Gedanken zur inneren Haltung beim chanten

(der Meditation, der Kontemplation im Heiligen Namen)

Japa, die stillschweigende Anrufung der Heiligen Namen Gottes, ist die Wirksamste Möglichkeit, mich in der Gegenwart Gottes zu üben, ja sie mir wieder anzugewöhnen. Deshalb ist es eigentlich die vorrangiste Aufgabe des Menschseins, die Vertiefung in Ihn, die Meditation zu erlernen.

Dies sind nun Gedanken, die ich nicht alle "sastrisch" belegen und illustrieren kann. Es sind eigene Erfahrungen von mir und Freunden, mit denen ich über die Absorbation in der japa gesprochen habe. Es sind praktische Anleitungen, wie der Geist beim Heiligen Namen verbleiben kann, ihn im Herzen umarmend, und wie man wieder fühlen lernen kann, dass Harinam nicht weniger als Alles ist. Durch die ständige innere Korrektur meiner Seelenhaltung wird der Heilige Name eine solche Substanz bekommen, dass im Vergleich dazu alle vierzehn Planetensysteme dieser Welt erkannt werden, als das, was sie sind: nämlich nur Schatten. (chayeva yasya bhuvanani vibharti durga BS 5.44)

In der Meditation über die Heiligen Namen gibt es bestimmte Wesensbestandteile, die ein unteilbares Ganzes bilden, nämlich unsere japa, aber doch in ihrer Besonderheit einzeln betrachtet werden können. Werden sie deutlich erkannt, so kann sich der Geist bewusst zu ihnen hin erziehen, indem man während der japa die Aufmerksamkeit bald auf die eine, bald auf die andere dieser Zugänge zum Gebet verlegt, und sie dadurch zum wachsen bringt.
Es sind Gemütszustände, Seelenhaltungen, die mir, wenn ich sie mir wirklich zu eigen mache, den heiligen Namen, der ja nicht von einer weltlichen Zunge produziert und auch nicht mit weltlichen Ohren gehört werden kann, innerhalb von Buchstaben erscheinen lassen.

golokera prema dhana harinama sankirtana
"Obwohl er in Goloka heimisch ist, erscheint er innerhalb einer Buchstabenkombination innerhalb der materiellen Universen"
(Prarthana)

 

1. Ehrfurcht

In der nam-dhyan bildet die Ehrfurcht die tragende Grundlage. 
Auch im Srimad Bhagavatam wird in der Annäherung Gottes vorerst aisvarya-jnan, die Erkenntnis der Grösse, der Herrlichkeit, der Allmacht und Allgegenwart Gottes vermittelt, die einem vor Ehrfurcht in Erstaunen versetzt, bis dann später madhurya, die Lieblichkeit Krishnas offenbart wird. Die Ehrfurcht bildet das adhikar (meine Qualifikation) für höhere Gotteserkenntnis, denn ohne sie projeziere ich nur weltliche Emotionen und Sehnsüchte auf die Höchste Person.
Ehrfurcht ist mehr als blosse Ehrerbietung-die jemandem die ihm zukommende Ehre "anbietet", darbringt. Sie ist Furcht; nicht etwa Angst, aber eine heilige Scheu, die es sich nicht herausnimmt, das, was verehrungswürdig ihr gegenübersteht, in unangemessener Weise anzutasten. 
Das lateinische Wort reverentia drückt das noch tiefer aus: zurück-scheuen. Ehrfurcht wurzelt ganz tief in der Seele. Sie entspringt der gespürten Wahrnehmung, des Erahnens der Grösse, Würde Erhabenheit des Gegenüber. Es ist die im Herzen, und manchmal auch äusserlich, das heisst mit dem Körper vollzogene Anerkennung dieser Einsicht. 

Der Ehrfürchtige sieht die gezogenen Grenzen, und hält sie inne. Er drängt sich nicht vor, wohin er nicht eingeladen wurde, er bleibt sozusagen wartend stehen und überlässt es Krishna, ob und wieweit Er ihn zu sich herholen und Teil an Sich gewähren wolle.
Es ist ein treulich auf das letzliche Du ausgerichtetsein. Man will dieses Du als das, was es ist, ungeschmälert von seiner eigenen Wenigkeit.
„Wer bin ich? Ein armer, sündvoller Freund eines Brahmana. Wer ist Krishna? Er ist die Höchste Persönlichkeit Gottes, ausgestattet mit allen sechs Füllen. Und trotzdem umarmt Er mich mit Seinen beiden Armen.“
(Srimad Bhagavatam 10.81.16 Ein Vers, der von Sudama, dem alten Gurukula-Freund von Krishna, gesprochen wurde)

„Mein lieber Herr, Du bist ein Meer der Barmherzigkeit. Mit meinen Händen über dem Kopf gefaltet verneige ich mich vor Dir mit aller Demut und Aufrichtigkeit. Jetzt bete ich zu Dir, o mein Herr, würdest Du bitte ein wenig von dem Wasser Deines Blickes auf mich sprengen? Das wird mich sehr zufrieden machen.“ (BRS S.280)


Liebe ist nie möglich ohne Ehrfurcht. Ich erstaune vor seiner Herrlichkeit. Wenn ich mich der Absoluten Wahrheit annähere, wird meine Begrenztheit in Beziehung zu Seiner Unbegrenztheit wieder gefühlt. 


