Charakter. Bereits zwei Verse danach (2.9) ist nichts mehr von dieser Hingabe zu sehen, da Arjuna seinen eigenen Willen leben und durchsetzen möchte.

 

 

2.8

Ich kann kein Mittel finden, diesen Kummer zu vertreiben, der meine Sinne lahm legt. Ich könnte nicht einmal davon frei werden, wenn ich ein blühendes und unangefochtenes Königreich auf der Erde gewänne oder die Macht der Halbgötter im Himmel besässe.

 

Arjuna offenbart nun in dem Moment seiner Krise seine Innenleben. Das ist wichtig. Die Konfusion soll formuliert werden.Durch das Ausdrücken von dem, was ist, ist der erste Schritt der Überwindung getan.

Er ist nun so blockiert, dass er nichts mehr begreifen und verstehen kann. Es ist eine Blockade in seiner Wahrnehmung eingetreten. Er ist ohnmächtig geworden. Hier beginnt die Demut - am Rand des Abgrundes.

Der echte Weg der Rückkehr wird durch diese Schwäche und angstvolle Unentschlossenheit, die man nun zugelassen hat, erst beginnen. Vor diesem echten Einlassen kann man im religiösen Schwärmen sogar heiligen Enthusiasmus vortäuschen, der aber ein Strohfeuer ist.  Das gesamte psychologische System muss erst einmal ins Wanken gebracht werden. Solange das Ich blind ist und stolz auf sein begrenztes Wissen, schreitet es rasch und selbstsicher voran, wenn aber die ersten Zweifel aufsteigen und das Bewusstsein durch den Zusammenbruch der Ideale und Hoffnungen in Gefangenschaft gerät, erhält es erst die Möglichkeit nach echter Vertiefung.

 

 

 

2.9

Sanjaya sprach:

Nachdem Arjuna so gesprochen hatte, sagte er zu Krishna: „Govinda, ich werde nicht kämpfen!“ und verstummte.

 

Das ist die Erfahrung der meisten Schüler. Im Vers sieben ergibt sich Arjuna zu Krishna und bittet ihn um Führung und nun gibt er schon wieder die Befehle. Die anfängliche Hingabe ist noch nicht ein wirkliches Erbitten um Führung, sondern nur eine Taktik, um dem Leid der Orientierungslosigkeit zu entkommen. 
Arjuna formuliert seinen Standpunkt, auch wenn er noch so falsch sein mag und vom Ego diktiert, aber alleine dadurch erwacht Klarheit, denn jetzt kann man dies einmal auch aus der Distanz betrachten und mana siksah (Unterweisung und Korrektur seiner Grundmotivation) kann einsetzen. Die Tragik beginnt da, wo man nur von diffusen Gefühlen bestimmt wird und sie nicht genauer betrachten will.

„Arjuna“ bedeutet „Offenheit“. Er öffnete sein Herz und hat Krishna das hingelegt, was in ihm ist. Er hält nichts mehr zurück und übergibt sich letztlich ganz Krishna. Dies ist die Haltung, die Krishna veranlasst, ihn zu unterweisen.

 

Arjuna verstummt. Introspektion beginnt. "Wenn ich alle Schriften durchforsche, so finde ich, so weit auch meine Vernunft nach Erkenntnis ringt, nichts, was so reinigend wäre wie reine Abgeschiedenheit, die aller Kreaturen ledig ist." (Meister Eckhart)

Wenn die Seele die Last der eigenen Unvollkommenheit und Relativität einmal bemerkt, wird sie still.

In den Momenten, wo die Gewohnheit zu sprechen anklopft, kann man in der Stille überprüfen und nach innen lauschen, was das Motiv ist zu sprechen. Ist man wirklich an Austausch interessiert? Oder will sich das „ich“ lediglich wieder einmal in Szene setzen, um der inneren Leere nicht begegnen zu müssen?

 

Vieles, was in der Welt gesprochen wird, ist keine Kommunikation, sondern lediglich ein Ausdruck der Bedürftigkeit. Das „ich“ tut so, als wolle es kommunizieren, aber in Wirklichkeit geht es ihm darum, seine innere Bedürftigkeit zu stopfen.

Alle religiösen und spirituellen Traditionen haben stets das Schweigen als spirituelle Übung geschätzt und gepflegt.

Im Yoga benutzt man für das spirituell motivierte Schweigen den Ausdruck „mauna“. Mauna besitzt mehrere Ebenen. Zunächst heisst es erst einmal, auf die Benutzung der Sprechorgane zu verzichten, um die Aufnahmefähigkeit zu sensibilisieren. Es gibt aber auch andere, weitergehende Formen des Schweigens. Darin hängt man bei den Impulsen, die einen ins äussere ziehen, nicht mehr ein und beobachtet einen selbst genau. Zuvor hatte man geglaubt, dass einem diese Antriebe in die Welt das Gefühl zu Leben vermittelten. Aber nun erkennt man deutlich, dass sie eigentlich nur in die Trägheit festigten. Das gemeinsame Ziel aller Formen des mauna ist aber das Schweigen des Geistes, das zur Ruhe bringen der Gedankenwellen.

 

 

2.10

Da lächelte Krishna freundlich, und sprach inmitten der beiden Heere zu dem verzagten Arjuna die folgenden Worte:

 

Krishna spricht lächelnd. Er ist gelöst von der ganzen Tragik.

Die Seele darf sich gewiss sein, dass Gott einem weniger verurteilend betrachtet als die eigene moralistische Instanz: „Ich weiss, dass ich in seinen Augen ein anderer bin als der, der ich jetzt zu sein glaube. Er sieht mich anders. Ereifert er sich auch so über meine Schwächen wie ich es gelegentlich tue? Oder hat er einfach sanftes, fast mitleidiges, aber liebevolles Lächeln für mich?“

Krishna lächelt auch mitfühlend und liebevoll, weil Arjuna sich gerade zuvor mit grossen Worten ihm hingegeben hat (2.7), doch dann wieder nur seinen Eigenwillen proklamierte (2.9).

Krishna spricht aus Mitgefühl zur Seele heraus, die ihm so viel wert ist. Er hätte auch schon jetzt sagen können, dass Arjuna ja tun könne, was ihm beliebe (18.63), aber ohne die heilige Erkenntnis der Gita wäre seine Entscheidung nun wahrscheinlich anders ausgefallen.

 

Inmitten dieser gewaltigen Katastrophe, dem totalen Chaos, lächelt Krishna. Er weiss etwas, was uns fehlt. Und wenn wir dies auch erkennen, werden auch wir das Grundglück in allem erleben.

 

2.11

Der Höchste spricht:

Während du gelehrte Worte sprichst, betrauerst du, was des Kummers nicht wert ist. Die Weisen beklagen weder die Lebenden noch die Toten.

 

Das ist eine sehr eigentümliche Art zu jemandem zu sprechen, der in einer tiefen Lebens- und Sinnkrise steckt. Aber Krishna will nicht intervenieren auf der Ebene unserer Identifikation, sondern will uns zu etwas Grösserem erheben, er will uns auf die Bühne der Wirklichkeit bringen und nicht eine Berichtigung im Traum tätigen.

Die erste Lektion der Gita lautet, „nie zu klagen“. Denn das Klagen ist ein Sich-Aufreiben mit dem äusseren Geschehen und kettet unsere Aufmerksamkeit an dieses an.

Der Grund für das Nichtklagen ist: weil es nichts zu verlieren gibt. Nichts Wirkliches wird je zerstört. Gewohnheitsmässig reagiert man gemäss den Identifikationshüllen, als Mann oder Frau,  und vergisst, ewig zu sein. Da die äussere Welt sich aber nie der Bequemlichkeit dieser Hüllen anpasst, ist Klagen die natürliche Lebenserfahrung. 

 

Lamentation ist das Ändern wollen des Unvermeidlichen, das Sich-Aufreiben am Bereits-Feststehenden. „Nicht mehr zu ändernde Dinge versuch' ich erst gar nicht zu ändern.

Besser macht das die Zeit, und ich spar mir die Zeit.“ (Armin Risi)

Der physische Körper hat gar nie gelebt, sondern wurde nur von der Lebenskraft durchdrungen. Wenn man die unvergängliche ewige Natur der Seele erkennt, wird man nicht gestört durch das Aufgeben eines Körpers. Ohne das Wissen über die Seele betrachtet man bestimmte grobstoffliche Körper als seine Mutter, Vater, Bruder, Verwandte oder Freunde oder auch Feinde. Und wenn dann die Seele diesen entsprechenden Körper verlässt, denkt man, seine Mutter, Vater, Bruder oder Verwandte seien gestorben und lamentiert über einen Körper. Wenn die Seele mit einem materiellen Körper in Berührung kommt, nennt man dies Geburt und deren Trennung davon wird als Tod bezeichnet.

 

Ein Weiser beklagt auch nicht die Veränderung des feinstofflichen Körpers – das heisst unserer Gedanken, Gefühle und Weltanschauungen. Als Seele ist man auch mit ihnen nicht verknüpft, sondern ist ihr entfernter Betrachter. Dadurch entzieht man sich der Fremdbestimmung der äusseren Welt.

 

Die Seelen sind von ihrer Natur ewige individuelle Bewusstseins-Wesenheiten, deren natürliches Charakteristikum bhagavat-seva ist, liebendes Dienen zu Gott, dem Ursprung von allem.

Seelen in dieser Welt haben ihre Wesennatur vergessen und existieren deswegen in einer Ersatzidentität an der Oberfläche, in welcher sie von Sorgen und Ängsten bedrängt sind, da sie doch latent ahnen, an ihrer Bestimmung vorbei zu leben.

Im Umgang mit Angst und dunklen Gefühlen gibt es nur eine einzige Frage:

Ist das das real oder eine Inszenierung meiner Welt?

 

Es braucht keinen rücksichtsvollen Umgang mit Opfern, da man weiss, dass sie keine sind. Die alte Geschichte wird immer wieder auftauchen in Form von Gedanken, Bildern Geschichten Gefühlen und anderen Phänomenen. Man braucht eine Schulung der Aufmerksamkeit in die innere Achtsamkeit zu kommen, um diese Geschichten nicht mehr zu berühren, sie nicht mehr zu den eigenen zu machen und sie somit auslaufen zu lassen.

Wenn sie auftauchen muss man nicht gegen sie angehen und ihnen nicht ausweichen, sie nicht überwinden und sie auch nicht ins Posititve zu wenden versuchen.

Nur ganz still nebendran stehen und tief erkennen, dass man eine ganz andere Identität hat.

 

 

 

2.12

Niemals gab es eine Zeit, als Ich oder du oder all diese Könige nicht existierten, und ebenso wird niemals in der Zukunft einer von uns aufhören zu sein.

 

Dies ist der erste wichtige Punkt der Metaphysik der Bhagavad Gita. Die Erkenntnis, dass es selbst im Gewimmel der sich ständig ändernden äusseren Welt ein Fixpunkt gibt, der immer bleibt: das Selbst. Derjenige, der dem Getöse der Änderung als Beobachter daneben steht.

In diesem Augenblick sterben auf unserer Erde gerade Millionen von Wesen…. Nein, kein einziges. Noch nie

In diesem Vers wird die parallele Ewigkeit sowohl der Seele als auch der Höchsten Seele, Gott hingewiesen.

Die Seele behält, selbst nachdem es von aller Illusion befreit ist, ihre individuelle Identität bei. Das Wissen, das Krishna hier offenbart, befreit, lässt einen aber nicht eins werden mit Gott.

 

2.13

So wie die verkörperte Seele bereits in diesem Körper von Kindheit zu Jugend und zu Alter wandert, so geht die Seele in ähnlicher Weise beim Verlassen dieses Körpers in einen anderen Körper ein. Ein besonnener Mensch wird durch einen solchen Wechsel nicht verwirrt.

 

 

Jedes Jahr werden 98 Prozent der Atome des Körpers ausgetauscht. Jeden Monat erhält man einen neuen Hautanzug und alle sechs Monate eine neue Leber. Selbst alle Knochen, die solid und fest scheinen, werden alle 14 Monate komplett erneuert. Alles im Körper ist in konstantem Wandel. Alle fünf Jahre sind sämtliche Teile des Körpers komplett erneuert. Nicht ein einziges Atom in dem gegenwärtigen Körper war vor fünf Jahren bereits hier.

 

Der Körper erfährt ständig Veränderungen, aber die Seele bleibt sich gleich.

Eigentlich wird ja das, was uns ausmacht, wer wir sind, nicht älter, nicht weiser, nicht besser, nicht spiritueller, sondern ist ewig die gleiche.

 

Ein Sadhu in Vrindavan wurde gefragt, doch einmal etwas aus seinem Leben zu erzählen.

"Sri Krishna weiss alles, warum soll ich das wiederholen?"

Offensichtlich mass er den Ereignissen seines eigenen Lebens nicht allzu viel Bedeutung bei.

Der Fragende insistierte.

"Oh, es gibt wahrlich wenig zu berichten", sagte er verlegen.

"Ehe dieser Körper gezeugt wurde (er benützte nie das Wort "Ich", wenn es um den Körper ging, sondern sprach in Umschreibungen wie "dieser Mann", "dieser Körper" etc) war "ich der Gleiche". Als er ein kleiner Junge wurde, "war ich der Gleiche". Er wuchs zum Mann heran und "war noch immer der Gleiche".

Als die Familie, in welche er hineingeboren wurde, Vorbereitungen traf, diesen jungen Mann zu verheiraten, "war ich der Gleiche".

Während dieser Mann Jahre für die Erhaltung der Erweiterungen seines Körpers arbeitete, "war ich der Gleiche".

Und als er da wieder herauswuchs und allein durch die Welt zog, "war ich der Gleiche".

"Was gibt es also da noch gross zu sagen?"

 

Woimmer und in welcher Situation wir diese Wahrnehmung des "Ich bin da genau der Gleiche" nicht denken, fühlen, und erwünschen, sind wir ausserhalb unseres Selbst.

Es ist die Verankerung im Selbst, in der ewigen Seele.

Wieviel Zeit verbringen wir täglich wirklich in dieser Verankerung? Warum schenken wir uns nicht einmal ein paar Minuten mit der Absicht, jede Sekunde unseres Lebens dem Selbst treu zu bleiben?

Wenn jemand aus der Kindheit herauswächst und ein Jugendlicher wird, freuen sich alle. In ähnlicher Weise kann man sich auch freuen, einen unbrauchbar gewordenen Körper ablegen zu dürfen und in eine neue Körperphase hineinzukommen.

Krishna möchte, dass wir „dhira“, besonnen, werden.

Bei den Griechen kann die Besonnenheit („sophrosyne“) im Sinne von Mässigung und Selbstbeherrschung und von kluger Zurückhaltung verstanden werden.

 

Besonnenheit ist das Gegenteil von Leichtsinn. Unbesonnen ist ein Mensch, der gleich beim ersten Impuls handelt, ohne sich Zeit zur Besinnung zu nehmen. Leichtsinnig ist einer, der sich treiben lässt, der sich keine Gedanken macht. Besonnenheit besteht in der Fähigkeit, zwischen dem Reiz und der Aktion, der Antwort, einen Augenblick innezuhalten. Die Pause zwischen dem Impuls und der Handlung gibt einen den Raum der Reflektion (des zweiten Blickes). Besinnung führt zu einer freien Entscheidung, die nicht nur impulsbestimmt ist.

Besonnenheit lädt einen dazu ein, immer dann, wenn man sofort reagieren möchte, einen Schritt zurückzutreten und zu warten und nachzudenken und nicht die Besinnung zu verlieren und besinnungslos herumzutoben. Man darf ruhig durchatmen bis man sich wieder spürt und wieder bei Sinnen ist (den inneren und den äusseren).

Wenn man dann so richtig hinhört, wird man nicht nur die Worte hören, die einen aufwühlen und provozieren, sondern auch die Zwischentöne, die mitschwingen, die Sehnsucht und den Schrei nach Zuwendung. Und dann wird man anders reagieren.

Krishna erklärt in diesem Vers eine noch tiefere Definition von Besonnenheit. Es ist das Zurückziehen der Aufmerksamkeit von der äusseren Welt der konstanten Wandlung. Dann ist man im Raum der Besinnung.

Inmitten der Erfahrung von Sorgen und Ängsten angesichts einer Welt, die aus den Fugen zu geraten droht, taucht in dieser Besinnung der Geschmack des Unzerstörbaren auf. Es gibt Sinn und Verankerung inmitten vom Getöse des Wandels.

 

Verbindung zu den nächsten beiden Versen:

Da Arjuna dem als Leidender dem Nervenzusammenbruch nahe ist (2.8), kann er Wahrheit nicht wirklich annehmen. In einem solchen Zustand ist jeder Strohhalm willkommen und man unterscheidet nicht zwischen Erleichterung und Wahrheit.

Um die Seele erst einmal in den Zustand relativer Zufriedenheit zu bringen, wo erst die Sensibilität für Transzendenz erwachen kann, spricht Krishna nun über die Toleranz. Es ist die Fähigkeit, nicht gerade auf das Vergängliche zu reagieren und schenkt den Raum, in welchem konstante Zufriedenheit ermöglicht wird. Diese ist die Voraussetzung, sich nicht mehr mit Linderung des Leidens zu begnügen. Es stellt die Grundlage dar, erst einmal versöhnt und zufrieden „in der Stadt der neun Tore zu leben“ (5.13).

 

 

2.14

 

Das unbeständige Erscheinen von Glück und Leid und ihr Verschwinden im Laufe der Zeit gleichen dem Kommen und Gehen von Sommer und Winter. Sie entstehen nur durch die Berührung der Sinne mit den Sinnesobjekten und man muss lernen, sie zu dulden, ohne sich verwirren zu lassen.

 

Wenn die Sinne mit Sinnesobjekten in Berührung gelangen, geschieht eine emotionale Reaktion, ein Wertung. Man erlebt gewisse Dinge als angenehm und andere als unangenehm, als heiss, als kalt usw.

Diese Eigenwertungen, die man in den objektiv neutral verlaufenden Fluss der Ereignisse hineinpflanzt, verändern sich aber. Diese Wertungen sind tauchen aber auf im Bewusstsein des Menschen, verändern sich und verschwinden auch wieder.

Wenn man deren Unbeständigkeit ganz klar erschaut, nimmt man Distanz zu ihnen und kann lernen, sie zu tolerieren. Man muss nicht einhängen in den endlosen Strom von Sinnenreizen, die dann augenblicklich einen endlosen Strom von Wertungen gemäss der momentanen Positionierung des Ich auslösen.

Wir alle erfahren durch die Sinne Vergnügen und Schmerz, Hitze und Kälte, Krankheit und Gesundheit. Solange wir in diesem Netz gefangen bleiben, finden wir keinen Frieden, denn wir bleiben in der Sphäre von Werden und Vergehen stehen. Aber wir selber sind ewig, nicht von dieser Welt, nicht dem Wandel unterworfen. Niemand klagt, dass die Sonne auf- und untergeht. So ist es aber mit allen Phänomenen.

Es ist eine Tatsache, dass Schmerz und Unbehagen tolerierbar werden, wenn ein Ende absehbar ist. Dieses Ende wird aber ausgeblendet und im Verstand verdrängt im Falle von materiellen Freudenerfahrungen. Dadurch entsteht Verhaftung und man beginnt sich gegen die Zeit zu stellen.

Jeder hat ein bestimmtes Toleranzband. Krishna ermutigt uns, dieses zu verbreitern, damit wir von den Umständen nicht bestimmt werden. Und wenn man nicht einfach nur reagieren muss auf jeden Impuls der Aussenwelt, erhält man eine Möglichkeit, der darunterliegenden Wirklichkeit zu begegnen.

 

Entsprechend den Gunas (ERKLÄREN!!!), in denen wir uns gerade befinden, empfinden wir die Dinge. Wenn jemand eine sattvische Nahrung einer tamasischer Person gibt, mag sie es nicht und umgekehrt.

Ist irgendeine Nahrung gut oder nicht gut? Diese Geschmackswertungen sind nur eine mechanische Reaktion im Geist des Annehmens und Ablehnens gemäss der Positionierung des Selbst innerhalb der gunas.

 

Deshalb sagt Krishna, dass die Erfahrungen der Welt eigentlich nur ein Kontakt der Sinne mit Objekten ist und in sich noch kein Glück oder Leid.

In diesem Verständnis lernt man die Jahreszeiten des eigenen Gemütes hinnehmen, so wie man stets die Jahreszeiten hingenommen hatte, die über das Land streifen.

 

Wenn ich in einem leidenschaftslosen Moment (denn innerhalb der Rajaguna empfindet man die Aufwühlung, die Sinnesstimulation als Glück) eine Süssigkeit zu mir nehme, kann ich genau beobachten, ob dies nun Glück oder Leid ist – es ist weder noch.

Wenn der Geist in stiller Ausgeglichenheit ist, kann man nicht sagen, ob die Sinneseindrücke freudvoll oder unangenehm sind. Nur wenn der Geist von rajas bewegt wird, will man reagieren auf die vorbeiziehenden Umstände.

Man fühlt schon etwas und nimmt die Welt wahr, aber die vorbeiziehenden Umstände sind in sich weder Glück noch Leid, nicht Freude oder Schmerz.

 

Der heutige Mensch kann fast nichts mehr tolerieren und ist ganz ausgefüllt in den Reaktionsmustern auf die vorbeiziehenden Geschehnisse im aussen.

Man ist fähig zu tolerieren, wenn man darin einen tieferen Sinn erkennt.

In einer Sterbebegleitung hat mir ein Mann einmal erzählt, wie stark er an der Trennung zu seiner verstorbenen Frau leidet. „Was wäre gewesen, wenn sie zuerst gegangen wäre?“ „Sie hätte furchtbar gelitten!“, schoss es aus ihm heraus. „Sehen sie, genau das haben sie ihr nun erspart“. Er stand wortlos auf und ging. Das war eine kopernikanische Wende. Sein Leiden wurde ergänzt „um jemandes Willen“. Verzweiflung war nur Leiden ohne Sinn.  

 

 

Der Sog zur Identifikation hin ist bei angenehmen Empfindungen sogar noch stärker als bei unangenehmen, weil hier der Wille zur Desidentifikation schwindet.

 

2.15

Wer sich durch Glück und Leid, eben den Erfahrungen der verschiedenen Sinnesberührungen, nicht stören lässt, sondern in beidem gleich bleibt, eignet sich gewiss dazu, Befreiung zu erlangen (der reift für die Unsterblichkeit).

 

„Ich bin der Körper“ ist eine Idee, die mich in die Dualität hineindrängt.

Ehre und Schmach, Glück und Leid, Freud und Schmerz, gut und schlecht, Erfolg und Versagen…

Das Wesen, welches sich mit Körpern identifiziert, wird hilflos und schwach, da es nun einem gigantischen Strom des Vergehens ausgesetzt ist. Darin hat es keinen Wert und es müht sich verzweifelt um Bedeutung. So greift es natürlicherweise nach der einen Seite der Dualität und verbindet sich somit unweigerlich mit der Anderen. „Je stärker ich nach dem Kopf greife, desto verbundener bin ich auch mit dem Schwanz.“

Es ist die Natur der Illusion, der Verdunkelung – die ja erst die Körperidentifikation ermöglicht – dass sie Bindung generiert.

 

In der Mundaka-Upanisad (3.1.1-2) gibt es das Gleichnis von zwei Vögeln, die auf einem Baum sitzen. Der eine geniesst die süssen und bitteren Früchte für sich selbst – das ist die bedingte Seele in der Welt -  und der andere schaut nur unbeteiligt zu (das ist die Überseele, die dem Lebewesen das eigene Karma zukommen lässt)

Im bedingten Leben wendet sich die Seele dem Körper, den Sinnen und den Erfahrungen, die sie darin gemacht hat, zu, das heisst einer Welt des Wandels, des Werdens und der Impermanenz. Dadurch beginnt sie sich selber im Zeitlichen zu definieren und verliert ihre Identität.

Jede empirische Dualität wird von unseren Sinnen erlebt, die uns bruchstückhafte Wahrheiten anbieten. Wenn ich die Fixierung meiner Sinne aus dieser Gefangenschaft der Dualität zurückziehe, erreicht man die Gelassenheit, die Ebenheit, die Ausgeglichenheit, die Gleichheit des Geistes und dies führt zur Unsterblichkeit (amritatva) .

Es ist das Zentrum der Waage, von dem aus die beiden Pole beobachtet werden können, ohne der Beeinträchtigung, Faszination oder Knechtschaft ausgesetzt zu sein.

Demnach gehört Arjunas Schmerz dem dualen Paar „Lust-Schmerz“ an, das nur von seiner sinnlich wahrnehmbaren Natur erfahren wird.

Sri Krishna will die Seele an den Punkt bringen, wo wir im Zentrum unseres Wesens verankert bleiben und allem Kampf, das heisst dem Geschehen in der Welt mit Gleichmut begegnen können.

 

Jede Erfahrung wird auf ein Ich bezogen. Ahankara ist der Beginn der Individuation in dieser Welt. Wird das Ich in bezug zu dieser Welt aufgelöst, berührt einen auch die Sinneserfahrung nicht mehr.

