Glaube und Bekenntnis

Im alten Griechenland bezog sich oikumene ursprünglich auf die Führung und Bewältigung des Haushalts. Mit der Erweiterung der Bedeutung von Haus und Haushalt ging auch die Erweiterung der Ökumene einher: Sie umfasste schliesslich die ganze Welt.

 

In der Tat haben wir uns so weit über die Stammes und Sippenmentalität früherer Zeiten erhoben, dass wir das Existenzrecht anderer Stämme anerkennen – ob diese nun als philosophisches System, als religiöses Bekenntnis, als Rasse oder als Nation daherkommen. 

Ökumene beinhaltet aber mehr als die blosse Zurkenntnisnahme, dass die Menschen überall auf der Welt Menschen sind. 

 

Ökumene deutet dahin, den eigenen Glauben ohne einen Ausschliesslichkeitsanspruch zu leben. Denn ein solcher muss immer falsch sein, auch wenn er sich mit Begriffen wie Gnade oder Erwählung schmückt. Mit anderen Worten, die ganze Idee der Zugehörigkeit zu einem auserwählten Volk, des Ausübens der einzig wahren Religion, der Privilegiertheit des eigenen Seins traf mich nicht als eine Gnade, sondern eher als Schande. Nicht dass ich mich einer solchen Auserwählung unwürdig gefühlt hätte, aber ich hatte doch das Gefühl, es würde mir selber nicht gut tun, andere auf diese Weise zu diskriminieren. Und ich hatte auch das Gefühl, dass es Gott nicht gefällt, wenn ich so denken würde.

 

Ein solches Ausschliesslichkeits-Bekenntnis spiegelt eher das geringe Vertrauen der Menschen wider, die so denken.

Gott ist der einzigartige Ort, an dem mein Selbstsein und das meines Nächsten zusammenfallen, und also der einzige Ort, an dem ich meinen Nächsten lieben kann wie er sich selber liebt, frei von jedem Versuch, ihn erst nach meinem Bild zu formen.

 

 

Die Aufgabe des Glaubens ist es, mich mit dem Transzendenten in Verbindung zu bringen, mit dem, was über mir ist, mit dem, was ich noch nicht bin. 

Was das betrifft, lässt sich der Glaube nicht in universale, ihn vollkommen zum Ausdruck bringende Formen giessen. Wäre dies möglich, würde der Glaube so erdgebunden werden, dass er nicht mehr in der Lage wäre, die Brücke zu bilden, die uns an das bindet (lat-religare), was uns und alles Irdische übersteigt. Der Glaube mag sich zwar mehr oder weniger für eine begriffliche Ausformulierung eignen, aber kein Zusammenhang von Worten wird ihn jemals ganz erschöpfen. Dennoch muss er sich in Begriffen und Formeln verkörpern – ein Glaube, der überhaupt nicht in der Lage wäre, sich auszudrücken, wäre kein menschlicher Glaube mehr (sruti).

 

Diese Ausdrucksweisen des ewigen Grundvertrauens, des Glaubens, heisst Bekenntnis. 

Ohne dieses Grundverständnis (der Beziehung zwischen Bekenntnis und Glaube) wäre Religion Ausdruck und Erscheinung hotizontaler Divergenzen statt der vertikalen Konvergenz. 

 

Dass die Geschichte der Religionen auf diesem Planeten beide Möglichkeiten bezeugt, zeigt nur, dass Glaube und Bekenntnis oft miteinander verwechselt worden sind. In dem Moment, wo die Wahrheitssuche und die Konfrontation mit dem Nächsten sich einstellt, und die Menschen in Isoliertheit leben, wird der Glaube unvermeidlich mit dem Bekenntnis gleichgesetzt und begünstigt ein Ausschliesslichkeitsdenken – mit allen Folgen, die die Geschichte zeigt. 

 

Bekenntnis ist nicht Glaube, aber es muss Ausdruck des Glaubens sein. Ein Glauben, der sich nicht irgendwie verkörpert, ist kein Glaube. Ein Bekenntnis, das nicht unablässig über sich hinausweist auf etwas, das es selber überflüssig und gewissermassen zunichte macht, ist kein Bekenntnis, sondern Fanatismus und Fundamentalismus. 

