Was ist Sadhana?

Viele Seelen, die von grossem Glück gesegnet sind, und dies in vielen Leben ersehnten, kommen in Kontakt mit reiner Bhakti, einer Gottesliebe, welche nicht durch Eigennutz geprägt ist.

 

Und viele bemühen sich am Anfang ihrer Theopraxis, wie sie sie halt verstehen, mit so viel Enthusiasmus, Hoffnung und Glauben.

Dann nach zehn oder zwanzig Jahren finden sich viele in einer ähnlichen Situation wieder, in welcher sie vor vielen Jahren mit Hoffnung losgezogen sind: noch immer grösstenteils identifiziert mit dem physischen Körper und den Gedanken und Gefühlen, die mit dieser Existenz verknüpft sind, noch immer betroffen und aufgewühlt von weltlichen Wünschen und Anhaftungen - und zu all dem ist man nun in der "mid-life"- Krise.

Man musste eingestehen, dass sich selbst im Umkrempeln des äusseren Lebens, in einen spirituell orientierten Tagesablauf mit vielen Stunden der Meditation, innerlich effektiv nicht viel verändert hat. Noch immer ist man in den gleichen Leidensstrukturen verfahren, noch immer funktioniert man im kleinlichen Schema des Reagierens in Freude auf das eigene Lob und im Gekränkt-sein auf die Schmach, noch immer ist die Realität Gottes nicht so nahe an einem wie das Geschehen an der Oberfläche, noch immer ist die Meditation eine tägliche "Praxis, und nicht eine Leidenschaft geworden, eine Begegnung.

In dieser Entmutigung verlieren viele das Vertrauen in den Vorgang der Bhakti, dadurch gezeugt, dass sie nun völlig absorbiert sind in wirtschaftlichem Fortschritt und im "Sich-Einrichten" in der Welt.

Auf jeden Fall ist dies nicht der graduelle Fortschritt der Bhakti, der in den Schriften beschrieben wird. Dass man zuerst mit viel Vertrauen beginnt, dann an einen Punkt kommt, an dem man nicht mehr mag, und sich schliesslich ganz hineinbegibt in das Greifbare, in die Verbesserung seiner wirtschaftlichen Situation......

 

Weshalb ist es nun aber so, dass viele Spiritualisten diese Erfahrung machen?

 

Srila Bhaktivinod Thakur beschreibt im "Bhakti-tattva viveka", einer Abhandlung über die Grundzüge der reinen Hingabe zu Gott, dass die meisten Seelen, die mit Suddha-bhakti in Berührung kommen, diese dann aber nicht erlangen, aufgrund ihres Missverstehens, was Bhakti eigentlich ist. Deswegen praktizieren sie etwas, das so aussieht wie bhakti (bhakti-abhasa) aber es nicht wirklich ist. Sadhya-sadhana-bhrama bezeichnet eine Verirrung, was das Ziel ist und was der Vorgang ist, dieses zu erreichen. Und so eine Praxis gibt natürlich auch nicht das Resultat, das in den heiligen Schriften beschrieben ist, nämlich Loslösung dieser Welt, eine direkte Erfahrung Gottes, einen unwiderstehlichen Geschmack an seinem Heiligen Namen, eine Sehnsucht, die niemals gestillt, sondern immer nur intensiver wird. Das Praktizieren eines Missverständnisses wird niemals das gewünschte Resultat erzeugen. Es geht in der Praxis der Bhakti nie darum, Dinge in der Welt zu bewerkstelligen, viele Bücher zu drucken, Tempel zu errichten oder Projekte zu erschaffen, sondern immer nur um den Wandel des Herzens, der aber effektiv geschehen soll. Sadhana ist der Weg dazu.

 

 

Wie definiert Rupa Goswami reine Bhakti?

 

Anyabhilasita sunyam  jnana karmady-anavrtam

Anukulyena krishnanu-silanam bhaktir uttama

 

"Der kontinuierliche, natürlich spontane, ununterbrochene Fluss (so wie Honig aus dem Honigglas herausfliesst) des Bewusstseins und aller Bemühungen des Körpers, des Geistes (der inneren Gemütsstimmungen) und aller Worte ganz allein zur Freude von Sri Krishna, wird reine Bhakti genannt.

