Sri Krishna vereint Einheit mit Vielfalt

 

In unserer Zeit ist Advaita, die Lehre zur populären Weltanschauung erwachsen. Man kann dadurch auch die peinlich gewordene Frage nach Gott umgehen.

Was bedeutet denn Advaita wirklich?

Befreite Seelen, welche aus dem Entwicklungskreislauf (samsara) herausgehen, gehen nicht in Gott ein im Sinne einer Verschmelzung und überwinden dennoch alle Trennung zu Ihm, ohne jedoch ihre individuelle Identität aufzugeben. Diesen Zustand nennt man Liebe – der Austausch zwischen zwei ewig seienden Wesenheiten, Gott und der Seele.

In der Liebe steht die individuelle Beziehung in einer schöpferischen Spannung mit dem ewigen Miteinanderverwobensein.

 

2 Arten des Einsseins:

 

-vastu ekatva (Einheit in der Substanz, Einheit im Sein)

völlige und endgültige und irreversible Aufhebung der Individualität, Verschmelzung mit dem Brahman. Das ist die Erfahrung von Friede.

 

 

-dharma ekatva (Einheit in der Bestimmung, Einheit in der Ausrichtung)

Wenn zwei ewige Wesen (Gott und die Seele) ewiglich konfliktlos in einem Austausch stehen. Es besteht aufgrund der Einheit keinerlei Spannung. Das ist die Erfahrung von Liebe.

 

 

 

Wir leben in einer Welt der Konflikte und auch in spirituell-philosophischen Kreisen definiert man sich oft durch Abgrenzung. Ein schwacher Glaube braucht einen Feind. Die anfolgenden Gedanken mögen vielleicht zur Versöhnung wiedersprüchlicher Verständnissen beitragen.  

Wenn man glaubt, man müsse eine Wahl treffen zwischen Monismus (advaita) und Theismus (dvaita), dann befindet man sich bereits in der Dualität, welche nicht alles zu umfassen vermag. Die spirituelle Wirklichkeit kann beide Aspekte miteinander auf eine Weise verbinden, dass es als Hinweis auf eine ganz andere Wirklichkeit verstanden werden kann. In der Vielfalt  dieser materiellen Welt gibt es nicht Koexistenz zwischen sich widersprechenden Gegensätzlichkeiten. Sie lösen sich auf. Sie hält diese Komplexität parallel existierender Wirklichkeiten nicht aus.

Advaita bedeutet nicht exakt Monismus, aber „nicht-dual“. In dieser Welt erleben wir Einheit und Dualität. Advaita bedeutet: weder noch. Auf einer höheren Wirklichkeit fallen die Gegensätze in einer umfassenden Einheit neu zusammen (coincidentia oppositorum). Koexistenz, die sich nicht gegenseitig auflöst, sondern bereichert. Das ist die harmonisierende Qualität der absoluten Realität.

Dann braucht man nicht irgendwelche Aussagen der heiligen Schriften zu betonen und andere zu bekämpfen nur um seine Weltanschauung zu rechtfertigen, sondern erkennt, dass in der Gegensätzlichkeit der verschiedenen Aussagen auf eine höhere Harmonie hingewiesen wird. Diese Ganzheit ist für den Verstand nicht zu fassen. Wenn man das Heilige mit den eigenen Vorstellungen überlagert, resultiert nicht die Wahrheit daraus, sondern die eigene Vorstellung der Wahrheit. Die eigene relative Erfahrung des Absoluten darf nicht verabsolutiert werden, denn das wäre die Stagnation der inneren Entwicklung.

Die Advaita-Erfahrung ist Vielheit ohne Konflikt, Einheit in der Zweiheit – das ist Liebe. Die Absolute Wahrheit ist advaya (SB 1.2.11), nicht dual, nicht zweihaft. Das bedeutet, dass es in ihr keine Dualität gibt, dass sie nur eins ist. Unio und comunio – Einheit und Beziehung zur gleichen Zeit gegenwärtig. Eine Einheit, die auch die Vielheit in sich integrieren kann, in der die Gegensätzlichkeiten sich ergänzen.

Die andauernden Gegensätze in den Heiligen Texten sollen dem Studenten begreiflich machen, in unablässigem Bemühen vom blossen Schatten des Wortes zu dem wirklichen WORTE hinzufinden, in dem Wort und Idee und die Sache selbst (die durch das Wort ausgedrückt wird) eins sind.

Das Aufleuchten dieser Erkenntnis im eigenen Innerern wird Spuhrti genannt (das Aufbrechen des Sinnes des Wortes). Die vorher einzig wahrnehmbare Schattenhülle des Wortes zieht sich zurück und das ewig göttliche Wort macht sich aus eigener Initiative in seinem wahren Wesen erkennbar. Es ist das Wort, das eine der Seinsweisen von Gott selbst ist (sabda-brahma), alles umfassend, erfüllend und umhüllend, der letzte Grund von allem.

