Inexistente Hölle  -wie "religiöse" Phantasien Ängste erzeugen

 

Liebe Vaishnavas

jay sri radhe

dies ist mir ein wichtiger Artikel, an dem ich längere Zeit gearbeitet hatte, den ich mit euch teilen möchte.... denn in heiligen Offenbarungstexten schwingen manchmal gewisse Überzeugungen noch mit, mit denen eigentlich jede wache Seele nie einverstanden sein dürfte. 


Die Essenz von Bhakti ist, sich in seinem spirituellen Körper ewiglich in den liebenden Seva zu Radha-Govinda zu vertiefen. Warum soll man sich denn mit der Nichtexistenz der Hölle auseinandersetzen?
Wir vertiefen uns auch nicht einfach nur in Manjari Seva , sondern es ist auch notwendig, durch einen Vorgang von Anartha Nivritti hindurch zu gehen, also einen Weg der Klärung von Grund-Motivationen zur Hingabe. Denn die Ich-Sucht wird auch das Allerheiligste für sich vereinnahmen wollen. Das Gleiche gilt auch im Kollektiv... Es gibt innerhalb der spirituellen Traditionen Glaubenskonstrukte, die in der Geschichte entstanden sind, welche sich sehr ungesund auswirken auf eine gesamte Praxis. Und genau diese gilt es anzusprechen und sie nicht einfach nur still mit zu tolerieren im Sinne von frommem Gläubig-Sein. Denn das legitimiert ihre Weiter-Existenz. 

So bedarf es noch einige Aufräumarbeit in uns drin und auch Ausmistungs-Arbeit von weltlichen und tragischen Verständnissen, die sich in die spirituelle Tradition eingeschlichen haben. Wenn dies unterlassen wird, bleibt von den heiligen Offenbarungen nur noch tradierter Aberglaube, tote Repetition, übrig und sie tragen keine Früchte mehr, das bedeutet, sie sind keine Erfahrungsräume, die zu echter Verwirklichungen führen, mehr. 

Höllenvorstellungen besetzen den inneren Weg mit Angst - und dies verunmöglicht Transformation des Wesens. 
So viele Menschen haben sich von einem Gottesugang abgewandt aufgrund solcher furchbaren Gottesbilder. In unzähligen Gesprächen mit Menschen, die das Schriftwerk der Bhakti-Tradition lesen, ist mir die Dringlichkeit entstanden,  dass auch in der Radha-Krishna-Bhakti solche Themen unbedingt in eine offene Sphäre von kritischer Betrachtung gelegt werden müssen. 

In diesem Sinn ist dieser Artikel zu verstehen. 
Er stellt sozusagen einen Anstoss für den Anartha nivritti-Protzess unserer Offenbarungs-Tradition dar, in welcher es neben so vielen erstaunlichen Einsichten und Einblicken, auch noch bedenkliche Relikte gibt, die sich als spätere Interpolationen herausstellen. 

ich glaube, dass man in einem solchen Kontext die Auseinandersetzung mit der Höllen-Thematik in der Bhakti-Tradition als wesentlich verstehen wird.  Es ist ein wichtiges Thema, da man unter nachtodlichen Angst-Drohungen keinen inneren Weg begehen kann. 

 

in Verbundenheit....  krishna chandra

 

 

 

 

inexistente Hölle – wie „religiöse“

 

Phantasien Ängste erzeugen

 

 

 

 

Religion stellt nach Karl Jaspersdiegrösste bekannte Angstquelle dar. Wenn man die vehementen Drohungen und Strafverheissungen, die von Seiten der Religionen kommen, anschaut, die mit keinem anderen Unrechtssystem in der Geschichte der Menschheit zu vergleichen sind, muss man Jaspers zustimmen. Die tiefste Angst des Menschen ist die Gottes-Angst, welche von dysfunktionalen Gottes-Vermittlungen ausgelöst wurde.

Beim Thema „Jenseits“ zeigt sich besonders die dunkle Macht der jeweiligen Priesterkaste einer bestimmten Religionsausprägung. Denn immer waren und sind es Vertreter konfessionell definierter Religionen, welche die Menschen mit ihren Jenseitsvorstellungen und Höllendrohungen einschüchtern, um ihren Lehren Gewicht zu verleihen und damit letztlich eigene Machtansprüche durchzusetzen.  Die religiöse Grundmotivation der Angst ist sehr archaisch und gemäss Bhaktivinod Thakur ohne jeden transformatorischen Wert (siehe „Caitanya Siksamrita“). 

Im Caitanya Caritamrita (1.17.95) wird Angst sogar als Fundamentalhindernis bezeichnet: „Wenn man die Atmosphäre von Angst verbreitet, wird das zu einem Hindernis (aparadha) auf dem Weg der Verehrung.“  

 

Denkt man alle Ängste einmal zu Ende, so gründen sie sämtlich in einer geschöpflichen Vernichtungsangst: DieseAngst vor dem Tod reduziert uns auf menschliche Dimensionen und ist quasi das Rezept gegen die Selbstvergottung. Das ist ihre natürliche Schutzfunktion.

Aber alle Glaubensgemeinschaften instrumentalisieren die Angst der Menschen für ihre Zwecke. Dies ist eine Angst, die eigentlich unnötig wäre. Aus psychologischer Sicht ist die Androhung eines nachtodlichen Racheaktesvon Seiten Gottes, einer Hölle, ein Disziplinierungsinstrument, das bei Kindern traumatische Reaktionen auslösen kann. Bei Erwachsenen erzeugt es eine Schwere, welche die ursprüngliche Freude und Leichtigkeit des inneren Weges zerstört. Als ob das Diesseits nicht schon genug Ängste auf Lager hätte, bauen praktisch alle grossen Religionen seit Tausenden von Jahren eine mögliche Drohkulisse für das Leben nach dem Todauf, wenn man ihren Vorgaben nicht akribisch folgte. Es wird einem ein postmortales Auschwitz angedroht, wenn man die Gebote nicht genau befolge und sich nicht treu ergeben den Verordnungen füge. Kein diktatorischer und tyrannischer Staat hat jemals so drakonische Strafen gesetzt wie die religiösen Traditionen, welche die ewige Verdammnis oder nachtodliche Höllenstrafen kennen. 

80 % der Weltbevölkerung glaubt gemäss offizieller Doktrin an die Hölle:

Buddhisten an den für Sünder grauenhaften „Lokas“,

Hindus an „Naraka“,

Muslime an das Höllenfeuer im „Dschahannam“,

Juden an das fegefeuerartige „Gehinom“,

Katholiken undProtestantenan eine ewige Hölle.

Selbst wenn Gläubige der verschiedenen Traditionen sich mit dem Thema auseinandergesetzt haben und daraufhin das Höllenkonzept als mit einem liebenden Gott unvereinbar ablehnen, so mögen dennoch die im Kollektiv eingebrannten Drohbilder subtil in der Psyche des Individuums weiter wirken, wenn sie nicht explizit thematisiert und zurückgewiesen werden.

Somit wird der Gottesbezug angstbesetzt. Und für viele Menschen bedeutet Heilung von solchen problematischen Gottesverständnissen nachvollziehbarerweise erst einmal die Befreiung vom Gottesbezug. 

Die Aufarbeitung des Gottesbildes gehört ganz wesentlich erst einmal zum inneren Weg…

Der religiöse Mensch wird aufgefordert, bedingungslos zu lieben, während der Gott, der dies fordert, als jemand dargestellt wird, der extrem konditional liebt. 

Auf der einen Seite werden wir von den Religionen eingeladen, uns an den liebenden Gott zu wenden – und gleichzeitig vermitteln sie ein Bild von einem strafenden, wütigen Tyrannen, einem strafenden und drohenden Gott, welcher aus bösen Launen heraus handelt und gänzlich jenseits jeglichem Gerechtigkeitsempfinden handelt.

 

Der „liebende“Gott, der zu solch furchtbaren Strafen fähig ist, von dem wir in religiöser Sozialisation gehört haben, lässt im Hintergrund noch immer ein diffuses Höllenbewusstsein mitschwingen, weil die offiziellen Lehrmeinungen davor noch nicht entwarnt haben.

Das Rechtsbewusstsein der so erzogenen Kinder wird auf den Kopf gestellt. Die Gesellschaft schaut in grenzenloser Toleranz permissiv weg, wo die Religionen an Gott und ihren Kindern schuldig werden.

Der bulgarische Schriftsteller G. Gospodinov schrieb: „Wir haben im Totalitarismus [in Bulgarien] gelernt, über gewisse Dinge sehr vorsichtig oder gar nicht zu reden.“ In ähnlicher Weise gestatten wir den Religionen, ein angebliches Konzentrationslager Gottes auf die Schultern unserer Kinder zu laden, einerlei, ob sie daran zerbrechen. Wir gestatten es aus der eigenen oft unbewussten Gottes-Angst, nicht aus mangelndem Engagement.