Diese Hingabe ist frei von  irgendwelchen materiellen Motivationen, die einem von seiner Wesensnatur entfremden -  nämlich der Ambition, irgend etwas von Gott zu bekommen und dem Flehen, vor etwas bewahrt zu werden.“

 

Anu bedeutet anusilanam, was spirituelle Führung bedeutet. Wenn Bhakti nicht unter Anleitung reiner Seelen geschieht, ist es nur karma, eine Tätigkeit in der Welt, die in sich nicht die Kraft hat, die Seele von allen Bindungen zu befreien und die schlummernde Gottesliebe zu erwecken.

 

Mahat-kripa vina kon karme bhakti naya

Krishna-bhakti dure rahu, samsara nahe ksaya   (Caitanya caritamrita 2.22.51)

 

"Alles, was man tut ohne den Segnungen einer reinen Seele, ist nicht bhakti, sondern karma. Was zu sprechen von Bhakti - es hat nicht einmal die Kraft, einen von den klebrigen Fäden dieser Wandelwelt zu befreien."

 

Rupa Goswami erklärt, dass diese uttama-bhakti drei Teile hat, die mit dem Reifegrad einer Mango zu vergleichen sind.

Es beginnt mit sadhana-bhakti, reift dann weiter in bhava-bhakti und fruchtet letztlich ganz in prema-bhakti.

 

"Sadhana" definiert Rupa Goswami im Bhaktirasamrta-sindhu (1.2.2) folgendermassen:

 

kriti sadhya bhavet sadhya-bhava sa sadhanabidha

nitya-siddhasya bhavasya   prakatyam hridi sadhyata

 

" Wenn alle Sinne in den Tätigkeiten der Bhakti beschäftigt sind - hören, beten und erinnern der Namen, Form, Eigenschaften, und transzendentalen Spielen von Radha-Krishna - mit der genauen Endabsicht, dem Zielgedanken in jedem Moment erinnernd, nämlich bhava-bhakti, vollständige emotionale Involvierung in Radha-Krishna, dann wird die inhärente Stayi-bhava (Grundbeziehung des Lebewesens zu Gott) im Herzen erweckt."

 

Dieser Vers beschreibt als sadhya, als Ziel, eine bhava, eine konstante Stimmung im Innern, der ewige Rasa (liebende Gottesbeziehung) der Seele zu Gott. Sadhana ist also die Beschäftigung des Geistes und der Sinne in den Angas (den Tätigkeiten) der bhakti mit dem Ziel, bhava-bhakti zu erreichen.

Wenn das Bewusstsein nicht auf dieses Ziel gerichtet ist, sagt man der Praxis Sadhana-abhas, ein schattenhafter Abglanz von sadhana, welcher natürlich auch nicht das Resultat von Sadhana zuteil werden lässt. Es kann einen lediglich sukriti (spirituelle Verdienste) schenken, welche einen in der Zukunft in die Gemeinschaft von Heiligen leitet, in welcher man über die sadhya-bhava (die Stimmungen der Gottesliebe) hört.

 

In der Gemeinschaft eines Heiligen erhält man von ihm den heiligen Namen und die Erläuterung seiner Bedeutung. Die Berührung mit dem heiligen Namen offenbart einem eine Ahnung seiner ewigen spirituellen Form. Noch immer sitzt mein bei Heiligen und hört von ihnen über Krishna-katha (Beschreibungen des ewigen Lila). So wird diese Ahnung der Gottesliebe zu einer innersten Gewissheit. Wenn man nun den Heiligen Namen chantet und sich an Krishna erinnert aus der Perspektive der sadhya-bhava, nennt man dies sadhana.

 

Wenn man also früh am Morgen aufsteht, Lieder zu Narasimha singt, dann Ramayana hört und anschliessend den Murti von Laxmi-narayana verehrt kann dies unmöglich sadhana sein, da es kein Ziel hat, keine Ausrichtung in eine ewige Beziehung (sadhya-bhava).

 

Von wo kommt denn diese Bhava? Es ist die nitya-siddha bhava, die ewige, latente Stimmung der Gottesliebe in der Seele. Sadhana schafft diese Stimmung der Seele nicht, sondern legt sie nur frei.

