Theodizee - Rechtfertigung Gottes angesichts des Leides in der Welt

Der Begriff „Theodizee“ wurde erstmals von Leibniz in seinem 1710 publizierten Buch „Über die Theodizee – Betrachtung der Güte Gottes, der Freiheit des Menschen und der Ursache des Bösen“ publiziert.  Theodizee leitet sich ab vom Griechischen „Theos“ (Gott) und Dikae (Gerechtigkeit).

 

Es existiert einen Widerspruch zwischen der Allmacht Gottes und seiner Gutheit.

Unser Leben zeigt vielerlei Leiden: Naturkatastrophen, Krieg, Verbrechen, Krankheiten. Warum hat Gott eine Welt erschaffen, in der es Leid und Schmerz gibt? Hätte Gott nicht eine bessere erschaffen können?

Das Theodizee-Problem gründet sich in dem erfahrenen Widerspruch zwischen dem Glauben an Gott und dem Sinn-Verlust, der mit dem Leiden verbunden ist. Wie kann ein allmächtiger und gütiger Gott die Übel und das Böse in der Welt zulassen, warum müssen wir leiden?

Das Problem entsteht nicht nur denkerisch, sondern direkt für den Menschen, der an einen guten Gott glaubt und von einem grossen Leid, Unrecht oder sogar von einem Verbrechen heimgesucht wird. „Wie kann Gott das zulassen?“ ist die Frage. Gott will doch nur das Gute, das Beste? Ist das nun das Beste?

Warum mutet ein guter Gott seiner Schöpfung so viel Leid zu? Das immense Leid scheint entweder gegen seine Allmacht oder gegen seine Güte zu stehen. Diese Frage ist einerseits verständlich angesichts des erdrückenden Leides in der Welt, andererseits wird sie oft gestellt, um Gott auf die Anklagebank zu setzen, da eine oberflächliche Spiritualität diese Fragen nicht wirklich befriedigend beantworten kann.

Wie kann an Gottes Gerechtigkeit und Güte festgehalten werden, wenn Gott über hunderte von Millionen Jahren Krankheit, Missbildung, Grausamkeit, Tod, Artentod, und zuletzt (beim Menschen) auch die Möglichkeit der Abwendung eingesetzt hat, um die Lebewesen hervorzubringen? Das Übel erscheint demnach nicht als „Einbrecher" in eine ursprünglich leidfreie Schöpfung, sondern von vornherein als ihr Hausherr.

 

Wenn es Gott gibt, woher kommt das Böse? Doch woher kommt das Gute, wenn es ihn nicht gibt. Was wäre beständig gut?

Französische Existentialisten haben geschlussfolgert: „Die einzige Entschuldigung Gottes (angesichts des Übels in der Welt) ist, dass er nicht existiert.“

Die Erfahrungen der Diktaturen des 20. Jahrhunderts zeigten dann, dass atheistische Systeme, die ja eine bessere Welt herbeiführen wollten, genauso in das Üble geraten sin. Ohne Gott scheint die Würde des Menschen nicht geschützt.

 

Eine prägnante, oft zitierte Formulierung des Theodizee-Problems lautet:

 

Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht:

Dann ist Gott schwach. Und das hiesse: nicht Gott.

Oder er kann es und will es nicht:

Dann ist Gott missgünstig. Das widerspräche seiner Gnade und seinem Mitgefühl.

Oder er will es nicht und kann es nicht:

Dann ist er schwach und missgünstig zugleich, also nicht Gott,

Oder er will es und kann es, was allein für Gott ziemt:

Woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht hinweg?

 

Diese Argumentation wurde von dem Kirchenschriftsteller Laktanz (ca. 250-325) überliefert.

Das Theodizee-Problem besteht im Widerspruch zwischen zwei Aussagen. Auf der einen Seite steht die Aussage, es gebe einen allmächtigen, allgütigen und allwissenden Gott – auf der anderen Seite steht die Feststellung, dass es Übel in der Welt gibt.

Verträgt sich die Lehre vom allmächtigen und gerechten und liebenden Gott mit der Erfahrung einer Welt voller Ungerechtigkeiten? Wie lässt sich das unendliche Leid auf dieser Welt mit der Vorstellung eines Gottes der Liebe vereinbaren?