Höllendrohung ist ein schwerer Fall von schwarzer Pädagogik. Für diesen institutionalisierten Horror gibt es kein Mindestalter, er wird so früh wie irgend möglich angewandt und wirkt umso verheerender auf die kindliche und menschliche Psyche. Ich habe mit vielen Vaishnavas aus zweiter Generation gesprochen und sie bestätigten mir alle, wie sehr es sie an diesen Höllenbeschreibungen und den dazugehörenden Bildern in der BBT-Ausgabe des Bhagavatam irritierte, dass der liebende Govinda aus Vrindavan solch Schrecken gewollt haben soll. 

 

Alle gläubigen Menschen tragen noch Relikte aus primitiven Zeiten in ihrem Glaubenskanon. Damit meine ich Dinge, die man eigentlich vom eigenen Gewissen her gar nicht vertreten könnte, die aber stillschweigend einfach so mitgeduldet werden, weil man doch Teil der Glaubenskongregation sein möchte. Gerade diese Haltung von Anpassung an die gegebene Konvention gilt es genau zu betrachten. Sie tarnt sich als Vertrauen, ist aber Unfähigkeit zum Alleinsein und infolgedessen Anlehnung an die Gruppe. Bonhoeffer meinte, „wer nicht allein sein kann, der hüte sich vor Gemeinschaft.“ Christliche Priester hüten sich zumeist, von der Möglichkeit der Verdammnis in ein ewiges Feuer zu sprechen, aber sie ist Teil der offiziellen Lehre. Auch Vaishnavas sprechen normalerweise nicht explizit über die Hölle, aber allein im Schriftwerk von Srila Prabhupada taucht das Wort „Hölle“ fast 3000 Mal auf. Subtil wird dem Leser ein Weltbild vermittelt, in dem die Hölle eine faktische Realität aufweist. 

Im ersten Kapitel der Gita (1.43) heisst es: 

„O Krishna, ich habe von Autoritäten gehört, dass diejenigen, welche das kula-dharma(das zeitweilige Dharma, die Familienordnungen) zerstören, selber eine bestimmte Zeit in qualvollen Umständen residieren werden.“

In der Bhagavad Gita, WIE SIE IST, die von den meisten Vaishnavas gelesen wird, heisst es aber: „... dass diejenigen, welche die Familientraditionen zerstören, für immer in der Hölle leiden.“

Das Wort niyatamheisst „für eine bestimmte Zeitperiode“, aber dort wird es mit „für immer“ übersetzt. 

In dem genannten Vers geht es zwar hauptsächlich um Arjunas Zweifel aber unterirdischbekommt man durch eine solche falsche Übersetzung die Erinnerung an eine Möglichkeit ewiger Verdammnis mitgeliefert (siehe auch 18.12).

Das Höllenthema wird zumeist nicht angesprochen, doch wird den praktizierenden Vaishnavas tatsächlich vermittelt, dass es Höllen gebe. 

Der Gläubige wird aufgefordert, seine Feinde zu lieben, was dieser „Gott“ jedoch keineswegs tut, denn er bestraft seine Feinde vielmehr für alle Ewigkeit. 

Dies beklemmt die suchendeSeeleverständlicherweise. Der Spur dieser Verwirrung soll nachgegangen werden. Möge dieser Artikel dazu beitragen. 

 

Mein Nachbar, Herr Müller, gibt den Menschen in seiner Umgebung in der Regel eine zweite Chance und lässt ihnen Fehler durchgehen. Selbst an den schlimmsten Tagen würde er nicht die Fantasie entwickeln, den Verfehler ewiglich zu foltern, bloss weil dieser ihn nicht mag, anbetet oder an ihn glaubt. 

Solch ein „Gott“ wirkt extrem kleinkariert und sagt eher über dessen Erfinder etwas aus. Dieser Gott ist massiv überempfindlich, narzisstisch und leicht kränkbar. 

Seine verletzte Ehre scheint Ihm viel wichtiger zu sein als Seine Liebe.

Weshalb sollte irgendwer einem solchen Gott vertrauen oder Ihn lieben, geschweige denn mit diesem Gott die Ewigkeit verbringen wollen? 

Es sind verzerrte Gottesbilder, die den wachen Menschen verständlicherweise in den Agnostizismus und in die Gottes-Gleichgültigkeit treiben. Solche fragwürdigen Gottesbilder werden jedoch auch im Yoga der Gottesliebe, Bhakti-Yoga, vermittelt. 

 

Die heilige Dimension darf erst einmal abgelöst werden von den doch sehr menschlichen Vorstellungen (befreit werden von anthropomorphen Gottvorstellungen). 

Vertreter aller religiösen Richtungen haben die Tendenz, ihren Gott in ein Gefängnis von Ideologien einzusperren. Ihr Gott sei gross, sagen sie, und gleichzeitig schrumpfen sie Ihn ein, damit Er in ihr menschliches Verstehen hineinpasst. 

Das Bild, das sie sich von ihrem Gott machten, ist das eines ziemlich beschränkten, wenig kommunikativen, übellaunigen Hausmeisters. Sie machen Ihn so klein wie sie selbst sind. Das Gottesbild spiegelt also nicht Gott, sondern nur die Beschränktheit Seiner Projizierer wider.  

Es braucht einen nicht mehr zu wundern, dass solche eingeschränkten Gottesverständnisse auf den Menschen nicht mehr die befreiende und lebensentfaltende Wirkung haben, die dem Gottesbezug eigentlich inhärent inne wäre (siehe Bhagavad Gita 9.2). 

Religion regrediert dann nur noch zu einem „Seufzer der bedrängten Kreatur“. (Karl Marx, Das kommunistische Manifest).

 

Viele Menschen sind belastet durch eine religiöse Erziehung und fragwürdige Gottesbilder, die sie nicht frei machten, sondern krank; 

die in ihnen nicht Freude entfalteten, sondern Schuld;

die sie nicht demütig machten, sondern minderwertig; 

die sie nicht freier machten, sondern unselbständig und vertrauenslos in sich selber; 

die sie nicht autark machten von der Unbeständigkeit der Phänomene in der Welt, sondern anlehnungsbedürftig;

die sie nicht eigenständiger machten, sondern fremdbestimmt;

die sie nicht ungezwungener werden liessen (angesichts der Ewigkeit des Selbst), sondern verknorzter;

die sie nicht sehnsüchtiger werden liessen, sondern gesättigt;

die sie nicht von innen leben liessen, sondern noch vermehrt von aussen her;

die sie nicht unvoreingenommen werden liessen, sondern programmiert;

die es verunmöglichten, die anderen Menschen in geschwisterlicher Weise zu sehen, sondern als Bedrohung,

die sie nicht offen für das Geheimnis Gottes machten, sondern gefangen in Doktrinen.

 

Unabhängig von Tradition oder Konfession sind bestimmte Fragen wesentlich:

Fordert Gott blinde, knechtische Observanz, oder entlässt Er den Menschen in verantwortliche Freiheit? Hat Gott soviel Vertrauen zum Menschen, dass Er ihm auch die Freiheit zugesteht? 

Macht Gott Angst oder stärkt Er gegen alle Negativitätserfahrungen endlichen Lebens das innerste Urvertrauen, dass die Welt als Schöpfung Gottes in ihren Grundstrukturen verlässlich und eingebettet in Seine liebliche Führung ist?

 

Glaubensgemeinschaften, die Gläubigen mit der Hölle oder postmortalen schlimmen Konsequenzen drohen, bräuchten dringend eine Aufklärung. Wir haben in der Zivilgesellschaft dank den Menschenrechten die schwarze Pädagogik überwundenund dort die Welt menschlicher gemacht. Es wäre wesentlich, dass diese Vernunft auch in die Religionen Einzug hält. Auf diese Erkenntnis sollten die Weltreligionen verpflichtet werden können. 

 

In Amerika sind es fundamentalistische Christen, welche die Todesstrafe noch immer verteidigen. Zugrunde liegt ein sehr archaisches Gottesverständnis, dass die Guten beschützt seien und die Bösen unbedingt bestraft werden müssten und leiden sollten. Da steckt eine Rachsucht dahinter, die eine Genugtuung empfindet, wenn der Übeltäter effektiv zu leiden hat. 

Die Aufklärung, angefangen mit Immanuel Kant, entwickelte sich weg von dieser altertümlichen Jurisprudenz, die auf dem Rachegedanken beruht. Die Rechtsprechung möchte prinzipiell auch dem Verfehler helfen, um jedoch den Schutz der freien Gesellschaft zu gewährleisten, muss man ihn vielleicht wegsperren. Doch dies wird immer in der Perspektive getan, dass dieser ein Umkehren lernen kann und dieses ihm ermöglicht wird. Vielleicht hat er Unrecht getan, doch auch er hat die Würde, nun gerecht behandelt zu werden und nicht unnötig leiden zu müssen. Man möchte immer auch das Beste für den Delinquenten. 