Zusammengefasst kann man sagen: Die Bemühungen, die man mit den Sinnen ausführt, um bhava zu erlangen, werden sadhana genannt.

 

Was ist nun bhava-bhakti? Wie kann man seine Sinne einsetzen, etwas zu erlangen, das man nicht kennt? Deswegen muss, um sadhana ausführen zu können, bhava-bhakti verstanden werden. Bhakti ist Vedanta, die Kulmination allen Wissens; es ist nicht ein blindes Schweifen im Dunkeln in der naiven Hoffnung, eines Tages einfach zurück zu Gott zu gehen.

 

Im Bhakti rasamrta sindhu beschreibt Rupa Goswami bhava-bhakti:

 

Suddha-sattva visheshatma    prema suryamsu samya-bhak

Rucibhis citta-mashrinya     krid-asau bhava ucyate

 

"Wenn bhakti sich zur Stufe der ruci (des tiefen Geschmackes) entwickelt und das Herz, der Geist und der Intellekt weich geworden sind aufgrund der göttlichen Liebe, dann nennt man dies bhava-bhakti. Dieser transzendentale Zustand ist jenseits der Erscheinungsformen dieser Welt und der sadhaka wird da alleine von suddha sattva (der ewigen spirituellen Energie) genährt. Das Bewusstsein wird leuchtend klar, denn diese Bhava bhakti ist ein Strahl der Prema-bhakti Sonne."  (Bhakti-rasamrita-sindhu 1.3.1)

Bhava ist nicht ein Phänomen dieser Welt, sondern eine Erscheinung der Suddha-sattva, der reinen Transzendenz. Es ist also eine Erfahrung, die nicht mehr von der Seele erzeugt und produziert ist, sondern eine reine Offenbarung Gottes, die keinerlei Berührungspunkte mit der materiellen Energie mehr hat, also nichts gemein hat mit groben und feinstofflichen Körpern.

Es ist eine Erfahrung, die von einem Bereich jenseits des Brahman herrührt, welches suddha, vollkommen rein von allen Berührungen der materiellen Mentalität ist.

 

Bhava ist eine Verbindung der Samvit-Sakti (Gottes Energie des Erkennens, Bewusstseins und Wissens) mit der Hladini-Sakti (Gottes Kraft der Freude und Glückseligkeit).  Diese wunderbare Kraft wird auch bhakti-shakti genannt. Diese transzendentale Bhakti manifestiert sich aber nie innerhalb dem Bereich der materiellen Welt, sondern nur der Atmosphäre der Sandhini (Gottes transzendenten Existenz). Deshalb heisst es, dass wo bhakti ist, die spirituelle Welt gegenwärtig ist.

 

Was sind die Symptome, wenn sich Bhava Bhakti im Herzen manifestiert?

 

Es kann geschehen, dass jemandem wirklich Tränen der Rührung kommen und ein Geschmack, der mit nichts in der Welt vergleichbar ist, gekostet wird. Und schon denkt man, ein Heiliger geworden zu sein. Deshalb formuliert die spirituelle Tradition die Warnung: das ist rati-abhasa (einen Schatten, einen Schein des Wirklichen, der in das Herz hineinschimmert und es überflutet).

 

Um den Gemütszustand der erwachenden Bhava,  klarer zu umschreiben, gibt Srila Rupa Goswami im Bhakti-rasamrita-sindhu neun Symptome:

 

-kshantih (völlige Gelassenheit und Vergebung)

Es mag so viele Gründe um mich herum geben, gestört zu sein im Geist, aber inmitten all dieser bleibt man in sich, bei sich, ohne sich im Geringsten davon beeinflussen zu lassen. Das Leid kommt nicht aus dem objektiven Geschehen heraus, sondern durch die Involvierung meines Geistes in das Geschehen.

 

-avyartha kalatvam (keinen Moment mehr verschwenden)

Die Haltung, dass jeder Moment im menschlichen Körper so wertvoll ist, dass er auf keinen Fall verschwendet werden soll. Avartha-kalatvam bedeutet, dass man sich dessen ständig bewusst ist und man solchen Verlust nicht tolerieren könnte.