Wenn man die Wirkung der Einflüsse der Sinnesobjekte genau analysiert, und Toleranz übt in unseren automatisierten Reaktionsmustern, das heisst nicht gerade vom Reiz zur Aktion schreitet und da noch eine Zeitschlaufe einbaut, dann werden sie nicht zu einer Ursache von Schmerz, selbst wenn sie sehr unangenehme Erfahrungen bescheren.

 

In der Begegnung mit der Ewigkeit der eigenen Seele erscheinen Lob und Tadel, Erfolg und Misserfolg, Stolz und Selbstkritik als sekundäre Angelegenheiten.

Das gibt eine Erleichterung.

In indischen Dörfer finanzieren die Bewohner das Medizinstudium von jemandem.

Dann stand auf seiner Türe seiner Arztpraxis: Dr. Gupta, Studium der Medizin, in Kalkutta durchgefallen“

Wir erleben alle Misserfolge und Erfolge.  Wenn man sich von Gefühlen der Scham und des Stolzes vereinnahmen lässt, schränken wir unser Raum im Inneren ein.

 

 

2.16

Das Inexistente ist ohne Dauer (das Zeitweilige wie Sommer und Winter, Hitze und Kälte etc. ist ohne permanente Existenz) und das Wirkliche ohne Wechsel (wie die ewige Seele). Es gibt keine Existenz in dem, was vergeht. Zeitweilige Dinge existieren nicht.

Und nie hat es Inexistenz gegeben von dem, was ewig ist. Zwischen diesen beiden zu unterscheiden vermögen nur diejenigen, die die Wahrheit erkennen, nach dem sie die Natur von beiden studiert haben.

 

Das, was ich glaube, mit Anstrengung vor dem Verlust zu beschützen und vor dem Vergehen zu bewahren, hatte von vornherein gar keine Substanz.

Es gibt kein Werden aus dem Nicht-Seienden und kein Vergehen des Seienden.

Das viveka fordert uns nicht zum Versuch auf, aus der Welt steigen zu wollen, sondern nur den Erlebnisraum, in dem wir uns befinden, im Licht des Atma neu zu sehen.

 

Im Sanskrit ist das Wort für ewig und wirklich (sat) das gleiche, ebenso hat das Wort asat die Doppelbedeutung „vergänglich“ und „unwirklich“.

Wahrheit ist immer wahr. Sie ist nicht manchmal wahr.

 

 

Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Unwirklichkeit. Nur das absolut Unzerstörbare ist wirklich.

Nichts Echtes kann bedroht werden.

Nichts Unechtes existiert.

Hierin liegt der Friede in Gott.

 

Was ist wirklich (da ewig)? Gott, die ewige Seele und die Prakrti, die materielle Welt

Was ist unwirklich (da vergänglich)? Alle Formen der materiellen Energie, und alle Beziehungen, die das Lebewesen meint mit ihnen zu haben.

 

So lange man das Vergängliche und Vorbeiziehende, was effektiv keine Substanz hat, als real betrachtet, haftet man dem auch Wichtigkeit an. Und dies verursacht Vergessen der wahren Natur.

 

Wenn Krishna so spricht, will er menschliche Energie nicht verschwenden lassen in den Bewertungen des Relativen, in die Absorbation in das Zeitweilige, in das Unreale.

Der Höchste spricht: „Man sollte die bedingte Seite und die bedingten Tätigkeiten anderer Personen weder loben noch kritisieren.

Vielmehr sollte man diese Welt einfach nur als eine Kombination von materieller Natur plus  Seelen betrachten, welche die Prakriti geniessen wollen und einen persönlichen Anspruch auf diesen Schatten projizieren. All dies spielt sich auf der Grundlage der einen absoluten Wahrheit ab.“ Srimad Bhagavatam 11.28.1

 

„Wer sich darauf einlässt, die von der materiellen Natur angenommenen Eigenschaften und Verhaltenmuster zu loben oder kritisieren (oder überhaupt nur zu kommentieren), wird sehr schnell von seinem eigenen Selbstinteresse abweichen aufgrund seiner Involvierung und Verwicklung in die illusorische Dualität.“ Srimad Bhagavatam 11.28.2

 

„Das, was in der Vergangenheit nicht existierte und in der Zukunft nicht weiterexistieren wird, hat auch in der Gegenwart, keinen Bestand (ist nicht wirklich). Das, was von etwas geschaffen ist und erst offenbart und verstanden wird durch etwas anderes, ist nach meiner Ansicht (und das sagt Sri Krishna selber!) nichts anderes als dieses andere selber.“ (Srimad Bhagavatam 11.28.21)

 

Sri Krishna erklärt hier, dass die Vergänglichkeit erst wahrgenommen wird, wenn man sich von dem Standpunkt der Ewigkeit berühren lässt.

 

Ganz konkret darf man sich fragen:

Fühlt man mehr für Krishna als für alle provisorischen Begegnungen (man nennt es auch „Beziehungen“) in dieser Welt? Investiert man mehr Kommunikation und Austausch mit ihm als mit der momentanen Umgebung?

Wenn auf diese Fragen noch nicht ein spontanes „Ja“ die Antwort ist, verweist dies auf eine Verwicklung des Bewusstseins mit dem Unwirklichen hin.

 

 

2.17

Erkenne doch, dass das, was den gesamten Körper durchdringt, unvernichtbar ist. Niemand ist imstande, die unvergängliche Seele zu töten.

 

Avidya, Unwissenheit, besteht darin, dass man nur die äussere Erscheinung der Dinge, die Form der Materie sieht, und nicht den ewig unvergänglichen Teil in allem.

So wie das Höchste Wesen seine gesamte Schöpfung durchdringt, durchdringt die Kraft der Seele, das Bewusstsein, den gesamten Körper.

Die extrem subtile Form der Seele ist transzendent zu den Dingen der Welt und kann nur wahrgenommen werden in der Disidentifikation vom Alltagsbewusstsein.

“Die Grundbestandteile der materiellen Energie, die gunas, produzieren verschiedene Wahrnehmungsbereiche in der schlafenden Seele. Die Klarheit (sattva) erzeugt die Illusion des Wachseins, die Aktivitätsenergie (rajas) den Traumzustand, und die Schwere (tamas) den Tiefschlaf. Der reine Zustand der Seele ist jenseits dieser drei und wird turya (transzendental genannt)  SB 11.25.20

 

Sri Krishna beginnt nun hier den Grundstein jeglicher spiritueller Erkenntnis zu legen. Den Unterschied des Selbstes mit seiner Identifizierung.

 

Gedanken und Gefühle sind beobachtbar. Das Beobachtete kann nicht gleichzeitig der Beobachtende sein, der Seher nicht das Gesehene Das gleiche Ding kann nicht zur gleichen Zeit Subjekt und Objekt sein. Die Organe, die Freude, Schmerz und dergleichen als Affektionen besitzen, können nicht zugleich empfindendes Subjekt sein.

 

Das wahrnehmende und bewusste Prinzip, die Seele, ist jenseits aller Empfindungen des individuellen Geistes.

Mit zunehmender Vergrobstofflichung der Instanzen des Geistes und auch durch seine konstanten Bewegungen und Färbungen, wird das reine Bewusstsein des jiva mehr und mehr verschleiert und verdunkelt.

Dies ist die Verunreinigung der Instrumente der Wahrnehmung und Yoga ist der Weg ihrer Klärung.

Wahrnehmung bedeutet, dass sich der Geist entsprechend der wahrgenommenen Objekte verfärbt und verformt. Wahrnehmung ist also aktive Bewegung des Geistes, also Handeln, welches auch Spuren (samskaras) hinterlässt. Der menschliche Geist ist kein reiner Spiegel, in dem sich das jiva reflektiert, sondern Verschleierung der Seele.

 

Aufgrund der beständigen Bewegungen, Färbungen und Identifikationen kann der Geist nicht unverfälschte Informationen und Kenntnis über die Welt vermitteln, auch nicht durch die Sinnesorgane.

Jiva, der Seher, kann nur entsprechend der Wellen und Verschmutzungen der Oberfläche des Sees wahrnehmen. Die zum Jiva gespiegelte Erkenntnis der äusseren Welt ist daher eine Reflektion des Zustandes des eigenen Geistes. Die Wahrnehmung ist eine verzerrte Konstruktion entsprechend des Zustandes des Geistes.

 

Die Epistemologie: Von einem Erkennen der Wirklichkeit, von wahrer Erkenntnis, ist bei einem normalen , das heisst bewegten und verfärbten Zustand des Geistes nicht die Rede, sondern das scheinbare Erkennen der Wirklichkeit basiert auf einer Reflektion des inneren Zustandes.

 

YS 2, 20: Obgleich der Wahrnehmende, das Jiva, ursprünglich rein ist, wird seine Schau durch die Färbung des Verstandes (buddhi) bestimmt)

 

Das Störungskonzept: Wodurch entsteht Leiden?

 

Das jiva wirft seine Aufmerksamkeit auf die Manifestation der Prakriti. Von dort wird es mit einem Spiegel reflektiert und von dem Jiva wahrgenommen. Diese erkennt nun jedoch nicht mehr seine reine, unberührte Natur, sondern die durch ahamkara verzerrte Reflektion.

 

YS 2, 6: Wenn es uns so erscheint, als würde die Kraft des Bewusstseins mit den Instrumenten des Bewusstseins verschmelzen, so nennt man das „Ich-haftigkeit“ Asmita, Vergessen der eigenen Identität.

 

YS 2, 24 : Die Ursache der Verschmelzung ist Unwissenheit (avidya)

YS 2, 17: Die Ursache des Schmerzes, der vermieden und ausgelöscht werden kann, ist die Vereinigung des Sehers mit den Objekten seines Sehens.

 

Auf diese Weise beginnen die an sich unbewusste Hüllen vom verunreinigten Bewusstsein des jiva durchstrahlt zu werden. Durch die Fähigkeit zur Identifikation (Einfärbung) hält das bedingte Selbst sich für sich selbst, indem es die ihn durchlebende Kraft des jiva nicht mehr wahrnimmt.

 

YS 1, 4: Zu anderen Zeiten (ausserhalb des Zustandes des Yoga) besteht Identifikation mit den Bewegungen des Geistes

 

Durch die Stärkung und Reinigung von buddhi vermag sich das jiva immer feiner darin zu reflektieren (wie in einem verschmutzen Spiegel, der allmählich gereinigt wird). So kann er seine reine, unberührte und transzendente Natur wieder wahrnehmen, die nie verloren, sondern nur verschleiert war.

 

YS 1, 3: Dann ruht der Sehende, der Wahrnehmende, das Jiva, in seiner eigenen, wahren Natur.

 

Das Leiden ist also die Fehlidentifizierung mit den Bewegungen des Geistes, während das wirkliche Selbst davon ganz unberührt bleibt.

2.18

Dem materiellen Körper des unzerstörbaren, unmessbaren und ewigen Lebewesens ist es mit Sicherheit bestimmt zu sterben. Deshalb kämpfe, o Arjuna.

 

„aprameya“ bedeutet unmessbar. Die Seele ist so subtil, dass keine Beweisführungen von der Materie ausgehend sie zu erfassen vermögen.

 

2.19

Weder derjenige, der denkt, das Lebewesen töte, noch derjenige, der denkt, es werde getötet, besitzt Wissen, denn das Selbst tötet nicht und wird auch nicht getötet.

 

Die Illusion besteht darin, dass wir denken, eine Person sei gestorben, wenn sie ihren Körper abgelegt hat. Diese Perspektive ist nur so lange aufrecht haltbar, wie man noch nie einen Zugang zur inneren Realität gehabt hat.

Wenn man glaubt, der Tod sei das Ende von allem, wird er verdrängt. Und wenn er dann tatsächlich eintritt, sind wir eiligst darin beschäftigt, seine Spuren wieder zu verwischen, ihn aus dem Angesicht zu evakuieren. Wir wagen die Begegnung mit dem Tod nicht.

Aber im Tod legt die Seele nur ihr besonderes Gewand ab, das sie für einige Zeit getragen hatte.

 

Natürlich darf sich niemand anmassen über das Leben eines anderen Macht auszuüben. Und dennoch kann gar niemand getötet werden.

 

Krishna spricht in diesem Vers etwas an, was später (3.27) dann weiter ausführen wird. Das Thema des Nichthandelns eines Lebewesens.

 

2.20

Für die Seele gibt es zu keiner Zeit Geburt oder Tod. Sie ist nicht entstanden, sie entsteht nicht, und sie wird nie entstehen. Sie ist ungeboren, ewig, immerwährend und urerst. Sie wird nicht getötet, wenn der Körper getötet wird.

 

Der Seele kann man nichts wegnehmen und nichts hinzufügen.

Sie ist vollständig.

In der natürlichen Verankerung in ihr entfällt die Ergänzung und die Kompensationen von aussen her.

 

Ich wurde nie geboren – und deshalb sterbe ich auch nie. Nur was entsteht, kann vergehen.

Das heisst, die Seele hat keine Beziehung zum Körper. Es ist wie eine Emulsion, die zeitweise als vermischt betrachtet werden kann. Man muss sie nur in Ruhe stehen lassen, und dann trennen sich die einzelnen Bestandteile wieder. Wenn wir als vermischte Wesen uns in die Ruhe versenken, vor der praktisch die ganze Gesellschaft auf der Flucht ist in Form von insignifikantem Tun an der Oberfläche, beginnt der Klärungprozess der Trennung.

Die Seele ist folgedessen völlig unberührt von den sechs körperlichen Mutationen: Geburt, Wachstum, Fortpflanzung, kurzes Bestehen, Verfall und Tod.

Kaum hat die Seele den Körper verlassen, werfen wir den Körper, der uns am liebsten war und vielleicht sogar verwandt, aus dem Haus und verbrennen ihn.

Und die gesamte vorherige Umgebung wird, mit dem der Körper verbunden war, ist nun verlassen und wird sehr bald auch vergessen.

Der Tod des Körpers wird nicht mehr mit seinem eigenen Tod gleichgesetzt.  

Krishna erklärt diese Dinge repetitiv, denn es geht darum, dies nicht einfach nur gehört zu haben, sondern effektiv verwirklicht. Dann wird die Faszination für die einfache Wahrheit wiedererweckt.

 

2.21

O Arjuna, wie kann jemand, der weiss, dass die Seele unzerstörbar, ewig, ungeboren und unveränderlich ist, jemanden töten oder jemanden veranlassen zu töten?

 

Die Erkenntnis, das das ewige Wesen nicht getötet werden kann, ist natürlich keine Rechtfertigung und Legitimation, ihre Körper dann in einen Zustand des Nichtmehrweiter-Funktionierens zu bringen. .

 

2.22

So wie ein Mensch abgetragene Kleider ablegt und neue anzieht, so wirft das verkörperte Selbst alt und unbrauchbar gewordene Leiber ab und nimmt neue materielle Körper an.

 

Ist das Kleiderwechseln etwas Erstaunliches? Es ist Alltag. Krishna erklärt hier, dass auch das Körperwechseln Alltag ist. Aber aufgrund von Täuschung glaubt man, man würde geboren, würde sich verändern, aufwachsen oder sterben. Dabei ändert man nur ein paar Umhänge. Und man würde nie über Zustände lamentieren, die den Kleidungs-Stücken gerade widerfahren.

Die tiefe Verwurzeltheit der Unwissenheit ist erstaunlich.

 

Würde man einmal ein wenig zurück blicken, in die individuelle Geschichte, in dem man diese Körperwechsel schon vollzog, sähe man nun innerhalb und ausserhalb von unzähligen Körperformen, ähnlich einem Schauspieler, der in seiner Garderobe verschiedenste Kostüme ausprobiert. In jedem einzelnen Körper-kostüm paradierte man für ein paar Augenblicke. Das Auffallende daran jedoch ist, dass man sich in jedem einzelnen Körperkleid, ganz unabhängig davon wie verschieden es von seinem vorherigen war, wieder vollständig heimisch fühlt und es jedesmal als sein eigenes Selbst betrachtet. Diese Illusion der Sich-Gleichsetzung mit jeder einzelnen Rolle wird durch die Vergessenheit der eigenen Geschichte ermöglicht.

Einmmal meditativ alle seine vergangenen Leben vor dem Spiegel des Geistes studierend, kann man nur erstaunt und erschüttert sein, dass man Leben für Leben Ablenkungen und Oberflächlichkeiten der Suche nach Wahrheit, dem aufrüttelnden Ruf der Gottes, den offenen Armen Gottes den Vorzug gab. In jedem Leben erhielt man so viel Unterstützung sich wieder der spirituellen Heimat zuzuwenden, aber man wurde von all den Kostümen und ihren Atmosphären, die sie erzeugten immer wieder weggetragen, sodass man das Offensichtliche vernachlässigte.

 

 

2.23

Waffen verletzen die ewige Seele nicht, noch kann sie von Feuer verbrannt, von Wasser benetzt, oder vom Wind verdorrt werden.

 

Die Erkenntnis der Transzendenz unseres eigenen Wesens birgt die Gefahr in sich, in die Vernachlässigung oder Negierung der Hüllen zu treten.

Krishna beabsichtigt etwas ganz anderes – er will darin die Ehrfurcht vor dem eigenen Innersten wiedererwecken, die Würde zum Selbst.

 

Wir können nicht erwarten, dem Scmerz und dem Leiden zu entgehen. Aber wir können einen Bewusstseinspunkt erlangen, eben die Verankerung in der Transzendenz der eigenen Seele, in dem man nicht mehr erschüttert und beeinflusst wird, ein Zentrum, das von dem Schmerz oder dem Leiden und Erfahrungen, die ein Körper widerfahren, nicht überflutet wird.

 

2.24

Die individuelle Seele ist unteilbar und unauflöslich und kann weder verbrannt noch ausgetrocknet werden. Sie ist immerwährend, überall gegenwärtig, unwandelbar, unbeweglich und ewig dieselbe.

 

Achedyah – unteilbar deutet auf die ewige Individualität der Seele hin

Das bedeutet, dass es Ganzheit gibt in der Verankerung in der Seele.

Was bleibt dem Menschen, wenn all das, was sein Leben ausmachte und seinen Lebensinhalt darstellte, verschwunden ist?

Wenn nicht augenblicklich tief in einem resoniert „ALLES“, dann wäre mir das Einlassen auf irgendeine Beschäftigung, auf Beziehung oder Gemeinschaft mit anderen Menschen ein gefährliches Unternehmen.

Im Loch eigener Bedürftigkeit benützt man Dinge und Menschen, um sich aufzufüllen. Das mündet ein in eine unfreie Beziehung.

In innerlich erfüllter Liebe, die sich ihr Lebensfundament nicht an den Dingen im Aussen erbaut, dient man einfach.

Erfahrungen, Meinungen, die liebenden Eltern und die liebende Umgebung, Wissen, Erziehung, kulturelle und soziale Umgebung, Menschen, die man kennt und schätzt... All diese konstituieren das mentale Auffüllmaterial, das unter dem willkürlichen Begriff „ich“ (meist unter dem Titel des Namens) zusammengefasst wird. Nach Jahrmillionen solcher Ansammlungen, wenn bereits ein grosses Sammelbecken davon erstellt wurde, glaubt man, man würde sich erkennen.

Man erkennt aber auch im hohen Alter noch, dass dieses Selbstgefühl sich nicht als ganz und vollständig versteht. „Ich bin nicht genug“ ist der essenzielle Glaube eines Selbstgefühls ausserhalb der Seele.

 

 

Sarva-gatah – Seelen sind überall gegenwärtig. In der Erde, unter der Erde, in der Luft, im Wasser, im Feuer, im Äther (unsichtbar). Durch seine eigenen Handlungen wandert sie überall umher – in Körpern von Devas, Tieren, Pflanzen und Geistern.

Wenn wir erwachen zur Wirklichkeit der Seele, erlangt man die Fähigkeit, die Tragödien menschlicher Existenz zu überwinden.

 

2.25

Nicht wahrnehmbar, unfassbar und unveränderlich wird sie genannt. Wenn man die Seele erkannt hat, gibt es kein Gründe zur Klage mehr.

 

 

Acintya – jenseits des Denkens. Alleine durch Überlegung wird sie nicht erlangt. Es ist nicht in Worten ausdrückbar, obwohl man Worte verwenden kann, daruaf hinzuweisen. Aber die Existenz der Seele übersteigt die Fakultät sinnlicher Wahrnehmung. Ihre Verwirklichung bedarf der Bereitschaft, sich auf einen lebenslangen Transformationsweg zu begeben. Der gegenwärtige Erfahrungshorizont ist der Wandel der Welt. Die Seele existiert in einem anderen Bereich der Ewigkeit.

 

Avyakta- nicht wahrnehmbar, unsichtbar, da sie nicht von materiellem Wesen ist.

 

Es ist nicht leicht, den geheimnisvollen Begriff des „Selbst“ zu ergründen. Alles Übrige in der Welt verändert sich. Jedes Geschöpf, jeder Stein, Grashalm, Mensch, jedes Element ist in der ewigen Wandlung. Nur der Atman verändert sich nie. Weil er nie abgeändert wird, bezeichnet man ihn als unwandelbar, weil er unsichtbar ist, keine materielle Gestalt hat, und man ihn nicht hören, riechen oder berühren kann, wird er als unmanifestiert bezeichnet. Weil das menschliche Denkvermögen ihn nicht fassen oder vorstellen kann, sagt man, er sei unerkennbar.

 

 

Die Begriffe Geburt, Wachstum, Tod sind mit der Erfahrung der Vergänglichkeit dieser Welt verbunden. Was für eine Veränderung aber gibt es im ewigen unvergänglichen Jiva, das keine Ursache hat? Geburt und Tod kann also die ewige Seele niemals berühren.

 

2.26

Und selbst wenn du meinst, dass die Seele immer wieder geboren wird und für immer stirbt, gibt es dennoch keinen Grund zu klagen.

 

Bisher hat Krishna vom Standpunkt göttlicher Offenbarung gesprochen, und nun fügt er einen ganz praktischen Gedankengang an.

 

Die Angst vor dem Tod ist nicht prinzipiell der Horror der völligen Auslöschung, sondern vor allem die Ahnung, dass wir den Tod überleben und somit Verantwortung nehmen müssen für jeden einzelnen Gedanken. Es ist also die Furcht vor der Verantwortung, welche sich ausdrückt als Todesangst.

Die Entbindung vom Wesentlichen, die Existenz ausserhalb der Seele resultiert immer in einem latenten mangelnden Selbstwert.

Diesen versucht man zu kompensieren durch aufgeblähte Selbstkonzepte oder einem masslosen Bedürfnis nach Bestätigung durch Tätigkeit.

Lob und Bestätigung und was auch immer wir uns gebaut haben um unser kleines brüchiges Ich standhaft zu halten, sind Konstrukte, Produkte unserer Bedürftigkeit. Und damit eine halsbrecherische Bindung, ja Fesseln, weil wir ja kaum mehr ohne sie existieren können. An diese Einengung hat man sich dann einfach gewöhnt. Freiheit existiert erst, wenn man es sich getraut, auf das Gerüst zu verzichten. Das heisst, dass man sich durch alle Ängste hindurchfallen lässt – in die Aufgehobenheit als Seele.

 

 

 

Krishna spricht hier in der Hypothese, dass selbst wenn die Seele postmortem keine weitere Existenz hätte, gäbe es noch immer keinen Klagensgrund, da sie ja nun nicht weiter leiden könne.

Der Körper hat im Verhältnis zur ewigen Seele keine wirkliche Existenz. Ob man nun an die Existenz der ewige Seele glaubt, oder nicht – in beiden Fällen gibt es keinen Grund, den Verlust des Körpers zu beklagen.

 

 

 

2.27

Allem, was geboren wurde, ist der Tod gewiss, und ebenso sicher ist das Wiedergeborenwerden desjenigen, was gestorben ist. Darum solltest du über Unvermeidliches nicht klagen, nicht betrübt sein über unausweichliche Bestimmung.

 

Der Tod ist nur ein Durchgang. Wenn jemand in ein Zimmer verlässt und in ein neues Zimmer schreitet, sagen diejenigen, die sich im gleichen Zimmer aufhielten, er hätte das Zimmer verlassen – er sei gestorben und sind traurig. Und auf der anderen Seite sagt man, er sei nun hereingekommen – geboren worden und alle sind freuderfüllt. Dieser Vers weist darauf hin, dass das Durchschreiten der Todespforte und die Wiedergeburt eigentlich das gleiche Phänomen ist, einfach von zwei verscheidenen Warten aus gesehen.