Der Gott, den die Schriftreligionen präsentieren, ist noch weit weg von einer solchen Einsicht. Dort findet man die notdürftige Ethik des „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. 

 

Wenn Arjuna Sri Krishna fragt, was mit ihm geschähe, wenn er Ihn bewusst zurückwiese und dem sinnlichen Leben den Vorzug gäbe, gibt Krishna eine erstaunliche Antwort. Dies ist eine Frage, die von vielen Traditionen beantwortet wird mit allerschlimmsten Drohungen. 

Zum Beispiel: In einem Kompendium zum Katholischen Katechismus auf den offiziellen Vatikanseiten www.vatican.va. 

Nr. 171.Was bedeutet die Aussage: „Ausserhalb der Kirche kein Heil“? - Nr. 846-848 - Diese Aussage bedeutet, dass alles Heil von Christus, dem Haupt, durch die Kirche, seinen Leib, kommt. Darum können jene Menschen nicht gerettet werden, die wissen, dass die Kirche von Christus gegründet wurde und zum Heil notwendig ist, in sie aber nicht eintreten oder in ihr nicht ausharren wollen.

Was ist das für ein Gott, welcher sich so erzürnt, nur weil man sich wieder von ihm abwendet?

Dabei handelt es sich ja letztlichnur um eine Momentan-Ausweichungvor Gottes Liebe. 

Die Antwort von Sri Krishna in der Bhagavad Gita (6.40-44) ist deshalb sehr schön. Er sagt, dass der kleinste Schritt zu Ihm hin niemals vergeblich sei. Wenn sich nun ein gänzlicher Anfänger wieder dem privaten kleinen sinnlichen Glück zuwenden möchte, dann schenkt ihm Krishna himmlische Freuden in höheren Sphären als kleine Dankbarkeit, da diese Seele sich Ihm einmal ein wenig zuwandte. 

In ein solch liebevolles Gottesverständnis passt ein jähzorniger Verwalter-Gott, welcher Abweichungen während eines einzelnen Lebens mit Höllenqualen bestrafen würde, nicht hinein.

Das Bhagavatam selbst sieht die Hölle als einen symbolischen Zustand und nicht als effektiven geographischen Ort. Krishnaerklärt in der Uddhava-Gita (11.19.42–43) ganz nüchtern: „Hölle ist das Ausdehnen von Tamas(Trägheit, geistige Dunkelheit). Himmel ist das Ausdehnen von Sattva(innere Harmonie, Verankerung im Selbst).“

In der Gita spricht Krishna im 16. Kapitel über Lust, Zorn und Gier als die drei Tore, die in die Dunkelheit hineinführen. Dabei wird das Wort narakagebraucht, welches auch als „Hölle“ übersetzt werden kann. Doch an mehreren anderen Stellen der Gita bezeichnet Krishna diese Eigenschaften als Antrieb der Degradierung (2.62) und als Bindungskraft an die Welt (14.7, 14.12). Es ist also offensichtlich, dass Krishna im 16. Kapitel mitnarakanicht einen geographischen Bestrafungsort meint, wo den Wesen sinnlose Folter zugefügt wird. 

 

Kapila spricht über das Phänomen, wie jedes Lebewesen an seine Lebenssituation angehaftet wird, auch wenn diese von einem erwachten Standpunkt aus sehr merkwürdig zu sein scheint:

Das bedingte Lebewesen ist aufgrund der Täuschung der äusseren bedeckenden Kraft des Herrn in seiner jeweiligen Spezies so zufrieden, dass es an jedem beliebigen Körper festzuhalten beginnt. Auch wenn es sich in einem höllischen Zustand befindet, erfreut es sich an höllischem Genuss.“ (Bhagavatam 3.30.5).

Auch Kapila benützt hier das Wort naraka(Hölle). Doch wenn es wirklich so schreckliche Zustände wären wie sie im 26. Kapitel des fünften Cantos beschrieben werden, wo einen die Schergen des Todes ununterbrochen foltern, dann wäre das kein höllischer Genuss. 
Kapila benützt hier das Wort narakaim Sinne von „degradiert“ und „bedeckt“. Selbst wenn die Seele in einem tierischen Körper herumirrt und so bedeckt ist, dass sie nicht einmal mehr die Möglichkeit zur Selbsterkenntnis besitzt, will sie diesen auf keinen Fall aufgeben. 

Was Er mit narakaim Sinne von „gefangen in Täuschung“ meint, führt Er gleich noch aus: 

„Eine solche Zufriedenheit mit dem eigenen Lebensstandard ist auf eine verwurzelte Anziehung zu Körper, Frau, Heim, Kindern, Tieren, Reich­tum und Freunden zurückzuführen. In einer solchen Gemeinschaft hält sich die bedingte Seele für recht vollkommen.“ (Bhagavatam 3.30.6).

Sehr oft wird im Sanskrit einfach das Wort adahgebraucht, was „hinab“ oder „Degradierung“ bedeutet. Doch es wird dann oft als „Hölle“ übersetzt. (Siehe z.B. Bhagavatam 3.30.10, 8.21.33).

 

Die meisten religiösen Traditionen haben die Wiederherstellung unserer eingeschlafenen Gottesliebe als „Himmel“ bezeichnet. Deren Vergessenheit wurde „Hölle“ genannt. Wenn man diese Zustände aber nicht als Haltungen des eigenen Bewusstseins versteht, degradiert die spirituelle Tradition in ein Lohn- und Strafsystem. Als Folge reduziert man den inneren Weg auf moralische Massregelung und glaubt, dass Religion ein Evakuierungsplan für eine kommende Welt sei, anstatt eine Wiederaufnahme des liebenden Dienens unabhängig davon, wo man sich gerade befindet. Janmani janmanisvare... „möge ich Geburt für Geburt einfach in ununterbrochenem motivlosem Gottdienen beschäftigt sein“ (Siksastakam 4). 

Für die aufgeklärtere Spiritualität ist die Hölle nur eine Metapher für die innere Not und nicht wirklich real (Bhagavatam 3.30.29 – auch im Caitanya Caritamrita wird das Höllenleiden im übertragenen Sinn gebraucht: Madhya lila 22.12). Aber dann muss man sich fragen, wofür diese religiös überfrachtete Sprache überhaupt noch sinnvoll sei, wenn es sowieso anders zu verstehen ist. 

Im dritten Canto des Bhagavatam wird das Anhaftungsleiden einer Person geschildert, die dann im Tod gewaltsam von allen Objekten der Zuneigung getrennt wird.  

Diese schreckliche Beschreibung, wie die Schergen des Todes den feinstofflichen Körper aus dem grobstofflichen herausreissen und wie dieser dann gepeitscht und von Hunden gebissen wird (Bhagavatam 3.30.21 ff.), ist offensichtlich eine allegorische. Denn diese Beschreibungen sind gänzlich inkonsistent. Man muss auf einer heissen Strasse gehen mit Waldbränden auf beiden Seiten, hat Hunger und Durst und darf nicht pausieren. Müde fällt man hin und wird gezwungen, wieder aufzustehen. Doch dann heisst es, dass man 1,24 Millionen Kilometer in nur zwei kurzen Momenten reist (Vers 24). Man fühlt grosse Hitze und muss das eigene Fleisch essen (25). Das ist die Reue, die das Lebewesen empfindet, wenn auf das alte Leben zurückgeschaut wird. 

Dies wurde mir auch von anerkannten Vaishnava-Gelehrten wie Fakir Mohan Prabhu und OBL Kapoor bestätigt.  

 

In der buddhistischen Tradition wird dieser Gedanke des Bhagavatam, dass die Hölle nur eine Metapher für emotionale Zustände darstellt, in einer kleinen bekannten Geschichte illustriert:

Der Mönch sah zu dem mächtigen Krieger auf und entgegnete voller Verachtung: „Dich etwas über Himmel und Hölle lehren? Überhaupt nichts könnte ich dich lehren. Du bist ein widerlicher Charakter und stinkst. Deine Klinge ist rostig. Du bist eine Scham und Schande für die Klasse der Krieger. Geh mir aus den Augen. Ich kann dich nicht ertragen.“

Der Krieger wurde sehr wütend. Er zitterte, wurde rot im Gesicht, war sprachlos vor Rage. Er zog sein Schwert und hob es in die Höhe, um den Mönch damit zu erschlagen. 

„Das ist die Hölle“, sagte der Mönch ganz sanft. 

Der Krieger war überwältigt. Das Mitgefühl und die Ergebenheit dieses kleinen Mannes, der sein Leben riskierte, um ihm diese Lehre zu geben und ihm die Hölle erfahrbar zu machen, berührte ihn. Langsam senkte er sein Schwert, erfüllt von Dankbarkeit und plötzlichem Frieden.