 

-viraktih (Losgelöstheit)

Aufgrund des Geschmackes, den man von der Hladini-Sakti (der Bhakti, der spirituellen Freudenkraft) erfährt, resultiert eine Unfähigkeit, sich weiter an das "Alte" hineinzubeugen.  Das bedeutet, dass eine natürliche und beständige Loslösung von materiellem Komfort und Sinnesbefriedigung erwacht ist. Wenn man weiter fortschreitet bedeutet viraktih: Loslösung von der Praxis von Vaidhi-bhakti. Dann: Loslösung von Shanta-rasa, Dasya-Rasa, Loslösung von aisvarya-bhava, Sakhya-Rasa, Vatsalya-Rasa und dem alleinigen Zuwenden zu Madhurya-Rasa.

 

-maana shunyata (Demut)

Das ist die Nichtexistenz sämtlicher Einbildungen. So schnell beginnt man sich als etwas anderes als eine ganz kleine Seele zu betrachten und definiert sich dann durch die Dinge, die man bewerkstelligt und erschaffen hat. Man geniesst, dass Personen von einem abhängen. Man fühlt sich unersetzbar, begehrt, und glaubt, das Zentrum zu sein. Die totale Abwesenheit dieser weltlichen Haltung nennt man maana shunyata. Am Punkt, wo transzendentale  Emotionen das Herz erfüllen und man sich wirklich im Bezug zu Gott erkennt, wird dieses Spiel langweilig und überflüssig.

 

-asha bandha (heilige Hoffnung)

Die starke Überzeugung, dass einem ohne Zweifel die Gunst des Höchsten zuteil werden wird, heisst im Sanskrit "asha bandha ("man ist gebunden durch diesen heiligen Wunsch"). Srila Rupa Goswami betet im Padyavali: "Ich besitze keine Liebe zu Krishna, noch zu den Ursachen dieser Liebe zu Krishna (sravanam, kirtanam, smaranam...). Auch fehlt in mir den Vorgang des bhakti-yoga, durch den man stets an Krishna denkt und Seine Lotosfüsse im Herzen bewahrt. Was philosophisches Wissen oder fromme Werke betrifft, so sehe ich für mich keine Gelegenheit, mich mit solchen Dingen zu befassen. Deshalb bleibt mir nichts anderes übrig, als einfach zu Dir zu beten, Gopijanavallabha (Krishna, der Geliebte der Gopis). Ich wünsche und hoffe nur, dass ich auf irgendeine Weise fähig sein möge, mich Deinen Füssen zu nähern, und diese Hoffnung bereitet mir Schmerzen, denn ich halte mich für recht untauglich, dieses transzendentale Ziel des Lebens zu erreichen." Die Bedeutung davon ist, dass man fortfahren sollte zu hoffen, wo es nichts mehr zu hoffen gibt. Aber die asha bandha lässt einen ständig weiter gehen, dass man auf irgendeine Weise doch fähig sein werde, sich der Umarmung mit dem Höchsten zu nähern.

 

-samutkantha (brennende Sehnsucht)

Dies bedeutet, ständig eine starke Begierde zu haben. Diese starke Begierde wird schön von Bilvamangala Thakura in "Krishna-karanamrita" beschrieben:

"Ich warte voll Ungeduld darauf, den Knaben von Vrindavana zu sehen, dessen körperliche Schönheit das ganze Universum bezaubert, dessen Augen stets von schwarzem Kajal beschmückt sind und sich wie Lotosblätter erstrecken, und der immer ungeduldig über seine Geweihten einen flüchtigen Blick wirft und Sich deshalb leichtfüssig hierhin und dorthin bewegt. Seine Augen sind stets feucht und Seine Lippen wie die Bimba-Blüte, und diesen Lippen entspringt eine Klangschwingung, die einen irrsinniger macht als einen tollen Elefanten. Ich sehne mich so sehr danach, Ihn in Vrindavana zu sehen."

 

-nama gana sada rucih (Freude an der Kontemplation der heiligen Namen haben)

Dies bedeutet, ständig Geschmack zu haben am Heiligen Namen (das ist das Svarupa Laksana von Bhava Bhakti, das Hauptmerkmal, an dem wir unseren Puls fühlen können, inwiefern wir Fortschritte machen).