 

 

Versuche, das Übel  zu erklären

 

Wenn man solche Betrachtungen anstellt muss man sich immer vor der Anmassung bewahren, wirklich die Gesamtsicht zu haben. Kant warnt vor dieser spirituellen Arroganz: „Wir sind zu begrenzt, um metaphysische Spekulationen anzustellen. Hier stösst unsere Vernunft an ihre Grenzen (Kant: Über das Misslingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee, 1791).

Das zur Urteilsfindung herangezogene Quellenmaterial und die daraus entwickelten theologischen/philosophischen Denkmodelle sind unzureichend, sind noch nicht vollständig.

Der Mensch steht einfach staunend in einer ihm unbegreiflichen Schöpfung, Zuschauer sozusagen von göttlichen Abläufen. Wir sehen immer nur kleine Fragmente, deren Interpretation von uns immer willkürlich und fehlerhaft ist.

Und dennoch hat uns Gott Vernunft geschenkt und will natürlich, dass wir sie auch gebrauchen – um die Offenbarung vom ihm nachzuvollziehen.

In diesem Zusammenhang sind die folgenden Gedanken auch zu verstehen.

 

 

-Wir leben in der besten aller möglichen Welten (Leibniz)

Nach Gottfried Wilhelm Leibniz gibt es eine unendliche Anzahl möglicher Welten. Von diesen hat Gott nur eine geschaffen, nämlich die vollkommenste, in der das Übel den kleinsten Raum hat („es ist die beste aller möglichen Welten“). Jede Form des Übels ist letztlich notwendig und erklärbar.

Leibniz sagt, dass das „malum metaphysicum“, das metaphysische Übel natürlich sei. Das Geschaffene ist notwendig unvollkommen, da es sonst mit Gott identisch wäre.

 

Hätte ein allmächtiger Schöpfer nicht doch eine anders geartete Schöpfung erschaffen können?

Nein, er schuf die Beste aller Welten

-Er hätte sie so beschaffen können, dass sie ewig ist. Das wäre die ewige Trennung zu Gott. Also ewige Isolation.

-Er könnte jedem einzelnen Wesen eine eigene Welt geben. Das wäre unendliche Langeweile.

- Eine andere Option wäre es, der Menschheit den freien Willen zu nehmen. Aber das würde jegliche Liebe verunmöglichen.

-Er verlegt also viele Lebewesen in eine unvergängliche Welt. Das wäre die Hölle. Seine Gnade ist die Vergänglichkeit und die inhärent in jedem Moment liegende Möglichkeit zur Rückkehr zu ihm.

 

 

 

 

 

-durch Annahme der Freiheit des Menschen

Einen weiteren Ansatz bei der Lösung der Theodizee-Frage liegt in der Annahme, dass Gott dem Menschen Freiheit und Eigenverantwortung in seinem Handeln lasse. Ohne Freiheit sei Liebe nicht zu verwirklichen.

Diese Freiheit birgt aber das Risiko des Scheiterns. Doch hier kann man weiterfragen, ob dieses Risiko nicht vermeidbar wäre, ohne die Liebe in Freiheit zu verlieren.

 

Da das zeitlich-irdische Leben zwar ein sehr hohes, aber nicht das höchste Gut ist, muss es weder von Gott noch von den Menschen mit allen Mitteln angestrebt werden. Das höchste Ziel bzw. Gut des Menschen ist immer die Rückkehr, die ewige Beziehung des Lebewesens mit Sri Krishna, d.h. die maximal mögliche Gemeinschaft mit Gott.

Wenn man denkt, dass irgendein Beschwernis oder Leid, das man in samsara (dem Kreislauf der Geburten und Tode) durchlebt, eine andere Ursache hätte, als seine Trennung zu Gott, so ist das die perfekte Definition von maya (dem, was eben nicht ist).

 

Gott bewirkt das Leid und das moralische Übel nicht, aber lässt die Würde des freien Willens zu, der selbst die Option der Abwendung von der Wirklichkeit beinhaltet. Zur gleichen Zeit macht er alle Arrangierungen, um die Seele wieder zur Ewigkeit hinzulocken. Er überlässt der Seele die Möglichkeit der Wahl innerhalb der Grenzen der Karma-Gesetze, die den übertriebenen Egoismus regeln sollen und die ja nur einen Ersatz-Gott darstellen, wenn man dem liebenden Austausch mit dem Du-Gottes ausweichen möchte.

Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott lässt sich nicht aus der Welt hinausdrängen, aber sehr wohl aus unserem Blickfeld. Wie lange will man noch Widerstand leisten?

 

 

-Die Perspektive der Reinkarnation

Wenn sich das Theodizee-Problem in seiner ursprünglichen Formulierung nicht auflösen lässt, muss dies nicht unbedingt heissen, dass Gott die ihm zugeschriebenen Eigenschaften nicht hat. Möglich ist auch, dass die gemachten Annahmen zu einfach sind: Gottes Güte besteht darin, den Menschen einen Zeitrahmen von endlos vielen Leben zu offerieren, in welchen sie durch die von ihnen erwünschte Trennung zur Wirklichkeit, die sie als Leid empfinden,  langsam korrigiert werden und so langsam lernen, sich im göttlichen Sinne zu verhalten. Freier Wille bedeutet dann, die Absicht Gottes hier wieder reflektieren zu lassen.

 

Vor allem kann das Böse, das den Unschuldigen trifft, nicht damit erklärt werden, dass es ihm zur Erziehung gereicht. Die Frage aus der Reinkarnation ergibt sich: Gibt es Unschuldige?

Reinkarnation erweitert den Betrachtungshorizont der Lebensgeschichte eines Wesens und lässt Ursachen erkennbar werden, die in der Einmaligkeitstheorie menschlichen Lebens einfach nicht ersichtlich sind. An diesem Punkt braucht es die Erweiterung der Perspektive durch die Reinkarnation. Das Buch wird effektiv nicht verstehbar, wenn ich nur eine einzige Seite aus ihm herausreisse.

Gottes Allgüte ist mit der auf ein Lebensausschnitt reduzierter Perspektive nicht erfassbar. Wenn die göttliche Führung über mehrere Leben beobachtet wird, erkennt man, wie er eine Seele langsam und vorsichtig wieder in Richtung ewiger Heimat lenkt und ihr Sadhu Sanga, spirituelle Gemeinschaft, ermöglicht. Dies führt zu einer vergrösserten Intensität und erweckt die heilige Sehnsucht im Herzen der Seele.

 

 

-Falsch projizierte Sehnsucht

Das Leid resultiert nur aus der Lebensgier des Menschen, aus dessen krampfhaften Klammern an das Aufrechterhalten einer oberflächlichen Identifikationsrolle als Mensch mit bestimmten Bedürfnissen. Man suchte nach Unendlichkeit ... aber im Endlichen, und dadurch wurde man "unendlich" umhergetrieben - in samsara. Aber nichts liess einen stehen bleiben, schenkte einem das anfangs Verheissene. Anhalten kann man erst bei dem, nachdem man eigentlich sucht - in der intensivsten Liebesbeziehung – bei Sri Krishna. Jede Sehnsucht zielt immer zum Unbegrenzten hin.

 

Leiden ist nicht das, was man bisher für Leiden gehalten hat.

Das Leiden gibt sich nicht offen als Leiden zu erkennen. Die meisten Menschen glauben. Leiden bedeutet, dass der Körper oder die Psyche krank ist. Wenn sie wieder funktionieren, dann denken sie, das Leiden sei angeblich wieder vorbei.

Dann gibt es alle möglichen Techniken und Ablenkungen, um das Leiden auszublenden, die Bemühung für medizinische und feinstoffliche Heilung, kleine Vergnügungen zu suchen, und irgend etwas zu tun, damit das Leiden nicht offensichtlich ist.

Leiden ist die Beziehung zum Ich-Gedanken. Ständig nimmt man Gedanken wahr, die mit den drei Buchstaben I C H beginnen.

Diese sind die Gedanken, die man nicht mehr wahrnimmt, sondern zu denen man wird, wenn sie auftauchen.

Aus diesen Gedanken entstehen dann Gefühle und Empfindungen, und man wird zu ihnen, aus ihnen geformt. sada tad bhava bhavitah (Bhagavad gita 8.6)

 

Es ist doch so, dass das Bewusstsein von Leid bisher immer erst dann entstanden ist, wenn etwas nicht nach den eigenen Vorstellungen verlief.

Jahrelang geht es einem gut. Man hat einen wunderbaren Partner, beruflich macht man Fortschritte, mit seiner Familie versteht man sich bestens, man verdient genug Geld und man findet ohne Probleme eine schöne Wohnung. Es scheint keinen Grund zum Leiden zu geben.