 

„Was „Tod“ genannt wird, ist im Grunde genommen nichts anderes, als die Tatsache, dass man seine frühere materielle Identifikation vollständig vergisst. Wenn man von einem Körper zum anderen wandert, den man sich durch sein karma selber erschaffen hat, vertieft man sich derart in die genuss- und leidvollen Sinneseindrücke des neuen Körpers, dass man die Erfahrungen des vorangegangenen Körpers völlig vergisst. Und was „Geburt“ genannt wird, ist im Grunde genommen nichts anderes als die Tatsache, dass man sich wieder vollständig mit seinem neuen Körper identifiziert. Man akzeptiert diesen neuen Körper in der genau gleichen Weise als real, wie man die Erfahrungen während eines Traumes oder wie man gewisse Wunschvorstellungen für Realität hält. Und genauso wie man sich während  eines Traumes nicht an seine früheren Träume erinnern kann, so denkt man, nachdem man in den gegenwärtigen Körper eingegangen ist, man sei erst kürzlich erschaffen worden, obwohl man lange zuvor bereits existiert hat.“   (Srimad Bhagavatam 11.22.39-41)

Dem Körper ist das Ende gewiss, und die Seele kennt kein Vergehen – wofür also klagen?

Klagen war die eigene Verkrallung an einen alten Bezugspunkt, den man nicht aufzugeben bereit ist.

Wird aber dieser Bezugspunkt freiwillig verlassen, entzieht dies einem augenblicklich alle Grundlage zum Klagen.

 

2.28

Nicht wahrnehmbar ist der Anfang des Lebewesens, in seinem Zwischenzustand ist es wahrnehmbar (als jetziger Körper) und sein Ende ist wieder im Unsichtbaren. Was gibt es da zu beklagen?

Weder um die Seele gibt es etwas zu beklagen (2.20), noch um den Körper (2.27) und in diesem Vers fasst Krishna diesen Gedanken noch einmal zusammen.

Selbst zur Zeit einer kosmischen Auflösung bleibt die ewige Seele unmanifestiert bestehen, und ihr vergangenes karma und matra, der Tendenz der Anziehung gewissen Sinnesobjekten, wird in einer kommenden erneuten Schöpfung wieder neu aktiviert.

 

"O König, ob du nun den Menschen als eine ewige Seele ansiehst oder nur als einen materiellen Körper, in beiden Fällen gibt es keinen Grund zum klagen, da das eine unvernichtbar und der andere bereits im unvermeidlichen Prozess der Vernichtung ist. Der einzige Grund zur Lamentation ist täuschende Zuneigung, die zur Verhaftung führt." SB 1.13.44

 

Leben in der vergänglichen Welt ist ein beständiger Fluss. Zu diesem Fluss gehört es, dass das kurze, aber ganz besondere und individuelle Leben sich in unbekannter Weise verwandeln wird.

Oft ist man im Kampf gegen den Fluss der Veränderlichkeit verwickelt: Man versucht, Vorstellungen, die einem gerade lieb sind, zu erzwingen, und die ungeliebten abzuwenden. Man ist im Versuch, Herr über die flüchtige Endlichkeit zu werden.

Als Mensch kann man sich dafür entscheiden, diesen Fluss nicht nur zu akzeptieren, sondern ihn zu lieben. Damit lichtet sich die Verknüpfung mit der Zeitweiligkeit und die ewige Seele leuchtet durch.

Verlust geschieht unvermeidlich im Leben. Man verliert Besitz, Position und Status, und auch Menschen, die einem lieb und nahe waren.

Im Augenblick des Verlierens rebelliert das Ich, das glaubte, Kontrolle inne zu haben.

Er mindert die Position dieses Ichs. Man stellte sich vor, dass nun, wo die Ich-Instanz den Überblick verliert, ein endloser Ozean des Leidens übrig bliebe. Doch es war eine Täuschung, eine Selbstrechtfertigungs-Strategie des Geistes, der solche Szenarien generierte.

Man war programmiert, dass Verlust Unglück bedeute.

Exakt einen Schritt dahinter aber betritt man den Raum, der von der Erscheinung, die sich gerade auflöste, besetzt war. Das ist ein Raum der inneren Ausweitung.

 

 

 

2.29

Einige betrachten die Seele als wunderbar, andere beschreiben sie als wunderbar, und andere hören, sie sei wunderbar, und doch kennt sie keiner, auch wenn sie davon gehört haben.

 

Dieser Vers drückt das Geheimnis der Seele aus. Diese ist nicht in Worten beschreibbar und erkennbar. Sondern in der Ehrfurcht und der Faszination des Heiligen erst erahnbar. Dieses Geheimnis wird einen immer in Staunen versetzen und es bleibt immer ein Geheimnis. In dieser Welt bekommt man nur hie und a etwas von diesem Geheimnis zu erspüren, das sich selber manifestiert.

 

Diese Wunderkraft der transzendentalen Seele, die sich durch alle Körper hindurch ausdrückt – in einem Banyanbaum, in einen riesigen Elefantenkörper bis hin zu den kleinsten Mikroben – ist zweifellos erstaunlich.

 

In der Katha Upanisad (1.2.7) heisst es, dass die Möglichkeit, Unterweisungen über die Ewigkeit der Seele zu bekommen, einzigartig selten ist. Und selbst wenn man diese gehört hat, sind sie nicht realisierbar, weil ein Sprecher, der sie verwirklicht hat, noch seltener ist. Und wenn man das Glück hat, einen solchen Meister zu finden, so ist es noch seltener, Schüler zu finden, welche dem Thema wirklich aus Interesse Aufmerksamkeit schenken wollen, welche sich faszinieren lassen.

 

Krishna beschreibt drei Stadien dieser Faszination: dass man die erstaunliche Kraft der Seele sieht als eine inneres Wahrnehmen, dass man durch intuitive Weisheit sie beschrieben bekommt, oder dass man sie erkennt durch das Hören von Mantras, die die Kraft haben, sie wiederzuerwecken.

 

In diesem Staunen wird der Sadhaka herausgehoben aus den Trivialitäten des Alltags, welcher ein grosser Teil der Wahrnehmungskraft unseres Bewusstseins für sich beansprucht.

Krishna spricht den letzten Teil des Verses auch über die erstaunliche Illusion, dass, obwohl man über die Wunderkraft der Seele gehört hat, die Weisheit noch nicht unbedingt erwacht sein muss.

ahany ahani bhutani

gacchantiha yamalayam

sesah sthavaram icchanti

kim ascaryam atah param         Mahabharata (Vana-parva 313.116)

 

"Tag für Tag, Stunde um Stunde gehen unzählige Wesen ein in das Reich des Todes, aber diejenigen, die zurückbleiben (die vorläufig noch nicht sterben) denken und richten ihr Leben so ein, als würden sie für immer hier bleiben. (man hofft für das Dauerhafte im Vergänglichen, entgegen der eigenen Beobachtung in jedem Moment) Gibt es etwas, das Erstaunlicher wäre als das?

Die Auseinandersetzung mit der ewigen Natur der Seele soll ascaryata, Erstaunen und konstante Faszination in uns auslösen. Es ist die Stumpfheit des Alltags, welche diese brennende Ehrfurcht auf die gleiche Ebene setzt wie das profane Geschehen in der äusseren Welt um einen herum. Und wenn dieses Erstaunen über die Seele erlöscht ist das Reden nur noch ein leeres Kommentieren der Abläufe in der Welt der Elementen.

 

 

2.30

Die Seele, die in den Körpern aller Lebewesen residiert, ist ewig unzerstörbar. Daher brauchst du um kein Wesen zu trauern.

 

Jemand erlebt wie ein Zeuge verschiedenste Traumfantasien in der Nacht und bleibt dennoch derselbe. Das ewige Lebewesen, welches unendliche Situationen in unzähligen Körperformen erlebt, bleibt unveränderlich ewig dasselbe. Dieses Selbst ist unser wirkliches Sein.

Eine Person, die sich in der Identität der Seele verankert, reagiert nicht hypersensitiv auf das Geschehen in der Welt, da dies die Perspektive der Ewigkeit verdecken würde, und auch nicht stoisch herzlos. Er fühlt auch die Traurigkeit, wenn eine geliebte Person den Körper verlässt, bleibt aber dennoch im Innersten neutral und unbewegt, da er die Unbeständigkeit aller Dinge in der Welt versteht. Es wäre Dummheit, permanentes Glück zu erwarten durch das Verhaften an materielle Formen und Objekte.

Klage ist geboren aus Unwissenheit, aus Anhaftung und selbstischer Liebe, da man nur den gegenwärtigen Rahmen der Existenz sieht. Man trauert nicht um die Seele der Person, die den Körper verliess, sondern um den eigenen Verlust, das persönliche Entbehrenmüssen. In der Reduziertheit der Zeit-und Raum Kapsel, in der man Dinge als einen zugehörig betrachtet, bleibt die wirkliche Natur verborgen.

 

2.31

Angesichts deiner Kastenpflicht solltest du wissen, dass es für den Ksatriya nicht Besseres gibt als den rechtmässigen Kampf. Deshalb solltest du nicht zögern.

 

Jede Seele hat zwei Sva-dharma, ihm gegebene Pflichten. Die ewige beinhaltet den Liebesaustausch mit Gott und solange sie Seele sich noch identifiziert mit dem Körper soll sie auch diese Doppelrolle spielen ihres zeitweiligen Dharma, der Bestimmung in dieser Welt.

Diese vier Grundkasten der vedischen Kultur (den Artikel von Raja vidya kürzen) haben auch eine spirituelle Bedeutung, da sie eine Entwicklung einer jeden einzelnen Seele beschreiben. Sudras (kaya-Körper, stha – verhaftet, drin sein) ist eine Person, welche sich für den Körper hält.

Diese Fehlidentifizierung, diese Grundunwissenheit ist der Ausgangspunkt einer langen Reise in die spirituelle Freiheit.

Dann beginnt man Wissen zu erwerben (vaishya bedeutet „kultivieren), was die freiwillige Selbstversklavung lockert. Er pflegt das Feld seines Bewusstseins. Aber dann muss man dafür kämpfen (ksat – Gefahr, trayate – bewahren). Denn die Tendenzen der materiellen Welt wollen einen immer wieder im Gewohnten festhalten und es benötigt eine spezielle Bemühung, dem Innersten die Treue zu gewähren. Immer wieder kommen Invasionen sinnlicher Verlangen, Instinkte, Stimmungen, denen es zu widerstehen gilt.

Die Erkenntnis der Einheit aller Existenz löst alle Kämpfe auf und Friede kehrt ein. Friede kehrt ein im Land der Träume – man ist erwacht. Das ist die Bedeutung von Brahmana.

Die Kastenpflicht in diesem Sinne verstanden, ist dann einen Aufruf zur ewigen Aufgabe, die das Lebewesen hat: athato brahma jijnasa „Jetzt, wo man den seltenen menschlichen Körper erlangte, soll man ihn ausschliesslich für die Forschung nach Absoluter Wahrheit benützen.“

 

In diesen Versen (2.31-39) hält Sri Krishna Arjuna materialistische Argumente vor, die ihn aber nicht zum Kämpfen bewegen.

Am Anfang gibt uns Krishna das Oberflächliche, zu welchem die Seele auch einmal Nein sagen soll. In der spirituellen Praxis macht die Seele die Erfahrung, dass ihr verschiedenste Dinge gegeben werden, scheinbare Segnungen, welche aber nur neue Köder sind, die einen Widerhaken verbergen. Wenn man sich schon überschwenglich freut für das Geringe, wird man die Aussicht für das Umfassendere verlieren. Das wäre die falsche Selbstzufriedenheit.

 

2.32

Glücklich sind die Ksytriyas, denen sich unverhofft solche Gelegenheit zum Kampf bietet, da ihnen dadurch das Tor zu den himmlischen Planeten geöffnet wird.

 

Hiermit will Krishna nicht einen heiligen Krieg rechtfertigen, sakrale Gewalt gutheissen, sondern er benützt ein Lockmittel um die echten Motivationen in der Seele an den Tag zu legen. Arjuna, der den Sadhaka verkörpert, kann nicht Inspiration finden, Handlungsimpuls, in einer solchen Verlockung – nicht einmal in himmlischen Freuden.

 

Krishna legt immer alle Möglichkeiten hin. Wenn eine reife Seele sich von den verschiedensten Verlockungen nicht mehr blenden lässt, offenbart er erst seine wirkliche Absicht (Bhagavatam 11.11.32)

 

 

2.33

Wenn du dich jedoch diesem Kampf nicht stellst, wirst du Schuld auf dich laden, weil du deine Pflicht vernachlässigst, und wirst so deine Ehre als Kämpfer verlieren.

 

Was Krishna hier meint ist, dass Arjuna (die Seele auf dem inneren Weg) nicht nur nicht betört werden soll von den Verheissungen der Welt, sonder selbst bereit sein muss, Nachteile zu erdulden bis hin zum zivilen Selbstmord, der sozialen Schmach.

 

Die innere Berührung hat eine vollständige Verschiebung eigener Bedürfnisse zu Folge und Lebensinhalte, die einem zuvor unbeschreiblich wichtig waren, fallen plötzlich wie leere Hüllen weg. Der Wegfall vieler Interessen mag der Umgebung anfänglich unverständlich erscheinen. Man wird auch in Kauf nehmen müssen, von der Umgebung, die eines der stärksten Mittel ist, die Dinge beim Alten zu behalten, lächerlich zu erscheinen.

So stark ruft die innere Würde zum Rufabbau.

 

 

2.34

Für alle Zeiten werden die Menschen von deiner Schmach sprechen und für eine ehrenvolle Person ist Ehrlosigkeit schlimmer als der Tod.

 

Die weltlichen Motivationen zu einer Handlung sind tief in uns verwurzelt, weswegen Krishnas Lockmittel der bedingten Seele einen scheinhaften Sinn ergibt. Dies aber nur solange, wie man Krishna nicht kennt und die Liebe zu ihm nicht als Handlungsantrieb erlebt.

 

2.35

Die grossen Kämpfer werden glauben, dass du dich aus Furcht und Feigheit vom Kampf zurückgezogen hättest. Und diejenigen, die dich zuvor hochgeschätzt haben, werden dich fortan für unbedeutend und gering halten.

 

2.36

Deine Feinde werden schlecht über dich reden und deine Charakterstärke verspotten. Was könnte schmerzlicher für dich sein als das?

 

2.37

Enweder wirst du getötet werden und die himmlischen Planeten erreichen, oder du wirst siegen und ein Königreich auf Erden geniessen. Erhebe dich und kämpfe mit Entschlossenheit.

 

Manchmal werden einen zwei Möglichkeiten offeriert, von denen beide nicht annehmbar sind. Deshalb entscheidet sich Arjuna für keine der beiden und wartet auf neue Offenbarung. Im geduldigen Verharren werden neue Tore geöffnet.

 

2.38

Betrachte Freude und Leid, Sieg und Niederlage, Gewinn und Verlust als gleich. Bereite dich so zum Kampf vor, denn so wirst du niemals Schuld auf dich laden.

 

Zuvor (1.36) brachte Arjuna ein, dass er in einem solchen Kampf  Schuld auf sich laden würde. Sri Krishna erklärt auch dieses Argument für nichtig. Und dennoch bleibt Arjunas Zögern.

Der Grund zu handeln soll nicht einfach nur reines Gewissen sein, sondern Bhakti, Gottesliebe.

 

Verbindung zum nächsten Vers:

Krishna offeriert Arjuna hier ein weltlicher Gedanke: Wenn du gewinnst, kannst du die Welt geniessen und wenn du verlierst, kannst du in himmlischen Sphären geniessen. Es gibt nichts zu verlieren.

Aber der Angelpunkt ist ein Genuss, welcher um sich selber dreht.

Krishna offeriert nun denselben Gedanken der Unmöglichkeit des Verlustes im Sinne der Gotteszuwendung. Wenn man Ihn erfreut, dann bleibt dies bei Krishna für immer unvergessen und jeder kleinste Fortschritt auf diesem Pfad geht nie wieder verloren.

Auf Gott ausgerichtet alles in der Welt zu verlieren würde man demnach auch nicht als Verlust bezeichnen.

 

 

 

2.39

Bisher habe ich dir das Wissen von Sankhya erklärt (das Unterscheiden durch analytisches Studium). Höre nun, was das Yoga lehrt, das Tätig-sein ohne fruchtbringende Ergebnisse zu erwarten. Wenn du in einer solchen Einsicht handelst, überwindest du die Bindung durch Taten.

 

buddhya yukto bedeutet „durch Verstehen verbunden“ – hiermit will Krishna bereits andeuten, wie jede Seele ihren inneren Zwiespalt überwinden kann, das Gespaltensein zwischen dem, was man tut in der Welt und dem, zu welchem hin man letztlich bestimmt ist.

Yoga ist Einheit, Integration der gesamten Persönlichkeit und auch Versöhnung.

Das Gegenteil von Yoga ist die Neurose, der Zustand des Uneinig-seins mit sich selbst, verursacht durch den Gegensatz von Triebbedürfnissen und den Anforderungen der Kultur, rebellischer Unwilligkeit und Anpassungswillen sowie auch dem Spannungsfeld von kollektiven und individuellen Pflichten.

 

 

2.40

In dieser Bemühung für Yoga ist keine dazu dienende Anstrengung vergeblich und es gibt weder Verlust noch Minderung, und schon die geringste Ausübung auf diesem Pfad befreit einen vor grosser Furcht.

 

In Yoga gibt es kein Verfehlen. Krishna will Arjuna ermutigen, da er auf diesem Pfad nie verlieren kann und selbst der gescheiterte Yogi nimmt auch in einem kommenden Leben den Pfad einfach wieder da auf, wo er ihn einst verlassen hatte.

Tätigkeit, welche nicht in Yoga ausgeführt werden, sind vergeblich, erzeugen Verlust und sind von Angst geprägt. Das Mühen um materielle Sicherheit ist eine Fatamorgana.

 

2.41

Diejenigen, die diesen Pfad des Yoga beschreiten, sind entschlossen in ihrem Vorhaben, und ihr Ziel ist eins. Die Intelligenz der Unentschlossenen ist vielverzweigt

 

Ohne die ekatva, die Gerichtetheit des Bewusstseins auf ein Ziel, ist es immer in Bewegung im Horizontalen und der diskursive Verstand geht von einer Sache zur anderen. Es braucht die auf das Ziel gerichtete Entschlossenheit, damit das Bewusstsein geeint wird und zentriert in sich selbst und der Beziehung zu Krishna gerichtet bleiben kann.

 

Die einpünktige Ausrichtung des Bewusstseins entspringt der Faszination der erwachenden Gottesliebe. Allerdings ist es auf dem inneren Weg wesentlich, die Motivation zu dieser genau zu betrachten. Denn die heilige Einpünktigkeit entspringt einer radikalen Wahrheitssuche, der Angstlosigkeit vor jeglicher Konsequenz und der Liebe, die alles miteinbezieht. Wenn sie jedoch Bedrohung und die Unsicherheit des Ichs als Boden hat, wird es zur Ausrichtung eines Fanatikers oder eines Fundamentalisten, die äusserlich ja auch  auf das Eine ausgerichtet zu sein scheinen. Aber diese Konzentration entspringt nicht der Freiheit.

 

 

Die nächsten beiden Verse beschreiben Personen, die keine Einpünktigkeit haben.

 

2.42

Menschen mit geringem Wissen weisen die tiefe Bedeutung der Veden zurück und hängen sehr an den blumigen Worten der Veden, an die Buchstaben des Veda, welche manchmal auch das Verfolgen von himmlischen Freuden verherrlichen. Sie sehen nur die buchstäblichen Bedeutungen und sagen, es gäbe nicht anderes als dies.

 

 

Dieser und der nächste Vers beschreiben den Missbrauch Heiliger Schriften.

Aufgrund der Anhaftung an die materiellen Versprechen, welche solche Menschen aus den Heiligen Texten herauszulesen glauben, werden sie für andere Bedeutungen blockiert und können nichts Weiteres mehr erkennen. Speziell für Isvara-tattva, echte Gotteserkenntnis sind sie dadurch blind geworden.

Das Hauptthema, auf welches die Vedas hinweisen, ist Sri Krishna und die Liebe zu ihm, prema-bhakti. Wenn man diesem gegenüber gleichgültig ist, wird das Vermögen, Vertrauen zu schenken und die Intelligenz in scheinbar angenehme, äussere Bedeutungen missplaziert und daraus erfolgen unendliche Verwirrungen.

„Aus einer unwissenden Perspektive heraus erscheinen die ritualistischen Tätigkeiten in den Vedas, welche materielle Ziele versprechen, als ein erstrebenswertes Ziel. Obwohl es betörend anzuhören ist, haben sie keine Verbindung zur Absoluten Wahrheit und deswegen solltest du sie ignorieren.“ (SB 4.29.47)

 

Man kann heilige Texte lernen, ohne zu ihrem Wesen vorzudringen, sie von Anfang bis Ende durchstudieren ohne das Geringste vom Wort Gottes vernommen und erfasst zu haben.

In allen Traditionen findet man Ritual-Religiosität, die nichts weiter als ihren eigenen vordergründigen Nutzen sucht. Man betet um Wohlstand, Kinder, um Reichtum, um Glück – oder in besseren Fällen um den Himmel, um eine gute Vergeltung der Taten, um postmortem ein glückliches Leben führen zu können. Aber all dies sind ich-bezogene Wünsche. Vielleicht kann man sogar solche Wünsche erfüllt bekommen, wird dadurch aber niemals zufrieden. Wer so betet und zelebriert, erlangt nie Gottesliebe, weil er noch im ich gefangen ist und nach Selbsterfüllung trachtet.

 

Alle Worte bergen in sich ein Verwirrungspotenzial. Das rührt daher, dass jeder einzelne Mensch sie gemäss seinen eigenen Eindrücken versteht und interpretiert. So ist die Sprache nicht nur ein Mittel zur Kommunikation, zur communio, sondern auch zu unterschiedlichstem Verstehen und somit auch zur Verwirrung. Worte sind nicht Wahrheit, sondern verweisen auf Wahrheit.

Im Chaitanya Charitamrita (3.17.65) findet man eine berühmte Unterweisung, in der ein Kind nach dem Mond fragt. Der Lehrer verweist in Richtung Himmel, wo hinter einem Zweig der Mont hindurchleuchtet. Die Lehre warnt uns, den Zweig nicht mit dem Mond zu verwechseln.

Das Problem mit den Worten ist, dass sie Zweige sind. Sie können nicht der Mond sein. Im besten Fall sind sie durchlässige Zweige, sodass man nicht zu stark an ihrer wunderschönen Form hängen bleibt und durch sie hindurch wirklich den Mond beschauen kann. Im schlimmsten Fall sind sie belaubt, dass nur noch ein schwacher Schimmer hindurch leuchtet.

 

 

 

2.43

Ihre Herzen sind voll persönlicher Wünsche und Hoffnungen, sie betrachten ein Schwelgen im Himmel als das höchste zu erlangende Gut, fordern Belohnung im zukünftigen Leben für die Werke, die sie vollbracht haben, doch erhalten sie nur Wiedergeburt als Frucht für ihr Handeln. Sie befolgen religiöse Gebräuche, um dadurch Macht, Vergnügen und Ansehen zu erlangen.

 

 

Wenn man erkennt, dass eine Lehre oder eine eigene Überzeugung begrenzt war, dann ist das immer erst einmal eine Irritation im Geist. Es ist eine Art der Demütigung, die nicht so angenehm ist, sie sich einzugestehen. Sie besteht darin, dass wir etwas für das Letztendliche, für das Höchste, für die Wahrheit gehalten haben, und dann stellt sich doch heraus, dass man damit an einer Grenze angelangt ist.

Nun ist man an einem ganz wesentlichen inneren Punkt angelangt.

Der Irrtum braucht nicht verteidigt zu werden. Man schreitet dankbar weiter.

Das bedeutet nicht, dass das Bisherige weggestossen wird und abgewertet werden soll. Die differenzierte Betrachtung bildet kein eindimensionales Urteil. Alles behält seinen Wert bei und wird einfach ergänzt. Und manchmal dürfen auch Anschauungen ganz sterben.

 

 

2.44

Bei jenen, deren Geist eben von diesen blumigen Versprechen der Veden fortgetragen wird, und die an zeitweiligem Genuss (Vergnügen) und Reichtum (Herrschaft) hängen, und deren Denken durch dies Unbeständige abgelenkt ist, wird es unmöglich, sich mit entschlossener Willenskraft auf den Höchsten zu konzentrieren.

 

Die Sucht nach flüchtigem Momentglück verdeckt den Blick zur unvergänglichen Schönheit.

Genussmöglichkeiten und materielle Güter sind in sich nicht absorbations-feindlich. Es ist nur das Festhängen daran, was Tiefgang in der Meditation verunmöglicht.

Meditation, die egoistisch motiviert ist, offenbart einem durchaus gewisse Erfahrungen und lässt einen Versenkungszustand erlangen, der aber oberflächlich und vergänglich bleibt.

Für viele Leben benützte man auch spirituelle Übungen um sein Streben nach Vergnügen und Kontrolle zu realisieren. Das ist die Verinstrumentalisierung der Religion. Man kommt aber unvermeidlich zur Einsicht, dass eigennützige Motivationen einen nur an der Oberfläche belassen.