2. Andacht

Wie kann man wirklich ehrfürchtig vor Gott stehen und beten - und zugleich absichtlich an etwas ganz anderes denken? 
Sehr wohl ist die allergrösste Ehrfurcht möglich, während die unfreiwilligen Zerstreuungen das Herz martern und den Geist immer wieder forttragen, wohin er ja letzlich gar nicht will.
Das Gebet büsst nicht viel an Wert und Wirksamkeit ein, wenn es gegen den ausdrücklichen Willen des Beters in lauter Zerstreuungen hineingerissen wird und geradezu nur aus ihnen besteht. Das, was gute japa verbürgt ist die Ernsthaftigkeit des Willens bei Gott sein zu wollen. Es ist des ehrliche Versuchen, meinen Geist immer wieder zu den Lotosfüssen Sri Krishnas wieder zurückzuziehen. (Bg 6.26)

Andacht ist das Denken an das, was der Geist sich vorgenommen hat. 
Japa mag dann bedeuten, dass sich der Geist geradewegs auf Krishna richtet (nama, rupa, guna, lila) wie in einer inneren Beschauung, oder dass er sich auf ein Mittel richtet und durch das hindurch auf Krishna, wie bei Erwägungen und Betrachtungen (bei der ich an einem von Krishna gesprochenen Vers nachhänge und so versuche, mich von Ihm angesprochen zu fühlen und dass dann dadurch die Andacht geboren wird). Die Andacht besteht dann also darin, dass der Geist sich auf den Inhalt der Worte richtet, über die er reflektiert. Er schaut zum Beispiel auf den Sinn von "Gopinatha"- "mama nivedana suno" (bitte höre mich jetzt an)- "kichu nahi mora guna" (wenn ich mich genau analysiere, kann ich keinerlei gute Eigenschaften in mir erkennen) usw.
Japa-nam dhyan ist wie das Reden selber: 
Wenn man etwas schwieriges und vielleicht noch Ungeläufiges spricht, schreitet der Geist vorsichtig von Wort zu Wort weiter, sehr bedacht auf die richtige Auswahl und Zusammenfügung. Er umschreitet so oder umschreibt gewissermassen den Gegenstand, den er darzustellen bemüht ist. Je vertrauter aber der Gegenstand geworden ist, desto leichter nicht nur finden sich die Worte und Ausdrücke, sondern sie schweben um das Gemeinte, leicht wie ein feiner Schleier, durch den das Gegenständliche fast hindurchscheint. Der Geist "hat" den Gegenstand schon, lebt in ihm, kennt sich in ihm aus. Dann sucht er nicht mehr mühsam nach Wortausdruck, sondern er greift einfach hin und hat das Richtige, um zu zeigen, was er deutlich in sich sieht. 
Dieser Vorgang existiert auch bei der andächtigen japa. 
Je mehr man sich noch bemühen muss, Gottes Gegenwart in sich zu erfassen und davor zu verweilen, je mehr man nachzusinnen hat, um etwas von Gott zu begreifen, desto mehr ist der Geist auf die Worte des mantras selbst gerichtet, die da um Krishna kreisen und Ihn meinen. Je vertrauter aber im Laufe der Übung Krishna einem wird, je näher Er einem ist, und je besser man Ihn kennt, desto mehr werden die Worte des Gebetes als solche an Gewicht verlieren, das Wort wird transparent, durchsichtig auf Krishna hin, durch das Wort und in ihm wird Er selber lebendig erfasst und umfangen. Die Andacht besteht dann nicht mehr im Achthaben auf den einzelnen Wortinhalt, sondern im Gott-nahe-sein und Bei-Krishna-weilen durch das nun immer schattenhafter und skizzenhafter werdende mantra-Wort hindurch.
Das Mittelhafte am mantra macht sich immer überflüssiger, je mehr das Ziel erreicht wird, die Andacht wird dabei umfassender, inniger, lebendiger, und es wird der Seele sehr deutlich, dass die Andacht nicht so sehr eine Angelegenheit des Kopfes, des Erkennens und des Denkens ist, sondern eine des Herzens, ein einfaches Mit-Krishna-Zusammensein in Liebe und Freude und Gleichförmigkeit der Gesinnung.