Irgendwann bemerkt man eine gewisse Leere. Vielleicht muss man einfach seine Affirmationen intensivieren? Aber der Moment kommt, in dem man ahnt, dass etwas viel Grundlegenderes nicht stimmt. Aber die meisten Menschen brauchen dafür nicht Jahre, sondern Jahrtausende. Jahrtausende für die einfache Erkenntnis, dass man leidet.

 

Es ist nun aber nicht so, dass sich einem der Wunsch zu leiden als Wunsch zu Leiden zeigt. Er erscheint einem als Wunsch, glücklich zu sein – ohne Gott. Aber man erkennt die Verkleidung nicht.

Zum Beispiel kann er sich zeigen als der Wunsch, auszuwandern, oder als der unerfüllte Wunsch nach einem Kind oder einem angeblichen Seelen-Partner. Jeder unerfüllte Wunsch, der sich auf Vergängliches richtet, ausserhalb der Beziehung zu Sri Krishna, ist eigentlich der Wunsch, zu leiden. Dies ist nicht der wirkliche Wunsch des ewigen Lebewesens, sondern eine verzerrte Wahrnehmung.

 

Hoffnung auf Erfüllung innerhalb dieser Welt und Leiden sind unzertrennlich. (Bhagavad Gita 18.54 - na socati na kansati)

Gottes Eigenschaften sind neu zu verstehen. Sie sind nicht Teil der dualen Erfahrung des Menschen.Gott ist nicht gut. Auch nicht nicht-gut. Er ist jenseits unserer Wertung. (caitanya caritamrita, 3.4.176)  Er ist in der Absolutheit und er ist nicht wahrnehmbar durch die duale Begriffswelt der kleinlichen Hoffnungen des Menschen.

 

 

Wir können Gott nicht in die Karten schauen. Wir wissen einfach nicht, worin seine Absicht besteht.

Durch erfahrenes Leid in der Welt zerbricht das naive übliche Gottesbild eines Gottes, welcher eigenen Wünschen zu entsprechen hätte und einen vor dem Ungemach verschonen sollte. In seiner Unbegreiflichkeit bleibt er immer nur Liebe, aber offensichtlich eine Liebe, die anders ist, als wir sie uns oft vorstellen. Sie überquellt alle Begrenzungen. Als aufgebrochene Wesen werden wir sensibel für sein Geheimnis.

Gottes Instanz ist für die Freiheit zuständig und nicht für die Annehmlichkeiten der Gefängniszelle.

 

Widerspruch im Atheismus

Atheismus proklamiert ein Weltbild, welches keinen Plan, keine Absicht, kein Gut und Böse kennt und in dem „nichts ausser blinder erbarmungsloser Gleichgültigkeit“ (Zitat R.Dawkins) herrsche. Gleichzeitig klagen Atheisten Gott an und sagen: „Wenn es Gott gäbe, dürfte es nichts Böses geben.“

Das Gottesbild, das der Atheismus fordert, ist extrem anthropomorph und weltbezogen und ignoriert die Möglichkeit der Seelen, auch disharmonisch zu den Gesetzen Gottes handeln zu dürfen.

Ab welcher Stufe von Ungerechtigkeit und Grausamkeit erwarten denn die Atheisten die Intervention Gottes? Nur bei Morden? Oder auch in Kriegen? Auch bei Selbstmorden? Und was ist mit denjenigen, die nicht selber töten, aber durch ihre Manipulationen und Entscheidungen für unzählige Menschen Tod durch Hunger oder Ausbeutung bewirken? Sollte Gott auch bei kleinen Lügen schon einschreiten? Und was ist mit Erfindungen, die viele Menschen in den Tod reissen wie zum Beispiel die Erfindung des Autos? Heute sterben täglich viel mehr Menschen auf der Strasse als durch Terror. Hätte Gott Herr Benz und Herr Ford stoppen sollen?

Dahinter steht ein Weltbild, das den Menschen komplett bevormunden würde und ihm jegliche Wahlmöglichkeiten abspricht. Der Mensch hat die Freiheit, sich auch gegen Gottes Gesetze zu entscheiden und somit auch Konsequenzen zu evozieren.

 

 

Abschlussgedanke

Das Leid und die Grauenhaftigkeit der Welt haben in vielen Menschen zu einem Enttäuschungs-Atheismus geführt.