„Und das ist der Himmel“, sagte der Mönch lächelnd. 

 

 

„Vedische“ Höllenvorstellung

 

Samika Rishi beklagte und bereute es zutiefst, dass sein Sohn Maharaj Pariksit verfluchte: „Was für ein Verfehlen beging mein Sohn! Man darf nicht schwere Strafen geben für unbedeutende Vergehen.“ (Bhagavatam 1.18.41). Gemäss diesem Verständnis des Bhagavatam ist also eine ewige Verdammnis oder Millionen von Jahren furchtbarer Qualen, was in besagtem Kapitel des Bhagavatam beschrieben wird (5.26.14), immer eine ungerechte Strafe für Vergehen, die wir in diesem einen Leben begehen. Kein einziges Verfehlen in einem Leben könnte solch erbarmungslose Strafen verdienen. Wenn jemand mit dem Auto falsch parkiert und dafür von der Polizei gefasst und zu 80 Jahren Gefängnis verurteilt würde, wären wir alle empört über eine solche Unverhältnismässigkeit des Strafmasses. Aber die nachtodlichen Folterkammern über Äonen, mit denen die Religionen drohen, lassen jede innerweltliche Fehljustiz gänzlich harmlos erscheinen.  

 

Die kritische Text-Exegese und auch Bhaktivinoda Thakur (in der Krishna-Samhita und in „The Bhagavat) erklären, dass das 26. Kapitel im 5. Canto des Bhagavatam, welches furchtbare Höllenbeschreibungen beinhaltet, später in das Bhagavatam eingefügt worden sei. Es wurde von Brahmanen, welche dem moralischen Leben ein wenig Druck machen wollten, erfunden und ins Bhagavatam interpoliert. 

Die Brahmanen versuchten also, Menschen dadurch gefügig zu machen und an ihr religiöses Zwangskorsett zu binden, indem sie Bedingungen festlegen, die angeblich über ein Wohlergehen oder Leiden im jenseitigen Weiterleben entscheiden sollen. 

Dass Interpolation, also Veränderung von offenbartem Schriftwerk, auch in Indien gang und gäbe war, zeigt sich an vielen vedischen Texten. Der Gründer der Arya Samaj, Swami Dayanand Saraswati, ein beachtenswerter Kämpfer für Frauenrechte im 19. Jahrhundert, zitiert die Manu-Samhita, das vedische Gesetzbuch für die Menschheit immer wieder. Er erwähnt dabei, dass die Verse, welche sich erniedrigend über Frauen und Sudras (die Arbeiterklasse) äussern, nicht vedische Offenbarung seien, sondern spätere Interpolationen von korrupten Brahmanen. 

Der bekannte Gelehrte, Dr. Surendra Kumar, erforschte dieses Werk sehr lange und legte dar, wie von den 2685 Versen in der Manu-Samhita nur 1214 als authentisch betrachtet werden könnten. Die anderen 1471 Verse seien spätere Hinzufügungen.  

 

Wenn ich diese Interpolation vonHöllenvorstellungen im Bhagavatam mit Vaishnava-Gelehrten diskutierte, waren sie ebenfalls dieser Ansicht. Und dennoch habe ich nirgendwo öffentlich gesehen, dass man sich explizit von vedischen Höllenvorstellungen distanziert. Die Folge ist, dass gutgläubige Vaishnavas dies noch immer lesen, aufnehmen und in ihren Glaubenskanon integrieren. So wird der innere Weg mit der Angst vor schlimmsten Höllenqualen besetzt, die selbst für lapidare kleine Vergehen angedroht werden. Gerade kürzlich wurde von der Iskcon ein Magazin veröffentlicht (http://nbsmag.com/emagazines/read/nbs-85), in welchem diese Höllendarstellungen als gänzlich real beschrieben werden, und worin es explizit heisst, man dürfe sie nicht metaphorisch verstehen... 

In diesem besagten Höllenkapitel des Bhagavatam steht zum Beispiel: Wenn jemand einen Gast nicht bewirtet, wird er dann in eine Hölle geschickt, wo er 100`000 Jahre von Würmern zerfressen wird.(Bhagavatam 5.26.18). 

Das nennt dann ein anderer Vers dieses Kapitels „eine gerechte und angemessene Strafe“ (5.26.6).

Was wäre das für ein Gott, der solch barbarische Strafen für relative Belanglosigkeiten verhängt? Kein Unterdrücker in der Geschichte der Menschheit könnte mit solch abstruser Rechtsprechung mithalten. Die Schilderung der Höllenqualen dient dazu, den Gläubigen durch Angst vor einem ähnlichen Schicksal zur Umkehr hin zu einem untadeligen Lebenswandel zu bewegen. Entsprechend differenziert werden die Strafen dargestellt.

Für ausserehelichen Sex wird man in einer Hölle mit Peitschen geschlagen und muss einen Partner aus glühendem Eisen umarmen. (5.26.20). Ein Haushälter, der seinen Gast nur böse anschaut, gelangt in eine Hölle, wo Hyänen und Krähen mit grosser Gewalt seine Augen herausreissen werden (Bhagavatam 5.26.35).

Was müsste ein Gott, der solche Bestrafungssysteme gewollt hätte, für ein furchtbares Rechtsempfinden haben? 

 

„Wenn ein Mensch nur schon vom Pfad der Veden abweicht, obwohl er sich nicht in einer Notlage befindet, bringen ihn die Diener Yamarajas in die Hölle Asi­patravana, wo sie ihn auspeitschen. Wenn er hin- und herrennt, um der ex­trem schmerzhaften Bestrafung zu entgehen, läuft er auf allen Seiten in Pal­men hinein, deren Blätter wie scharfe Schwerter sind. Auf diese Weise wer­den ihm auf seinem ganzen Körper Verletzungen zugefügt, und mit jedem Schritt das Bewusstsein verlierend, schreit er: „Oh, was soll ich jetzt nur tun! Wie werde ich gerettet werden!“ So leidet ein Mensch, der von seinen reli­giösen Prinzipien abweicht.“ (Bhagavatam 5.26.15).

Prabhupada kommentiert da gleich noch, dass Säkularismus sich ausbreite und diese Menschen aber nicht wüssten, was für eine Hölle auf sie warte. Wenn ein Gott schon solch drastische Strafen auferlegt, bloss weil ihn jemand nicht verehrt, dann weist dies nicht auf Gott hin, sondern nur auf die ungeheure Beschränktheit und primitive, beschränkte Ethik der Schreiberlinge dieses Kapitels.

 

Dann heisst es in diesem fragwürdigen Kapitel noch: „Wer fehlenden Respekt gegenüber jemandem von höherer Geburt und höherer Kaste hat, gelangt in eine schreckliche Hölle.“ (Bhagavatam 5.26.30). Da scheinen sich die Brahmanen, die dieses Kapitel ins Bhagavatam eingefügt haben, gleich selber noch ein bisschen besser positionieren zu wollen (auch 5.26.14 und 16). Dieser Vers legitimiert das Kastensystem, wasmit dem gesamten Geist der Bhagavad Gita und des Bhagavatam nicht zu vereinbaren ist. Der bekannte Indologe und Bhagavatam-Forscher Klaus Klostermeier (Autor von „Als Christ in Vrindavan“) zeigte mir in Vrindavan persönlich alte Ausgaben des Bhagavatam, bei welchen dieses Kapitel noch gar nicht enthalten war. Wahrscheinlich wurde es von Brahmanen im frühen 14. Jahrhundert ins Bhagavatam eingefügt, um mit postmortalen Drohungen das moralische Verhaltender Bevölkerung und ihren schwindenden Einfluss als Priester zu stärken.

Philosophisch gesehen ist im vedischen Denken die Existenz einer Hölle gänzlich überflüssig, da Seelen mit einem Überschuss an gutem Karma in himmlischen Sphären inkarnieren können und die übermässige Anhäufung von schlechtem Karma (Disharmonie mit den Grundgesetzen dieser Welt) in eine tierische oder pflanzliche Lebensform führt. Zur eigenen Berichtigung bedarf man nämlich nicht des Leidens, was einen nur noch verkrampfter machen würde. In der Lebensform von Tieren und Pflanzen ist einem einfach der Handlungsspielraum für disharmonisches Handeln entzogen. Alles, was man in diesen Lebensformen zu tun vermag, darf man auch – in der menschlichen Form vermag man vieles zu tun, was man nicht dürfte, woraus sich die besondere Verantwortlichkeit des Menschen ergibt. Das heisst, man lernt in niederen Lebensformen gezwungenermassen wieder harmonisches Handeln, um es dann als Mensch wieder freiwillig ausdrücken zu dürfen.   