Inmittten dieses Schlachtfeldes der Welt, auf dem verbissen um Reichtum (Besitz) und Macht (die Ersatzfreude des Einflusses) gekämpft wird, darf man sich verneigen und auf diese Realität aufschauen, die einem augenblicklich den Traum beenden lässt. Sie war nur verstellt durch die Betäubung der Selbstbestätigung im Aussen.

 

Der Mensch denkt, es sei normal, Erwartungen an Menschen und Umstände um einen herum zu haben. Die Erwartung wächst an in Sehnsucht, in Sehnen, in Verlangen, in Wünschen, in Begierde….

Die Nichterfüllung solcher in der Psyche erwachsener Wucht führt zur Selbstentwertung, zu Sorge, zu Traurigkeit, Versagensgefühl, Verdruss und Depression.

Die Wurzel der Sorge lag aber nicht in der Ungereimtheit der Umstände, sondern in dem Mass der Intensität der Eigenerwartung.

Die Welt kann man nicht der eigenen Vorstellung gemäss zurecht biegen, aber es ist einfach, die Erwartung, wie man glaubt, dass sie zu sein hätte, zu korrigieren.

 

 

In den letzten drei Versen beschreibt Krishna den Geisteszustand besessen von Eigensucht. Nun spricht Krishna über das, was förderlich ist für die Absorption.

 

 

 

2.45

Die Veden handeln hauptsächlich von den drei Grundqualitäten (von der materiellen Natur). O Arjuna, erhebe dich darüber hinaus. Situiere dich jenseits aller materiellen Elemente und Konzepte. Sei frei vom Bann der Gegensätze und aller Sorge um Gewinn und Sicherheit (sei losgelöst von den  Tendenzen zu bewahren und zu erwerben), suche deinen Ruhepunkt in der ewigen Wahrheit und sei um Selbst verankert.

 

Krishna fordert die Seele nun auf, sich über die Veden zu erheben, sich nicht zu verlieren in Ritualen, Konfessionen und Unterschiedlichkeiten der verschiedensten Offenbarungen. Sie solle nun endgültig Abschied nehmen von innerweltlichen Idealen und Versprechungen, die die heiligen Schriften oft als Verlockung anpreisen, wie eine gute nächste Geburt, weltlichen Errungenschaften, Macht (Möglichkeiten zur Manipulation der innerweltlichen Zustände), und auch von der Momentan-Erleichterung der Erhebung auf höhere Sphären.

Aufgrund solcher Appelle von Krishna wird die Gita auch als das neue Testament Indiens angeschaut. Krishna offeriert neue Paradigmen und verwirft die Ritualpraxis, die glaubt, einfach durch Befolgung zum Heiligen zu gelangen.

Hier spricht Krishna eine Aufforderung, sich auf eine Wahrheit jenseits der Tyrannei der Gegensatzpaare zu konzentrieren. Er spricht von der Loslösung von der Gewohnheit, immer alles bewerten und beurteilen zu wollen, die einen immer ins Relative hineindrängt. Es ist nur ein altes Verhaltensmuster, das Vorbeiziehende als gut oder schlecht, liebenswert oder verabscheuungswürdig, angenehm und unangenehm anzusehen.

Diese Neutralität innerhalb der Dualität, die Freiheit in den Gegensatz-Paaren wie Anziehung und Ablehnung, Vergnügen und Schmerz, Erlangen und Verlust, ist eine grundlegende Freiheit, die jeder Seele zusteht, denn die Orientierung an den ziehenden Polen der Dualität führt nur zu Bindung.

Diese Gegensatz-Paare entstehen erst, wenn sich die Seele von der Wirklichkeit abwendet (7.27), und wenn sie diese Täuschung überwindet, kann sie Krishna mit starker Entschlossenheit dienen (7.28). Sie sind das Hindernis auf dem Pfad (3.34). Wenn sie diese Paare der Gegensätzlichkeiten transzendiert, ist sie ganz leicht von aller Bindung befreit (5.3), sie wird frei von der Täuschung (15.5) und sie wird nicht weiter gebunden (4.22).

 

Krishna will die Seele auch von der kleinlichen Existenzangst erlösen, der Bindung des Besitzes und Bindung des Schutzbedürfnisses, indem er ihr die Versicherung gibt, dass sie in einer höheren Führung eingebettet ist, die zu wirken beginnt in dem Masse, wie sie sich ihr auch anvertraut (9.22).

Es ist nicht zu bevorzugen, im Traum einen König zu sein und nicht ein Bettler. Es geht um das Aufwachen.

 

 

 

Im nächsten Vers beschreibt Krishna, was die Seele erlangt, wenn sie die gunas überwindet.

 

 

2.46

Was ist ein Brunnen wert, wenn auf allen Seiten das Wasser sprudelt? Genauso wertlos sind alle Vedas für denjenigen, der die Inhalte von ihnen überall wahrnimmt.

 

Dieser Vers bereitet manchen Ärger, aber seine Bedeutung ist klar. Jemand, der den Höchsten wirklich versteht, den Sinn des Wortes effektiv erkennt, der kennt den Sinn hinter all den Veden. Für ihn sind die geschriebenen Bücher überflüssig geworden und nicht mehr nötig.

Ein Weiser ist jenseits des Bücherwissens, denn er hat dieses in sich selbst geschmeckt und verdaut. Seine Vermittlung des Inhaltes ist nicht einfach nur Repetition des Geschriebenen, sondern deren Reflektion.

Wenn wir die Heiligen Schriften studieren, wollen wir nicht fundamentalistisch an den Buchstaben kleben bleiben, sondern darin das Wort Gottes entdecken. Der Geist des Heiligen ist versteckt in diesen Worten, Bildern und Begriffen und durch diese hindurch muss man das Wirkliche finden. Sri Krishna erklärt im Bhagavatam selber, dass er in den vedischen Mantras nur kryptisch, ganz verborgen, wahrzunehmen ist. Dass er nicht das Offensichtliche ist, dass er die Seele zur inneren Reflektion anregt, liebt er (mama ca priyam – siehe Srimad Bhagavatam 11.21.35 und 11.3.44)

Diese innere Bedeutung der heiligen Schrift wird einen geschenkt. Wenn man dies erfahren darf, braucht man all die Worte und Bücher nicht mehr.

Viele werden vielleicht nicht zu dieser Verwirklichung vorstossen, aber dennoch ist die Einsicht dieses Verses sehr wichtig. Denn zu oft gibt es die Gefahr der Vergötzung der Schriften, die Tendenz zum Fundamentalismus, in dem man sich an Worte klammert und über einzelne Verse streitet.

Jedes Wort der heiligen Schriften ist kostbar, aber man kann auch viele Leben damit verbringen, diese Worte zu studieren und auswendig lernen und doch niemals das Wort selbst, die Wahrheit, die sich in diesen Worten manifestiert, erlangen.

 

Im Vilapa Kusumanjali sagt Raghunnatha das Goswami „mukha-asvadan-vat“ (eine Taube Person kann liebliche Dinge fühlen, sie kosten, aber nicht in Worten ausdrücken)

So beschreibt er seinen Zustand. Im siddha-deha erlebt er den Liebesaustausch mit Radha Krishna, aber nichts in dieser Welt vermag dies nur annähernd zu beschreiben. Es fehlt die Fakultät dazu, die Möglichkeit. Heilige kosten die Erfahrung und legen sie aus Mitgefühl mit allen Seelen in schriftlicher Form nieder, wobei sie selber sagen, dass das nur ansatzweise möglich ist, nur Fragmente, die vielleicht den Duft, eine kleine Faszination davon vermitteln können. Denn die heilige Wirklichkeit ist nicht ausdrückbar in Worten dieser Welt.

 

Die heiligen Schriften sind eine Landkarte. Diese muss man allerdings auch zu lesen verstehen.

Sie verweist auf etwas, was sie selber nicht ist, so wie ein Stadtplan nicht die Erfahrung der Atmosphäre vermitteln kann, und eine Wanderkarte nicht den Duft der Blumen, den Wind der Alpen. Es ist kein Erleben der Landschaft, sondern nur ein Abbild, das um Dimensionen reduziert ist. Niemand geht Ferien machen auf der Landkarte Italiens.

 

 

Im Vers 2.39 hat Krishna Arjuna angewiesen mit einem gelassenen und ausgeglichenen Geist zuzuhören. Nun offenbart Krishna auch das Geheimnis, in diesem Gleichmut auch zu Handeln.

 

 

2.47

Bemühe dich nur um die Tat, niemals aber für die Frucht des Handelns (das Resultat). Halte dich nicht für die Ursache der Ergebnisse deines Tuns.

Das Resultat soll nicht den Beweggrund des Handelns sein, noch neige zur Untätigkeit.

 

 

Nicht-Verschmelzung mit der Handlung, die Grundlage wesentlicher Freiheit, geschieht, wenn man erkennt, wie Handlung sich unabhängig von meiner Bemühung ereignet und Ergebnisse sich einfach zeigen und nicht vollkommen in Relation stehen mit meiner Wunscheskraft und meiner Fähigkeit, wie ich es anstelle.

 

 

Arbeite um der Arbeit willen. Aber was diese Arbeit für ein Resultat bringt, ist immer in höheren Händen. Begierde nach den Früchten des eigenen Handelns bewirkt Besorgnis über einen möglichen Misserfolg und die Folge davon ist Verkrampfung und eine Unruhe im Geist.

Wenn man mit den Gedanken bereits bei den Endergebnissen ist, begibt man sich in einen Raum der Ängstlichkeit und kann nicht mehr frei handeln. Man verklebt sich mit der Arbeit und das Tun wird einen beeinflussen. Das verbaut den inneren Raum. (siehe 3.18)

 

Der Wunsch nach den Früchten lässt den Menschen glauben, er sei der Verursacher von Handlungen. Man kann nicht frei werden von den Früchten der Arbeit solange man denkt, man hätte sie verursacht. Anspruchslosigkeit für die Resultate macht einen frei.

 

„phalesu“ ist im Plural, da man meistens mehrere Ziele in der Handlung verfolgt, wie Reichtum, Ansehen, Beachtung, einen guten Ruf,

 

Einen Wunsch zu haben lässt einen Mangel erfahren. Die Umsetzung dessen macht einen zum Sklaven, die Nicht-Erfüllung schafft Leid, und die Freude aus der Erfüllung des Wunsches ist nur die Geburtsstätte von erneuten Wünschen und man wird gezwungen, neue Tätigkeiten auszuführen mit dem Wunsch, deren Früchte zu ernten. Im Verstehen dieses Kreislaufs wird die innere Würde angesprochen, und von da entsteht von innen her einen Wunsch nach anhaftungslosem Handeln. Die Erwartung nach der Vergeltung verknüpft einen mit der Handlung.

 

Viele Menschen tendieren in der Erkenntnis dessen zur Faulheit, Untätigkeit und Müssigkeit, denn dies führt genauso wie der Wunsch nach der Frucht zu Bindung. Trägheit und verlängertes Schlafbedürfnis sind nur Ausdruck von tamasische Freude (18.39) und das Verhaften an das Resultat ist nur Rajas Freude.

 

Dieser Vers beschreibt eine wunderschöne Symbiose von Weltabwendung und Loslösung und dann aber dennoch wieder der Zuwendung und das tun, was verlangt wird.

niskama karma yoga (ein Handeln ohne Anhaftung an das Ergebnis) ist verhaftungsfreies Handeln.

Die Freiheit von den Verhaftungen ist da einfach das Unbekümmertsein für persönlichen Gewinn oder Verlust in der Handlung. Dass dies etwas anderes ist als die Gleichgültigkeit oder die Inaktivität wird in der Bhagavad Gita exemplarisch vorgezeigt.

 

Durch den Gleichmut, der auf der Stabilität des Bewusstseins auf die Seele beruht, kettet sich die Handlung nicht mehr an die Gegensatzpaare und äussert sich nicht mehr auf der Ebene der Widerstände und Freuden, sondern enthüllt sich als reiner Akt, unbefleckt von der materiellen Energie.

 

Paradox klingend, aber der Geist von Suddha-bhakti ausdrückend:

„Vertraue so auf Gott, als ob der Erfolg deiner Arbeit ganz von dir und nicht von Gott abhinge; wende aber darauf allen Fleiss an, als ob du nicht und Gott allein alles vollenden werde.“

 

Loslösung von der Sinneswelt, vom Hin und Hergerissensein-Sein des dualistischen Geistes, von äusseren Ritualen und Schriftbedeutungen ist notwendig, damit wir zur Bewusstheit der Seele gelangen. Aber dann erwacht eine Lebendigkeit in der Seele, wenn sie all diese Lähmungen ihrer Projektion ins Äussere abgestreift hat, die nicht zu vergleichen ist mit dem, was sie vorher "Enthusiasmus für weltliches Leben" nannte.

Aus dieser Liebeskraft der Seele entspringt ein neues Handeln, ein Dienen, welches aber nicht mehr bindet, sondern befreit. Es ist das Handeln, das keinerlei Vergeltung sucht und erwartet.

Die Handlung ist befreit von der "Ich-Bezogenheit", obwohl das bedingte "Ich" immer handelt mit einer Zweck-sucht, einer Resultatsgebundenheit.

 

Wir können aber den Anteil Egoismus in der Handlung prüfen und überwinden lernen, wenn wir unsere Gefühlsreaktionen beobachten. Sind wir wegen des Versagens zu deprimiert (oder aufgrund der Angst, versagen zu können, zu verkrampft) oder im Erfolg zu überschwenglich, dann zeigt dies an, dass unser weltliches "Ich" am Werk ist. Überlässt man das Ergebnis, den Ausgang der Handlung Sri Krishna, dann wird man in jeder Situation gelassen und zufrieden bleiben, ja sogar glückselig (prasannatma BG 18.54), denn diese Zustände sind das Produkt der Bhakti und nicht dem Resultat meines Mühens.

 

Krishna erklärt im zweiten Teil des Verses, dass man nur aufgrund der  Loslösung an das Resultat, die Handlung dann nicht aus Indifferenz völlig belassen soll (auch nicht an der Vorstellung der Unterlassung der Arbeit hängen). Dann wäre der Gleichmut eine Ausrede zur Faulheit und zur mangelnden Disziplin.

 

 

 

Das wäre die entgegengesetzte Gefahr, dass wir die Lehre der Indifferenz gegenüber den Resultaten des Handelns missverstehen und meinen könnten, das Handeln hätte überhaupt keine Bedeutung und sollte nur desinteressiert oder ohne Motivation nebenbei geschehen.

Im Gegenteil: Alles sollte mit ganzem Herzen getan werden, investiert, was menschenmöglich ist - und dann die Angelegenheit Krishna überlassen. Selbst im Falle des Versagens werden wir dann nicht vom Schmerz überwältigt.

 

 

Das Paradoxe ist, dass der Weg der Weltüberwindung über die Welt und unser Involviertsein in ihr, also die Arbeit, führt. Er geht über das Kennenlernen der Dinge, über die Freude an den Dingen, und kommt so zur Erfahrung und zur Erkenntnis vom Wesen der Dinge, bis der Geist schliesslich aller Dinge ledig wird - und damit frei.

 

Nicht Handeln heisst nicht hoffen noch intervenieren.

 

Im SB 1.5.12 heisst es, dass das Charakteristikum der ewigen alldurchdringenden Ausstrahlung Gottes (brahman) niskarma, Inaktivität, ist. Naiskarmya ist jenes Tun, das in einem Geist des Nichthandelns ausgeführt wird.

Denn selbst wenn man gelernt hat, die Tätigkeit in einem Geist der Loslösung für die Frucht zu machen, so ist das noch nicht wirklich Karma Yoga. Denn man mag sich für den Ausführenden der Tat halten – und damit ist ganz fein auch ein Anspruch für die Frucht verbunden. Deshalb sagt Krishna hier: ma karma phala hetur bhur: „denke nicht, dass deine Arbeit die Ursache für die Frucht sei.“ Eine Person ist fleissig, aber sein Geschäft ist eine Flaute, und das Geschäft vom Faulen mag wunderabar blühen. Denn die Frucht, die wir in diesem Leben ernten ist nicht direkt verbunden mit unserem Bemühen, sondern ist die von Krishna gegebene karma-phala (karmische Frucht) aus Tätigkeiten vergangener Leben.

Wenn man nun Zuflucht sucht im angenehmen Gefühl, man hätte es selber erarbeitet, dann ist das einen Zustand der Illusion.

Wenn man nun nicht die Befriedigung hat, die Frucht der Arbeit zu geniessen und mich auch nicht vom Glücksgefühl nähren soll, die Arbeit gut und erfolgreich gemacht zu haben, dann hat man doch allen Grund, die Arbeit gar nicht zu tun.

Darauf hin sagt Krishna: ma te sanga stvakarmani „sei auch nicht angehaftet, die Arbeit nicht zu tun.“.

Daraus kann nur eine transzendentale Mentalität erwachsen.

Jede einzelne Tätigkeit wird still ausgeübt ohne dass man aus ihr selber Erfüllung erwartet. Ihre Verrichtung ist nicht ausgerichtet und fixiert auf das Resultat, und will auch nicht verändernd in die Welt eingreifen. Sie ist geordnet um die einzige Mitte von allem: Gott, Sri Krishna, zu erfreuen.

 

 

Angenehme und unangenehme Umstände machen niemanden glücklich oder traurig. Wenn man sich mit den Umständen identifiziert, den Raum des Seelenbewusstseins aufgibt, wird man plötzlich der Erleber von Glück und Unglück. Introspektion lässt einen wieder zurücktreten aus dieser künstlichen Identifikationswelt und sich als Seele erleben, welche unberührt ist.

 

Krishna hat Arjuna angewiesen zu handlen. Nun erklärt er ihm, wie er Gelassenheit behalten kann auch während er handelt.

 

2.48

Handle in der Grundhaltung des Yoga (in Andacht), wobei du die Verknüpfung deiner Handlungen mit den Resultaten aufgibst und Gleichmut bei Erfolg und Misserfolg bewahrst (sie als gleich betrachtet). Diesen Gleichmut immer zu bewahren – das ist Yoga. 

 

Ist der Gleichmut des Geistes nicht ein langweiliger Zustand?

Dann gibt es keine AUFs und ABs mehr

Alles ist in Balance….

Wo ist dann die Würze des Lebens in dieser Gleichförmigkeit?....

So spricht nur jemand, der noch nie die Faszination des Ewigen erahnt hat.

Gleichmut ist nicht die Nivellierung aller Erfahrungen. Nicht die Normierung der Erfahrungen. Man begegnet einfach dem Fluss der Prakriti, dem Angenehmen und dem Unangenehmen in der gleichen Haltung der Freude, welche unterhalb der Gegensätzlichkeiten beständig existiert.

Gleichmut hat die Kraft, sich nicht von den Momentaufnahmen von Glücks-und Leidenserfahrungen bestimmen zu lassen.

Die Glückseligkeit in Momenten unglaublichster Beschenktheit ist nicht grösser als diejenige in Momenten  grosser Verlassenheit.

 

Erfolg ist tiefer als nur das Erfüllen eigener Vorstellungen. Handlungen ohne Erwartung nach Vergeltung führen zur Reinheit des Herzens. Durch bhagavad-arpita (die Ergebnisse des Tuns Gott zu übergeben und zu überlassen) erfolgt citta-suddhi, die Reinheit des Inneren und von da kommt wirkliches Wissen.

Menschen, die in der Dualität gefangen sind und nicht in der Gleichmut des Yoga verankert, bevorzugen relatives Glück und kämpfen gegen Leid.

Ein Geschehen ohne dass man man seine eigene persönliche Geschichte daran hängt und haftet ist ein neutraler Vorfall, ein Vorgang in der Schöpfung, eine Bewegung in der Prakriti, ein Vorkommnis ohne Beteiligung.

 

Ein Bekannter von mir war als spiritueller Sucher in Indien. Er erzähle mir, wie er sich irgendwann auf einer Bahnhofstoilette befand, buchstäblich bis zu den Fussgelenken in menschlichen Fäkalien stehend, dabei aber Gefühle von überwältigender Gelassenheit und Glückseligkeit verspürte.

Die äusseren Umstände definieren unsere innere Erfahrung nicht.

Schmerzhafte und unerwünschte Situationen wird es immer geben. Aber Leiden entsteht nur durch die Haltung des kleinlichen Ichs, dem Leben, wie es ist, zu widerstreben und seine eigene Vorstellung, wie es doch sein könnte, durchzudrücken.

 

 

Deswegen ist es so wichtig, die Abläufe in unserem Bewusstsein, die automatische Reaktionsmuster geworden sind, genau zu verstehen:

 

 

Ablauf im Verstand

 

Citta

-undifferenzierte Wahrnehmung

-reine Kognition (Manas in Sattva)

-Registrierung des Geschehens

-erhalten des Phänomen-Inputs

-Notieren des Erhalts einer rohen Daten-Erfahrung ohne Etiquetten (Interpretationen) 

 oder Bezeichnungen daran zu hängen

            -keinerlei Bewertung, keine Wert-Beurteilung

            -reine Schau

            -reines Geschehen, ein Ereignis ohne Erlebnis

            -Geschehnis ohne eine Geschichte darangehängt

            -neutraler Vorfall, ein Vorgang innerhalb der Schöpfung, eine Bewegung der Prakriti

 (materiellen Energie), ein Vorkommnis ohne Beteiligung

 

 

anubhavah

 

            -Rekognition, Empfindung

            -Aufgefasst, erkannt und vorgestellt

            -identifiziert, was wahrgenommen wurde vom Bewusstsein

            -unterscheidet, etiquettiert und kategorisiert die hereinsträmenden Daten

            -macht Abwägung, Auswertung, Bewertung, Beurteilung (positiv / negativ) gemäss

 der eigenen Vergangenheit, gemäss seiner Geschichte, gemäss den Erfahrungen der

 Vergangenheit. Wichtig: Es ist nicht das objektive Geschehen, das das Erleben zu

 etwas Angenehmen oder Unangenehmen macht, sondern die Einordnung und

 Interpretation des Geschehens.

-Wenn ein Wert angehängt wird zu den hereinkommenden Daten, wird der

 Sinneseindruck angenehm oder unangenehm.

 Krishna definiert Yoga als Ausgeglichenheit zwischen dem Angenehmen und Unangenehmen (Bhagavad gita 2.48), was nicht anderes bedeutet, als einfach im citta zu bleiben, in der reinen Wahrnehmung.

 

 

kalpana

 

            -Gefühl, Empfindung, Sensation

            -sie setzt sofort ein, nachdem Bewertung vorgenommen wird

            -Signal, dass etwas passiert

            -Sobald der Input Wahrgenommen wird, identifiziert und eingeordnet ist, geschieht die

             Gefühlsempfindung. Nun sind die Sinne involviert, aktiviert worden

            -jetzt wird es eine Impression des Sinneseindrucks

            -Solange der Input nicht bewertet wird, bleibt er neutral und wirkt nicht auf einen.

             Wichtig: Man wird beeinflusst durch das Geschehen durch das eigene Setzen der

 Interpretation. Das Geschehen kann nicht geändert werden (da es nicht von einem

 selber kommt), aber die Interpretation setzt man selber und ist deshalb änderbar.

 

 

Karma (sankalpa)

 

-Das ist die natürliche Reaktion, Reziprokation, Antwort auf die vorhergehenden Abläufe.

            -der Reflex, die Erwiderung auf der grobstofflichen Ebene, die natürliche Wirkung auf

 die Sinneserfahrung, die Folge, die Fortsetzung eines Ablaufs im Bewusstsein

→ viele Spiritualisten (und Religionen) da nun ein moralisches Regulativ davor zu stellen, was natürlich nur zu einer Vergrösserung der inneren Anspannung führen kann.

 

-Wenn der Sinneseindruck angenehm interpretiert wurde, führt das zu:

              Wunsch, die Erfahrung zu verlängern, zu intensivieren

              Zu Verlangen, Appetit, Lust, zu vermehrten Forderungen, Begehren, Gier, zu einem

  Streben

 

 

            -Wenn der Sinneseindruck unangenehm interpretiert wurde, führt das zu:

             Wunsch, die Erfahrung zu stoppen, irgendwie aufzuhalten, Widerstand dagegen zu

 leisten, sich dagegen zu stämmen, Abstossen, Abneigung, Widerstreben, Widerwillen,

 Abscheu und Ablehnung

 

 

Und man merkt gar nicht, wie beide das Gleichgewicht des Geistes stören und aufwühlen.

 

Krishna sagt asantasya kutah sukham: wo kann es Glück ohne Frieden geben? Ohne Ausgeglichenheit und Friede im Verstand….

 

Letztlich ist die Ursache von Leid: das Reagieren des Verstandes. Und dies geschieht aufgrund der avidya, der Unwissenheit der eigenen wahren Natur (ewige Seele zu sein).

 

 

Beispiel:

1. Das Ohr funktioniert, hört ein Geräusch

 

2. Geräusch wird wahrgenommen als Worte und hat dann gemäss der Wertung eine positive oder negative Assoziation.

 

3.Wenn Worte einem ehren, hat man ein gutes Gefühl, Stolz….

 Wenn die Worte einen kritisieren und beleidigen, hat man unangenehmes Gefühl, Wut, Zorn….