3.Vertrauen

Ist der Blick des Herzens, die Ausrichtung der Seele wirklich auf Krishna gelenkt, so kann er nicht anders als mit Vertrauen erfüllt sein. Es widerspräche ja schon dem inneren Sinn der Bitte (Liebe Radharani, lieber Krishna, bitte beschäftigt mich doch einfach in eurem nitya seva, und lasst mich so Eurer Gemeinschaft teilhaben), wenn zugleich ein starker Zweifel an ihrer Existenz mitginge. 
Auch in der Bitte einem Menschen gegenüber müsste die Zuversicht auf Erhörung mindestens etwa den Zweifel überwiegen. 
Denn im Vertrauensmangel liegt ein tiefer Zweifel entweder am Können oder am Wollen, an der Güte des Gebetenen.
Es gehört zu Krishnas Wesen, dass er verehrt und als den genommen wird, den er ist.
"Selbst wenn die Umarmung mit Ihm rauh ist und einem fast das Herz zerbricht-er bleibt unser ewiger Herr-Leben für Leben." (Siksastakam 8)
Bitten, das nicht gänzlich frei ist von Bedingungen und Bedenken, öffnet die Seele nicht weit genug vor Gott, so dass sie gar nicht fähig ist, Seine Gaben entsprechend in sich einzulassen, auch wenn Er sie trotz ihrer Absorbation in soviel Unwichtiges und Nebensächliches uneingeschränkt zu geben bereit wäre. Die vertrauende Seele ist geöffnet dem Geber und zu Seiner Gabe hin. Sie ist bereit, für was immer sie von Ihm erhalten wird.


"Vertrauen bedeutet, im Herzen nachzufühlen, dass ich alleine durch meine Ergebenheit zu Krishna all meine anderen Belangen erfüllt habe, und in allen drei Welten nichts wichtigeres zu tun habe." (Caitanya caritamrta 22.62)
Meinem Geist die Überlegenheit des Gebetes gegenüber sämtlichen anderen Beschäftigungen in dieser Welt, der innigen Ausrichtung auf Krishna, klar darzulegen, ist eine der täglichen Übungen während der Gebetspraxis.
Wenn ich 24 Stunden an einem Tag gebetet habe, so war dies nicht ein verlorner Tag, ich habe wirklich nichts Wichtigeres zu tun. Diese Überzeugung konstant in einem zu verspüren, ist Vertrauen.

 

4. Beharrlichkeit

Wirkliches Vertrauen muss und wird sich bewähren in der Beharrlichkeit.
Sie ruht ganz auf dem gläubigen Wissen um die Macht, Weisheit und Liebe unseres ewigen Herrn. 

Die Weiterführung zu Krishna hin kommt nur von Ihm selbst. Deshalb kann ich mir eine neue Weise zu beten auch nicht anstudieren. Und noch viel weniger: mir anquälen! 
Das wird geschenkt. Zuweilen wird es wieder fortgenommen, was man schon zu haben meint, um zu einem späeren Zeitpunkt anders und vertieft wiederzukehren. Eins merkt man sehr deutlich: dass es "kommt" und "geht" unabhängig von unserem Rufen. 
"Lieber Krishna, selbst wenn Du mich ignorieren wirst, ich werde mich nun immer an Dich erinnern."

Könnte ich Ihn dann verlassen wegen dem oft scheinbar langen Wartenmüssen auf die Erhörung? Hier eben setzt die Gebetseigenschaft der Beharrlichkeit ein. Das Herz muss standhalten können und vertrauensvoll weiter warten lernen. 
Erst im standhaften Bitten kommt das Gebet zu seiner eigentlichen und echten Reife. 
Alles um uns und in uns hat seine Entwicklungen, die oft schier endlose Zeiten in Anspruch nehmen. Der eine Gottesgedanke legt sich in eine fast unübersehbare Breite und Länge im Geschichtlichen auseinander.  
Selbst Ereignisse, die urplötzlich hereinzubrechen erscheinen, haben sich in Wirklichkeit seit langem vorbereitet. Der Blitz, der wie aus "heiterem Himmel" niederzuckt, setzt doch eine Unsumme von Ereignissen voraus, die unmerklich bis zu dem Zeitpunkt führten, wo die Entladung stattfinden musste. 
So entwickelt sich das Gebet, meine tägliche Begegnung mit Krishnas Namen, jedes Mantra, jeden einzelnen Namen allmählich bis zu der Stelle, wo es der Erhörung, der "Entladung" fähig und würdig ist. Mit Willkür seitens Gottes hat das nichts zu tun. Gewiss ist es Prüfung, aber eben in dem Sinne, dass da etwas zur Reife und Reinheit geführt wird, um dann erst ganz zum richtigen Empfangen befähigt zu sein. 

