Stille Nacht

Das grosse Gemetzel ist zu Ende. Das Kreischen und das Grölen haben aufgehört, das Röcheln der Abgeschlachteten ist verstummt. Das waren die Besten des Jahres! Speziell dazu gezüchtet um genau das Alter zu erreichen, an dem ihrer Leiber etwas fest, aber noch sehr zart sind! Alle waren Kinder, viele noch Säuglinge.

Die Grösseren haben sich verzweifelt gewehrt, haben geschrien und versucht, in blinde Panik zu flüchten. Sie wurden mit Elektroschockgeräten und Schlagstöcken ruhig gestellt bis sie von
Schmerz und vor Erschöpfung nur noch leise wimmern konnten. Andere haben sich gefügt, still, mit von Entsetzen rollenden Augäpfeln, der Ohnmacht nahe. Wieder andere, hilflos und schon jenseits der Angst, haben nicht mehr richtig mitbekommen, wie das Blut aus ihrer durchgeschnittenen Kehle gespritzt war und wie dann irgendwann die Todeszuckungen aus waren.

Endlich. Jetzt sind alle abgestochen und ausgeblutet. Es ist fertig gemordet.
Die Räume und die Geräte glänzen vor Sauberkeit, bloss dieser widerwärtige Gestank bekommt man nicht mehr aus den Räumlichkeiten! Urin, Kot, Schleim, Blut..alles fliesst. Hier ist gerade etwas Ungeheurliches geschehen, was nie wieder umkehrbar ist. Da war viel ungelebtes Leben, Freude und Liebe, die nun nie mehr zu empfinden ist.

Jetzt liegen die Kadaver - säuberlich zerstückelt und zerhackt, schön verpackt, manche mit einer kecken Masche dekoriert in Kühlregalen. Kilometerlang, übereinander, in Abertausenden von Geschäften, Millionen davon.

Leise Musik rieselt durch, glückliche Leute lächeln sich an – dem Stress trotzend! - alles glitzert und leuchtet. Es ist eine zauberhafte Zeit in einer zauberhaften Welt!

Der Grossteil der Leichnahme liegt schon auf dem Tisch oder schmorrt noch im Ofen. Der Geruch vom Blut ist verschwunden, die Farbe und die Konsistenz des toten Fleisches ist nur noch eine lästige Erinnerung. Der Anblick des Todes ist schon längst durch Hitze und Gewürze verdeckt worden.

Das Fest der Liebe kann beginnen!
Die Familie ist um den Tisch vereint.Warmes Kerzenlicht leuchtet auf die sorgfältig zubereiteten Leichenstücke, die gemeinsam, mit Genuss und Feingefühl verzehrt werden. Alle sind von gegenseitiger Zuneigung ergriffen Die Augen der Kleinen strahlen ungetrübt, die der Eltern und Grosseltern sind von Tränen der Rührung und der Freude erfüllt!.. Die Speicheldrüsen gehen über, die Bäuche sind zum platzen voll mit dem zartem, jungen Fleisch..

Reine Liebe durchströmt alles! Es wird gesungen und dem Schöpfer gepriesen; dem Gott, der das Mitgefühl und die Anteilnahme in die Welt gebracht hat, gehuldigt! Jeder fühlt sich wiedermal als ein kleiner Teil dieses unaussprechlichen Wunders, ein kleiner Teil voller Hoffnung, Vertrauen und Demut... Die Welt herum ist friedlich und vollkommen..

Ich seh`s mir an. Es ist ganz still.
Und in mir schreit es: „Wieviel Heuchelei verträgt die Welt?“