 

Die grossen Religionen der Welt, einschließlich der Vaishnavas, locken mit ewigem Himmelslohn und drohen mit ewiger Höllenstrafe. Siebetonen Ersteres, lassen aber von Letzterem nicht ab. Die Hirten wähnen sich von Gott bzw. von seinen prophetisch offenbarten Worten dazu beauftragt. Und sogar den Schäfchen ist Gottes Ungnade gegen die Ungläubigen oft genauso unabdingbar wie Gottes Gnade gegen die Gläubigen. Zweifelhafterweise finden sie es gerecht, dass derjenige, der sich nicht in der einmaligen und endlichen Frist vor seinem Tod den göttlich offenbarten Regeln unterwerfen will, dies hernach in alle Ewigkeit büssen soll. 

Solche Höllenandrohungen werden einen Schatten auf den freudvollen inneren Weg werfen und sie haben viele Seelen in eine dysfunktionale Spiritualität gedrängt bis hin zu einer ekklesiogenen Neurose. (Siehe: „wenn Glaube krank macht“ – www.radhe.chunter „kritischer Blick“).

 

Dieses menschliche Konstrukt der ewigen Verdammnis ist in der Historie gewachsen. Für die Entmythologisierung ist es wichtig, die Entstehungsgeschichte zu verfolgen, damit man  die Hölle nicht für eine Offenbarung aus höherer Quelle hält. 

In der westlichen Welt ist eine solche Entstehungsgeschichte ein wenig einfacher nachzuvollziehen, weil historische Akribie hier einen hohen Stellenwert innehat, während dies in Indien fast gänzlich vernachlässigt wird. 

 

 

„Entstehung“ der Hölle im Abendland und Entwicklung der Höllenvorstellung in der Moderne

 

Wie bereits bei Homer erwähnt, kannten die Griechen das Totenreich, den Hades, als Reich der Schatten. Obwohl hier die grosse trostlose Gleichheit herrscht, gibt es doch Ausnahmen. Menschen, die zu Lebzeiten die Götter herausgefordert oder besonders schwere Tabubrüche begangen haben, erleben über den Tod hinaus Bestrafung und Peinigung. So muss Sisyphos auf ewig einen schweren Stein einen Berghang emporrollen, der kurz vor dem Gipfel wieder in die Tiefe donnert. Tantalus leidet inmitten einer Fülle köstlicher Speisen Durst und Hunger. Prometheus ist am Kaukasus an einen Pfeiler gebunden, ein Adler frisst ihm täglich seine Leber auf, die dann in der Nacht wieder heranwächst. Solche Beispiele von leidvollen Unterweltsmotiven gab es im Mittelmeerraum bereits im 6. vorchristlichen Jahrhundert. Sie legten eine Basis für jene sadistischen Darstellungen, die später auch die christliche Hölle berüchtigt gemacht haben. 

Der römische Dichter Vergil, der um Christi Geburt lebte und einen enormen geistigen Einfluss auf die frühe Kirche hatte, schildert sehr ausführlich, wie jeden Menschen gemäss seiner Taten ein jenseitiges Gericht erwartet, wobei viele daraufhin zur ewigen Hölle verdammt werden, dem Infernum, die Mehrheit jedoch zur Läuterung gepeinigt und gemäss des ewigen Kreislaufs wiedergeboren wird. Interessant sind auch die Vergehen, die geahndet werden. Entsprechend dem römischen Denken sind die schlimmsten Verbrechen diejenigen, die am Vaterland begangen werden: Vaterlandsverrat, Bestechlichkeit und Treuebruch. Das zeigt auf aufschlussreiche Weise auf, wie sehr die Höllenvorstellung ein manipulatives Druckmittel zur Durchsetzung der eigenen Werte darstellt. Das haben wir bei den indischen Brahmanen bei den Bhagavatam-Zitaten bereits gesehen. 

Zur Zeit der Entstehung des Christentums hat es im vorderen Orient bereits eine reichhaltige „Höllenkultur“ gegeben, die dann natürlich auch in das christliche Denken Einzug gehalten hat. 

Im alten Testament ist die scheol, das Totenreich, noch nicht eine Folterkammer. Der Prediger Salomo klagt: „Die Toten erkennen überhaupt nichts mehr. Sie erhalten auch keine Belohnung mehr; denn die Erinnerung an sie ist in Vergangenheit versunken. Es gibt weder Tun noch Rechnen noch Können noch Wissen in der Unterwelt, zu der du unterwegs bist.“ (Koh. 9, 5.10). Immerhin hat man im Totenreich normalerweise seine Ruhe.

Während also im Alten Testament noch keine Hölle im Sinne eines Strafortes beschrieben wird, so ändert sich dies in den folgenden Jahrhunderten. 

Es sind schwere Zeiten des Umbruchs und der politischen Katastrophen. „Die Apokalyptiker kompensieren ihr Leiden an dem Leid dieser Welt durch phantastische Ausmalungen des Jenseits, der Herrschaft der Seligen und der Qualen der Gottlosen.“ (E. Hennecke / W. Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Bd. II, Tübingen 1964, S. 413).

Jesus selbst kündigt das Kommen des Reiches Gottes an. In seiner Person wird es bereits sichtbar. Dass die Menschen sich auf dieses Reich vorbereiteten, Busse taten und entsprechend handelten, das ist Jesu Anliegen. „Für die Hörerinnen und Hörer der Botschaft Jesu war damit eine dramatische Entscheidungssituation vor Augen gestellt. Die Ablehnung des Heilsangebotes Gottes und seines Heilsboten würde für sie bedeuten, ohne nochmalige Chance zusammen mit den Mächten des Bösen in den unwiderruflichen Untergang gehen zu müssen. Darum sind die Appelle Jesu zu Entscheidung und Umkehr von grosser Dringlichkeit und von tiefem Ernst charakterisiert.“ (Herbert Vorgrimler, Geschichte der Hölle. München, S. 13).

Allein in diesem Zusammenhang, sozusagen um den Menschen eindrücklich die Folgen einer möglichen Ablehnung seiner Botschaft deutlich zu machen, erwähnt Jesus die Hölle. Seinen eindrücklichsten Hinweis in dieser Richtung finden wir in Jesu grosser Gerichtsrede (Mt. 25, 31 – 46). Hier wird das Gericht des Menschensohnes beschrieben, der die Schafe von den Böcken trennt. In diesem Zusammenhang heisst es: „Gehet hinweg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das mein Vater dem Teufel und seinen Engeln bereitet hat.“

Die Rede von der Hölle war dabei nur als Motivationshilfe zu verstehen, um sich über die Konsequenzen dieser Entscheidung klar zu werden. 

Eine solche Aussage Jesu kann jedoch durchaus im Sinne der oben angestellten Betrachtungen zur Höllenthematik verstanden werden, nämlich symbolisch oder bezogen auf innere Anteile und Vorgänge, die eine bedingte Seele auf dem Weg ihres Erwachens durchlaufen wird.

In der geschilderten Situation geht es eigentlich um die Bereitschaft der Menschen, Jesus oder Gott in den Mitgeschöpfen wahrzunehmen und zu ehren („Was immer ihr für einen meiner Brüder getan habt, das habt ihr für mich getan.“) Solange diese Sichtweise auf dem inneren Weg nicht entwickelt wird, verbleibt der Mensch in einem Zustand von tiefer Isolation, so gesehen in einer inneren Hölle (Siehe auch Srimad Bhagvatam 3.29.26: „Als das lodernde Feuer des Todes verursache Ich große Angst in jedem, der aufgrund einer unterscheidenden Betrachtungsweise zwischen sich und anderen Lebewesen den geringsten Unterschied sieht.“). Diese kann „ewig“ währen – nämlich solange eine Seele nicht zu diesem Schritt bereit ist.

In den Jahrhunderten nach Jesus sind mehrere schreckliche Ausmalungen des Höllenmythos entstanden – die „Petrus-Apokalypse“ und auch später die „Paulus-Apokalypse“, in welcher die nachtodlichen Strafen für die Sünder ausführlich beschrieben wurden. Diese hatten sich unter den frühen Christen weit verbreitet. Der Grad an sadistischer Phantasie in diesen Schriften war selbst für die damalige Zeit so gross, dass eine Kirchensynode 397 die bis dahin sehr populäre Petrus-Apokalypse endgültig aus dem Kreis der biblisch-kanonischen Schriften ausschloss.

 

Es gibt den bekannten Brief Consultenti tibi von Papst Innozenz I. vom 20.2.405, in dem der Papst die Gewährung der Hostie an Sterbende verfügte, auch wenn diese zuvor „gesündigt“ hatten. Papst Innozenz I. schreibt: „Es wird also zusammen mit der letzten Busse die Kommunion gewährt, damit solche Menschen noch an ihrem letzten Ende mit Erlaubnis unseres Erlösers vom immerwährenden Untergang befreit werden.“ (zit. nachDenzinger-Hünermann, Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, 42. Auflage, Freiburg 2009, Lehrsatz Nr. 212) 

Diese grässliche Lehre „immerwährenden Untergangs“ bzw. andauernder pausenloser Höllenqualen steht möglicherweise auch im Zusammenhang mit der Erhebung des Katholizismus zur alleinigen Staatsreligion im Jahr 380, die im Laufe der Jahrhunderte auch zur Verhängung der Todesstrafe gegenüber Anhängern anderer Glaubensrichtungen führte. Ab dem 5. Jahrhundert ist die Lehre der ewigen Verdammnis in einzelnen Lehraussagen der Kirche nun verstärkt nachweisbar.