Der heilige Name ist Krishnas Gnadenform, welche in diese Welt hineinkommt und immer dort zugänglich wird, wo man sich ergebend an ihn wendet.

 

-asaktis tad guna khyane (Anhaftung, über Gottes Eigenschaften zu sprechen)

Dieses Merkmal umfasst einen beständigen Geschmack, die geheiligten Eigenschaften des Herrn zu beschreiben.

"Durch diesen dunklen wunderschönen wird das gesamte Universum erhellt, er ist so fein und zart, aber mit seinem kleinen Finger hält er den ganzen Govardhana hoch, Ihm gehören alle Universen, aber er stiehlt in den Häusern der Gopis von Vrindavana. Der Gedanke an Krishnas wunderbare Eigenschaften wirkt auf mein Herz so anziehend, dass ich nicht weiss, was ich tun soll!" (Krishna Karanamrita)

 

-prithis tad vasati sthale

Das ist der Wunsch, sich an einem Ort sich aufzuhalten, an dem Krishna ewiglich seine Spiele offenbart, im Dham.

Wenn wir das äussere Vrindavan betrachten, dann stimmt dies nicht überein mit den Beschreibungen des Bhagavatam und der heiligen Schriften. Wir brauchen die Führung von Heiligen, um dies zu verstehen.

Der Heilige Dham ist nicht aus dem Stoff dieser Welt gemacht, weswegen er nicht mit den Instrumenten unserer Sinne wahrgenommen und nicht mit den Gefühlen erspürt werden kann.

Sri Vrindavan wird eine Wirklichkeit in uns durch die Barmherzigkeit von Sadhus, wenn in ihrer Gemeinschaft die Zuneigung, die sie zu Radha Krishna verspüren, sich in unser Herz ergiesst.

 

Aus diesem Grund ist es wichtig zu verstehen, dass wir nicht nach Vrindavan kommen, um diesen Ort zu geniessen, sondern um zu dienen, und um die Diensthaltung zu vertiefen.

Das ist die wirkliche Stimmung von Vrindavan.

Und dieses Vrindavan-Bewusstsein, dass hier nämlich jedes Grashalm, jedes Staubkorn erfüllt, ist von krishna-seva-vasana (dem spontanen Wunsch alles zur Freude von Radha Krishna zu tun), ist eigentlich auch der natürliche Bewusstseinszustand von uns.

Was wir hier in Vrindavan alle gemeinsam haben ist die Gelegenheit, in jedem Moment Krishna kontaktieren zu können. Er ist wirklich da.

 

 

Wenn nun dieser Sonnenstrahl der Prema sich im Herzen manifestiert, beginnt das Herz zu schmelzen (citta- mashrinya) aufgrund eines Wohlgeschmacks, eines Kostens der Lieblichkeit Sri Krishnas.

Wenn also unser Bewusstsein wieder aufbricht von allen Verhärtungen der upadis (Überstülpungen falscher Rollen) und seine natürliche Zartheit wiedererlangt, werden die svarup-abhilas, die Wünsche der ewigen Seele, unsere wesenseigenen Bedürfnisse freigelegt.

Diese Abhilas sind nicht einfach nur Wünsche wie wir sie an der Oberfläche unseres Wesens erleben, sondern ganz tiefe Sehnsüchte, Urverlangen und Wunschbilder der Seele.

 

Der erste heisst bhagavat-prapt-abhilas, den intensiven Wunsch, dem geliebten Herrn zu begegnen, ihn zu erlangen. Wenn dieser abhilas manifest ist, erfährt man starke Trennungsgefühle, wenn man ihn sieht. Aber das ist kein Leid, sondern eine Folge der grossen Liebe - der Sehnsucht.

Dies wird sehr schön ausgedrückt im Lied "Sri Radha Krishna pada-kamale mana" von Srila Bhaktivinod Thakur.

"Wie wird es mir möglich sein, je die letztliche Zuflucht, den Dienst zu Radha und Krishna, zu erlangen? Dieser erbärmliche Diener wartet seit unvordenklicher Zeit, und erhält Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit, Eure Zuflucht doch noch zu bekommen.