Bei Naturkatastrophen oder Erdbeben betreut man Verletzte und Angehörige, bietet Beistand und Hilfe – aber es bräuchte auch eine theologische Aufarbeitung: Ist diese Grausamkeit der Natur vereinbar mit der Allgüte Gottes?

Krankheit, Unglück, Schicksalsschläge werden schnell als Strafe Gottes für das Fehlverhalten der Menschen interpretiert. Man hat durch Schuld den Himmel provoziert. Man will es verstehen und einordnen können. Wird die Welt nach einer moralischen Ordnung interpretiert, kommt sie einem häuslicher vor. Gott ist ein Vater, der seine Kinder lenkt – durch Lob, Strafe und Tadel. Das ist ein sehr naives und archaisches Gottesbild, von dem sich viele Menschen unserer Zeit intuitiv befreit haben.

Das theologische Problem darin ist ein falsches Naturverständnis. Die Natur ist Natur und man kann von ihr aus keine Rückschlüsse auf Gott ziehen. Religion bedeutet, sein Leben von Gott her zu ordnen. Die Liebe lernt man nicht in der Natur.


In der Natur bewirken Schicksalsschläge  die Ausschliessung aus der eigenen Gruppe. Eine Öl-Möwe wird vom Schwarm zerhackt, da sie anders aussieht. Die Schwachen und Kranken in der Natur sollen sich nicht fortpflanzen, sie sind nicht zur Generation zugelassen. Darwinisten legitimieren aus dieser Grausamkeit der Natur ein rücksichtsloses Weltbild, wo einfach nur der Stärkere überlebt (survival of the fittest).

Der russische Anarchist Kropotkin schreibt, dass auch Mitgefühl, Barmherzigkeit und das Rückstellen eigener Interessen zugunsten Anderer Bestandteil der Natur sind. Aber die absolute Güte lässt sich nicht aus der Natur ableiten, da die Ambivalenz von Rücksichtslosigkeit und Mitgefühl inhärent in ihr existiert.

 

Diese Welt sei ein Zeugnis von Gott, der in ihr seine Güte, Macht, Weisheit und Schönheit offenbare. Das ist grundlegend falsch. In der Gita sagt Krishna: abhinna prakritir astadha „Diese Welt ist meine abgetrennte Energie.“ Und diese kann man nie mit ihm gleichsetzen. Gott schwebt keine Welt vor, in der die Menschen nicht leiden. Deshalb darf man die Gnade Gottes nie auf die körperliche und feinstoffliche Ebene reduzieren. Krishna will uns nicht die Traumidylle schaffen. Das wäre die Idee des Calvinismus, welche Gottes Gnade auf innerweltliches Wohlbefinden und Erfolg reduziert.

Gott ist mehr als seine duale Schöpfung der materiellen Welt. Gott steht über Natur mit ihren widersprechenden Kräften (Bhagavad Gita 7.13).

Das Böse sei durch gefallene Engel, den Satan, Demiurgen oder miteinander konkurrierende Weltprinzipien zu erklären. Als Beispiel hierfür kann die altpersische Religion Zarathustras dienen, die davon ausging, dass zwei gleich mächtige Urprinzipien die Welt beherrschen: Auf der einen Seite das gute, gebende, göttliche Prinzip, auf der anderen Seite das böse, nehmende, widergöttliche. Eine solche Darstellung relativiert die Allmacht Gottes, denn die beiden, voneinander untrennbaren Prinzipien ergeben eine dualistische, Gutes und Böses enthaltende Gottesvorstellung.

Andere, ebenfalls dualistische Gottesvorstellungen finden sich in der Gnosis und im Manichäismus. Ein atheistisches Beispiel wäre das Ying-Yang der chinesischen Philosophie, welches die Geschehnisse in der Welt durch dualistische Urprinzipien erklärt.

 

Es ist nicht möglich, von der Welt her Gott zu denken. Die Theologie kann nicht Kausal-Fragen beantworten („warum ist es geschehen?“), sondern beleuchtet das Wozu. Es geht um die teleologische Frage, der Frage, was Gott mit uns beabsichtigt.

