Erotik und Transzendenz
Wir sind in diese Welt hineingekommen für Radha-Krishna und dem Seva zu ihnen und um einander zu unterstützen und ermutigen in der Reise zu
ihnen; um einander wirkliche Freiheit und Freude zu schenken.
Erst im Vergessen dieser wesentlichen Absicht beginnt die Kompensations-Kette....der Versuch, die Gotteserfülltheit aus Menschen heraus zu pressen. Dazu muss ein sinnloser Akt des Festhaltens und
Besitzens der mir lieben Menschen um mich herum eingeleitet werden. Und nicht erst im Verlieren von ihnen, sondern bereits im Greifen nach ihnen, geht die Leichtigkeit verloren, welche die
natürliche Erfahrung wäre auf dem freudigen Begegnungsweg zu Radhe-Syam.
Auch in der menschlichen Liebeserfahrung steckt schon ein erster Ansatz, eine Ahnung dieser göttlichen Liebe. Jeder Mensch sehnt sich danach, endlos zu lieben. Das hat etwas Verzauberndes. Aber zugleich erleben wir auch immer, wie kurzweilig dieses Gefühl sein kann und wie brüchig festgeglaubte Beziehungen sind. Sie können sich schnell wieder ins Gegenteil oder sogar in die Gleichgültigkeit wandeln. Denn unsere zwischenmenschliche Liebe ist immer vermischt mit den Aspekten der Eigensucht – den Eigenvorstellungen, Besitzansprüchen und dem Wunsch nach Kontrolle.
In diesen Erfahrungen der verzaubernden und zugleich brüchigen Liebe sehnt sich der Mensch nach einer lauteren Liebe, die nichts als Liebe ist.
Diese Bedingungslosigkeit und Ungetrübtheit von Nebenabsichten ist erst in der Liebe der reinen Seele zu finden, wenn die Liebeskraft nicht mehr durch die Identifikationen mit Materie verzerrt wird. So wie ein Fluss unentwegt dem Meer entgegen fliesst, so zielt erwachte Liebe immer erst auf Radha-Krishna hinzu und von da überquillt sie auf alles hin, was mit ihnen in Bezug steht – die gesamte äussere Welt, die man dann ohne Bevorzugungsnischen (persönliche Verhaftungen wie Familie, Land, Partner, Kinder etc) wahrnimmt.
In dieser Welt ist Liebe zu Menschen einfach nur eine flüchtige Begegnung im Transit.
Alle Situationen der irdischen Sphäre vermögen die Sehnsucht nach Rasa (liebevollem Austausch mit Gott) nie zu tragen oder nur annähernd erfüllen.
Ich glaube, dass in dieser Überfrachtung der Welt die eigentliche Tragik ruht. Wir suchen das Ewige im Zeitweiligen, Bestand im Flüchtigen, Substanz im Schatten.
Seit Äonen schaut mit Krishna in diesem fruchtlosen Mühen irgendwie traurig zu. Er sieht, wie wir die sinnlose Verweigerung zum Glück ins uns tragen.
Wir versuchen Krishnas Energien für unsere eigenen Ziele und Absichten zu benützen und zu geniessen. Diese Verdrehung im menschlichen Bewusstsein ist der Ur-Archetypus des Diebstahls.
Im Bhagavatam (2.6.8) heisst es, dass Krishna die Freude in die Sexualität hineingelegt hatte. Diese in der Sexualität erfahrene Freudensubstanz ist also reell.
Dieses Phänomen zeugt von Krishnas Liebenswürdigkeit. Wenn ein Dieb all unsere Wertsachen stiehlt, wünscht man ihm normalerweise nicht, dass er all diese aus vollen Zügen geniessen möge. Doch Krishna tut genau dies: Der Seele, die seine eigenen Energien getrennt von ihm für sich selber geniessen möchte, schenkt er noch einen Genuss dabei.