Der Glaube findet seinen Ausdruck im Bekenntnis und durch das Bekenntnis finden die Menschen normalerweise zum Glauben. Wenn dies nicht geschieht und die Versteifung im Bekenntnis sich gar vergrössert, kann man von disfunktionaler spiritueller Praxis sprechen.

 

Wo Menschen innerhalb einer kulturell homogenen Welt leben, kommen die meisten nie dazu, die Spannung zwischen Glaube und Bekenntnis zu entdecken. Sie betrachten die Dogmen, die nur die von der jeweiligen Autorität festgelegten Formulierungen des Bekenntnisses sind, fast so als wären sie der Glaube selbst.

Doch dabei übersehen sie, dass es eigentlich nur eine Teilinkarnation des Glaubensinhaltes ist. 

Sobald es jedoch zu einem kulturellen Umbruch oder zu einer Begegnung der Religionen kommt, verlieren die Begriffe und Vorstellungen, die bisher eng mit dem Glauben verbunden waren, von ihrer Festigkeit und geglaubter Glaubensnähe und es kommt unvermeidlich zur Krise. 

Aber das ist eine Krise des jeweiligen Bekenntnisses und nicht des Glaubens. 

Wenn jemand an diesem Punkt keinen Wandel in seinem Bekenntnis zulassen will, entwickelt sich die Krise des Bekenntnisses weiter zu einer Krise des Glaubens – weil sie ja genau zwischen den beiden nicht unterscheiden vermögen.

 

Deswegen ist die oberflächliche und undifferenzierte Spiritualität das Hauptproblem, durch welches viele zum Atheismus getrieben werden – zur kompletten Ausmistung.

 

Fordert nicht der Glaube selbst vom Menschen, aus seinen Grenzen auszubrechen und immer wieder selber zu sterben, um zu neuem Leben aufzuerstehen (die to live)?

Mit scheint, die einem Vaishnava angemessene Haltung dem Glauben anderer gegenüber ist das Umfangen, Aufnehmen und sich Einverleiben, nicht das Zurückweisen, Ablehnen oder Ausschliessen.

Sanatan-dharma bedeutet die geistige Haltung, die einen Menschen bewegt, soweit als möglich die Religiosität anderer Menschen in die eigene aufzunehmen, bevor er vergleicht und urteilt.

Das ist ein Ausdruck in die Sicherheit, die die Seele zur Führung Gottes verspürt. Das hat auch eine Entkrampfung der eigenen Glaubensvorstellung zur Folge. Festhalten ist eine Haltung, die nicht vereinbar ist mit echter Gottessuche, sondern ist eine Manifestation von jemandem, der die in der Welt nicht gefundene Geborgenheit nun im Religiösen zu substituieren sucht.

Ein Mensch braucht nur einmal wirklich erfahren zu haben, was es heisst, den Versuch zu machen, eine andere Religion von innen her zu verstehen, und er wird die Wahrheit und Echtheit spüren, von der sie erfüllt ist, ungeachtet der Schwächen und sogar der amoralischen Züge, die sich vielleicht in manchen ihrer äusseren Erscheinungsformen zeigen.

 

In unserer Zeit geht es darum, verschiedene Ausdrucksformen des Glaubens miteinander zu verbinden – das heisst, sie als Manifestationen des Grundvertrauens zu erkennen.

Vielleicht ist das Wie dazu noch nicht so klar, aber die Theologie muss  heute neue Wege dazu erarbeiten, wenn sie überleben und aufhören will, eine Sonderdisziplin der Archäologie zu sein.

Ich denke, man muss sich seines Bekenntnisses innerlich entledigen.

So bleibt die Rede von der transzendenten Wahrheit der Religionen wahr, solange sie nicht in der immanenten Wahrheit der verschiedenen religiösen Überlieferungen stehen bleibt.

Auf jeden Fall ist der Glaubensakt nicht nur transzendent – er verbindet uns mit dem, was uns übersteigt – sondern hat auch eine Dimension im Relativen (das Bekenntnis). Dies widerstandslos anzunehmen macht Raum frei für transhistorische und transkulturelle Spiritualität – 

Sanatan-dharma.