Offener Brief an denkende


Menschen

 

Ich schreibe ihnen heute im Namen von Tieren. Tieren, die unseretwegen in mitten des scheinbaren Friedens unseres Alltags, alleine in unserem Land zu hundertausenden geschlachtet werden. Das Massaker findet täglich statt, es ist legal und die Verursacher davon laufen frei auf der Strasse herum. Der Konsument erzeugt das Angebot; im Falle von Fleisch wird die Tötung eines Mitgeschöpfes sehr direkt mitverursacht. Man setzt sich am Abend gemütlich hin und isst etwas, was gerade noch Körperteil eines lebenden Wesens gewesen ist.

Glückliche Lebewesen werden zu handlichen Leichenteilen reduziert und das, was zuvor unser Freund, das Tier, war, wird nun erstaunlicherweise plötzlich Nahrung genannt. Der heutige Tier-Holocaust findet in aller Öffentlichkeit statt, ja er wird überall inseriert und plakatiert und gilt gesellschaftlich sogar als akzeptabel.

Es existiert eine totale Entfernung des Konsumenten vom Ursprung des "Konsumgutes" Fleisch, dem Tier. Die Mehrheit sieht heute in diesem Geschöpf, mit dem nur die wenigsten überhaupt noch in näheren Kontakt treten, vornehmlich den Rohstoff für eine Vielzahl von Produkten.

Und für eine kleine Minderheit nachdenklicher Menschen war es ein beseeltes, schamlos ausgebeutetes und gequältes Opfer menschlicher Rücksichtslosigkeit. Geschundene Kreaturen, welche nur noch für Geschmacksstimulation auf unserer Zunge zu existieren scheinen.

In mir lebt da immer eine Empörung über die menschliche Gier und ihre Anmassung, Mitwesen auf diese Weise zu traktieren.

 

"Auschwitz fängt da an, wo einer im Schlachthof steht und sagt, es sind ja nur Tiere"

(Theodor Adorno, Soziologe, Philosoph, Musiktheoretiker und Komponist)

In Unkenntnis oder trotz angeführten Fakten glauben manche Menschen immer noch, dass die Legitimation des Tötens von Tieren für menschliche Ernährungszwecke ein schwieriges moralisches Problem sei. Die Frage nach der Zulässigkeit des Fleischessens bedarf aber keiner besonderen ethischen Theorien oder Überlegungen. Vielmehr handelt es sich hier um einen ganz banalen Interessenkonflikt und um eine daraus resultierende ebenso banale Güterabwägung.

Dabei geht es auf seiten der Tiere um lebenslanges, schwerstes Leiden, das in der Abschlachtung endet, auf seiten der Menschen um einen kurzen Gaumenkitzel. Die Frage, was schwerer wiegt, ist einfach: Das Interesse für einen kurzen kulinarischen Genuss und Nichteinbüssen-Wollen von Geschmackslust, oder das Interesse zu leben, nicht zu leiden und nicht umgebracht zu werden; eben leben zu dürfen. Fleischessen ist Mord - vorsätzliches Töten aus niederem Beweggrund. Nicht einmal um zu überleben, sondern nur schon für kurzen Genuss, sind wir bereit, Leben auszulöschen. Ist das noch menschlich? Fleischessen ist ein spektakuläres Interessenungleichgewicht.  In dieser prekären Situation gibt es für diejenigen, die den nächsten Braten vor dem Zugriff ihres Gewissens retten wollen, nur zwei Möglichkeiten: Sie können versuchen, den Wert, das moralische Gewicht des eigenen Gaumenkitzels zu vergrössern oder das Leiden der Tiere zu verharmlosen.

Der erste Weg wird selten beschritten. Wer dem eigenen geschmacklichen Interesse am Fleisch nämlich einen derart exorbitanten Stellenwert beimisst, dass es das immense Leiden der Tiere übertrifft, der gerät in eine schwierige und unangenehme Situation. Erstens bricht damit die Argumentationslinie mit der geistigen und moralischen "Höherwertigkeit" des Menschen, die die (Aus-)Nutzung der Tiere rechtfertigen soll, zusammen. Zweitens zeichnet derjenige, der seiner Fresslust solch gigantisches Gewicht verleiht, ein Bild von sich, das auffallende Ähnlichkeit mit Vorstellungen hat, die wir üblicherweise nur mit Tieren in Verbindung bringen: keinerlei "höhere" Interessen, sondern nur primitive Bedürfnisse und Triebe.

So bedient sich ein Fleischesser in der Regel des zweiten Fluchtweges aus dem moralischen Dilemma: Man versucht das Leiden der Tiere wegzuphantasieren.

Der Gedanke, dass das, was wir gerade genüsslich in unserem Mund kauen, vor einiger Zeit ein lebendiges Wesen mit Fleisch und Blut war, wird von den meisten Fleischessern verdrängt. Wäre sich ein Mensch voll darüber bewusst, könnte er kaum mehr Fleisch essen. Schlagartig würden die meisten Konsumenten eine natürliche Abscheu vor dem Schlachtprodukt Fleisch entwickeln. Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden mit einem Kind einen Schlachthof und danach einen Bio-Garten besuchen. Jedes Kind würde sofort erkennen, was für den Menschen die natürliche Nahrungsquelle ist.

 

Fleisch muss deshalb in einer Form präsentiert und serviert werden, die die Assoziation zum lebendigen Tier verschwinden lässt. So sehen die Endprodukte aufgrund der Bearbeitung nie wie echte Leichenteile aus, denn sie werden auf verschiedenste Weise bearbeitet, gefärbt, gepökelt usw. Sogar die Form muss durch Eingeweideentfernung und Zerschneiden verfremdet werden, bis hin zur Umwandlung in Wurst, "Fleischkäse" usw.

 

Der russische Schriftsteller Leo Tolstoi (1828-1910) war ein überzeugter Verfechter des Vegetarismus. Er sagte: "Fleischessen ist ein Überbleibsel der grössten Rohheit; der Übergang zum Vegetarismus ist die erste und natürlichste Folge der Aufklärung. Vegetarismus gilt als Kriterium, an welchem wir erkennen können, ob das Streben des Menschen nach moralischer Vollkommenheit echt und ernst gemeint ist."

 

Alexandra Tolstoi, die Tochter Leo Tolstois, erzählt in ihrem Buch "Tolstoi -- Das Leben meines Vaters" folgende Anekdote: "Meine Tante liebte das Essen, und wenn man ihr nur Vegetarisches anbot, entlud sich ihre Entrüstung mit der Äusserung, dass sie nicht jeden alten Dreck essen würde. Daraufhin verlangte sie nach Fleisch, vorzugsweise Geflügel. Als sie uns das nächste Mal zum Abendessen beehrte, war sie erstaunt, ein lebendes Huhn festgebunden auf ihrem Platz vorzufinden.

Auf ihrem Teller lag ein grosses Messer.

"Was soll das?", fragte sie.

"Du wolltest Huhn", sagte Tolstoi, der kaum in der Lage war, seine Erheiterung zu verbergen. "Keiner von uns will es töten. Also haben wir alles vorbereitet, damit du es selbst tun kannst."

 

Für die meisten wichtigen und erfolgreichen Bewegungen unserer Zeit wäre die Menschheit auch heute noch nicht reif, wenn die Vorkämpfer es nicht gewagt hätten, die Wahrheit schon zu sagen, als sie noch verlacht wurde. Aus diesem Grunde bitten wir dich, Pionier – Vegetarier -  zu werden. Der Welt, den Tieren und nicht zuletzt auch dir selber zuliebe.