 

 

 

-Der von Zeit und Raum Unbegrenzte (Vibhu)

-Er ist der Gestalthafte (murtiman)

 

 

-Er ist unbefleckt durch Wirken (niralepa)

-Er ist voller Tätigkeit (kriyamana)

 

 

-Er ist von allen zu verehren (sarvaradhya)

-Er ist ein einfacher Kuhirte in Vrindavan (Nandanandana)

 

 

-Er steht jenseits von allem Denken (cintatita)

-Er ist mit dem Auge der Bhakti wahrnehmbar

 

 

- Er ist allwissend (sarvajna)

- Er ist von Liebe überwältigt (mughdata)

 

 

-Er ist allen gleichgesinnt (hat keinen Freund und auch keinen Feind (BG 9.29)

-Seine Geweihten sind ihm lieb.Sie sind in Ihm und Er ist in Ihnen.

(BG 9.29)

 

 

-Er ist unbeweglich (anejat – Isopanisad 4)

-Er ist schneller als der Geist (Isopanisad 4)

 

 

-Er hat keine Hände und keine Füsse (Svetasvatara Upanishad 3.19)

- Er hat eine unbegrenzte Anzahl Hände und Füsse                           (BG 13.14, Rg 10.90.1)

 

 

-Er ist von allem ausserordentlich weit entfernt (Isopanishad 5)

-Er ist allem ausserordentlich nahe (Isopanishad 5)                                                            

 

-Er hat keinen Namen

-Er hat eine unendliche Anzahl Namen

 

 

Scheinbare Widersprüchlichkeit löst sich und verweist auf eine umfassendere Wirklichkeit hin.

Die Höchste Absolute Wahrheit hat transzendentale Form, Eigenschaften und Charakter. Da sie nichts zu tun braucht – da alles nur von seiner iccha Sakti, seiner Wunsch-Kraft geschieht – spielt sie. Dieses dramatische Liebesspiel des letztendlichen Bewusstseins nennt man lila. Die heiligen Schriften beschreiben dies, um uns die Faszination der Wirklichkeit zu vermitteln.

Krishna hat Acintya Sakti. In dieser Welt schliessen sich Gegensätzlichkeiten aus. Man kann nicht zur gleichen Zeit der Grösste und der Kleinste sein. Aber in der Transzendenz ist es aufgrund seiner Acintya Sakti möglich, Gegensätze zu vereinen. Er ist zur gleichen Zeit alldurchdringende Energie wie auch Individualität.

Krishna, die Absolute Wahrheit, spielt in Vrindavan wie ein Kind. Seine Freunde beklagen sich bei Yasoda, da Krishna Erde gegessen habe. Sie kommt und bezichtigt ihn. Er, der die Ursache von allem ist, der selbst von der Angst in personifizierter Form gefürchtet wird, ist nun wirklich ängstlich vor seiner Mutter. Mutter Yasoda will Sri Krishna von der Erde befreien und bittet ihn, seinen Mund zu öffnen – und erblickt in ihm Millionen von Universen, die gesamte Schöpfung.

Das ist die Bedeutung von Advaita, „nicht dual“. Diese Höchste Wahrheit ist ein individuelles Wesen und in ihm existiert keine Dualität. Es gibt in ihm keinen Unterschied zwischen innen und aussen. Von ihm gehen alle Universen aus und zur gleichen Zeit sind sie auch in ihm.(Bhagavad gita 9.4)

Yasoda aber ist geblendet von ihrer elterlichen Liebe (yoga maya) und denkt, Krishna sei unter dem Einfluss von einem Geist und ruft Brahmanas, um diesen Geist auszutreiben und um Krishna zu beschützen. Sie denkt, dass aufgrund dieses Einflusses ihr Kind so unruhig sei und deshalb von Haus zu Haus schleiche und Butter stehle.

Krishna hat überall in Vrindavan Butter gestohlen…. Seine Mutter hat ihn einmal dabei erwischt. Krishna hat sein wunderbar schwarzes Gesicht noch voller Butter und ganz ängstlich sagt er: „O maiya, ich habe kein Butter gestohlen.“

Äusserlich sieht es so aus wie eine ganz gewöhnliche Alltagsszene in einem indischen Dorf, eine Erzählung, die da seit Generationen erzählt wird. Aber da Krishna die Höchste Wahrheit ist, und auf Erden spielt mit seinen ewig Beigesellten, ist darin die tiefste Weisheit des Vedanta verborgen.

Ist es Lüge, wenn Krishna sagt, er hätte kein Butter gestohlen? Alles kommt aus der Absoluten Wahrheit aus und ihr gehört alles. Man kann nichts stehlen, was einem selbst gehört. Krishna ist effektiv der alleinige Besitzer von allem (Bhagavad Gita 5.29)

Das ist Advaita, Nicht-Dualität- coincidentia oppositorum… Bei ihm fallen die Widersprüche zusammen. Die Lüge wird Wahrheit.