 

4.Wille zum Mehr oder man Wille, es zu stoppen

 

 

 

 

 

 

Nun erklärt Krishna die Überlegenheit der Gelassenheit (die er von 2.39-2.48 erklärt hat) zu einer selbstischen Handlung.

 

2.49

Die Verhaftung an Resultate (handeln mit Selbstsucht) ist bei weitem geringer als Erkenntnis (Handeln mit geebnetem Geist frei von Ambition). Nimm deshalb Zuflucht in Einsicht.

Bedauernswert sind diejenigen, welche in der Erwartung von Belohnung handeln. 

 

Hier spricht Krishna davon, dass Handeln in Loslösung in tieferer Erkenntnis gipfelt, was bereits substanzhafter ist als die Erfüllung eigener Hoffnungen durch das Handeln. Dann wird das Handeln wirklich bedeutsam, aber nicht für das Sichtbare im Äusseren.

Krishna wertet das Tätigsein aus innerer Ruhe heraus als effektiver als sich in ängstlicher Besorgnis um Vergelt zu ringen.

 

Nun erklärt Krishna das Resultat der Augeglichenheit des Geistes

 

2.50

Wer verbunden ist mit Erkenntnis (der Gelassenheit des Geistes, die das Resultat ist von der Loslösung an die Frucht des Handelns) befreit sich schon in diesem Leben von guten und schlechten Handlungen (und ihren Ergebnissen). Strebe deshalb nach Erkenntnis.

Yoga ist die Kunst des Handelns.


Verhaftung an die Dinge stammt aus mangelnder Selbstverankerung.

Gute und üble Taten hinter sich lassen – diese Formulierung kann zu Missverständnissen führen. Der Grundgedanke ist, dass Gut und Übel zum Bereich der Dualitäten gehören. Das Gute ist in diesem Sinne immer ein begrenztes und relatives Gutes. Und solange man sich in der Dualität herumstreitet, begrenzt Gutes vom begrenzt Üblen zu unterscheiden, bleibt man eben in der Dualität hängen und erkennt nicht die Realität darüber.

Dies ist natürlich keine Rechtfertigung für unmoralisches Handeln. Yoga beruht immer auf Yama und Niyama (siehe 3.41) sondern es bedeutet, sich durch das relative Gute nicht die Wirklichkeit verdecken lassen.

Alle wollen Leid überwinden. Wenn sich Möglichkeiten dazu bieten, ist jeder bereit. Der Gegenpol des Leids und der Mühsal ist die Bequemlichkeit, das Schöne in der Welt. Da zu verweilen oder es gar zu ersehnen bedeutet, sich gleichzeitig auch wieder an den Pol des Leides zu klammern.

 

Yoga ist Geschicklichkeit im Handeln, gemäss der Ordnung in der Natur, dem Rhythmus des Universums. Es ist das Handeln in vollkommener Harmonie.

Yoga-kausalam ist erlangt wenn die Bemühung nicht mehr vom Verstand gelenkt wird, sondern natürlich spontan erfolgt.

 

Nun gibt Krishna Beispiele, um zu belegen, was er gerade gesagt hat. Das ist die Einzigartigkeit Krishnas. Er ist die absolute Wahrheit und braucht nichts zu beweisen. Wenn er es dennoch tut, will er damit nicht autokratisch wirken, sondern unseren Blick auf die Weisen der Vergangenheit richten, die den Pfad zur Aber er tut es dennoch.

 

2.51

Grosse Weise gaben alle Verhaftung an die Früchte des Handelns auf. So wurden sie befreit von der Bande an Geburt (von der Fessel der Wiedergeburten) und erlangen den Ort der Leidlosigkeit (die spirituelle Welt).

 

Krishna bezieht sich in der Gita immer wieder auf selbstverwirklichte Weise. Dies ist Ausdruck seines madhurya-Aspektes (siehe Kommentar zu 10.3), da er als Arjunas Freund nicht zu autoritativ wirken möchte.

 

 

2.52

 

Wenn deine Erkenntnis-Kraft aus dem dicken Wald der Verblendung herausgetreten ist, wirst du gleichgültig werden gegenüber allem, was gehört wurde und was noch zu hören ist (über diese Welt und die nächste).

 

(Hören bedeutet auch den Hörsinn, den Tastsinn, Seh-, Geschmacks- und Geruchs-Sinn.)

 

Es ist natürlich, dass die Welt endlose Erwartungen an einen stellt.

Viele Leben ist man gerannt, im Versuch, ihnen zu entsprechen.

Irgendwann ist man bereit und  entscheidet sich, zu erkennen,

dass sich die Wellen des Ozeans

auch ohne sein eigenes Zutun hin und her wiegen.

 

So wie Menschen ein Schwein beäugen – wie dick es bereits ist, damit sie es verspeisen können – werden ständig persönliche Erwartungen an einen angehängt.
Es wird viel geredet und gesprochen und wertvolle menschliche Lebenszeit verstreicht und versiegt.

Eine innere Dringlichkeit ruft zum Erwachen auf.

 

Wenn man erkennt, wer man wirklich ist, sich als unvergängliche Seele erkennt, wird man teilnahmslos zu allen Reaktionen, die vielleicht noch kommen mögen. Die Ausrichtung soll Wirklichkeit sein. Die Seelen haben ihren Bezug zur Wirklichkeit vergessen und identifizieren sich als Resultat mit dem Körper. Dadurch haften sie an der Umgebung des Körpers, der materiellen Schöpfung.

Alle suchen nach Unendlichkeit ... aber im Endlichen, und werden dadurch "unendlich" umhergetrieben --in samsara. Aber nichts lässt einen stehen bleiben, schenkt einem das anfangs Verheissene. Anhalten kann man erst bei dem, nachdem ich eigentlich sucht --  in der intensivsten Liebesbeziehung – bei Krishna. Sehnsucht fliesst immer zum Unbegrenzten.

 

Auch in heiligen Schriften und ihren Auslegungen findet man oft nur Konflikt und Konfusion. Krishna ermahnt uns auch da, nicht an einer äusseren Offenbarung zu hängen, sondern vollkommen von innen her vereint und geführt sein.

 

Krishna meint aber nicht nur innere Indifferenz zu allem, was in dieser Welt gehört wird, sondern auch zur Widersprüchlichkeit der verschiedenen Offenbarungsschriften.

 

Nachdem man den Sumpf der Täuschung überwunden hat, mag erneute Verwirrtheit in der Seele auftauchen, indem sie gegensätzliche spirituelle Lehrmeinungen hört. Krishna fordert die Seele auch auf, da herauszugelangen.

 

Ananda mayi Maa sagte zu einer erblindeten älteren Frau, die darüber sehr betrübt war:

„Es wird Zeit, dass du die inneren Augen öffnest. Gott hat dir geholfen, indem er deine äusseren erblinden liess. Das, worauf es im Wesentlichen ankommt, hast du in einem langen Leben mit den äusseren Augen nicht gesehen.

Glaube mir: was du mit den inneren Augen sehen wirst, ist unendlich viel schöner, als was du je mit den Augen der Welt sehen konntest.

 

Die Aufgewühltheit und Zermürbtheit an der Krankheit ist eine Form des Auflehnens gegen Gott.

 

Gerade heilige Menschen beantworten das Jammern und Wehklagen mit einem Lachen… gerade weil es im Wesentlichen darum geht, die mentale Involvierung mit dem Leiden zu unterbrechen. Das nimmt der Krankheit die Tragik und schenkt mitten in der Unannehmlichkeit die Gelassenheit. Denn hinter den irdischen Verwesungsprozessen erwartet uns Unvergängliches, ein Licht, in dem unsere menschlichen Dunkelheiten nur wie der Schatten einer Fliege auf einer weissen Mauer sind. Das Kranksein wird dadurch relativiert und verliert dabei das Einvernehmende. Wenn das Bewusstsein nicht mit der Banalität der Oberfläche beschäftigt ist – und die Erkrankung des Körpers ein Bestandteil dieser Banalität der Oberfläche - , sondern bewusst hingelenkt wird auf Sri Krishna, ist es absolut unbedeutend, ob die wechselnden Zustände für das kleine Ich gerade angenehm oder unangenehm sind.

Das ist genau, was Krishna hier meint: yada gantasi nirvedam…

„Dann wird man gleichgültig zu allen erlebten Zuständen innerhalb des Unwirklichen, innerhalb dessen, was sich verändert….“

Man hat einen bequemen Alltag. Massvoll angenehm, durchaus erträglich..

Das sind die leidlich lauen Tage eines tief unerfüllten Menschen.

Tage ohne besondere Schmerzen, ohne besondere Sorgen, ohne eigentlichen Kummer sind keine erfüllten Tage.

Doch die wirkliche Beschenkung Gottes wird einem erst gewahr, wenn man das Leben jenseits der alltäglichen Lauheit, jenseits des „zufriedenen Leidens“, in die Wahrheit manövriert.

Aus der Ungewissheit des Lebens heraus beginnt man nach Ersatzsicherheiten zu suchen, die man oft mit Wahrheit verwechselt.

Dies nennt man dann «Volksreligion» -  Vorstellungen, welche einen über Jahrhunderte vermittelt wurden, Glaubensthesen, die selber der Ich-Identifikation entstammen.

Der innere Weg ist nicht mehr interessiert an Strohhalmen, die vermeintlichen Halt liefern. Er führt in die Bereitschaft, allen Halt loszulassen aus dem tiefen Grundvertrauen heraus, dass darunter tragende Substanz existiert.

Dort erst wohnt der wahre Gott.

 

 

 

 

 

2.53

Wenn die Vernunft nicht mehr von den heiligen Schriften verwirrt wird (von deren verschiedensten Interpretationen), und unbeirrt in tiefer Versenkung (Samadhi) bewegnungslos verharrt, erst dann wirst du yoga (die Beziehung zu Krishna) erlangen.

 

Oft ist der eigene Verstand verwirrt von einander widerstreitenden Ideen und Philosophien und unterschiedlichen Ansichten der verschiedenen Glaubensbekenntnissen. Erst wenn er stetig und nicht abgelenkt in der Betrachtung des wahren inneren Selbst verweilt, ist Yoga möglich. Das Dilemma der abweichenden Glaubensansichten ist verwirrender als die Unterschiedlichkeiten in weltlichen Angelegenheiten.

 

„Unter dem Einfluss der illusionierenden Kraft Gottes wird alles, was man sagt und tut, ein Widerspruch mit der Wahrheit sein.“ (11.22.4)

„Wenn die Aufmerksamkeit auf Gott gerichtet ist, versöhnen sich die unterschiedlichen Anschauungen und auf diese Weise ist die Ursache von allem Zwist aufgelöst.“ (11.22.6)

 

Denn wenn jemand die Anhaftung hat, Recht haben zu wollen, dann wird die Wahrheit immer unverstehbar bleiben. Sie kann nur in einer gelösten, stillen und wirklich suchenden Bewusstseinshaltung erkannt werden.

 

In der Trans-Kognition, in Samadhi, der Sichtweise, in welcher man in seinem innersten verankert ist, wird erst Einsicht in die Realität möglich. Und wo echte Verwirklichung existiert, braucht es kein Argumentieren mehr. Das wird eine Gewissheit geboren, die aller Infragestellung stand hält.

 

Es geht Krishna nie um Konzepte und Lehrmeinungen, aber um eine Lebensart, in der man durchlässig wird, die Natur der Seele, der Welt und von Gott zu verstehen.

 

Krishna erklärt auch, dass die Schriften nur in Samadhi (in unbeirrter Versenkung) verstanden werden können.

Gemäss Vedanta gibt zwei Arten von Wissen.

Das heilige Studium bezieht sich nicht auf Information, die mit den Sinnen aufgenommen werden und einem zuvor noch unbekannt waren.

Es zielt hin auf eine Erweckung von bereits in unserer Seele angelegter Weisheit.

In der Sanskrit-Sprache werden diese beiden sehr genau voneinander unterschieden:

 

 

Zwei Arten von Wissen

 

 

                                           

indriya-paratantra-jnan (durch Sinne aufgenommen)

Alles, was im Geist ist, hat zuerst seinen Eingang über die Sinne gefunden. Exterozeption.

 

Es wurde von aussen zugeführt.

Es ist eine Art von Wissen, die durch Bemühen, Wissensaufnahme und Erfahrung in diesem Leben herrührt.

 

Der Gehalt dieser Art von Wissen ist auf die Welt bezogen.

 

 

svata-siddha-jnan (offenbart)

 

Dieses Wissen wurde nie durch die Sinne aufgenommen.

Das ist das inhärent in der Seele ruhende Wissen, das nicht erworben, sondern nur erweckt werden muss.

Es leuchtet durch die Gotteshingabe wieder auf und manifestiert sich in tattva-jnan (man erkennt die Grundprinzipien der Welt).

 

Es ist kein Produkt von Studium oder Imagination, sondern ist die Verwirklichung, wenn sich die Seele der Ewigkeit wieder zuwendet.

 

Man hört auf, durch die Sinne Sinn zu erhaschen wenn man erkennt, dass Sinn inhärent ist – gottgegeben.

 

 

Alle Veden sind svata-siddha und erzeugen eine innere Resonanz in einer Seele in Samadhi.

 

 

 

 

 

Arjuna stellt nun die Frage nach der Seele, welche aus dem Wald der Täuschung herausgekommen ist und die stetig und standhaft in der Absorbation in Gott ist.

 

2.54

Arjuna sprach:

Welche Merkmale weist jemand auf, dessen Weisheit beständig ist und der sich in der Bewusstseinsruhe befindet? Wie mag dieser im Geist Gefestigte wohl sprechen, und was sind seine Worte? Wie sitzt er, und wie geht er?

 

Es scheint zuerst, als wollte Arjuna versuchen, den Sadhaka anhand von äusseren Merkmalen zu erfassen.

Er fragt zuerst, wie er sitzt. Im Sitzen, in der Absenz von physischer Aktivität, erfolgt das Nachdenken. Arjuna möchte also zuerst die innere Ausrichtung einer selbstverwirklichten Seele verstehen und erst danach die äussere praktische Umsetzung davon („wie geht er?“).

Reagiert ein Sadhaka mit Worten, wenn er in Kontakt kommt mit Freude und Leid, mit Ehre und Schmach, mit Verherrlichung und Kritik? Oder schweigt er einfach? Wie geht eine befreite Seele mit seinen Sinnen in Beziehung zu Sinnesobjekten um?

 

Würde man die Selbstverankerung nur anhand körperlicher Verhalten beschreiben, entginge  einem die Essenz und das Innenleben verkäme zu einem moralischen Leben.

 

 (Das ist die erste von 16 Fragen, die Arjuna in der Bhagavad gita Krishna stellt: 2.54, 3.1, 3.36, 4.4, 5.1, 6.33, 6.37, 8.1-2, 10.16, 11.3, 11.31, 12.1, 13.1, 14.21, 17.1, 18.1)

 

2.55

Wenn ein Mensch alle Arten von Begierden aufgibt, die den Wunschvorstellungen des Geistes entspringen, und wenn sein kontrollierter Geist in der glückseligen Natur des Selbst allein Zufriedenheit findet, dann sagt man von ihm, er sei im transzendentalen Bewusstsein verankert.

 

Die Zuordnung von Eigenschaften auf die Aussenwelt, ist willkürlich. Dass man Verlust und Tod als zu vermeidende Dinge betrachtet ist eine ebensolche selbstgesetzte Platzierung. Da diese eigenmächtig getätigten Attributierungen der Aussenwelt oft nicht kongruent sind mit der Wirklichkeit, sind sie Strukturen, die Leiden produzieren.

Im Abbau von ihnen wohnt nicht die Auslöschung des Eigenen inne, die man sich über Äonen angstvoll ausgemalt hatte, sondern nichts als Erleichterung.

 

 

Die Seele auf dem Pfad zu wirklicher Erkenntnis wird die oberflächliche Suche nach Glück als Leiden erfahren. (Patanjali yoga sutra 2.15)

Für die wirkliche Hinwendung zu Gott muss die Seele durch den Entzug der Oberflächen-Sucht, durch die Ödnis, die der Schatten einer Suchtwelt ist, hindurchgehen.

Viele halten diese Sucht nach Oberflächen-Glücks-Suche auch im Namen eines inneren Weges aufrecht.

 

Sri Krishna lehrt, dass man in seinem tiefen Herzensgrund, in der Seele, leben kann und darin alle Freude erfährt, die man sonst künstlich in einer äusseren Welt zu kompensieren sucht. Dieser Zugang wird möglich, wenn man die Identifikation mit den Wünschen, die nicht die wesenseigenen sind, aufgibt. Kama ist das grosse Hindernis. Man kann es übersetzen mit selbstsüchtigem Verlangen innerhalb der Identifikation mit dem grob und feinstofflichen Körper.

 

Die Wünsche, die im Tagesbewusstsein und in Träumen im Bewusstsein auftauchen sind nicht unsere eigenen. Sie sind nicht das Dharma der Seele (die intrinsichen ewigen Wünsche der Seele im Liebesaustausch zu Krishna, denn sie kann die Seele niemals aufgeben,  so wie Feuer sich nicht der Hitze – ihres Dharma – entledigen kann. Diese Wünsche tauchen auf aufgrund der mentalen Gemeinschaft mit Dingen in weiter Vergangenheit (samskara) und man beginnt sich in ihnen Erfüllung und Freude zu erhoffen durch Identifikation mit ihnen. Eigentlich sind sie Ursache von Leid. Im Aufgeben von ihnen ist bereits mehr Freude als in ihrer Erfüllung.

Die Seele wünscht sich nie die Bedürfniserfüllung der Sinne. Im Erfahrungsreservoir des Geistes tönen Echos aus vergangenen Erlebnissen nach. Wenn man etwas Angenehmes erlebt hatte, möchte man diesen Umstand wieder generieren. Anhaftung wurde generiert. Im Falle von leidvollen Ereignissen ist in uns eine Abneigung gespeichert. Jede Repetition dieser Wertungsstruktur, dem „natürlichen“ Wollen und Ablehnen aufgrund vergangener Ereignissen, verstärkt die Identifikation mit den Umhüllungen. Krishna sagt hier, dass die erleuchtete Seele ganz genau erlebt, dass alle Ambitionen, Wünsche und Antipathien nur ein Produkt des Geistes sind. Ein Wiederholungsmuster uralter Vergangenheit.

Durch diese klare Erkenntnis entschwindet auch der Druck, solch äusseren Impulsen die Aufmerksamkeit zu schenken und dadurch weiterhin von ihnen bestimmt zu sein. 

 

Alles Glück und alles Leid, alle Anziehung und Ablehnung enstammen dem linga sarira und nicht dem grobstofflichen Körper. Diese Konzepte werden kondensiert (ghanibhut) und erscheinen nun als grobstoffliche Bedürfnisse. Der grobstoffliche Körper besteht aus den fünf Elementen, welche alle gar nichts wahrnehmen. Wenn mein Auto kein Benzin mehr hat, ist nicht das Auto durstig.

Ich bin hungrig, durstig, müde und jada-sanga-sukha (den Freuden in der Gemeinschaft toter Materie, Sinnesbefriedigung sind also nur mentale Vorstellungen im feinstofflichen Körper und ebenso Glück und Leid, Anziehung Ablehnung.

 

Glück ist ein Geisteszustand, der aus der Sattva herauskommt, und nicht die Kongruenz mit äusseren Umständen ist.

Es sind nicht die Dinge oder Umstände, die uns beunruhigen, denn der Geist wird erst erregt durch die Art, wie man über die Dinge und Umstände denkt. Das objektive Geschehen ist nicht veränderbar, aber die eigene Interpretation davon, die Art und Weise, sie zu erblicken, ist umgestaltbar. Das ist die Harmonisierung zwischen Fatalismus und Hyperaktivität.

 

 

 

Sthita prajna ist kaum übersetzbar. Es ist eine Weisheit, ein Verstehen, eine Haltung gegenüber dem Leben, beständig in der Transzendenz zu leben, Konstanz in allen Situationen behaltend.

 

 

2.56

Jemand, dessen Geist nicht gestört ist, selbst wenn er alle Leiden erfährt, und der in Erfahrungen der irdischen Freude frei von Begierde und Verlangen bleibt und der frei von Anhaftung, Angst und Zorn ist, wird ein Weiser mit stetigem Verstand genannt.

 

Vergnügen uns Schmerz sind die Dualitätspole. Jede Seele jagt dem Vergnügen nach und versucht, Schmerz zu vermeiden. Im Verlangen nach dem einen Pol folgt der andere sehr bald nach. Im Greifen nach dem einen Pol schwingt der andere gleich mit und man wird gebunden im Ablauf endloser Gegensätze.

 

Wenn die Anhaftung, die Erwartungshaltung losgelassen wird, weil man sich als ewige Seele nie benachteiligt fühlt und ihr auch nichts weggenommen werden kann, führt dies zu Angstlosigkeit und Friede. Dann wird auch das Aggressionspotential, der Zorn, überflüssig. Denn Erwartungen sind vormeditierter Groll.

 

Der erste Instinkt eines Babys verlangt nach Vergnügen – der Wärme und dem Trost der Mutterbrust. Wenn das Baby dieser Dinge beraubt ist, wird es ärgerlich und schreit als Ausdruck davon. Alle Menschen durchlaufen diese Emotionen: Sucht nach Vergnügen und dann Zorn und Ärger, wenn dieser einem verhindert wird. Viele Menschen bleiben aber dabei stehen und gehen wie Kleinkinder durch das Leben. Mit Verlangen und Zorn ist unmittelbar die Furcht verbunden, denn man muss immer fürchten, dass das Vergnügen einem genommen werden könnte.

In dieser emotionalen Spannung, in welcher sich die meisten Menschen befinden wird Zugang zur Tiefe verunmöglicht.

 

 

Nehmen wir einen Menschen, der glaubt, ein relativ glückliches Leben zu haben – weil er einen Partner hat, weil er genug und feine Dinge zu essen hat, weil er Freunde hat, die ihn lieben, weil er Kinder hat, die ihm viel Freude schenken,….

Entzieht man diesem Menschen nun eine Zeitlang die Welt, indem man ihn zum Beispiel in einen dunklen Raum einschliesst, wird es vermutlich nicht lange dauern, bis dieser „glückliche“ Mensch in einem Loch landet, in seiner eigenen Hölle, von der ihn die äussere Welt abgelenkt hatte.

Der Prozess der permanenten Ablenkung von diesem inneren Loch nennt man Verblendung.

 

Wenn die Aufnahmefähigkeit der Seele (buddhi) der Seele zugewandt wird, dann nennt man sie „nach innen gerichtet“.

Die Wendung nach innen ist nicht das, was man im Westen Introspektion nennt, was bedeutet, dass man sich dem feinen Inhalt des Geistes zuwendet.

Der Atma ist nie Beobachter der Weltgeschehens, sondern nur latent auf die Gottesbeziehung wartend.

 

 

 

2.57

Wer in der materiellen Welt von nichts, was ihm widerfährt – sei es günstig oder ungünstig -, berührt wird und es weder begehrt noch sich dagegen stämmt, ist fest in der Weisheit verankert.

 

Freiheit von aller weltlicher Zuneigung bedeutet nicht Gefühlslosigkeit. Solche Menschen fühlen Zuneigung und Mitgefühl frei von weltlichen Bezeichnungen. Sie haben in der Traumwelt des Relativen nicht Vorzüge oder Abneigungen, denn genau diese würden den Scheinwirklichkeitsgehalt des Traumes verstärken.

Es gibt zwei Arten von Zuneigung:

-sopadhika – sneha  (Liebesgefühle in der Identifikation mit dem groben und feinen Körper)

-nirupadhika – sneha (Mitgefühl zum eigentlichen Lebewesen. Wirkliche Nächstenliebe, die konstant aus ihrem Innersten fliesst.)

Das Geheimnis der Weisheit besteht darin, frei von Bindung zu sein, d.h. ohne Anhaften. Es bedeutet nicht, dass man Vergnügen und Schmerz nicht mehr wahrnimmt oder dass man von Erfolg und Versagen nicht betroffen würde, sondern nur, dass man darin nicht gestört ist.

In der Loslösung von dem kleinen Ich kann man das Erfreuliche und das Unerfreuliche mir Gleichmut akzeptieren.

Wir glauben, durch eine spirituelle Übung unsere kleine Welt gegen das Damokles Schwert des drohenden Verlustes zu verteidigen. Aber auch die Erleuchtung schützt nicht gegen die Vergänglichkeit des Vergänglichen.

Aber wenn man in der Weisheit verankert ist, berührt einem das Unvermeidliche nicht mehr.

 

 

2.58

Wer fähig ist, seine Sinne (und Gedanken) von den Sinnesobjekten zurückzuziehen, so wie die Schildkröte alle Glieder in den Panzer einzieht, ist unerschütterlich in der Weisheit gegründet.

 

Wenn man dem Geist den eingebildeten Wert, den er in die Sinnesobjekte hinein projiziert hatte, entzieht, zerfällt augenblicklich auch der Sog zu den Sinnesobjekten hin.