Allerdings ist es ein Schatten der Freude des liebenden Dienens (Bhagavad Gita 10.41), und wer beim ersten Einblick bereits stehen bleibt, blockiert die Weiterreise zur Substanz (2.44).
Auch in einer Atmosphäre in welcher Menschen eine Tendenz haben, die äussere Welt für Eigengenuss einzuspannen, kann man beobachten, wie sich doch eigentlich jede Seele nach Radha-Krishna sehnt... und sich vorschnell zufrieden gibt mit Vorläufigem: mit dem leeren Widerschein innerhalb dem Spannungsfeld von Geschlechter-Überzügen.
Die Täuschung und Bindung wird erst im Spannungsfeld von Körperidentifikationen mit Mann und Frau richtig vollständig. (Bhagavatam 3.31.35)
Je stärker die Hoffnung ist, in dieser Reflektion erfüllt werden zu wollen, desto bindender wirkt sie auf unser Bewusstsein. Ein emotionaler Rausch geht mit einem Bewusstseinsverlust
einher.
Liebesbeziehungen beginnen oft durch die Sexualität, sollten jedoch nicht dort stecken bleiben. Denn dann hätte man die sexuelle Kraft nicht verstanden und ihren evolutiven und transformativen Aspekt nicht zu nutzen gewusst.
Die Liebe hat viele Stadien und darf nicht im ersten, in der Auffüll-Liebe stagnieren. Die Liebeskraft will immer auf Gott verweisen. Im Folgen dieser Liebes-Spur wird die körperliche Sexualität mit der Zeit wegfallen. Sie körperlich nicht zu leben ist nicht ein defizitärer Zustand, sondern zeigt auf, dass das Bewusstsein der Seele ein grosses Mass an Kreativität und Fruchtbarkeit entwickelt hat.
Aus der Sichtweise des inneren Weges sind Liebespartner Weggefährten, die sich auf dem inneren Weg gegenseitig liebevoll unterstützen.
Das, was man allerdings in der Welt „Liebesbeziehung“ nennt, ist zumeist nicht eine Liaison, die durch die Wahrheit zusammengehalten wird, sondern eher durch die Verhaftung und vorallem durch die Angst vor Verlust – der Angst vor dem Alleine-Sein. Diese Angst wird die Gottesliebe korrumpieren und vernebeln.
Erotik in ihrem letztlichen Ursprung und ihrer ganzen Reinheit und Schönheit ist die Beziehung zwischen Shaktiman (dem Ursprung aller Kräfte) und Shakti.
Sri Krishna ist Shaktiman. Von ihm geht alles aus. Srimati Radhika ist die adi-shakti, die ursprüngliche Gestalt aller Kräfte. Der Austausch zwischen Radha und Krishna ist nicht Symbol für die menschliche Ebene, sondern konstituiert das Zentrum, um welches herum alle Seelen eingeladen sind, mitzuwirken. Das ist seva zu Radha-Krishna. Menschliche Interaktion und weltliche Erotik sind nur Symbol und ganz schwacher selbstsüchtiger Abglanz von einer letztlichen Wirklichkeit in der spirituellen Welt, die aber abgetrennt von der Dimension der Liebe der spirituellen Welt keine Substanz aufweisen.
Liebe ist die Grundsehnsucht einer jeden Seele... nach Austausch, Dienen und Freude. Doch wenn sie in ihrem Zielobjekt verstreut wird in die Welt, dann hat sie nicht die Kraft, die ihr innewohnt. Die Prema, die etwas anderes ist als Sympathie zu Mitwesen auf dem Weg, zielt immer nur auf die Erfreuung von Radha-Krishna hinzu, ohne etwas von ihnen zu erhoffen für das eigene Wohlbefinden und ohne Forderung nach Erleichterung. Dann wird sie einen erst freudig beleben können, genauso wie Nahrung einem nur zu nähren vermag, wenn sie dem Mund zugeführt wird.