Krishna spielt mit unzähligen Kuhhirten in den Wäldern Vrindavans. Er spielt auf der Flöte und sein Wesen ist nur Lieblichkeit, Romantik und Schönheit. Alle Eigenschaften, die einen in der zeitweiligen Welt anziehen haben ihren Ursprung in der Wahrheit. Mit all seinen Kuhhirtenfreunden sitzt er nun im Wald von Vrindavan. Sie lachen miteinander und essen. Jeder von den Millionen von Freunden denkt, Sri Krishna sitze direkt vor ihm und er spreche direkt mit ihm und teile mit ihm die Nahrung. Ein Freund sagt zu Sri Krishna: „Bitte esse auch von diesem Samosa, welches meine Mutter wunderbar zubereitet hat“, und steckt es Sri Krishna in den Mund. Alle von den Kuhhirten im Kreis haben diese Erfahrung, direkt vor Sri Krishna zu sitzen, und von ihm angesprochen zu werden.

Das ist die Bedeutung von Advaita. Die Wahrheit ist unlimitiert und muss deshalb auch allgegenwärtig, alldurchdringend sein. Aber in seiner Unbegrenztheit ist sie auch individuell. Wenn sie nur überall wäre und nicht auch gleichzeitig lokalisiert, dann würde ihr einen Aspekt fehlen. Das Unbegrenzte muss also gleichzeitig beide Aspekte umfassen, sonst wäre es limitiert.

Die Erfahrung von Form in der physischen Welt ist immer nur an einem Ort, begrenzt und limitiert. Aber in der Transzendenz koexistieren gegensätzliche Eigenschaften. Sri Krishna sitzt mit unzähligen Freunden zusammen und jeder erfährt, dass er direkt neben ihm sitzt und eine intime Beziehung mit ihm hat. Das ist Advaita. Es gibt bei ihm nicht ein vorne oder hinten.

In den theologischen Systemen der Welt findet man immer die soziale Struktur des Patriarchates in das Gottesbild hinein gewoben („Gott ist der „Vater“). Es existiert so viel männliche Dominanz im Gebiet von Theologie. Aber warum sollte Gott männlich sein? Das Bhagavatam erklärt, dass die absolute Wahrheit auch weiblich ist. Mann-Frau-Aspekte sind ein fundamentales Prinzip, das fast die gesamte materielle Existenz durchdringt. Da diese Welt eine Spiegelung der Wirklichkeit ist, muss dieser Aspekt auch im ewigen transzendenten Ursprung seine Grundlage als Grundentwurf, als Archetyp, vorhanden sein.

Die Veden offenbaren Radha und Krishna als die eine Absolute Wahrheit, die sich ewig in zwei geteilt haben und den Austausch der Liebe selber erfahren. Diese Einheit wird Prema-bhakti genannt. Der Schimmer dieser Liebe-Erfahrung der nicht-dualen Welt ist auch hier erfahrbar als Bhakti Yoga, in der liebenden Hingabe zu Gott.

Wenn Krishna Vrindavan verlässt und Radhika in den Wäldern Vrindavans weinend zurückbleibt, dann erinnert sie sich an das wunderbare Lächeln Krishnas, wie er singt, wie er so bezaubernd auf der Flöte spielt und alle bewegenden und nicht bewegenden Lebewesen damit betört – Vögel und Bäume sind absorbiert in Trance.

In den Trennungsgefühlen absorbiert in die Erinnerung an Krishna spürt Radha plötzlich ganz sanfte Hände, die ihre Augen bedeckten. „Ist es Lalita? Oder Vishakha?“ „Nein, ich bin es!“ Und Sri Krishna steht direkt vor ihr. Radhika kann es noch nicht glauben und Krishna wischt ganz sanft mit seinem eigenen Pitambara (Krishnas gelben Dhoti) ihre Tränen ab. „Wieso weinst du? Ich werde dich nie verlassen.“ Im nächsten Moment verschwindet dieses Sphurti (Vision) und Radhika fällt im erneuten Trennungsschmerz bewusstlos zu Boden.

In dieser Welt sind wir mit einer Person oder getrennt von ihr. Trennung (vipralambha) und Begegnung (sambhoga) sind nie gleichzeitig. Aber in der transzendentalen Sphäre gibt es keine Dualität darin. So gibt es Begegnung in Trennung (prema-vivarta) und auch Trennung in der Begegnung (prema vaicittya). Das ist die Erfahrung von Advaita, Nicht-Dualität.

In dieser Welt ist Klang und Form voneinander verschieden. Durch Klang ist die Form nicht direkt erfahrbar. Aber Absoluter Klang, der Heilige Name Gottes, vermag alle Wahrnehmung zu vermitteln. Berührung, Geruch, Geschmack, Begegnung und Beziehung. Aus diesem Grund ist die Erfahrung der transzendentalen Wirklichkeit zugänglich in dieser Welt durch das Medium von spirituellem Klang. Durch Absorption in den Heiligen Namen erweitert sich dieser in die Form der Absoluten Wahrheit, in den Geruch des Absoluten, in das Flötenspiel des Höchsten. All das ist erfahrbar durch Nicht-dualen Klang – der Heilige Name Gottes. Das ist die Erfahrung von Advaita.