Der Geist funktioniert angewohnheitsmässig im Herumirren durch endlose geistige Welten. Er ist durch die Sinne auf einer Shopping-Tour und sucht eigene Nahrung… Erfahrungen in der Aussenwelt.

Diese alte Struktur des Geistes, das von ihm gemachte Selbstbild, will nicht glauben, dass die Einstellung jeglicher Agitation durch die Sinne nicht Langeweile, sondern tiefer Frieden bedeuten kann. 

In der Identifikation mit den Hüllen ist die bedingte Seele Reizen von aussen ausgesetzt. Und wenn man seine Aufmerksamkeit nach aussen richtet, folgen die Sinne automatisch nach.

Es ist die Würde der aufwachenden Seele, sich da wieder ganz zurückzunehmen.

 

Die Seele in der Identifikation mit der Materie versucht durch ein paar Sinneslöcher hindurch die Welt zu kosten. Genau diese Haltung verstärkt die Dunkelheit der Einlullung mit Materie.

Die Seele hat Anrecht auf Unendlichkeit. Aber durch die Fixierung auf die paar Sinneseindrücke, die durch die Sinnestore aufgenommen werden können, verliert man den Blick auf die Welt jenseits der Erscheinungen.

 

Krishna vergleicht hier ein stitha-prajna (ein in der Seele verankerter Weiser) mit einer Schildkröte. Er schaltet die Sinne, die wie Aufmerksamkeitskanäle ins Aussen sind, ab. Er lebt und definiert sich selber nicht mehr aus dem Impuls der Sinne her. Dies tut er nicht als einen Gewalts-Akt, weil er die äussere Welt als Leidenstal erfahren hat, sondern aus tiefen Vertrauen in die Seele heraus. Dass darin eine grössere Freude existiert erklärt Krishna gleich im nächsten Vers.

 

Verbindung zum nächsten Vers:

 

Nun geht Krishna aber weiter und erklärt, dass einfach nur das Zurückziehen der Sinne, was in der spirituellen Praxis einen Anfang bilden mag, noch nicht genug ist, und den in der Weisheit verankerten Menschen noch nicht vollständig umschreibt.

 

 

2.59

Es hilft wenig zu üben, sich von irdischen Freuden zu enhalten (durch negative Einschränkungen), da die Erinnerung und dadurch die Anziehung an sie bleibt. Doch selbst diese Verlockung weicht von dem, der das Höchste geschaut.

 

 

Nicht das Aufgeben ist schwer, sondern der Widerstand dagegen... das, was sich der Geist alles ausmalt, was geschehen könnte, wenn.... Dies wiegt schwer und bedeckt die inhärente Leichtigkeit des Seins.

Man braucht mit den Inhalten des Geistes nie in einen Kampf zu treten. Die Auseinandersetzung mit unserer persönliche Geschichte der Vergangenheit, Prägungen und Traumatas...  ist letztlich immer noch eine Beschäftigung mit dem Unwesentlichen.

Deshalb sagt Krishna in der Gita (2.59), dass nun anstelle des Kampfes mit dem Alten die Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt werden darf.

Erst da erkennt man, wie Äonen des Widerstandes umsonst waren.

Wenn das Bewusstsein nur auf die Weltphänomene gerichtet bleibt, erscheinen diese erstaunlich und anziehend.

Der innere Weg soll aber nie in einen Widerstreit mit der Faszinationskraft zur Welt hin treten. Das würde nur die Aufmerksamkeit binden und absorbieren. Er möchte die Gabe unseres Bewusstseins nur auf die Radha Krishna hinlenken…. In diesem Kontext Gottes wird die gesamte Welterfahrung relativiert…

 

„O mein Herr, wie wunderbar doch deine Geweihten sind! Sie betrachten den König der Flüsse als eine kleine Hand voll Wasser, die Sonne als ein kleines Glühwürmchen, den Meru-Berg als ein Erdhäufchen, die Weltherrscher als unbedeutende Diener, einen grossen Haufen von Cintamani-Juwelen als einfach nur Kieselsteine, kostbarste Kalpa-Druma-Bäume (wünsche-erfüllende Bäume) bloss als ein paar Stecken und die gesamte Ausdehnung aller Welten als einfach nur einen Stroh-Haufen…“ (Aus: Padyavali)

 

 

Die Sehnsucht des Wesens, nichts mehr mit der Welt zu tun zu haben, geschehen oft aus traumatischen und bedrohlichen Erfahrungen und man glaubt nun, durch das Verlassen des Körpers und der äusseren Welt, der Gefahr zu entkommen.

Das ist ein Entschwinden in die Schwäche und nicht in die Freiheit.

Der Weg zu Gott bedarf der Anziehung zu ihm, und darin verschwindet die Unannehmlichkeit der materiellen Welt.

 

Die Logik dieses Verses funktioniert nur einseitig. Krishna sagt, dass wenn jemand den Geschmack an Sinnesfreuden einstellt, ist nicht unbedingt ein höheren Geschmack der Gottesbeziehung vorhanden. Das können viele bezeugen, die sich längere Zeit Entberhungen auferlegt haben oder gefastet haben. Der Reiz von Sinnesobjekten ist nur in einem latenten Stadium und kann wieder aufblühen. Jemand, der krank ist, hat auch zeitweise keinen Geschmack mehr am Essen, was sich aber mit seiner Genesung wieder ändert. Aber umgekehrt funktioniert es: Wenn jemand die ewige Verbindung des ewigen Lebewesens mit dem ewigen Gegenüber erfährt, werden diese Kompensationsgelüste nach der äusseren Welt aufgehoben.

 

Nirahara (wörtlich: nicht essen) bezieht sich natürlich auf sämtliche Sinnestätigkeit. Klang ist ahara für das Ohr, Gerüche ist ahara für die Nase etc

Sinnliche Dine üben keinen Reiz mehr aus auf denjenigen, der kein Verlangen mehr nach ihnen hat. Mental gesteuerte Verlangen werden sogar grösser, wenn die Objekte einem entzogen werden. Viele wundern, sich, dass sich ihr Durst nach materiellen Dingen vergrössert, wenn sie sich ihnen enthalten. Sie sind erst im Vorhof des inneren Weges, der darin besteht, Freude aus der Begegnung mit Krishna  zu erleben.

 

In der wertfreien Perspektive stehen maya und bhakti zunächst neutral nebeneinander.

Wenn Dinge mit einer negativen Wertung besetzt werden, gleicht das einer Verfluchung.

Diese Verfluchung führt zu einer künstlichen Gewissensnot. Man darf den Menschen ihre Anziehung an die materielle Energie nicht vergraulen.Diese verschwinden, sobald der höhere

Geschmack stark genug ist, um die materiellen Freuden mit dem zu ersetzen, was sie wesentlich suchen. Dies geht ganz natürlich und wächst nach und nach heran. Durch zu hohes Angst- und Bedrohungspotenzial besteht die Gefahr der Zerstörung der feinen Sehnsucht nach Gott. Das läuft alles ohne Zwang, ohne Gebote und Verbote, ohne

unterdrückte Regungen, ohne sensorische Deprivation. Aber auch das ist gefährlich. Denn

man muss dem Einzelnen seine unbedingte Souveränität einräumen, man hat keine

Kontrolle mehr über sein Verhalten und gibt ihm die Macht über seine Handlung in die

Hand. Es hängt dann vom Urteilsvermögen des Einzelnen selbst ab, was er tut. Die hier

entfaltete Strategie gibt dem Einzelnen diese Selbstbestimmung in die Hand.

 

Die Seele, die ausserhalb der Gottesbeziehung lebt und versucht, diese Sehnsucht nach der Gottesheimkehr mit den Weltdingen zu substitutionieren, wird zu einem gänzlich masslosen Wesen. Die Intervention von Sadhus, deren Gottesliebe immer fasziniert,  gewährt der endlosen Gefrässigkeit Einhalt.  Dies geschieht nicht durch Disziplin und einer bewussten Anstrengung des Einstellens, sondern durch die erkannte freudige Erfahrung, dass unsere wirkliche Heimat nun nicht mehr weit ist.

 

 

Nun erklärt Krishna die Folge, wenn dieser Geschmack nicht endet.

 

2.60

Die Macht der Sinne ist so stark, dass sie sogar den Verstand von jemandem, der Unterscheidung besitzt und bemüht ist, sie zu beherrschen, gewaltsam fortzerren.

 

Selbst wenn man den Weg kennt, kann das Gemüt wieder ins Alte zurückfallen. Aus diesem Grund soll die spirituelle Schulungspraxis sich weniger mit Regulierung und Zurückhaltung der Sinne beschäftigen, sondern vielmehr mit der Ausrichtung auf Radha-Krishna. Es ist wunderbar zu erkennen, dass die Eigenbemühung nicht ausreicht. Die Versuchungen sind dem Menschen, wie lästig und beschwerlich sie auch sein mögen, von grossem Nutzen, weil er durch sie gedemütigt, geläutert und auf die Gnade Gottes zurückgeworfen wird. Feuer bewährt das Eisen und Versuchung den spirituell Suchenden.

 

Im nächsten Vers erklärt Krishna wie man die erregten Sinne, die sogar gewaltsam auf einen sich Mühenden einwirken, kontrollieren kann.

 

2.61

Deshalb solltest du die Sinne kontrollieren indem du dein Bewusstsein ganz auf mich richtest und in mich vertieft leben. Nur derjenige, dessen Sinne durch göttliche Kraft beherrscht sind, nennt man in der Weisheit gefestigt.

 

Der Erkenntnis der Unmöglichkeit der Sinneskontrolle soll uns dazu hinführen, Gott tief in unserem Herzen zu erfahren und unser Herz an ihm anzuheften. Wenn wir auf unsere eigene Vollkommenheit aus sind, dann wird die Sinneskontrolle unsere ganze Energie in Beschlag nehmen. Dann  spielt sie eine viel zu wichtige Rolle. Wenn wir Eigenschwächen ganz neutral zulassen und wenn wir uns von ihnen immer wieder auf Krishna hin ausrichten lassen, dann haben sie eine positive Bedeutung. Dann werden sie unserem spirituellen Leben Wärme und Freude, Liebe und Frieden, Lebendigkeit und Weite schenken. Dann bedrohen sie uns nicht. Sie erinnern uns vielmehr immer neu daran, dass nicht souveräne Kontrolle, sondern allein die Hingabe an den lebendigen Gott Ziel unseres Lebens ist und dass unsere Sehnsucht in der Liebe Gottes erfüllt wird. Aber unsere Sehnsucht wird sich nur von Gott ausfüllen lassen, wenn wir unseren sinnlichen Wünschen nicht einfach nachgeben und sie als Naturnotwendigkeit hinstellen, sondern wenn wir unser verwundetes Herz Gott hingeben, damit er es heilt und mit seiner Liebe erfüllt.

 

 

 „Es ist fast eine Unmöglichkeit, die Sinne zu beherrschen in dieser Welt. Aber wenn alle Sonne im Dienste Gottes, Hrisikesha, des Herrn der Sinne, eingesetzt werden, werden sie von ihm gebändigt und gelenkt.“ (Caitanya Caritamrta 24.184)

Hier erwähnt Krishna das erste Mal, dass er selber das Ziel des Yoga darstellt.

 

Verbindung zum nächsten Vers:

Wenn ein Übender sich mit Herz und Seele Gott hingibt, wird er die Sinne kontrollieren und der Geschmack für die Sinnesfreuden der Vergangenheit wird entschwinden. Was geschieht mit denjenigen, die sich entscheiden, sich ihm nicht hinzuwenden? In den nächsten zwei Versen gibt Krishna da Antwort.

 

 

2.62

Wenn jemand nach sinnlichen Dingen trachtet, so wird sein Herz von denselben angezogen. Aus Anhaften entsteht Begehren (Wünsche) , und aus (unerfüllten) Begehren entsteht Zorn.

 

2.63

Aus Zorn entsteht Verstandesverwirrung; aus dieser das Vergessen von geistig bereits erkannten Wahrheiten (das Schwinden der Gedächtniskraft), aus Gedächtnisverlust entsteht Verlust von Unterscheidungsvermögen, und daraus völlige Entfremdung.

 

Oberflächenwahrnehmung, die in die Welt gerichtete Aufmerksamkeit, ist reaktiv, d.h. sie reagiert auf die Geschehnisse in der äusseren Welt. Dabei wird die wesentlichste Eigenschaft der Seele – das stille Ausrichten auf das, was einem zutiefst wesentlich ist, übergangen und man verbleibt in alten Mustern der Konditionierung. Dann wirken nur unterschiedliche Variationen angewöhnter Wünsche und Haltungen.

 

Hier beschreibt Krishna dieAbwärtsspirale in die Verstrickung hinein.

Entsprechend der Gemeinschaft, das heisst der Bewusstseinsausrichtung, entwickeln sich Wünsche. Ein Nachdenken über weltliche Reize entwickelt Bindungen an diese. Bindungen an Sinnesobjekte haben vergrösserte egoistische Wünsche zu Folge. An Erfüllung gehinderte Begierden bewirken Zorn. Zuerst erscheint im Gemüt ein einfacher Gedanke, daraus folgt mächtige Einbildung, danach die Leidenschaft und darauf folgt die Einwilligung.

 

Im Zustand der Aufwühlung vermag man nicht mehr auf vergangene Erfahrungen und Erkenntnisse zurückgreifen. Dadurch wiederholt man alte Fehler immer wieder und da die überprüfende Instanz der Beobachtungsgabe bereits bedeckt ist, erkennt man sein Im-Kreise-Drehen nicht einmal mehr.

 

Wir sind auf der konstanten Suche nach Unendlichkeit ... aber im Endlichen, und werden dadurch "unendlich" umhergetrieben --in samsara (im Zyklus des Weltgeschehens). Aber nichts lässt uns stehen bleiben, schenkt uns das anfangs Verheissene. Anhalten und verweilen konnen wir erst bei dem, nachdem wir wesentlich suchen --  in der intensivsten Liebesbeziehung – zu Gott. Sehnsucht fliesst immer zum Unbegrenzten.

 

Pranasyati – völlige Zerstörung meint, dass das wichtigste Gut, Zeit, verschwendet wird, was den grössten Verlust für den Aufenthalt der Seele in einem menschlichen Körper darstellt. Die Chance der Freiheit wollte man nicht nehmen

Vergessen, das Ausblenden der Wirklichkeit, ist ein allmählicher Vorgang

 

„Lieber Syamasundara

 

Mein eigentlicher Feind ist die Zerstreuung meiner Gedanken, die durch berufliche Sorgen (Existenzängste) und zu häufige menschliche Kontakte (Versozialisierung, Oberflächlichkeit und Absorbation in Nebensächliches) hervorgerufen wird. Dadurch wird mein Gebetsleben, die Glut des Herzens,  lau. Die Lauheit meines Herzens entsteht mit meinem Vergessen Deiner Gegenwart, Deiner Nähe.

 

krsna- bahirmukha hana bhoga-vancha kare

nikata-stha maya tare japatiya dhare

 

Das Lebewesen fällt augenblicklich der äusseren Energie zum Opfer, wenn es sich zu sehnen beginnt, über sie zu bestimmen und zu herrschen. Und dieser Wunsch ist nur das Resultat seiner Abwendung vom Antlitz Gottes.

 

 

"Da das Lebewesen Krishna vergessen hat, fühlt es sich seit unvorherdenklichen Zeiten zu seinem äusseren Aspekt (der materiellen Energie) hingezogen. Deswegen leidet es unter der täuschenden Energie Gottes." (CCM 20.117)

 

Aber dieses Vergessen ist nichts Plötzliches. Es geschieht auch in meiner alltäglichen Begegnung mit Dir immer wieder.

Du rückst zunächst mehr und mehr an die Randzone meines Bewusstseins und wirst immer weniger zum Mass meines Lebens. Dann bestimmst Du mein Denken, Urteilen und Handeln nur noch gelegentlich und ohne Tiefenwirkung und Nachhaltigkeit. Schliesslich spielst Du dann nicht die geringste praktische Rolle mehr in meiner Lebensauffassung und -führung. Das bedeutet Verlust und Trennung und unweigerlich auch Verlorenheit.

 Ich vergesse Deine Gaben, das, was Du mir bereits alles geschenkt hast, dann Dich selbst, dann das Verständnis, dass ich allein in Dir Erfüllung finden kann, und zuletzt vergesse ich auch noch die Gefahr, ohne Dich leben zu müssen. Der Gedanke an den Tod verblasst und die gesamte spirituelle Domäne verschliesst sich mir. Ist dann mein Vergessen vollkommen, so erkaltet das Herz und es verliert seine Sensibilität für das Heilige. Und so sinke ich in einen Zustand der Gleichgültigkeit, bald auch der Nachlässigkeit und Sorglosigkeit herab. Daraus erfolgt, dass mein Sadhana, meine heilige Aufgabe - Dein Geschenk an mich - auf später verschoben, dann aber schon bald ganz unterlassen wird. Dann beginne ich wieder ein Leben nach meinem eigenen Stil, in unbesorgter Nachlässigkeit, im Vergessen von Dir und der erflammten Liebe zu Dir - ich suche nur noch meine eigene Befriedigung. Selbst wenn ich nicht gerade sündhaft lebe, so ist doch auch nichts mehr von der Faszination Deiner wunderbaren nama, rupa, guna und lilas zu finden - es ist wieder dasselbe leere Leben, das ich doch einmal angewidert verlassen wollte.

 

Lieber Krishna, ich möchte nicht in diesen Abgrund fallen, weswegen ich mich vor dem ersten Schritt hüten möchte - der Verzettelung meiner Gedanken im Gebet. Ich möchte gesammelt vor Dir sein, im Gedenken an Dich und Deine göttliche Realität, denn so bewahre ich auch die Fühligkeit in Dich. Das gesammelte Gedenken und die Sensibilität werden mich zum Eifer entzünden. Und nur das wird dann wirkliches Leben sein.

 

Als Mensch bin ich ja aufgefordert in der Übungshalle dieser Welt mir dieses "ja" wieder anzutrainieren. Und zwar in jedem Augenblick, denn dies ist der einzige Freiraum, den ich habe. Ich kann zwar die Vergangenheit bereuen und die Zukunft erhoffen, aber ich habe den winzigen Handlungsspielraum des Jetzt, des momentanen Augenblickes.

Durch jeden Umstand, dem ich hier begegnen werde, durch jedes Ding, das ich sehe, durch jede Aufgabe, die zu tun ist, durch jede Begegnung, die ich erfahre, kann ich die Vereinigung mit Deinem Willen vollziehen, und dadurch mich in Deine Gegenwart begeben.“

 

 

Krishna spricht nun weiter über den stetigen Weisen. Er antwortet auf Arjunas Frage, wie der Selbstverwirklichte gehe. Krishna antwortet, in dem er ein transzendentales Verhalten beschreibt. „In der Welt, aber nicht von der Welt.“

 

 

Durch den Dialog mit Gott, in welchem man Gott nicht für Eigenbedürfnisse instrumentalisiert, erwächst der Weg, den Aufbruch in ein intensiveres Leben zu wagen.

Ein Leben, in welchem nicht mehr aussergewöhnliche Erfahrungen macht und erhoffte Dinge zu geschehen haben, sondern in welchem man sich einfach nur einlässt und ergibt.

 

Darin liegt die Gnade.

Der Selbstkontrollierte Weise, der frei ist von Anhaftung und Ablehnung, erlangt Seelenruhe (Glücklichkeit im Verstand), auch wenn seine Sinne mit den Objekten der Sinne in Berührung sind, wenn er die Objekte der Sinne geniesst.

 

Wenn diese Milde und Seelenruhe nicht als Ziel angesehen wird, führt sie zu Gotteserkenntnis. Er sieht die Objekte der äusseren Welt alle in Beziehung zu Gott. Eine verwirklichte Seele mag Sinnesobjekte aufgeben oder auch nicht – er bleibt frei vom Verlangen nach ihnen. Seine Freude ist nicht reduziert auf das, was einem Sinnesobjekte geben können.

Wenn man sich in einer Welt umherbewegt, die von Sinnenreizen gefüllt ist, und doch von Anhaftung an diese oder von Abneigung gegen sie frei zu sein vermag, dann stellt sich ruhige Heiterkeit ein.

Krishna beschriebt hier nicht Unterdrückung der Sinnlichkeit. Die Seele bewegt sich frei in der Welt ohne Dinge an sich zu raffen oder sie zurückzustossen.

Das ist die richtige Anwendung der Sinne.

 

Nur schon in diesem Verweilen jenseits der Dualität (von Anhaftung und Ablehnung) erfährt man ein weit höheres Glück als im Absorbiertsein in ihnen und ihren Hoffnungen, die assotiative Verfremdungen des ursprünglichen Eigeninteresses sind.

 

Dies bedeutet nicht, die Sinne zu unterdrücken oder sie auszulöschen, sondern es ist eine Frage des Lernens innerer Kontrolle. Es geht darum, frei von Anhaftungen zu werden, frei von unserem gewohnheitsmässigen Verlorensein an die Sinne und Leidenschaften.

 

Wir haben ja einen Körper mit Sinnen bekommen, der natürlich auch missbraucht werden darf. Seine Intention ignorierend kann ich nur Störung verursachen.

 

Er ist die Ursache unserer Sinne, ihr Quell, und hat da natürlich auch eine Absicht hineingelegt....

 

Lieber Krishna

 

Zwei kleine Augen – dich zu sehen, mein lieber Syam

Zwei kleine Ohren – zu hören von deiner Lieblichkeit und deinen Lilas.

Zwei kleine Füsse – zu gehen auf deinen Wegen.

Zwei kleine Hände – die für dich sich regen dürfen.

Eine kleine Zunge – zu loben dein Erbarmen.

Ein kleines Herz – auszuruhen in deiner Liebe.

 

Krishna spricht hier von der Gnade.

Es ist der Moment, in dem die Zweifel am bisherigen alten Leben grösser werden als die Furcht vor der Wahrheit

 

 

2.65

In dieser Gemütsruhe lösen sich für ihn alle Leidenserfahrungen auf (allen Kummer, alle Sorge). In dem ruhevollen Sinn wird die Intelligenz sehr bald gefestigt (in seiner Ausrichtung auf die Transzendenz).

 

Allen Kummer, alle Sorge wird in dieser inneren freudvollen Milde aufgehoben. Dafür ist es wichtig zu verstehen, was damit gemeint ist, was diese Leiden denn sind.

 

Sri Krishna sagt in der Gita dukha dosanudarsanam (13.11), dass das Leid genau betrachtet werden soll, denn erst dann wird dessen Auflösung möglich.

Viele sehen in den sehr grundlegenden Leidensdefinitionen des Ostens („das ganze Leben ist Leid“ des Buddha oder „Geburt, Alter, Krankheit und Tod sind Leid“ der Bhagavad Gita) eine pessimistische Lebenshaltung. Wenn man aber die Kleshas genau analysiert und darüber nachdenkt, wird man darin eine sehr umfassende Beschreibung der Leidensursachen finden, denen jedes Lebewesen ausgesetzt ist, ganz unabhängig von den äusseren Situationen, in denen es sich gegenwärtig befindet.

Diese grossen Probleme des Menschseins sind zu drängend, zu ernst, zu tief und erfurchtsgebietend, um sie nur auf der intellektuellen Ebene zu analysieren. Indisches Denken hat schon immer auf Transformation und nicht auf Information abgeziehlt. Im Erkennen der Kleshas wird ein Anstoss zu ihrer Überwindung und eine Dringlichkeit für das innere Leben geboren, damit man es nicht mit einem Hobby vergleicht oder es durch tausendundeine Nebensächlichkeit immer auf einen anderen Zeitpunkt verschiebt.

 

 

Patanjali erklärt in den Yogasutras (PYS 2.2), dass das Üben von yoga sich in zwei Wirkungen zeigt, nämlich dem Herbeiführen von kognitiver Absorption (Samadhi) und dem Nachlassen der Kleshas. Im Nachlassen des Leidensdruckes erst wird der Grundstein für echte Spiritualität gelegt, denn erst im Frieden ermöglicht sich eine echte Wahl.

 

Im Madhurya-kadambini heisst es auch, dass das erste Anzeichen von gelebter spiritueller Praxis (sadhana) die Auflösung der Kleshas ist (Kleshagni). In diesem Sinne ist die Analyse der Kleshas ein Pulsnehmer, in wie weit man selber Sadhana praktiziert.

 

Was sind nun die Kleshas?

Wenn das Lebewesen seine eigene wesensgemässe Position vergisst und sich beginnt mit Dingen zu identifizieren, die nicht es selber sind, erscheinen Ängste.

Die ewige Seele beginnt sich mit Zeitweiligem gleichzusetzen, welche sie, ihrem Naturel gemäss, ewig erhalten will, was zu einem endlosen und sinnlosen Bemühen führt.

"Wenn sich das Lebewesen fälschlicherweise mit den materiellen Körpern, in denen es sich jeweils befindet, identifiziert, vertieft es sich völlig in die äussere Energie des Herrn, und verliert dadurch den Überblick für das Ganze, und wird in ihrer Perspektive beschnitten.