Die Natur nimmt keine Rücksicht auf ihre Geschöpfe. Religion kann deshalb ihre Grundlage nicht in der Natur finden. Pantheismus ist oberflächliche Schwärmerei, denn es gibt in dieser Natur auch die Grauenhaftigkeit und die Rücksichtslosigkeit, das Böse. Wenn man Gott auf die Natur, seine Schöpfung, reduziert, dann wäre diese Ambivalenz die verpflichtende Vorlage für unser eigenes Handeln. Dann müsste ich so umgehen, wie es die Natur tut (viele Fleischesser verteidigen ihre Mordeslust mit dem Argument, dass gewisse Tiere ja auch Fleisch essen) – aber genau das darf ich nicht. Der Mensch hat als einziges Wesen einen anderen Auftrag: Nicht nach dem Gesetz Gottes zu leben („natürlich“), sondern nach dem Willen Gottes. Dharma ist nicht Ethik, sondern eine von Gott her definierte Verhaltensweise..

Sri Krishna ist der Hintergrund jenseits der Phänomenalität dieser Welt.

Augustinus schreibt in „Confessiones“, wie er auf die Suche nach Gott geht und die Sonne, den Mond, die Sterne, die Wüste, das Meer, die Wunderbarkeit der Natur befragt und sie alle sagen ihm: „Ich bin nicht der Gott, nach dem du suchst.“

 

Krishna wohnt in der Sehnsucht nach einer Liebe, die in der Natur nicht zu finden ist. Die Natur ist nie der Ruheort der Seele – sie kann erst im Unendlichen ruhen, erst bei Gott.

 

Der Mensch hat etwas, was es in der Natur nicht gibt – Religion, der Entwurf einer übernatürlichen Liebe, die auf Gott gerichtet ist und von da her in diese Welt hinein handelt.

Es geht nicht darum, alles in dieser Welt zu lieben und es mit Gott gleichsetzen zu wollen, sondern nur auf Gott gerichtet die Liebe wieder in die Welt einfliessen lassen.

Die Liebe Gottes lässt sich nie ergründen in der Natur, sondern trotz der Natur. Wenn man Gott nur auf seine Schöpfung reduziert, den König also nur noch als den Gefängniswächter betrachtet, werden der Enttäuschungsatheismus und das Problem der Theodizee die natürlichen Folgen sein.

Leiden ist der Hinweis darauf, noch nicht angekommen zu sein. Noch nicht seine wirkliche Bestimmung zu leben und sich noch im Provisorischen aufzuhalten, eben ausserhalb seiner Nitya-sambandha (seiner ewigen Beziehung zu Radha Krishna).

Es geht um unbedingtes und restloses Vertrauen zu Gott, trotz Unfähigkeit, das Rätsel des Leids und des Bösen enträtseln zu können. Man kann die genaue Ursache des Leides nicht immer „erklären“, aber bestehen.

Nachdem Hiob durch so viel Leid hindurch gegangen ist, sagt er am Ende des Buches in Hiob (42,5): „Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen.“

Ist Gott leiderzeugend? Hiob legt den Finger auf dem Mund und schweigt vor Staunen in Anerkennung des riesigen Ausmasses seines Nichtwissens. Er verliert die Grundlage, sich zu beschweren.

„Warum mutet mir Gott dies zu?“, lautet ein verbreiteter Vorwurf an Gott.

Er kann einen die Erfahrung der Einsamkeit, Verlorenheit, Verlust und Verlassenwerden nicht ersparen. Er hat diese in seine Gnade eingefügt, dass diese Holpersteine Teil der Welterfahrung sind, damit die Einnistung nicht zu vollständig werden kann.

In Bhakti, der Versöhnung mit Krishnas Willen, ist einen die Grundlage zum Bewerten und Urteilen abhanden gekommen. Das Umstimmen-Wollen und auf seine eigene Macht und Vorstellungen pochen ist dem schlichten Verstehen gewichen.

 

 

Der Partner ist gestorben, das Haus ist abgebrannt, das eigene Kind wurde getötet…

Warum konnte Gott so etwas zulassen?

Man hatte doch vertraut, dass Gott schützen würde… das hat Gott so nicht getan. Will man Groll gegen Gott manifestieren oder die Verzweiflung still aushalten die inneren Bewertungen einmal ausschalten?

Das Gottesbild ist zerbrochen. Man hatte von so vielen Dingen geträumt… nun ist alles anders gekommen. Die Vorstellung von Gottes Schutz ist zerstört. Wer ist dieser Gott jenseits meiner Bilder? Nach diesem Gott gilt es nun Ausschau zu halten.

 

Er will nicht meine Illusion stabilisieren und mich ins Echte führen.