Der frühe Kirchenvater Augustinus war ein fanatischer Verfechter der Höllenverdammnis. In seinem 21. Buch des „De Civitate Dei“ (Der Gottesstaat)malt er in bestialischer spitzfindiger Perversion die Hölle für die Abweichler vom römisch-katholischen Glauben aus. Z.B. legitimiert er die ewige Verdammnis folgendermassen:



„Von den Gegnern glauben manche, es liege in solchem Strafgericht eine Ungerechtigkeit nach der Richtung hin, dass man für seine Sünden, die so gross wie immer sein mögen, mit einer ewigen Strafe büssen müsse, da sie doch in kurzer Zeit begangen worden sind.Wird man irgend jemand verurteilen, so lang im Gefängnis zu weilen, als die Tat währte, die ihn ins Gefängnis brachte? Hat nicht mit vollstem Recht ein Sklave, der mit einem Wort oder tätlich in einem Nu seinen Herrn beleidigt oder verletzt hat, jahrelange Strafen in Fesseln abzubüssen? Nun gar Geldbusse, Brandmarkung, Verbannung oder Sklaverei, Strafen, die in der Regel in der Weise verhängt werden, dass kein Nachlass gewährt wird, sind sie nicht ewigen Strafen ähnlich, soweit es im irdischen Leben überhaupt sein kann, nur deshalb nicht ewig, weil auch das Leben, das von solchen Strafen betroffen wird, nicht ewig dauert? Und doch werden die Sünden, die mit so ausserordentlich lang dauernden Strafen belegt werden, in kürzester Zeit begangen; und niemand gibt es, der der Meinung wäre, die Qualen der Übeltäter müssten ebenso schnell durchgeführt werden, wie ein Mord oder ein Ehebruch oder ein Heiligtumsraub oder sonst ein Verbrechen sich abspielt, das man nicht nach der Zeitdauer zu bemessen hat, sondern nach der Grösse des Unrechts und der Ruchlosigkeit. Kein Gesetz des irdischen Staates ist imstande, einen Gerichteten dem Staat wieder zurückzugeben, kein Gesetz des himmlischen Staates, den zum zweiten Tode Verurteilten dem ewigen Leben zurückzugeben. (Kapitel 11).

[...]

„und doch ist selbstverständlich einer, der vom Glauben abtrünnig und aus einem Abtrünnigen ein Bekämpfer des Glaubens geworden ist, schlimmer als einer, der nicht erst abtrünnig geworden ist von etwas, woran er nie festgehalten hat. (Kap 25). [Mit anderen Worten: Kirchenaussteiger treffe angeblich die schlimmste aller schlimmen Höllen].

 

Da sich diese Lehre über Jahrtausende in das kollektive Gedächtnis der Menschen eingebrannt hat, braucht es schon eine aussergewöhnliche Bemühung, ihren Einfluss in der menschlichen Psyche wieder zu neutralisieren. In dieserhält etwas eine emotionale Bindung an diese Lehre aufrecht. Es ist das naive Gefühl eines Aufgehobenseins, wenn Gott als Richter einfach einige belohnt und andere verdammt. Daraus ergibt sich eine sehr klare moralische Struktur, die den Kleingeist heimisch werden lässt. 

Die Begrenztheit solcher Anschauungen wurde natürlich schon früh erkannt. Der frühe Kirchenvater Origenes wendet sich gegen die Lehre einer Höllenverdammnis mit einer Apokatastasis-Lehre, die auf die Wiederherstellung des perfekten Zustandes hinzielt. 

Dabei deutet er die biblischen Aussagen über die Hölle als Sinnbilder, die übertragen werden müssen. Von Platon beeinflusst vergeistigt er das Höllenfeuer und sieht darin die rein geistigen Qualen des Gewissens, die im Betrachten eigener Verfehlungen am Ende des Lebens entstehen. Nach ihm wird selbst der Teufel in die All-Versöhnung mit eingeschlossen. Dass diese Interpretation von Machtinstitutionen nicht geschätzt wurde, weil sie die naive Vorstellung von Lohn und Strafe aufhebt und in Mündigkeit führen würde,zeigt sich im 6. Jahrhundert mit dem Edikt Kaiser Justinians, welches im Jahre 543 Origenes zum Häretiker verurteilte. Seine Lehre der Allversöhnung aller Seelen mit Gott wurde mit einem Bannfluch versehen.

In diesem Edikt, das mit der Zustimmung von Papst Vigilius entstanden ist, heisst es: „Wer sagt oder daran festhält, die Strafe der Dämonen und gottlosen Menschen sei zeitlich und sie werde nach einer bestimmten Zeit ein Ende haben bzw. es werde eine Wiederherstellung von Dämonen oder gottlosen Menschen geben, der sei mit dem Anathema (= Verfluchung) belegt“ (zit. nachDenzinger-Hünermann 2009, Lehrsätze Nr. 411; siehe auch Neuner-Roos, Der Glaube der Kirche, Nr. 891). 

Das heisst: Wer ab jetzt nicht an die ewige Verdammnis glaubt, der wirdselbst verflucht und damit nach dem Tod „ewig verdammt“.

Alle Höllen-Visionen und dogmatischen Ausführungen der mittelalterlichen Theologie wurden aber in ihrer Bedeutung und auch Rezeptionsgeschichte von einem Werk übertroffen, das nicht das Werk eines Klerikers war, sondern ein Stück Weltliteratur, nämlich Dante Alighieris Divina Commedia– Die Göttliche Komödie.

 

Dante wurde 1265 in Florenz geboren. Seine Familie gehörte dem Stadtadel von Florenz an. Er selbst engagierte sich in der Politik, wurde nach einem Machtwechsel in Florenz auf Lebenszeit aus der Stadt verbannt und lebte fortan als Flüchtling an verschiedenen italienischen Fürstenhöfen. Er starb 1321 in Ravenna. Dante gilt mit seinen zahlreichen Werken als der Begründer der modernen italienischen Hochsprache und für viele ist er bis heute der grösste Dichter Italiens. In der „Göttlichen Komödie“ schildert Dante in Form einer Vision in genau 14233 Versen seine Wanderung durch Jenseits-Bereiche. Das Werk offenbart, dass Dante alle damals gängigen Erzählungen, sowie die griechischen und christlichen Mythologien kennt und daraus nun ein grossartiges Gebäude entstehen lässt. 

Dantes Werk hat die Grundlage für den Höllenarchetypus gelegt, weshalb an dieser Stelle eine zusammenfassende Beschreibung sinnvoll erscheint: Die Hölle liegt für Dante tief unter der Erde. Sie beginnt mit einem grossen Trichter unterhalb der nördlichen Erdhälfte und verengt sich in Richtung des Erdmittelpunktes. Die Hölle ist in acht konzentrische Ringstreifen eingeteilt, der neunte und tiefste Kreis aber besteht aus einer Eisfläche, in deren Mittelpunkt der Höllenfürst Luzifer eingefroren ist. Die Hölle ist die Gegenwelt zum Paradies, das ebenfalls aus neun, aber nun aufsteigenden konzentrischen Kreisen besteht. Die Hölle besitzt Bauwerke, Flüsse und Pflanzen. Die Seelen der Verdammten sind ohne Leib, ächzen aber gleichwohl unter physisch-materiellen Torturen. Der erste Kreis ist die Vorhölle, in welcher vor allem die vorchristlichen Heiden „leben“. Gestraft wird hier nicht, aber es herrscht ein Zustand von Ödnis. Dante trifft hier auf Homer, Platon, Sokrates, Ovid, Vergil und viele andere antike Grössen. 