Durch diese Selbstvergessenheit erkennt die Seele ihre eigentliche und wesensgemässe Beziehung zu Gott nicht mehr, vergisst ihren Bezug zu ihm und sucht den Bezug in der peripheren Welt und die Folge davon ist, dass endlose Ängste auftauchen." (Srimad Bhagavatam 11.2.37)

 

Diese existentiellen Grundleiden, die die klare Wahrnehmung verzerren (Patanjali Yoga Sutra, von nun ab abgekürzt als PYS, 1.8) werden als Kleshas bezeichnet. Aus dem Feld von Avidya (Unwissenheit) erwachsen die Samen der weiteren Kleshas, welche dann in die Früchte von Karma, zukünftigen Geburten, resultieren.

 

 

Patanjali beschreibt in den Yoga Sutras fünf Kleshas (PYS 2.3-9):

Avidya, Unwissenheit ist die Wurzel allen Leidens. Es braucht die grundlegende Dunkelheit, damit die Seele ihren Ursprung vergessen vermag und sich dadurch als Bestandteil einer materiellen Welt erfühlen kann.

„Unwissenheit bedeutet, das Zeitweilige als das Ewige zu missidentifizieren, das Nicht-Atman für das Atman (das, was nicht das Selbst ist für das Selbst zu halten – zum Beispiel manchmal das Gefühl zu haben, eine Frau/ein Mann zu sein. Die Seele hat kein Geschlecht innerhalb der Dualität), das Unreine für das Reine und das Elend für Glück (die Ursache von Leid für die Ursache von Glück zu halten)." (PYS 2.5)

 

Avidya wird der Seele vom neutralen Aspekt Gottes, der Überseele geschenkt aufgrund ihrer Gleichgültigkeit der Transzendenz gegenüber. Das bedingte Selbst kann das „Vergessen-Wollen“ nicht verstehen. Es ist auch nicht ein einmaliges Geschehen, sondern eine sich repetierende, in jedem Moment bestätigende Entscheidung.

 

Erst durch avidya kann das ewige Lebewesen sich einer fluktuierenden Welt zugehörig fühlen. So kann es den Körper als das Selbst betrachten und vermag es, das ewige Selbstinteresse zu vernachlässigen und Nebensächliches für wichtig zu halten und das eigene Selbst als zugehörig zum Körper, Familie, zu Gütern und Besitz oder zu eigenen Gedanken und Gefühlen zu bezeichnen.

 

Als Resultat der Täuschung, in die das Bewusstsein verstrickt wird, beginnt sich das Lebewesen mit Materie gleichzusetzen und zu identifizieren und seine Identität darin zu sehen. Diese Identifizierung wird immer stärker, je tiefer das Bewusstsein in die Materie einsinkt. Fortschreitende Involution in die Materie beraubt einem in zunehmendem Masse die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis.

Die Absenz der andauernden Erkenntnis, eine ewige Seele zu sein, welche eigentlich dieser Welt nicht zugehörig ist, und in einem Liebesaustausch mit Gott steht, ist Avidya.

 

 

Asmita („Ichsein“, Identitätsgefühl ausserhalb der Seele zu haben)

Im Yoga-sutra (2.6) heisst es: „Asmita ist die Vereinheitlichung, die Verschmelzung der Kraft des Bewusstseins, des Sehenden mit dem Instrument des Sehens.“

Drg-Sakti, die Kraft, welche wahrnimmt, wird mit dem wahrnehmenden Werkzeug (darsana-sakti) gleichgesetzt. Das Wahrgenommene hält sich für den Seher.

Dies ist ein Gefühl der Einheit zwischen dem Seher und der Kraft des Sehens, zwischen dem Riecher und der Kraft des Riechens, zwischen dem Beweger und der Kraft des Bewegens....

Das Konzept der Gleichheit zwischen der Sinnestätigkeit und dem Ich.

Wenn die bedingte Seele „Ich“ denkt, meint sie, das sei die Kulmination all ihrer Erfahrungen. (Ich ging in diese Schule, habe diese Ausbildung gemacht, diese Person geheiratet und dies gearbeitet... Identität wird dann zu einer Collage der Sinnenwahrnehmung.

Aber die Sinneserfahrung und der Erleber derer sind zweierlei. Die Verwechslung, wenn der Erleber sich für das Erlebte hält, heisst im Sanskrit „asmita“.

 

Das Wort Asmita leitet sich ab von asmi („ich bin“). Wenn das reine Wahrnehmungsvermögen der Seele in der Materie verstrickt ist und durch die Kraft der maya (der verblendenden Energie Gottes) der Erkenntnis seiner wirklichen Natur verlustig geht, wandelt sich das reine „ich bin ein Diener von Krishna, ewig ihm zugehörig“ in „ich bin der Wirkende getrennt von der Absicht Gottes.“ Das ursprüngliche Bewusstsein, ein Diener des höchsten Herrn zu sein wandelt sich um in den Anspruch, Geniesser und Kontrollierender der äusseren Welt zu sein. Die feinsten Lichtkörper der Devas bis hin zu einer grobstofflichen Hülle sind alle von „asmita“ beeinflusst. Die beiden Vorgänge – der Verlust der Gewahrung seiner wirklichen Natur und die Identifizierung mit den Körpern – finden gleichzeitig statt, sowie die Absenz von Licht sofort Dunkelheit generiert.

 

Ein weiterer Aspekt des Identifizierungsvorgangs ist das Einbeziehen anderer Begleiterscheinungen meiner Anhaftung in das Mein. Der identifizierte Körper, ob grob oder fein, wird zu einem Mittelpunkt, um den sich eine Anzahl Objekte versammeln, die in geringerem oder stärkerem Masse Teile des „Ich“ werden. Es ist eine Übertragung, eine Erweiterung des Ichs. Eine Aufblähung des „Ich“ in wesensfremde Elemente hinein. Diese Objekte können lebendig oder leblos sein, wie ein anderer Körper, der aus meinem Körper geboren wurde, der dann zu meinem Kind wird. Das Haus, das diese Körper beherbergt, wird zu „meinem“ Haus. So bildet sich um die von Asmita mit dem Körper geschaffene Umbra (Totalschatten) eine Penumbra (Teilschatten), die all jene Gegenstände und Personen umfasst, die zu dem durch den Körper wirkenden „Ich“ gehören und die Einstellung der Imagination des „mein“ herbeiführen.

Jeder nachdenkliche Mensch vermag sich in Gedanken von seinem physischen Körper zu trennen und zu erkennen, dass er nicht das Bündel aus Fleisch, Knochen und Mark ist, mit dessen Hilfe er in Interaktion mit der physischen Welt treten kann. Doch nur wenige sind imstande, sich auch von ihrem Intellekt zu trennen und zu erkennen, dass ihre Meinungen und Ideen lediglich von ihrem Verstand geschaffene Denkmuster sind. Der Grund, warum wir unsere Meinungen so interessant und wichtig finden, liegt in der Tatsache, dass wir uns mit unserem Intellekt identifizieren. Unsere Gedanken, Gefühle, Meinungen, Vorurteile und Vorlieben sind Teil unseres mentalen Besitzes, Kinder unseres Verstandes, und deshalb schenken wir ihnen so übermässige und liebevolle Beachtung. Jede Verhaftung wirkt immer einschränkend auf die Wahrnehmung des Ganzen.

 

 

Raga (Anziehung, Anhaftung, Zuneigung zu Dingen in der Welt) ist die natürliche Reaktion, dass man in der Vergangenheit materiell geniessen konnte. Dieser Genuss wurde in feinstofflichen Körper als ein Samskara (Eindruck) festgehalten, und drängt nun zur Widerholung. Man will diese angenehme Erfahrung wiederholen, verlängern und der Drang dazu nennt man Raga. In vergangenen Leben war man damit nicht zufrieden. Ungesättigtheit ist das natürliche Resultat von Freuden in dieser Welt, in der die Wünsche unbegrenzt sind, da sie eigentlich für die Ausrichtung auf das Unbegrenzte konzipiert sind, aber die Möglichkeiten nur ganz beschränkt sind. Zudem tritt schnell die Sättigung ein, obwohl man noch nicht befriedigt ist. Wenn das Bewusstsein von Raga bestimmt ist, wird Befriedigung mit Zufriedenheit verwechselt, Glück wird verstanden als das Geniessen der Konsummöglichkeiten (als Sinnesbefriedigung), Freiheit als Hemmungslosigkeit und Wille wird verwechselt mit grenzenlosem „Haben-müssen“ (Gier). Dies stellt eine unmögliche Situation für eine glückliche Existenz dar.

 

In der Anhaftung an eine bestimmte Person widerspiegelt sich dieTatsache, dass man in der Vergangenheit eine gute Erfahrung machte mit Eigenschaften, die in dieser Person verkörpert sind. Es ist nicht die Person selber, der man nun in diesem Leben wieder begegnet, sondern die Person erinnert einen in ihrem Verhalten und durch ihren Charakter an Menschen, mit denen man in der Vergangenheit angenehme Erlebnisse hatte.

Deshalb heisst es in den Yoga-sutras (PYS 2.7)

„Das, was die Erfahrung von Glück begleitet, ist Anhaftung.“

Anhaften ist das Festklammern an Freude mit dem Wunsch ihrer Wiederholung.

Die Raga kommt aus kalpana und vikalpa (Imagination und Fantasie, Einbildungskraft), eben der Erinnerung an die Freudenerfahrung, die man damit hatte. Der menschliche Geist hat eine starke Tendenz, damit der Aufenthalt in dieser Welt erst möglich wird: die Vergangenheit wird euphemistisch betrachtet, sie wird im Geist aufgewertet und besser dargestellt, als man sie effektiv erlebt hat. Somit ist es nicht einmal das real erfahrene Glück der Vergangenheit, sondern die beschönigte Erinnerung daran, die nun durch äussere Bedingungen und Faktoren assoziiert wird und Anhaftung (Raga) generiert. Wir bilden uns ein, dass diese Freude von den Umständen herrührt, und wenn sie nicht mehr vorhanden sind, erscheint die Anhaftung, eben die Verwirrung der inneren Klarheit, die denken lässt, dass die Freude erst wieder zurückkehrt, wenn die äusseren Umstände wieder ähnlich arrangiert sind. Der Kampf mit der Welt beginnt, der nun diese Faktoren wieder herbeiführen will. Dieser Kampf zerstört das innere Gleichgewicht und das ist Leid. Deshalb erzeugt jede Anhaftung Leid schon lange bevor das Objekt der Befriedigung einem in der fluktuierenden Welt wieder entzogen wird.

Und selbst wenn die äusseren Umstände wieder gleich da sind, ist es sehr fraglich, ob unser karma uns da die Glückserfahrung noch einmal wiederholen lässt. Und selbst wenn die Erfahrung des Glücks reproduzierbar war, wird dadurch Raga verstärkt, das heisst das Potential des Leides wird vergrössert, und es ist noch konstant durchzogen von der Angst, es wieder zu verlieren.

Anhaftung ist das, was auf die in der Vergangenheit empfundene Freude folgt, und ist ein Klesha!

 

Dvesa(Zurückschrecken, Abneigung, Aversion)

Die Leidenschaft wurde nicht zufriedengestellt und man ist in der Vergangenheit zurückgeblieben mit dem Gefühl einer Leere und einer Enttäuschung. Nun drückt sich dieses Gefühl aus als Abneigung.

Dvesa ist die natürliche Abneigung, die gegenüber einer Person oder Sache empfunden wird, die eine Quelle des Schmerzes oder Unglücks für uns ist, und in der Vergangenheit gewesen ist. Diese Reaktion darauf, das Dvesa, die in der Erinnerung gespeicherte Abneigung, ist geblieben, und kreiert die Störung im Geiste, was das Leid ausmacht.

Man glaubt nun schnell, das der Kummer des Nichterhaltens einer erwarteten Befriedigung Leiden sei, aber es ist schon früher existent in dem durch die Aversion aufgewühlten Geist.

 

Da diese beiden Klesas (Raga und Dvesa) zu den hervorstechenden gehören, die zahllose Früchte menschlichen Elends und Leiden hervorbringen, lohnt es sich, diese noch ein wenig zu beleuchten. Zu-und Abneigungen, die uns an zahllose Personen und Dinge binden (auch die Abneigung ist eine Form des Festklammerns am Äusseren, und generiert Leiden, genau so wie das Anhaften), bestimmen unser Leben in unglaublichem Masse. Unbewusst oder bewusst denken, fühlen oder handlen wir nach Hunderten solcher Neigungen, die von diesen unsichbaren Fesseln geschaffen wurden, und es bleibt dem Menschen kaum die geringste Freiheit, unvoreingenommen zu handeln, zu fühlen oder zu denken. Die Abhängigkeit des von übermächtiger Zu-oder Abneigungen beherrschten Verstandes ist bekannt. Doch nur wenige machen sich einen Begriff von der Verzerrung unseres Lebens durch weniger ins Auge fallende Zu-und Abneigungen, und das Ausmass, wie sie unser Leben bestimmen, das heisst unsere Freiheit überdecken und das Leben in gehabten Spuren weiter verlaufen lassen. Man bleibt durch diese beiden ein Gefangener seiner eigenen Vergangenheit.

 

Abhinivesa ist die Absorption in das Zeitweilige, das Anhaften ans Leben, welches sich dann auch als Todesfurcht manifestiert.

Jedes ewige Wesen strebt natürlicherweise nach Beständigem. Aber im Zustand des Vergessens überträgt man diesen Kontinuitäts-Wunsch auf das Zeitweilige und möchte hier Zeitlosigkeit erfahren. Der Überlebenstrieb ist nun geboren.

Jedes Geschöpf hat den Willen zu leben, will an dem Leben hier Festhalten. Und das ist ein Klesha, eine Ursache für Leid.

Was treibt jedes Lebewesen an, konstant sich gegen das Sterben zu wehren? Einerseits sicher eine schlummernde Urerinnerung an die Unvergänglichkeit der Seele, aber auch eine Erinnerung an die leidvolle Erfahrung in der Vergangenheit, zu sterben. Wären wir in der Vergangenheit noch nie gestorben, wäre dieser Impuls, sich gegen das Sterben zu wehren, nicht existent.

 

Das Hängen am Leben kann nicht beseitigt werden einfach durch philosophisches Nachdenken, sondern erst muss die Avidya, den Deckmantel, der unsere Beziehung zu Gott latent werden lässt, gelichtet werden. Und dies geschieht durch die Selbsthingabe zu Gott, das Übergeben, sich selber ihm anzuvertrauen.

Diese Sehnsucht nach Gottesdienst, als reine Seele einen Austausch mit Krishna zu erfahren, kann so stark werden, dass das Abinivesha gänzlich gelöst wird.

In der  Isopanisad (17) findet sich das folgende Gebet, das nicht dem Lebensüberdruss, sondern eben dem brennenden Wunsch nach Wirklichkeit entspringt.

„O mein Herr, möge dieser vergängliche Körper zu Asche verbrennen, und mögen die Elemente dieses Körpers mit der Totalität der Elemente verschmelzen.

Ich bitte dich, mein Herr, erinnere dich an all das, was ich für dich getan habe.“

 

Die Kleshas stehen miteinander in Verbindung, sie bilden also praktisch einen Ablauf, der mit Avidya beginnt und mit Abhinivesha endet.

In den Yogasutras heisst es (2.10) dass die Methode der Zerstörung der Kleshas darin besteht, den Vorgang umzukehren, durch den sie erzeugt wurden. Demzufolge ist Abhinivesha nur die letzte Phase in der Entwicklung der Kleshas. Solange die primäre Ursache nicht behoben wird, müssen sich die daraus folgenden Wirkungen in endloser Folge weiterproduzieren.

 

Die Kleshas existieren in zwei Zuständen, im aktiven und im potentiellen. In ihrem aktiven Zustand sie sie an ihren Ausdrucksformen leicht zu erkennen. Bricht jemand in Ärger aus, bemerkt man leicht, dass Dvesha aktiviert worden ist. Wenn sich dieser Mensch Selbstdisziplin auferlegt, erlangt er die Fähigkeit, auf einen Impuls nicht sofort reagieren zu müssen. Darin liegt eine Freiheit, anders zu reagieren. Er kann ganz ruhig bleiben und so dieses Klesha in seinen potentiellen Zustand zurückführen, wo er dann durch Reize der Aussenwelt aber auch wieder geweckt werden kann.

Wenn die Kleshas im aktiven Zustand sind, entfällt die Fähigkeit zur bewussten Richtungsänderung. Allein durch Disziplin und bewusste Lebensführung lässt sich das Problem der potentiellen Kleshas aber nicht ausrotten, sondern man hat da nur eine günstige Bedingung geschaffen, die Samen ganz auszuräuchern.

 

Patanjali spricht dazu von pratiprasava (PYS 2.10), was Involution bedeutet, etwas auf den Ursprung zurückzuführen, „Zu-Ende-denken“.

Es geht also darum, die fortlaufende Entwicklung der Kleshas umzukehren, wobei jede Wirkung von ihrer unmittelbaren Ursache resorbiert wird und so langsam in eine Auflösung tritt. Dass bedeutet, dass Abhinivesha auf Raga-Dvesha zurückgeführt werden muss, diese auf Asmita, Asmita auf Avidya und Avidya auf die Sehnsucht nach Gott. Dieses Zurückverfolgen ist kein blosses intellektuelles Erkennen, sondern eine erlebte Verwirklichung.

Es geht um Fragestellungen, die einen auf eine tieferliegende Ursache hinweisen. Wer ist derjenige, der leben möchte, der angehaftet ist? Wer fühlt die Aversion? (von abhinivesha zu Raga und Dvesha),  Wer ist es, der „Ich“ sagt? (von Raga/Dvesha zu Asmita), Was will der wirklich? Was sucht denn derjenige, der der letztliche Erleber von dem ist? Und zu wem steht er in Beziehung? (das wäre dann der involutive Schritt von Asmita zu Avidya) Man sucht denjenigen, der sucht.

 

Die Yoga-sutras (2.17) beschreiben die Ursache der Kleshas und wenn man diese versteht, hat man eine Grundlage zu ihrer Überwindung:

Gedanken und Gefühle sind beobachtbar. Das Beobachtete kann nicht gleichzeitig der Beobachtende sein, der Seher nicht das Gesehene. Das gleiche Ding kann nicht zur gleichen Zeit Subjekt und Objekt sein. Die Organe, die Freude, Schmerz und dergleichen als Affektionen besitzen, können nicht zugleich empfindendes Subjekt sein.

Das wahrnehmende und bewusste Prinzip, die Seele, ist jenseits aller Empfindungen des individuellen Geistes. (Bhagavad Gita 3.42)

Mit zunehmender Vergrobstofflichung der Instanzen des Geistes und auch durch seine konstanten Bewegungen und Färbungen, wird das reine Bewusstsein der ewigen Seele mehr und mehr verschleiert und verdunkelt.

Dies ist die Verunreinigung der Instrumente der Wahrnehmung und Yoga ist der Weg ihrer Klärung.

Wahrnehmung bedeutet, dass sich der Geist entsprechend der wahrgenommenen Objekte verfärbt und verformt. Wahrnehmung ist also aktive Bewegung des Geistes, also Handeln, welches auch Spuren (samskaras) hinterlässt. Der menschliche Geist ist kein reiner Spiegel, in dem sich das Lebewesen reflektiert, sondern eine Verschleierung der Seele und somit ein Zerrspiegel ihrer eigentlichen Interessen. Es werden nun wesensfremde Wünsche produziert.

Aufgrund der beständigen Bewegungen, Färbungen und Identifikationen kann der Geist nicht unverfälschte Informationen und Kenntnis über die Welt vermitteln, auch nicht durch die Sinnesorgane.

Das Lebewesen, der Seher, kann nur entsprechend der Wellen und Verschmutzungen der Oberfläche des Sees wahrnehmen. Die dem Lebewesen gespiegelte Erkenntnis der äusseren Welt ist daher eine Reflektion des Zustandes des eigenen Geistes. Die Wahrnehmung ist eine verzerrte Konstruktion entsprechend des Zustandes des Geistes.

Von einem Erkennen der Wirklichkeit, von wahrer Erkenntnis, ist bei einem normalen, das heisst bewegten und verfärbten Zustand des Geistes nicht die Rede, sondern das scheinbare Erkennen der Wirklichkeit basiert auf einer Reflektion des inneren Zustandes.

 

„Obgleich der Wahrnehmende, das Lebewesen, ursprünglich rein ist, wird seine Schau durch die Färbung des Verstandes  bestimmt. (PYS 2.20)

 

Das Lebewesen wirft seine Aufmerksamkeit auf die Manifestation der Prakriti. Von dort wird es mit einem Spiegel reflektiert und von dem Lebewesen wahrgenommen. Diese erkennt nun jedoch nicht mehr seine reine, unberührte Natur, sondern die durch ahamkara (falsches Ego; dem Vermögen der Hüllen, sich als Einheit zu erkennen) verzerrte Reflektion.

„Die Ursache des Schmerzes, der vermieden und ausgelöscht werden kann, ist die Vereinigung des Sehers mit den Objekten seines Sehens, dem Gesehenen.“ (PYS 2.17)

 

Die Ursache der Verschmelzung ist Unwissenheit (avidya) (PYS 2. 24)

 

Wenn es uns so erscheint, als würde die Kraft des Bewusstseins mit den Instrumenten des Bewusstseins verschmelzen, so nennt man das „Ich-haftigkeit“ Asmita, Vergessen der eigenen Identität. (PYS 2.6)

Auf diese Weise beginnen die an sich unbewussten Hüllen vom verunreinigten Bewusstsein des Lebewesens durchstrahlt zu werden. Durch die Fähigkeit zur Identifikation (Einfärbung) hält das bedingte Selbst sich für etwas anderes, etwas ausserhalb sich selber, indem es die ihn durchlebende Kraft der Seele nicht mehr wahrnimmt.

 

„Zu anderen Zeiten (ausserhalb des Zustandes des Yoga) besteht Identifikation mit den Bewegungen des Geistes“ (PYS 1.4)

 

Durch die Stärkung und Reinigung des Geistes durch Meditation und auch dem Studium heiliger Texte vermag sich die Seele immer feiner darin zu reflektieren (wie in einem verschmutzen Spiegel, der allmählich gereinigt wird). So kann sie ihre reine, unberührte und transzendente Natur wieder wahrnehmen, die nie verloren, sondern nur verschleiert war.

Und wenn alle Modifikationen der Oberfläche wieder zum Stillstand kommen, „dann ruht der Sehende, der Wahrnehmende, die Seele, in ihrer eigenen, wahren Natur.“ (PYS 1.3)

 

Das Leiden ist also die Fehlidentifizierung mit den Bewegungen des Geistes, während das wirkliche Selbst davon ganz unberührt bleibt.

 

 

Nun beschreibt Krishna die Aussagen der letzten beiden Verse durch negativen Rückschluss.

 

2.66

Wer nicht mit dem Höchsten verbunden ist, kann weder eine Verständnis in Beziehung zur Seele haben noch wird einem Sammlung des Verstandes zuteil.

Und jemand, der nicht gesammelt ist, kann nicht Friede erlangen. Und wie kann es Glück ohne Frieden geben?

 

Ohne Wandel des Ich-Bildes, des Identitäts-Verständnisses, ist es immer nur ein äusserliches Mühen, die Sinne zu kontrollieren. Und ohne Sinneskontrolle ist Entschlossenheit in der Ausrichtung nicht möglich.

Sich selber in der Beziehung zum Höchsten erkennen, ergibt ein ganz neues Selbstbild.

 

Wie kann man ohne inneren Frieden glücklich sein? Wenn Aufwühlung und innerer Aufruhr im Herzen ist, verunmöglicht dies einem den Zugang zum Glück.

Es gibt einen schlummernden Welt-Widerstand, welcher meint, dass der innere Weg erst beginnen könne, wenn nun endlich die Umstände sich einrichten würden.

Der materielle Geist wird immer etwas finden, was er denkt, müsse doch noch zuerst gemacht werden.
Bhakti wartet nicht.... sie will alles durchdringen. Jede Interaktion, jede Handlung, jeden Tag und jede Nacht. Sie ist nie in Ablehnung zu irgendeiner äusseren Situation.
Diese Versöhnung, dass ich die Hauptaufgabe meines Menschseins genau jetzt und genau in dieser Situation erfüllen kann, schenkt schon von Anfang an einen tiefen Frieden.
Und Liebe entspringt dem Frieden.

 

 

 

2.67

 

Wenn das Denken gelenkt wird von den umherschweifenden Sinnen, treibt es die Unterscheidungskraft fort, wie ein Schiff, das von einem Sturm weggetrieben wird.

 

„Ständig über Krishna zu hören stellt die eigentliche Freude der Sinne dar.“ (Bhagavatam 3.25.2)

Eine ungeheure Wucht , eine Sehnsucht, erfüllt zu werden, kommt vom Geist her in die Sinne hinein. Diese versuchen, die äussere Welt abzugrasen und sie dem Geist zu füttern, was diesen aber nur noch ungestümer macht. Er möchte die Erfüllung der Wirklichkeit, und er wird abgespiesen mit Vorläufigem. Das macht ihn nur noch ungeduldiger, erregter und bewegter.
Das Bhagavatam schenkt die Wegweisung, was der eigentliche Zweck der Sinne ist:  den Geist zu nähren mit Krishnas Namen Gottes und den Beschreibungen seines Lila.

