Kostbarkeits-Meditation

Alles Leben ist kostbar. Zu dieser Erkenntnis hin will einen die spirituelle Praxis erziehen.

Ein Astronaut, der die Erde verliess, hat diese Wahrheit ebenfalls entdeckt:
"Ich nahm kleine Fische für Forschungszwecke mit in die Raumstation. Drei Monate sollte ich dort verbringen. Nach etwa drei Wochen begannen die Fische zu sterben. Wie leid sie mir taten! Ich stellte alles an, um sie irgendwie zu retten! Auf der Erde hatte mir das Fischen viel Spass gemacht, aber wenn man ganz allein im Raum ist, und weit weg von allen Dingen der Erde, dann liegt einem alles Lebendige besonders am Herzen. Man sieht einfach, wie kostbar Leben ist."

In derselben geistigen Verfassung öffnete ein Astronaut nach der Landung seiner Kapsel die Luke und sog die feuchte Luft der Erde ein. "Ich stieg aus und beugte mich tatsächlich nieder und küsste die Erde", erzählte er später.

Die spirituelle Praxis (sadhana) führt zu diesem Gewahrsein, auch ohne dass man in das Weltall fliegen muss. In dem Masse, in dem die Eigenschaft von "Gegenwärtig-sein" und "Einfachheit" unser Leben immer mehr durchdringt, beginnt unsere Liebe für alle Wesen in der Welt ihren Ausdruck zu finden und haucht unserem inneren Weg Leben ein.

Eine kleine Meditation: Du bist am Ende Deines Lebens angelangt. Geh nun in Gedanken zurück und halte dir zwei Momente vor Augen, in denen Du gefühlt hast, etwas Gutes getan zu haben. Es braucht nichts Grossartiges zu sein; lasse einfach aufsteigen, was sich dir anbietet. Während du dich an diese zwei guten Taten erinnerst, achte darauf, wie diese Erinnerung auf dein Bewusstsein wirkt, wie sie deine Gefühle und den Zustand des Geistes verändert.
(Es ist manchmal komisch, dass wir in einem Leben voller Worte und Tätigkeiten, mit hunderttausenden von Aktivitäten, sogar überlegen müssen, ja sogar suchen müssen nach einem solchen Moment der Erfülltheit, der vollen Zufriedenheit. Einige empfinden diese kleine Übung als schwierig, da ihnen keine guten Taten einfallen, oder es bieten sich einige an, die man jedoch als oberflächlich oder zu geringfügig wieder zurückweist.)

Fast jeder, der diese Meditation tut, stellt fest, dass diese wertvollen Momente erstaunlich einfach sind.
Die Dinge, die in unserem Leben am meisten zählen sind nicht phantastisch oder grandios.
In diesem Leben kann ich keine grossen Dinge tun. Ich kann nur kleine Dinge mit grosser Liebe tun.

Ich frage mich nun: Wie wäre es, ständig so zu leben? Führt der Weg, den ich bisher als mein Leben gewählt habe, tatsächlich in diese Richtung?

In all dem Stress und all der Komplexität unseres Lebens vergessen wir vielleicht unsere tiefsten Bedürfnisse. Doch wenn die Menschen das Ende ihres Lebens erreichen und zurückschauen, ist die häufigste Frage, die du dir stellst nicht etwa: "Wieviel ist auf meinem Bankkonto?" oder "Wie viele Bücher habe ich geschrieben?" oder "Was habe ich aufgebaut?" Wieviel Stunden habe ich am Arbeitsplatz verbracht?“...

Wenn man das Glück hat, mit einem Menschen zusammenzusein, der sich bewusst ist, dass die Zeit seines Todes gekommen ist, werde ich feststellen dass die Frage ganz einfach lautet: "Habe ich ganz gelebt? Habe ich gelernt loszulassen? Habe ich gelernt, Veränderungen mit Abstand, Weisheit und Mitgefühl zu erleben? Habe ich gelernt zu vergeben und mich von der Inspiration des Herzens anstatt von Geist des Urteilens lenken zu lassen? Bin ich frei vom Impuls, Besitzen zu wollen? Liebe ich Krishna nun wirklich?"

Wenn ich auch bereits jetzt darüber nachdenke, kann ich erkennen, wie meine Ängste und Abhängigkeiten in das Kleinliche eigentlich überflüssig sind.

„Wenn das ewige Lebewesen denkt, es sei Teil dieser Welt und ein Produkt der Materie, leidet es unnötigerweise im Einfluss der äusseren Energie.“ (SB 1.7.5-6)

Mein Problem ist, dass ich meine, ich hätte noch so viel Zeit. Es ist ungewiss. Wie wäre es wohl, mit dem Wissen zu leben, dass dies unser letztes Jahr, unsere letzte Woche, unser letzter Tag ist?

Letzte Woche besuchte ich in einem Spital einen Mann, der noch nicht vierzig war, aber bereits sehr reich.
Er besitzt eine Baugesellschaft, ein Segelboot und ein Ferienhaus. Eines Tages hatte er am Steuer seines Autos ein „Blackout“. Die Untersuchung ergab, dass er an einem bösartigen, schnell wachsenden Gehirntumor litt. Der Arzt hatte zu ihm gesagt: "Wir möchten operieren, aber ich muss sie warnen. Der Tumor befindet sich im Sprachzentrum. Wenn wir den Tumor entfernen, kann es sein, dass sie damit die Fähigkeit verlieren, zu lesen, zu sprechen, zu schreiben und irgendeine Sprache zu verstehen. Wenn wir jedoch nicht operieren, haben sie wahrscheinlich nur noch zwei Monate zu leben. Bitte überlegen sie es sich. Die Operation ist für morgen früh angesetzt. Sagen sie bis dahin Bescheid.“

Ich besuchte den Mann an diesem Abend. Er war sehr still und nachdenklich und befand sich in einem aussergewöhnlichen Bewusstseinszustand. Solch ein Erwachen wird manchmal durch die spirituelle Praxis ausgelöst, doch bei ihm entstand es durch die besonderen Umstände. Als wir miteinander redeten sprach der Mann nicht über sein Ferienhaus, sein Segelboot oder Geld. An jenen Ort, der ihn erwartete, nimmt man keine Banknoten oder Autos mit. Alles, was in Zeiten grosser Veränderung zählt ist die Währung des Herzens, die Einsichten.
Zwanzig Jahre zurück hat er einmal über Reinkarnation gelesen und Yoga praktiziert, und in der Situation, der er sich nun ausgesetzt sah, waren es jene Erfahrungen, an die er wieder anknüpfen wollte - über sein spirituelles Leben und sein Verständnis von Geburt und Tod.

Am Schluss sagte er mir: "Heute abend erscheint es mir so kostbar, einfach nur ein Glas Wasser zu trinken oder den Tauben zuzuschauen, die von der Fensterbank ins Freie hinausfliegen. Sie erscheinen mir so wunderschön. Es ist ein Wunder, einen Vogel fliegen zu sehen."

kim pramattasya bahubhih
parokshair hayanair iha
varam muhurtam viditam
ghathate shreyase yatah

"Welchen Wert hat ein langes Leben, das verschwendet wird, weil man aus den vielen Jahren in dieser Welt keine Verwirklichungen mitnimmt. Besser ist nur ein Augenblick bei vollem Bewusstsein, denn er gibt den Anstoss dafür, nach dem höchsten Eigeninteresse zu forschen." (SB 2.1.12)