Im zweiten Kreis gibt es schon ein Gericht und hier sind die Fleischessünder zu Hause. Sie werden durch einen höllischen Sturm permanent durcheinander gewirbelt. Kleopatra jammert dort und auch die schöne Helena. Dante unterhält sich auch mit dem einen oder anderen Sünder, bzw. vorzugsweise Sünderinnen. Im dritten Kreis müssen die Schlemmer, bewacht vom Höllenhund Cerberus, unter ewigem eisigen Regen ausharren. Auch die Geizigen sind hier verwahrt. Und so geht es weiter. In den Kreisen 2-5 sind alle zu finden, die gegen die Kardinaltugend des Masshaltens verstossen haben. Ihre Strafen sind relativ mässig einzustufen. Es geht noch schlimmer, denn ab dem sechsten Kreis kommt man in die eigentliche Höllenstadt. Zunächst trifft Dante hier auf Ketzer und Gottlose. Sie werden in Flammensärgen gequält. Im siebten Kreis kochen alle diejenigen in einem Strom von Blut, die Gewalt gegen andere Menschen ausgeübt haben. Dazu kommen noch Selbstmörder, Homosexuelle, Wucherer, Verführer, Schmeichler, Dirnen und habgierige Kleriker. Dante trifft hier auf jede Menge Päpste seiner Zeit – ein durchaus humoristischer Beigeschmack, vom Dichter hier wohlgesetzt. Es geht weiter nach unten und Dante sieht korrupte Politiker und Diebe. Dann kommen solche, die Zwietracht gesät haben, Fälscher und Lügner. Im neunten Kreis sind die Verräter eingefroren, für Dante das schlimmste Verbrechen überhaupt. Er sieht dort Judas und auch Brutus, den Mörder Cäsars. 

Dantes Göttliche Komödie hat einen enormen Einfluss auf die allgemein umlaufenden Höllendarstellungen genommen. 

 

 

Da die Aufklärung und mit ihr eine von ihr inspirierte liberale theologische Denkrichtung nur noch wenig mit der alten Höllenvorstellung anfangen konnte, machten antiaufklärerisch-konservative Richtungen in beiden grossen Kirchen die Hölle geradezu zum grossen Unterscheidungsmerkmal zwischen frommen und nichtfrommen Christen. Politisch und gesellschaftlich waren die Kirchen seit der Französischen Revolution unter massiven Druck geraten. Sie suchten ihre alte moralische Vorrangstellung zu verteidigen, indem sie mit kräftigen Höllendrohungen das Kirchenvolk in Angst und Schrecken versetzten. Der französische Kulturhistoriker George Minois hat 1994 eine Menge entsprechenden Quellenmaterials zusammengetragen. Minois spricht von einer geradezu „terroristischen“ Haltung vieler französischer Pfarrer während des 19. Jahrhunderts, die auch nicht davor zurückschreckten, mit Totenschädeln und Knochen vor ihre entsetzten Gemeinden zu treten, um ihnen die Schrecken der Hölle für den Fall anzudrohen, dass sie sich demokratischen, parlamentarischen oder gar sozialistischen Denkweisen zuzuwendeten.

Die Hölle wurde so zur letzten Festung, um die kirchlichen Moralvorstellungen zu verteidigen. Als sich Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich der Laizismus, also die strikte Trennung von Kirche und Staat durchsetzte, nahmen die Höllenpredigten noch zu. Niemals, so der bereits zitierte George Minois, wurden mehr Bücher über die Hölle geschrieben und mehr Höllenpredigten gehalten als im 19. Jahrhundert.

Dass die menschliche Existenz an sich als Hölle erkannt werden muss, beschreibt Jean Paul Sartre in seinem berühmten Einakter „Geschlossene Gesellschaft.“ Zwei Frauen und ein Mann befinden sich in einem heruntergekommenen Hotelzimmer. Sie wissen, dass sie für immer hier bleiben müssen. Und jeder von ihnen weiss auch, dass er aufgrund seiner bodenlosen Egozentrik dazu verurteilt worden ist. Jeder will nun dem anderen etwas vormachen, man lügt sich an und sucht damit die Anerkennung durch die anderen. Am Ende sagt dann einer von den Dreien die berühmten Sätze: „Also, dies ist die Hölle. Niemals hätte ich geglaubt ... ihr entsinnt euch, Schwefel, Scheiterhaufen, Bratrost ... Ach, ein Witz! Kein Rost erforderlich. Die Hölle, das sind die anderen.“

In der Moderne wird die Hölle ins Hier, ins Diesseits verlegt. So wurde sie dann die Hölle von Verdun, die Hölle von Stalingrad... 

 

 

Verabschiedung von der Hölle

 

Schon der Aufklärer Friedrich der Grosse warnte vor dem Aberglauben in der Religion. Es wird gefährlich, wenn ein paar mythische Bilder aus alten Kulturen zu Weltbildern gezimmert werden, nach denen sich Menschen auch heute noch richten sollen. Höllenbilder sind Musterbeispiele der Dysfunktionalität von abergläubischen Glaubensansichten.

Als menschliche Gemeinschaft haben wir uns auf ein Folterverbot geeinigt. Doch durch  religiöse Suggestion, Wiederholung von Glaubensinhalten über Jahrhunderte und auch durch die feige Herangehensweise, Zweifel nicht berühren zu wollen aus Angst, dass man dadurch den inneren Weg verlieren könnte, fällt den Gläubigen gar nicht mehr auf, wen sie da eigentlich anbeten und sogar lieben sollen: Den Veranstalter des allergrössten und sogar ewig andauernden Holocausts. Dies führt in eine Stumpfheit auf Seiten der Gläubigen. Das kollektive Unbewusste verhindert, dass die ungeheure Schrecklichkeit eines solchen Gottes  überhaupt wahrgenommen werden kann. 

Viele Vaishnavas verstehen Höllenbeschreibungen aber selbst im 21. Jahrhundert noch immer wörtlich und glauben an eine effektive Existenz einer Hölle... 

 

Seit dem Zeitalter der Aufklärung bis in die Gegenwart wird die Hölle als angstauslösende Vorstellungswelt kritisiert bzw. verworfen, die für weltliche Zwecke oder zur Unterwerfung der Gläubigen eingesetzt worden sei – mit Hilfe von Furcht werden sie gefügiger.  

Wenn es so einen Gott wirklich gäbe, der Seelen für Ewigkeiten in ein Flammenmeer verstossen könnte, dann wünsche ich mir, dass ich nie zu den Schergen eines solchen Tyrannen gehörte. 

„Wenn ein solcher Gott existieren würde, dann müsste man ihn beseitigen“, schreibt Bakunin.

 

Bricht etwas im eigenen Glaubenssystem zusammen, wenn man erkennt, dass es im vedischen Weltbild keine Hölle gibt?

Macht die Erlösungstat der Heiligen nur Sinn, wenn es eine Jenseits-Bedrohung gibt? Tut man das Wahre nur aus der Angst vor einem postmortalen Ausschwitz?

Ergibt die Errettung durch die Heiligen erst Sinn, wenn man in einer gefährlichen Welt vollkommen verloren ist?

Wenn diese Fragen bejaht werden, leidet die Faszinationskraft der Seele. Da ist etwas tief eingeschlafen und nur noch auf ein leeres Gerüst zusammen geschrumpft. Der Transzendenzbezug wird dysfunktional, wenn er mitmotiviert wird durch nachtodliche Schreckensszenarien oder Verheissungen. Gerade deshalb ist es so wichtig, dieses Thema genau zu beleuchten.

Solange man Höllen jenseits dieser Welt effektiv als Wirklichkeit betrachtet, was in Europa bis zur Aufklärung der Fall war, und unter den meisten Vaishnavas sogar noch bis in die heutige Zeit hinein, lebt man in einer Phobokratie, in einer Herrschaft, die von Angst diktiert wird. 

Die Seele ist von Krishnas Standpunkt nicht ein entsubjektiviertes Wesen, dem nur ein Zwangskatalog des Handelns aufoktroyiert zu werden braucht. Erst wenn Krishna einer Seele alle Handlungsoptionen gänzlich offen legt und ihr die Abwendung von Ihm auch nicht mit postmortalen Drohgebärden besetzt, wird die Gottesliebe zur realen Möglichkeit. 

Das Individuum wird von Krishna nicht als gehorsamspflichtiger und auf Unterwerfung fixierter Gottesknecht verstanden, dem eine selbstbestimmte Handlungsautonomie abgesprochen wird, sondern Er möchte dem Gegenüber der Seele auf Augenhöhe begegnen.