Nun beschreibt Krishna den Zustand eines spirituell Übenden, der die Sinne kontrolliert hat durch Gottesergebung.

 

2.68

Deshalb verfügt jemand, dessen Sinne von den Sinnesobjekten zurückgezogen sind, über gefestigte Erkenntnis.

Verbindung zum nächsten Vers:

 

Nun spricht Krishna über den Unterschied von einem Menschen, der die Sinne durch die Angleichung mit Gottes Wünschen bezähmt hat und dem gewöhnlichen Menschen in der Welt.

 

2.69

Was Nacht ist für alle anderen Wesen, ist Wachheit für den Selbstherrschten. Und wenn die anderen Wesen wachen, ist dies Nacht für den nach innen gekehrten Weisen.

 

Dass der „Weise schläft“, bedeutet, dass er nicht mehr auf Aussenreize reagiert.

So wie ein Lotosblatt nie von Wasser benetzt wird obwohl es von Wasser umgeben ist, so wird der Weise nie von den vorbeiziehenden Objekten der Sinneswelt angezogen, auch wenn er im Kontakt mit ihnen ist. Selbstverwirklichung ist eine ganz andere Perspektive, eine andere Sichtweise der gleichen Schöpfung. Was weltliche Menschen als wirklich empfinden – den Körper, irdische Beschäftigungen, Vergnügen, Schmerz, Krankheit, anziehende Sinnesreize – erkennt der Weise als substanzlos. Und was er als essenziell wirklich erfasst – die Gemütsruhe, das Sein als Seele, die Beziehung, die die Seele zur Höchsten Seele hat, die Liebe in diesem Austausch – halten die Unerleuchteten für unrealistische Lebensperspektive.

 

Dieser Vers ist keine Verurteilung der Weltmenschen. Krishna stellt einfach neutral fest, dass das Interesse – das, wofür sie lebendig werden -  des Weisen und  des innerweltlich identifizierten Menschen so entgegengesetzt sind, dass sie für das Leben des jeweils anderen schlafen. Das bedeutet, dass sie dafür keine Lebensenergie investieren.

 

Dieser Vers ist auch wörtlich zu verstehen. Die Yogis stehen in den ganz frühen Morgenstunden auf, in welcher gewöhnliche Menschen noch immer schlafen. In dieser stillen Zeit vor Sonnenaufgang ist die Konzentrationsfähigkeit stärker.

 

Verbindung zum nächsten Vers:

 

Für den Sehenden ist die das Geschehen in der Welt dunkel wie die Nacht. Wie lebt er dann in ihr? Im nächsten Vers gibt Krishna die Antwort darauf.

 

2.70

Das Wasser aus vielen Flüssen fliesst beständig ins Meer, welches aber ungestört bleibt und nie überquillt. In vergleichbarer Weise fliessen Wünsche, Genüsse und Hoffnungen beständig ins Gemüt des Weisen, welcher aber davon unberührt bleibt. In dieser inneren Ausgeglichenheit erlangt man Frieden und nicht dadurch, dass man danach trachtet, die Wünsche zu befriedigen (die Wünsche nicht wünscht).

 

„kamakami“ ist der Mensch, der ein Wünschender von Wünschen ist. Es ist nicht so, dass man von allen Verlangen und Wünschen frei werden soll, sondern nur vom Verlangen nach Verlangen. Die Wünsche kommen einfach. Wer sich aber auf sie einlässt und sie zu befriedigen sucht, wird durcheinander gewirbelt.

 

Die Erfüllung eines Wunsches wird sofort einen weiteren neuen Wunsch nach sich ziehen.

Ich beschäftige mich mit positiven Affirmationen: ich wünsche mir, und das wird auch in Kursen gelehrt, dass ich bald den Traumpartner meines Lebens finde... Siehe da, nach zwei Monaten trifft es ein..

Aber nun gehe ich noch einmal zwei Monate weiter: Ganz unbemerkt, ohne dass es mir aufgefallen wäre, ist aus der Erfüllung dieses einen Wunsches bereits die Unerfüllung eines nächst anstehenden Wunsches geworden. Das habe ich gar nicht bemerkt. Ich habe meine Unzufriedenheit nur verlagert.

So arbeiten die unendlichen Ketten von unerfüllten Wünschen, die nichts anderes tun, als sich - in dem Moment, wo ein Wunsch aus dieser unerfüllten Kette scheinbar erfüllt wird - auf eine andere Ebene verlagern.

Diesem Spiel der unerfüllten Wünsche bin ich lange aufgesessen... Wenige durchschauen dieses Spiel - es ist das Spiel der Versuchung.

Ich betrüge mich selber um die Freiheit, die mir zustünde.

 

Ich leide an der Unerfülltheit meiner eigenen Wünsche. Das ist doch umso erstaunlicher, als dass der unerfüllte Wunsch ja schliesslich vorgibt, aus dem Leiden herauszuführen, nämlich dann, wenn er erfüllt wird. Merkwürdigerweise jedoch passiert das nicht, jedenfalls nicht vollkommen und beständig. Da es nicht vollkommen und beständig geschieht liegt es an mir und meiner Konsequenz, diesen Wunsch aufzugeben oder ihn künstlich aufrechtzuerhalten, was eben fast alle Menschen tun, weil sie nicht wahrhaben wollen, dass dieser Wunsch nicht zum Ziel führt und niemals dorthin führen wird. Man will die Tatsache nicht zulassen, dass im Loslassen des Wunsches mehr Freude inneruht als in seiner Erfüllung.

 

Ich will nun wachsam sein und den Moment klar erkennen, in dem ein unerfüllter Wunsch im Bewusstsein auftaucht. Dann erkenne ich, dass er Agitation verursacht. Nicht nur später, sondern bereits in dem Moment, in dem ich diesen Wunsch berühre und als den meinen betrachte.

Jeder unerfüllte Wunsch ist der Wunsch zu leiden.

Wenn ich das wahrnehme, frage ich mich, ob ich weiter bereit bin, diese Wünsche zu berühren. Es ist so, als wenn der denkende Geist mir einen Samen des Unfriedens einpflanzt und mir immer wieder weismacht, dass ich kein Recht hätte, in vollkommenem Frieden zu sein.

 

Ich bemerke dieses kindliche, trotzige Festhalten an unerfüllten Wünschen: "In Wirklichkeit besteht doch noch ein kleines Fünkchen Hoffnung."

Ich halte immer irgendwo noch eine kleine Schublade geheim, für alle Fälle sozusagen. Es verlangt Radikalität von mir, denn ich habe, so wie alle, die Tendenz, mir noch diese kleinen Ecken zu reservieren, wo sich der Staub sammelt, wo niemand gerne hinschaut, die von der Aufmerksamkeit dezent übergangen werden. Genau darin steckt die Notreserve des Leidens.

Wenn ich den falschen Glauben an diese Notreserve klar erkenne, braucht es nur ein Minimum an Selbstrespekt, Konsequenzen zu ziehen.

"Mehr Begehren schafft mehr Leid"

Die meisten Menschen definieren Glück als Befriedigung ihrer Begehren, Erfüllung ihrer Wünsche.

Gemäss Yoga sutras gibt es fünf Arten von Begehren:

-Nach weltlichem Besitz

-nach Schönheit

-Ehrgeiz

-Genuss am Essen

-Träge zu sein

 

Diese Begehren sind grenzenlos, während unsere Fähigkeit, sie zu erfüllen, begrenzt ist. Unerfüllte Begehren in sich zu tragen, ist deshalb immer Leid.

Wenn Begehren nur teilweise erfüllt sind, streben wir weiterhin nach ihrer vollständigen Erfüllung und legen so den Grund für weiteres Leiden.

Uns selbst wenn ein Begehren erfüllt ist, leiden wir, wenn es nicht weiterhin ständig erfüllt wird. Und wenn die Erfüllung einmal ein wenig bestehen bleiben sollte, so richtet sich das Begehren auf einen neuen unerfüllten Wunsch.

 

Erst wenn wir erschöpft sind durch dieses unablässige Streben, erkennen wir langsam, in welchem Ausmass wir im unersättlichen Netz unserer Begehren gefangen sind. Hier, an diesem Punkt, wird Heilige Sehnsucht geboren.

 

Dann erkennen wir, dass wirkliches Glück eigentlich ein friedvoller Zustand des Geistes ist, der ja gerade durch das Begehren und dem Kampf gegenüber den Dingen, die meinen Begehren im Wege stehen, verunmöglicht wird, da genau dieses Begehren und das Hassen (sich dagegenstämmen) den Geist agitieren, ihn unruhig machen und somit Leiden erzeugen. Das Vergängliche kann dem Ewigen nie Erfüllung und Freude geben.

Hermann Hesse hat diesen Vers einmal poetisch umgesetzt:

 

Solang‘ du nach dem Glücke jagst,

bist du nicht reif zum Glücklichsein.

Und wäre alles Liebste Dein.

 

Solang du Ziele hast und rastlos bist

weisst du noch nicht, was Friede ist.

Erst wenn du jedem Wunsch entsagst,

nicht Ziel mehr noch Begehren kennst,

das Ziel nicht mehr mit Namen nennst,

 

dann reicht Dir des Geschehens Flut

nicht mehr ans Herz, und deine Seele ruht.

 

 

Das Bewusstsein des Selbstverankerten ist so tief wie das Meer. Alle Impulse, die wie Flüsse von allen Seiten auf einen zuströmen hinterlassen in ihm keine Spur mehr. Sie vermögen ihn nicht mehr zu beeinflussen.

Krishna knüpft in diesen letzten drei Versen dieses Kapitels noch einmal an 2.59 an.

 

 

2.71

Jemand, der die Wünsche nach eigensüchtigem Leben aufgegeben hat, der frei von Hoffnungen danach ist, der allen Anspruch (das „Mein-Gefühl“) auf Besitz aufgegeben hat und frei von falschem Identitätsgefühl (Ich-Gefühl innerhalb des Vergänglichen) ist – er allein kann wirklichen Frieden erlangen.

 

Die Sublimation des Ego ist faszinierend. In der ständigen Überwindungs-Sehnsucht steckt aber auch eine Tendenz der Unversöhntheit mit  der Welt, des Unfriedens mit dem, was einem Krishna jetzt geschenkt hat.

Das Ausgesunden mit der übergestülpten Rolle, die man in der Welt zu spielen hat – mit der man sich nun nicht mehr identifiziert aber mit ihr auch nicht im Krieg steht, schenkt Frieden.

Selbstsicherheit in dieser Welt ohne Arroganz.

 

In der Spiritualität werden Wünsche oft sehr negativ bewertet. Das ersehnte Schlaraffenland weist darauf hin, dass man sich einfach nur regressiv wieder in den Mutterleib zurückbewegen möchte.

Wünsche führen uns aber auch über die uns selbst gesteckten Grenzen hinaus und zeigen uns, wozu wir fähig sind. Wünsche sind Vorgefühle der Fähigkeiten, die in uns liegen, Vorboten dessen, was wir zu leisten imstande sein werden.

 

Im spirituellen Leben geht es gerade um diese Wünsche, die unsere alltäglichen anlassbezogenen Wünsche übersteigen. Es sind Wünsche, die durch kein Geschenk zufrieden gestellt werden können.

 

Das deutsche Wort „Wunsch“ gehört zur Wortgruppe „gewinnen“, das im Althochdeutschen noch die Bedeutung hat „durch Anstrengung, durch Arbeit oder Kampf zu etwas gelangen, schaffen, erringen.“

Darin klingt die Überzeugung hindurch, dass man sich Wünsche selber erfüllen kann, dass es aber dafür der Anstrengung bedarf.

Die indogermanische Wurzel, die dem zugrunde liegt, verweist noch auf eine andere Spur:

„umherziehen, streifen, nach etwas suchen oder trachten“.

Da schwingt die existenzielle Unruhe mit, die das latente Wünschen nach etwas anderem als zu dem, was von unserem eigenen Wesen uns zugehörig ist, mit sich bringt. Man findet nie die Nahrung, die für das ganze Leben reicht. So müssen wir immer weiterwünschen. Kein Erfolg stellt uns endgültig zufrieden.

 

Unsere Wünsche halten uns lebendig. Es gibt zwar Menschen, die wunschlos glücklich sind, aber die Gefahr ist, dass sie sich vorschnell zufrieden geben mit dem, was sie erreicht haben.

 

 

 

Es gibt zahlreiche Märchen, in denen der Mensch seine Wünsche äussern darf. Meistens sind es drei Wünsche, die er frei hat. Und es ist gar nicht so leicht, dass der Mensch das wünscht, was ihm wirklich hilft. Meistens hat er so viele Wünsche, dass er gar nicht weiss, wo er anfangen soll.

Und dann verstrickt er sich in seinen Wünschen.

Ein Bauer, dem eine Fee drei Wünsche frei gestellt hat, wünscht sich erst einmal, dass es zu regnen aufhört, damit er besseres Wetter hat. Als dann allerdings überhaupt nichts mehr wächst, glaubt er, beim zweiten Wunsch schlauer zu sein: es soll nur noch nachts regnen.


Und als sich jetzt der Nachtwächter beschwert, belässt er im letzten Wunsch wieder allem beim alten.

Seine drei Wünsche gingen ins Leere. Was wünschen wir wirklich? Nach was suchen wir?

 

Wünsche sind ein Motor unseres Lebens. Man dreht sich im Kreis ungeklärter Wünsche und hinter den erreichten Zielen werden immer wieder andere sichtbar. Die Hoffnung auf das endgültige Glück wandert mit wie der Horizont.

Wünsche können einen frei machen, immer wieder neu aufzubrechen und nie stehen zu bleiben. Aber die Fixierung auf Ziele kann auch lähmen. Wie oft hat man sich schon verlaufen im Labyrinth der eigenen Wünsche.

Wer sich im Naheliegenden verfängt, der verstrickt sich und kommt nicht weiter.

 

Du hast einen Wunsch

Du strebst danach, diesen Wunsch zu erfüllen

Und irgend einmal wird er auch erfüllt.

 

Nun fühlst du dich glücklich, zufrieden – erfüllt eben.

 

Es dauert aber nicht lange, bis der nächste Wunsch im Bewusstsein auftaucht und der Friede ist vorbei.

Du strebst danach, auch diesen Wunsch zu erfüllen – kämpfst dich durch und nach einiger Zeit – nach Jahren, Jahrzehnten oder schon nach 5 Sekunden wird auch dieser Wunsch erfüllt.

Und du fühlst dich einen Moment befriedigt.

 

Doch dann kommt wie aus dem Nichts – der nächst anstehende Wunsch. Betäubt durch den Hoffnungsschimmer, den Streif am Horizont, müht man sich für die Fata Morgana.

 

(Die Kraft der Versuchung ist deshalb stark, weil ihre Wirkweise im Verborgenen liegt und demjenigen nicht offensichtlich ist, der nur in den Schein hineinschaut und sich mit Masken zufrieden gibt.

 

Ein unerfüllter Wunsch ist ein Impuls aus der Gedankenwelt, ein Anstoss aus der Identifikation mit dem Unwirklichen und wenn der Griff danach geschieht, dann fühlt man sofort die abtrennende Wirkung.

Es ist möglich, diesen Moment genau zu beobachten, Zeuge zu werden von der spaltenden Kraft jeden unerfüllten Wunsches und der Entrückung ins Äussere, die durch das eigene Greifen danach geschieht.

Der Griff nach einem unerfüllten Wunsch, der im Bewusstsein auftaucht, verursacht unverzüglich Leid. In dieser Gewahrwerdung erkennt man aber auch die Möglichkeit, das Greifen danach loszulassen und sich in der inneren Stille zu entspannen und die Erfahrung zu machen, dass sich der Wunsch in dem Moment wieder verflüchtigt.

Der Wunsch, der Impuls aus der Gedankenwelt verflüchtigt sich im Nichts in dem Moment, wo man die Beziehung zu diesem Gedanken aufgibt, wo man das Greifen einstellt.

In spirituellen Lehren wird viel davon gesprochen, falsche Wünsche aufgeben zu müssen. Das schafft häufig einen grossen Druck für den Suchenden. Wenn beobachtet wird, dass ein unerfüllter Wunsch nichts anderes ist als ein Impuls der Gedankenwelt (vasana), der im Bewusstsein auftaucht, dann gibt es keine Notwendigkeit, irgendeinen Wunsch zurückzuweisen. Denn damit festigt man ihn. Es ist eigentlich auch gleichgültig, ob dieser Gedanke auftaucht oder nicht, aber man berührt diesen Wunsch einfach nicht. )

 

Und so verbrachten wir unzählige Leben – im sinnlosen Kampf mit Wünschen, von denen wir glaubten, es seien unsere und deren Erfüllung würde Zufriedenheit schenken.

Aber schon in der Erfülltheit breitet sich Öde und Leere aus. Man spürt, dass dies nur das verzweifelte Ringen um Ersatzbefriedigung ist. Ersatz für Wesentliches.

 

Die meisten Menschen brauchen viele Leben, um in der letztlichen Konsequenz zu erkennen und anzuerkennen, dass all diese Wünsche zwar nicht falsch sind, aber nicht wirklich frei und schon gar nicht erfüllt, zufrieden und glücklich machen.

 

Es gibt keinen einzigen Wunsch des menschlichen Geistes, der glücklich macht - obwohl doch gerade dies die Verheissung in jedem Wunsch war.

 

Wenn man nach dem sucht, was vergänglich ist bedeutet das eigentlich nichts anderes, als nach dem Tod zu suchen. Was ist das für ein armesliges Leben, nach dem Tod zu suchen? Nach dem, was einem sowieso bald verlassen wird.

Martyanam kim utasisah (Srimad Bhagavatam 1.18.13)

Deshalb hat man Angst. Angst, dass einem alles verlassen wird – und man beginnt, sich festzuhalten.

Die Frage ist: Was bleibt?

Na tvevaham jatu nasam (Bhagavad gita 2.12)

Was ist, was war und was bleibt? Das ist das einzige, was wirklich von Interesse ist. Was die Wünsche suchen.

 

Sich mit Vergänglichem zufriedenzugeben ist eine fruchtlose Mühe ohne Ernte. Immer wieder säen, immer wieder beackern, immer wieder bearbeiten, aber wo bleibt die Ernte? Niemandem fällt auf, dass diese Ernte ausbleibt, die Ernte all dieser vielen leben voller unerfüllter Wünsche. Aber man ackert einfach wild weiter.

 

 

Es fühlt sich so gut an, die kleinen Momente des Glücks, die kleinen Momente von Frieden und Freiheit, wenn man ein einem wunderschönen Ort in der Natur reist oder dieser kleine Moment unglaublicher Nähe mit einem geliebten Menschen. Nicht dass diese Momente nicht wünschenswert wären. Aber ist es das, wonach man wirklich sucht?

Oder: Endlich hat man alles Geld der Welt. Endlich kann man sich alles leisten, was man sich je leisten wollte. Aber ist es dadurch vorbei mit der inneren Armseligkeit?

Das Aufgeben von Wünschen beinhaltet schon eine grössere Erleichterung als deren Erfüllung.
Aber die Spiritualität geht tiefer: man fragt sich, was denn das ist, was alle Wünsche in Wirklichkeit suchen?
Es ist immer Krishna, die Beziehung zur ihm, zur Wirklichkeit.

Letztlich geht es vielen Menschen darum, absolut wunschlos zu werden, nachdem sie die Nichtigkeit der Erfüllung egoistischer Begehren erkannt hatten.
Aber das Zurückziehen der Wünsche ist noch nicht wirklich ihr Zweck. Die Wünsche auf Krishna gerichtet zu haben ist das, was nicht Leere verbreitet, sondern die Erfülltheit, nach der man sich seit Ewigkeiten gesehnt hat.

Man ist müde… man ist so erschöpft, dass man keine Kraft mehr hat für das, was man wirklich will.

 

 

Die erschreckende Lage, in welche unsere Erde geraten ist, hat ihre Ursache in der verbissenen Glückssuche der Menschen auf ihr. Es wird generiert und wieder zerstört, endlos konsumiert. Das kostet in der Aussenwelt seinen Preis. Im Inneren fühlt sich ein solcher Mensch immer mehr verloren…. die Substanzlosigkeit seines Mühens ahnend.

Alle Reisen durch die Sinneswelten werden bald uninteressant. Man darf all diese Anstrengung nun befreien von der Mystifikation der Glückssuche.

Die bunte Welt mag schön sein, aber sie vermag nicht die Sehnsucht des unvergänglichen Wesens anrühren. Glück ist nicht eine Errungenschaft, die der äusseren Welt abgerungen werden muss, sondern die natürliche inhärente Eigenschaft der Seele.

 

 

Es gibt nur einen einzigen unerfüllten Wunsch, der kein Leidenswunsch ist. Zu diesem innersten Kern aller unerfüllten Wünsche vorzudringen – dazu ist man im inneren Leben eingeladen. Es ist der Wunsch nach Freiheit – wenn man seine ichhaften Wünsche dem Wunsch Gottes angleicht. Die Hingabe.

 

 

Wenn dieser Wunsch freilegt wird von allen überlagernden, verzweigten unerfüllten Wünschen, wird dieser Wunsch zur Hingabe brennend. Alle Lebenskraft will nur noch dahin fliessen. Dann ist man natürlicherweise auch bereit, alles dafür zu geben.

 

 

 

 

 

2.72

Das ist der Brahman-Zustand (der beständige, unbewegte Zustand des Weisen). Wenn man ihn erlangt hat, fällt man nie wieder in die Verblendung zurück.

Wenn man auch zum Zeitpunkt des Todes in diesem Bewusstsein verankert bleibt, erlangt man das Brahman.

 

Die Brahman Erkenntnis ist eine grundlegende spirituelle Erfahrung, die nie übersprungen werden kann, denn sonst würde ich die Transzendenz nur mit dem Verständnis dieser Welt verstehen. Dies wäre dann anstatt eine Transzendenzerfahrung einfach nur eine projektive Hoffnung des bedingten Selbstes. Das geringste Bild von irgend etwas in der Schöpfung, das in einem haftet, ist so gross wie Gott, denn es entzieht einem vom Wirklichen.

Das Verankertsein im Brahman öffnet uns erst für den echten und wahren Gott. Dann kann man im Sinne der Isopanisad auch beten: "Mein lieber Herr, bitte entferne den unendlichen Glanz, damit ich dein liebeliches Antlitz wieder schauen darf." (Mantra 15)

 

Wir sehen alle Dinge voneinander getrennt. Jede Person ist ein Universum für sich, und wir reagieren getrennt auf unterschiedliche Ereignisse.

Aber zu erkennen, dass alles immer nur in Krishna ruht, in jedem Moment nur von Ihm erhalten ist, und wir Seine Gegenwart immer und an jedem Ort verspüren, werden wir eins mit Brahman.

Wenn wir dies ignorieren wollen, werden wir verknüpft mit den zahllosen Ereignissen in dieser Welt und wir werden von den einander widersprechenden Kräften (der Dualität) hin und hergefegt.

 

"Ohne Verlangen,

frei von Verlangen,

mit gestilltem Verlangen,

Atman sein Verlangen"  (Brhad Aranyaka Upanishad 4.4.6)

 

Die Sucher wandten ihren Blick nach innen. Sie blickten in tiefer Versenkung in den Grund der eigenen Seele. Und da fanden sie Ihn, den "Selbstleuchtenden", den "Ewigwachen", "den das Auge nicht sieht, aber der das Auge des Auges ist" und ohne den das Auge niemals sehen könnte, sie fanden Ihn, "den das Ohr nicht hört, aber der das Ohr des Ohres ist" und ohne den das Ohr niemals hören könnte.

Sie fanden Ihn, "den der Menschengeist nicht erkennt, aber welcher der Geist des Geistes ist", und ohne den der Geist niemals etwas erkennen könnte.

Sie fanden den "unbekannten Erkenner", den "inneren Anschauer von allem - Antaryami". Sie fanden das Selbst, das frei von aller Selbstsucht ist - den Atman.

 

Einer, der vor Jahrtausenden diesen inneren Weg zu Ende gegangen war, brach in die Worte aus:

 

"Das Atman ist das von aller Unwissenheit und Finsternis völlig befreite ICH." (Nrsimha-uttara-tapaniya-Upanishad)

 

Als der Seher dann aus tiefer Versenkung auftauchend, den Blick nach draussen wandte und um sich schaute, da erkannte er - mit der Kraft des Atman schauend -, dass auch in der Aussenwelt alles vom unvergänglichen Atman umhüllt und durchdrungen ist. Das Unzerstörbare war der innerste unvergängliche Grund jedes Dinges, jedes Wesens, jedes Staubkorns und jeder Sonne. Er sah nichts mehr anderes als Brahman in allen Richtungen.