Sorglosigkeit

Der Mensch sorgt sich. Dasein wird als Sorge verstanden. 
Krishna ruft die Seele immer wieder an, alle Sorge gehen zu lassen (ma sucah – Bhagavad gita 18.66; na tvam socitum arhasi – Bhagavad gita 2.26, 2.27, 2.30). 

Viele verstehen das „in der Welt sein“ als Herausforderung, sich um seine Existenz zu sorgen. Alles ist besorgeniserregend. Das Dasein von Sorge bestimmt. Die Sorge treibt an, zu arbeiten, den Lebensunterhalt zu verdienen, die Zukunft abzusichern, den Besitz zu mehren – alles im Glaube, irgendwann einmal ruhig und sicher leben zu können. Die Sorge macht den Menschen unruhig und gequält und das verhindert den Zugang zur Tiefe, den Zugang zum eigenen Wesen. 

Die Heiligen verstehen den Menschen anders – nicht als einer, der sich prinzipiell zu sorgen hat, sondern als einer, der vertrauen darf, als einer, der sich im Vertrauen zu Krishna, in welchem er mit allem versorgt wird, vollkommen aufgehoben weiss. (Srimad Bhagavatam 2.2.3-5) 

In der Bergpredigt spricht Jesus von dieser Sorglosigkeit: 
„Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, dass ihr etwas anzuziehen habt…. Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern? (Mt 5,25.27) 

Der bedingte Geist will das nicht verstehen. Er redet einen ein, es sei unverantwortlich, nicht für das Morgen zu sorgen. Es ist nicht Faulheit und das Umgehen der Arbeit und auch nicht ökonomische Naivität, sondern die erste grundlegende Transzendenzerfahrung : in Sri Krishnas perfekter Ordnung zu leben und von ihm erhalten zu werden (anna-maya). 

Denn Sorge hat immer mit Angst zu tun, sie ist ein Handeln aus Angst, sie ist die praktizierte Angst ums Dasein. 
Arbeit ist gut, aber es gibt auch die Tendenz in uns, uns in der Arbeit zu verlieren. Angst lässt einen hineinsteigern. Statt im Vertrauen auf die Fürsorge Krishnas (Bhagavad gita 9.22) zu arbeiten, glaubt der Mensch voller Ängstlichkeit, alles hänge von ihm ab. Es ist die Angst, zu kurz zu kommen (in einer ungerechten, d.h. gottlosen Welt zu leben) nicht genügend zu haben, die ihn dann unruhig und ausserhalb der Gelassenheit antreibt und umhertreibt. Diese Angst überschattet das Tätigsein. Arbeit wird dann der nervöse Ausdruck vom Entgegenstämmen der Existenzangst. 
Es ist verständlich, dass der Mensch sich ängstlich um sein Leben und seine Zukunft sorgt. Denn sein Dasein in dieser Welt ist in jedem Moment gefährdet. Aber die Ungesichertheit seiner Existenz soll ihn nicht in die ängstliche Sorge treiben, sondern in das tiefe Vertrauen darauf, von Krishna aufgehoben zu sein. 

Ewig gilt der Grundsatz: 
„Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben.“ (Mt 6.33) Es geht nicht darum, die irdische Existenz nicht sinnvoll und verantwortungsvoll zu planen und sich auch darum einzusetzen. Aber die Frage ist, worum es einem im Letzten geht. Und dieser Frage muss absolute Priorität eingeräumt werden. Die Menschen aber halten sie für einen Luxus, und man könne ihr ja nachgehen, wenn endlich einmal alles andere geregelt sei – und das wird natürlich nie der Fall sein. 
Wenn man sich nur noch um sich und seine Angst kreist, dann wird sein ganzes Leben von der Sorge aufgefressen und man wird voller Unruhe immer nach neuen Wegen der Absicherung Ausschau halten. 
Der Blick auf die Wirklichkeit Radha-Krishnas relativiert die Unendlichkeit der Sorgen. Die Götzen der Welt, an denen man sich sonst ängstlich festhält und sich festklammert geben auch dann keine Ruhe, wenn man sich ihnen ganz ausliefert. 

Ängstliches Sorgen vernebelt den Geist. Die Kunst besteht darin, sich zwar um seinen Erhalt in dieser Welt zu kümmern, aber gleichzeitig die Gelöstheit beizubehalten, nicht in einen Krieg mit den Umständen zu treten. Man soll das tun, was in seiner Hand ist und sich dann vertrauensvoll Sri Krishna überlassen und sich nicht sorgen um Dinge, die ausserhalb seines Einflussbereiches sind. (siehe Bhagavad gita 2.47, 18.6) 

Aber wenn einen die Alltagssorgen, die Absicherungspläne, bis ins Gebet hinein verfolgen, oder gar den Zutritt zum inneren Raum verbauen (immer mit der gleichen Ausrede – man hätte keine Zeit), dann zeigt dies auf, dass etwas in einem nicht stimmt. Dann leidet man an einer Prioritätenverschiebung. Das kleine Ich, um das dann das Leben kreist, ist aber unersättlich. Erst in der Sorglosigkeit kreise ich mich nicht mehr nur um mich selbst und bin offen für das Du.
Die Sorglosigkeit meint nicht, alle Probleme in den Griff zu bekommen, sondern auch ja zu sagen zu dem Leben, wie es nun einmal ist, ja zu sagen zu einer Welt, die natürlich unvollkommen ist – letztlich ja zu sagen zu Sri Krishna, der sich nicht nach menschlichen Vorstellungen zu richten hat, sondern der der ganz Andere und Unbegreifliche ist. 
Sorglosigkeit basiert auf der Gewissheit, aufgehoben zu sein selbst dann, wenn sich die Arrangierungen aufzulösen scheinen. 

„Du hältst mich fest in deinen Armen. Ich falle tief in deine gütigen Hände. 
In Geborgenheit.“