Bhaktivinod, der unwürdige Diener von Lalita Sakhi, hält ihre Lotosfüsse auf seine Brust und bittet sehnsüchtig, Radha und Krishna in den Wäldern von Vrindavan zu erlangen.

Bitte hört meine demütige, flehende Bitte und nehmt mich auf."

 

Der zweite abhilas heisst "anukula abhilas", der Wunsch, etwas ganz Wunderbares tun zu wollen für seinen Ista (seinen geliebten Herrn) in einer wohlgesinnten Haltung.

Im Radha-rasa sudhanidhi (198) betet Prabhodananda Sarasvati Thakur:

 

Asasya dasyam vrishabhanu-jayas   Tire samadhyasya ca bhanujayah

Kada nu vrindavana kunja itisv         Aham nur radhe hy athitir bhaveyam

 

"O Radhika, ich möchte dir dienen, wie du in den Wäldern von Vrindavan umhergehst. Am Ufer der Yamuna will ich ein Treffen mit Syamasundara organisieren."

Anukul bedeutet, dass es vorteilhaft für Radha Krishna sein soll - aber nicht auf der weltlichen Ebene, sondern in ihrer Welt, in der Welt des ewigen lila. Narottama das Thakur betet, dass er sich danach sehnt, wenn Radhika müde ist vom Rasa-Tanz, ihr nun fein zubereitete Betelnüsse zu geben, damit sie daraus wieder Kraft schöpfen möge.

 

Und der dritte abhilas heisst "suhrit-abhilas", die Begierde nach Nähe und Intimität. Su ist eine verstärkende Vorsilbe und hrit bedeutet Herz. Wenn zwei Seelen so vertraut miteinander sind, dass sie alle Dinge des Herzens miteinander teilen, dann nennt man sie im Sanskrit "Sakhis".

Zusammengefasst: Man will ihn nicht nur treffen, sondern ihm dann auch vertraulich dienen, aber es soll auch voller Intimität sein.

 

Echter Sadhana beginnt also erst nach Nista (wenn alle Unreinheiten von der Seele abgefallen sind, eine unverrückbare Stetigkeit in der Seele einkehrt und dann ruci, einen wunderbaren Geschmack an Radha und Krishna erscheint, welcher einem in seinem Inneren die Stayibhava, seine ewige Beziehung zu Krishna beleuchtet) und zuvor ist alles noch sadhana-abhas (ein Schatten von Sadhana), denn davor kennt man das Potential, das in der Seele ruht ja noch gar nicht.

Wie will man nun den Heiligen Namen beten, Gebete sprechen und sich an Radha-Krishna erinnern (smarana), wenn man nicht weiss, für was man es tut? Sadhana-abhasa kann ein Spuhrti (ein kurzes Aufleuchten, eine Ahnung erzeugen) von unserer Svarupa (unserer ewigen Form) geben. Ohne die Ahnung von der ewigen Beziehung zu Krishna hat man nicht die Entschlossenheit und den Enthusiasmus, sich ganz dafür einzusetzen, sich ganz zu geben.

 

Diese Analyse bedeutet, dass sich der spirituell Übende zuerst bemühen soll auf die Ebene von Nistha (Stetigkeit) zu gelangen. Nistha wird von Vishvanatha Cakravarti Thakur definiert als die Absenz von fünf Hindernissen während des Betens der Heiligen Namen.

 

Laya (Faulheit und Schläfrigkeit) wird in drei Stufen abgestuft:

-Müdigkeit während des kirtan. Es wird laut gesungen, Kartal und Mridanga umgeben einen, alle tanzen, aber man will nur schlafen. Das ist ein chronischer Fall von laya.

-Müdigkeit, die einem überkommt während des Lesens und Hörens von Vorlesungen.

-Müdigkeit während des smarana (der Erinnerung an Radha Krishna während des Betens der Heiligen Namen). Man ist irgendwie zu faul, es wirklich zu tun. Man bevorzugt, sich der Müdigkeit und Trägheit hinzugeben als lange Zeit absorbiert zu bleiben.

 

-viksepa (Unterbruch)

Man hat dem guru gedient und nun unterweist er einen weitergehend.