Im Srimad Bhagavatam wird beschrieben, wie Narada Muni den saksat darshan, die direkte Begegnung mit der Höchsten Personalität Gottes für einen ganz kurzen Moment geschenkt bekam. Dann sprach der Herr zu ihm:
"O Narada, ich bedauere, dass du während dieses Lebens nicht mehr fähig sein wirst, Mich noch einmal zu sehen. Dein Dienst ist noch unvollständig. Nur der aus sämtlichen materiellen Motivationen herausgereifte wird mich immer sehen." (SB 1.6.21)

Denn Ihn zu empfangen ist eine grosse Kunst. Wenn ich lange und innig um etwas gefleht habe, bekomme ich erst den ganzen Gehalt des Erbetenen, seine Wichtigkeit und Bedeutung zu Gesicht. Und so werde ich durch meine Beharrlichkeit dann ganz anders damit umgehen, als wäre es mir beim ersten Mundöffnen schon geschenkt worden. Es hat nun, da ich mich so aus ganzer Seele darum bemühen, erflehen und ersehnen musste, erst den vollen Wert für mich. 
Man entgeht somit der Gefahr, die in den Heiligen Schriften sogar als eine schlimme Sünde angesehen wird, eine kostbare Gabe nicht genügend hochzuachten und somit umsonst gebeten zu haben. Dies wäre eine Geringschätzung Krishnas. Man entgeht der Undankbarkeit, die alles wie selbstverständlich hinnimmt und so zu schwerer seelischer Schädigung führt.

Im beharrlichen Gebet wird die Seele geduldig und stark, überwindet ihre eigene Weichheit und Reizbarkeit, ihr Sichübereilen (Fanatismus) und ihre Neigung, Ansprüche zu stellen. Zudem wird sie stetig gegenüber Versuchungen, selbstloser und bescheidener. All dies ist so viel Wert für die Seele, dass schon darum das Wartenmüssen eher eine Gnade als eine Prüfung ist. 
Manchmal verwandelt sich auch im Laufe eines langen beharrlichen Gebetes der Inhalt der Bitte ebenso wie der Bittende (Betende) selber. Weil er reifer wird durch das Warten, wird auch das Ersehnte, das Erbetene ganz anders aussehen, es wird korrigiert, gestrichen und dazugetan, und vielleicht gelangt das Herz wie von selbst an einen Punkt, wo es jene erste Bitte völlig überholt hat, sie aufgibt und in der Nichterfüllung derer die tiefste Gottesgnade erkennt.

Dhruva Maharaja bereut: "O mein Herr, ich bat Dich um ein Glassplitter (er wollte ein Universum regieren) und habe nun einen wunderbaren Diamant gefunden, die Begegnung mit Dir und somit den ewigen Dienst zu Dir. Jetzt möchte ich nichts mehr von Dir verlangen, sondern nur das Annehmen, was Du von mir möchtest." (CCM 22.42)
" Der Herr, die Höchste Persönlichkeit Gottes, lässt die materiellen Wünsche Seines Geweihten, der sich mit solchen Motiven an ihn wendet, in Erfüllung gehen; wenn dies jedoch dazu führt, dass der Geweihte dann bloss um noch mehr Segnungen dieser Art bittet, wird der Herr sie nicht erfüllen.Was der Herr jedoch seinem Geweihten bereitwillig schenkt, ist die Zuflucht bei seinen Lotosfüssen, selbst wenn ein solcher Mensch gar nicht danach strebt. Diese Zuflucht wird all seine Wünsche zufriedenstellen. Dies ist die besondere Barmherzigkeit der Höchsten Persönlichkeit."
(SB 5.19.27) SB 4.9.29
Dies wird im Caitanya Caritamrta noch tiefer ausgeführt (22.37-41)

Krishna erklärt in der Bhagavad Gita (6.22) dass es für eine Seele, die einmal die Zuflucht bei Gottesdienst gefunden hat, nichts mehr geben würde, wonach sie sich nun sehnen würde.  
Was aber diese Hingabe zur Liebe macht, ist die Treue, das Bleibenwollen in der Hingegebenheit und in dem Ausgeliefertsein an das einzige Du Gottes-die Beharrlichkeit. Krishna sagt in der Bhagavad Gita: "Wer sich nicht um eine andere Unterkunft sorgt als der Dienst zu meinen Füssen, ist mir sehr lieb." (Bg 12.19)