 

Eine interessante Stelle findet sich dazu in Bhaktivinod Thakurs „Jaiva Dharma“ (Kap. 11). Es ist eine Antwort auf einen Einwand, den ein muslimischer Gelehrter den Babajis vortrug und worin er sie mahnte, dass die Verehrung, die die Hindus tun, vielleicht vom Teufel komme. Die Reaktion der Babajis ist sehr aufschlussreich:

„Ishvara ist zweitlos – niemand kann mit Ihm konkurrieren. Alles, was in der Welt ist, ist von Ihm emaniert und abhängig. Also: Was man auch nehme, um dadurch Seine Verehrung zu tun, durch alles kann Er zufriedengestellt werden. Es gibt nichts, was durch Verehrung zu Schaden aufgestachelt wird. Er ist paramangalamaya(all-heilbringend). Wenn es also so etwas wie einen Shaytan (Teufel) gäbe, dann hat er keine Kraft, etwas zu tun, was dem Willen der Gottheit entgegen ist. Wenn es einen Shaytan gäbe, dann ist er eine abhängige Seele. Aber nach unserer Erwägung ist die Existenz einer solchen Seele höchst unwahrscheinlich, denn es kann in der Welt nichts geben, was dem Willen des Herrn zuwider handeln könne. Und es gibt nichts, was und niemanden, dervon Gott unabhängig (svatantra) wäre. Ihr könnt natürlich die Frage stellen: Wo kommt die Sünde her? Wir sagen: Die Seele ist Bhagavat-Dasa (eine ewige Dienerin Gottes). Diese Erkenntnis (jnana) nennt man Vidya (Einsicht). Das Vergessen von dieser nennt man Avidya (Unwissenheit). Wenn die Seele im Verlauf ihrer Entwicklung diesem Nicht-Wissen verfällt, dann senkt sich in das Herz der Keim zur Disharmonie. Es ist wichtiger, dass man erfasst, was diese Avidya bedeutet, statt so etwas Sonderbares wie einen Teufel zu erfinden.“

 

Im Katechismus der katholischen Kirche aus dem Jahre 2016 steht noch, dass es eine Hölle gebe und dass darin das Feuer glühe. Wie hasserfüllt muss eine Lehre sein, dass sie mit Menschen derart verurteilend umgeht? Und nun wollen die Vaishnavas im 21. Jahrhundert noch immer an die Existenz einer Hölle glauben?

Wenn faschistoide Züge in die Religion hineingeraten, müssen sie mit grosser Vehemenz in Frage gestellt werden und können nicht im Namen von Toleranz und Religionsfreiheit verharmlost werden. Diese Grundlage teilen sich Atheisten mit aufrichtigen Gottsuchern. 

 

Ich wende mich mit aller Klarheit ab von einem Gott, der für die meisten Menschen eine Verdammnis, auch wenn sie nicht ewig dauert wie bei den abrahamitischen Konfessionen, sondern nur hunderttausende von Jahren, vorsieht. (Denn die meisten Mitbürger haben schon einmal ein Bier getrunken oder sexuellen Kontakt gehabt ausserhalb einer Ehe). 

 

Einen Gott, der sich von einem Grossteil seiner Geschöpfe abwendet, sie in einer Hölle furchtbar leiden lässt, auch wenn sie verzweifelt nach ihm rufen, darf ich aus ethisch-philosophischen Gründen nicht anerkennen. Ein solcher „Gott“, der Seelen die Zuflucht verweigert, wäre der allerschlimmste Despot, den die Welt je kannte. 

Man könnte es auch so sagen: Gäbe es tatsächlich eine Verdammnis, dann wäre die Fehlerhaftigkeit des Menschen mächtiger als die Liebe Gottes.

Gott wäre letztlich ein grausamer Gott, weil er viele oder gar die meisten Seiner Kinder, die z.B. grausam leiden und irgendwann bitter bereuen und sehnlich darum bitten, alles Unrecht wieder gut zu machen, auf alle Zeiten hin ignoriert. Oder ein solcher Gott wäre zumindest der von „Satan“ endgültig besiegte Gott, der für alle Ewigkeiten nichts mehr für diese Menschen bzw. ihre Seelen tun kann. 

Wer dies glauben möchte, mag dies ja glauben. Aber über welchen Charakter ein solcher Mensch verfügen mag, das lässt Menschen mit einem kleinsten Quantum an Mitgefühl nur erschaudern.

 

Höllenvorstellungen entstanden aus einem uralten und archaisch primitiven Denken. Im Hintergrund stand immer die Angst des Menschen, nach seinem Tod nicht nur als Schatten, sondern sogar gequält überleben zu müssen. Diese Angst entstand wohl von alters her aus der Furcht, ja geradezu Panik vor dem grossen Unbekannten, dem Tod. Dazu kamen Erfahrungen als ungerecht empfundener Lebensabläufe, da die Starken über die Schwachen triumphierten. Der Gedanke an ein Totengericht trug zu einer gewissen Milderung solcher Ohnmachtserfahrungen bei. 

Welchen Wert hätte da eine Glaubenshaltung, die auf diese umfassende Liebe Gottes zu dem Menschen (Bhagavad Gita 4.3 und 18.64; Bibel 1. Joh. 19) hin nur aus Angst und Zwang reagiert? 

Von daher sind die Höllenvorstellungen, die sich im indischen Mittelalter und auch im christlichen Abendland entwickelten, eine Fehlentwicklung, die einer an Vergeltungsdenken und Sadismus überbordenden Phantasie entsprangen. 

Für die erwachende Seele ist es unvermeidlich, sich mit dem Thema der religiösen Angstvorstellungen auseinanderzusetzen und einen Bereinigungs-Prozess von vermittelten Gottesbildern zu initiieren, damit Gottesängste auch nicht mehr im Unbewussten agieren und die erwachende Liebesbeziehung mit Gott blockieren. 

 

Gottesvorstellungen bleiben oft beschränkt auf eine Person im Himmel, welcher die guten und schlechten Taten der Menschen beobachtet und dann beim Tod der Person die Rechnung und die Bilanz liefert. Dieser Buchhalter-Gott ist eine egozentrische Vorstellung. 

Darin wird verstanden, dass in der Welt, wo wir uns gerade befinden, das wirkliche Geschehen statt finde und dass Gott praktisch nichts anderes zu tun hätte, als in einem Zuschauerstatus das hiesige Geschehen zu bezeugen. Diese Vorstellung gebar ein Gottesbild als universaler Richter. 

Die Wirklichkeit jedoch ist theozentrisch. Gott hat ein Eigenleben, eine eigene ewige Welt voller Freude und liebendem Austausch. Das wirkliche Geschehen findet dort statt und hier in der materiellen Welt verpasst man Wirklichkeit. Das ist der Urgrund für die latente Unruhe der Seele. 

Die bekannteste Gottesdarstellung in der westlichen Welt ist das Bild von Michaelangelo in der sixtinischen Kapelle in Rom. Weil Gott das urerste Wesen ist, wird er als alt mit grauem Haar verstanden und weil er alle Schöpfungen generiert, wird er als der muskelbeladene Stärkste betrachtet. Von dieser menschlich projizierten Vorstellung haben sich heute die meisten Menschen emanzipiert. Und dennoch unterliegt man dem Fehler des Antropomorphismus, der Übertragung menschlicher Vorstellungen, Ideenwelten und Erfahrungen auf Gott. 

Denn wir machen in dieser Welt die Erfahrung, dass diese bedrohlich und gefährlich ist. Man erlebt die Umgebung als feindlich. Schon als Kleinkind machte man Erfahrungen, wie die Zeit gegen unsere Interessen angeht. 

Natürlicherweise möchte man sich schützen und dafür sind zwei Dinge sehr wesentlich. Man möchte Wissen erwerben, damit man nicht mehr betrogen und hintergangen werden kann und man möchte Macht (Kraft, Geld, etc.), um nicht mehr ausgebeutet zu werden. 

Das sind Fundamentalwerte, die in unserer Welt sehr viel gelten, weil sie einen von der grundlegenden Ungewissheit zu bewahren versuchen. 

Genau diese Ideen und Werte überträgt der Mensch auf Gott. Es sind menschlich gesehen wichtige Paradigmen, die der Mensch dann auf Gott hin projiziert und ihm die Attribute der Allwissenheit und Allmächtigkeit zuschreibt. Weil einem niemand bewahren konnte, hofft man nun auf Gottes Schutz. 

Diese Gotteseigenschaften sind nicht falsch, aber sie ergeben kein ganzes Bild und sind von der spirituellen Welt aus gesehen unbedeutend und peripher. 

In der spirituellen Welt existiert keine Gefahr und keine Bedrohung. Folglich haben dort Gottesattribute „Wissen“ und „Macht“ keinen Wert und keine grosse Bedeutung. Es ist etwa so, wie wenn man mit indischen Rupies in einem Geschäft in Europa einkaufen möchte. Diese Währung gilt hier nicht und besitzt keinerlei Wert.  

Im ewigen Vrindavan zählen nur noch „Schönheit“ und „Liebe“. 

Dort ist Gott, Krishna, nicht mehr mächtig, sondern nur ein kleines unschuldiges Kind. Er ist betörend schön und geniesst und erwidert auf Rasa, den Ausdruck der Liebe in den Herzen seiner ewig Beigesellten. 

Niemand muss zur Gottesliebe verlockt oder dahin beordert werden. Wir werden von unserem tiefsten Innersten selbst dahin gerufen. Geküsst von der ersten Ahnung, das ist die Einladung von Radha-Krishna, zieht es einen unwiderstehlich – dann zerfallen auch die unnötigen Blockaden von dysfunktionalen Gottesvorstellungen ...

 

(Krishna Chandra, September 18, mit Dank an Krishna Mayi für ihre Mithilfe)