Während der Japa soll man meditieren, wie man in Vrindavan sitzt am Ufer der Yamuna, in einem Wäldchen von Kadamba-Bäumen, die alle wunderbare Blüten von sich regnen lassen. Man hört die Bienen summen, Kukus und Pfauen rufen - all dies mitten in den wunderbaren Wäldern von Vrindavan.

Radha und Krishna tanzen zusammen im weichen weissen Sand, halten sich die Hände, betrachten sich gegenseitig mit einem Seitenblick und sind überwältigt von Liebe. 

In diesem Moment denkt man plötzlich, ob man nun auch sein Auto wirklich abgeschlossen hat. "Habe ich den Brief abgeschickt? Was macht meine Mutter?"

Die Konzentration und die Meditation werden plötzlich unterbrochen von materiellen Impressionen.

 

Apratipatti (Indifferenz)

Obwohl man nicht müde ist, und auch den Geist soweit ruhig kontrollieren kann, dass keine Ablenkungen einen stören, fühlt man dennoch eine Gleichgültigkeit, eine Neutralität zu Krishna, obwohl man ihn doch eigentlich liebend verehren möchte. Keine Leidenschaft der Liebe mehr. Man steht sogar vor Radha und Krishna, aber fühlt gar nichts mehr und alles ist einen wie egal.

 

Kasaya (Fehler)

Das sind unbeabsichtigte Ausrutscher.

Obwohl man freundlich ist zu allen Wesen (advesta sarva bhutanam - BG 12.13), mag es trotzdem manchmal vorkommen, dass man plötzlich in alte Charakterstrukturen zurückfällt und vielleicht jemanden verurteilt. Kasaya mag auch bedeuten, dass Anarthas (Unreinheiten) aus der eigenen Vergangenheit (aus vergangenen Leben) sich plötzlich wieder an der Oberfläche des Bewusstseins manifestieren.

 

Rasa-asvada (weltlichen Geschmack kosten)

In der Atmosphäre des Herzens existiert noch eine alte Neigung, Sinnesobjekte zu geniessen, eine Verunreinigung im Geist (denn Krishna erklärt in der Gita, dass die Faszination für die Objekte der Sinnesbefriedigung nur im Geist geboren ist - BG 2.55)

Inmitten während der Meditation, der Japa, steigen plötzlich Gedanken an Sinnesbefriedigung auf. Man ignoriert sie und meditiert weiter, aber bei manchen Wellen von Wünschen hängt man wie ein und ignoriert sie nicht mehr oder wirft sie auch nicht gerade wieder aus dem Bewusstsein heraus. Man hat einen Geschmack, über diese materielle Erfahrung nachzudenken. Das ist Rasa-asvada.

 

Für einen Übenden Spiritualisten ist diese Nistha ein Zwischenziel - obwohl bereits dies für uns sehr weit weg sein mag.... Wirkliche, echte transzendentale Verwirklichungen spriessen ab Ruci, nachdem man die Stufe der Nistha erlangt hat. Wieso? Sadhana ist das, was ich tue, um die nitya-siddha-bhava (meine ewige Stimmung in der Beziehung zu Krishna, meine stayi-bhava, meinen Rasa) zu erwecken. In Ruci beginnt sie hindurchzuschimmern durch die dicken Schichten des Vergessen-Wollens, weswegen echter Sadhana dort beginnt.

Der Vorgang funktioniert  -  aber nur für diejenigen, die sich auch bemühen, ihn zu verstehen.

 

Es gibt dann keinen Sadhana mehr, um Prema zu erlangen. In dem Bereich regiert nur noch die Gnade. Auf der Stufe von Bhava-bhakti erlange ich Zugang in meinem ewigen spirituellen Körper zum Naimittika lila (Krishnas lila, das Er in den materiellen Welten offenbart, um auch den bedingten Seelen die Möglichkeit der Rückkehr zu Ihm zu ermöglichen). Der materielle Körper stirbt hier, denn es gibt keine Prema in dieser Welt. Im Seva im Naimittika-lila erhält man die Gemeinschaft mit den nitya-siddha-parikars (den ewigen Gefährten aus dem Lila von Radha und Krishna) und diese Sanga löst dann die Gnade aus, welche die Bhava-bhakti in Prema-bhakti umwandelt.