Ringen um Worte

Rumi sagt, Worte seien nur Staub, den der Besen „Zunge“ hervorbringt auf der Grundlage der Erfahrung. Alle Heiligen haben unter diesem Staub der Worte zu leiden gehabt. Sie können in Bildern umschreiben, hinweisen, aber nie tel quel benennen, was mit ihnen geschah und wie sie Gott wahrnehmen. In der Sprache der Menschen wohnt eine gewisse Hilflosigkeit, das Ewige allgemein verständlich auszudrücken. Wie kann man sich über etwas, das nicht die uns umgebende objektive Realität darstellt, verständigen? Kann man einem Wesen ohne Geruchssinn den Duft einer Rose verständlich machen? Einem Nichtverliebten den Zustand des Verliebtseins vermitteln? Einem Nüchternen die Gott-Trunkenheit? Unsere Sprache erfährt da eine Hilflosigkeit. Wir können das, nachdem wir uns am meisten sehnen, nicht so einfach kommunikativ miteinander teilen.

Nietzsche lässt Zarathustra mit viel Widerstand einsehen, dass er im Unterrichten der Lehre anders verstanden wird als geplant, weil er mit anderen Menschen spricht, die als Individuen die Dinge eben nur ihrer momentanen Konditionierung gemäss verstehen können. Somit ist also das zu Unterrichtende zur Begrenztheit des Zuhörers geworden und ist somit unwahr gemacht worden („Also sprach Zarathustra“, von F. Nietzsche.)

Es geht hierbei um die Verzweiflung von jemandem, der den Geist des Wahren erschaut, ihn aber nicht vermitteln kann in den bisher bekannten Perimetern.

Die Vaishnavas sprechen dabei von der unglaublichen Demut und Toleranz, welche geistige Lehrer mit uns aufwenden........

Es geht um das Problem der unzureichenden Sprache, des Unausdrückbarkeit, der Unsagbarkeit wenn es um das Thema Gott geht. Für einen Fundamentalisten ist es klar: „es steht doch genauso geschrieben und man muss es nur noch schlucken und übernehmen“. Unsere Welt ist allerdings Beweis genug dafür, dass unreflektierte, nicht durchdachte und aufgeschlüsselte Spiritualität viele aufrichtige Menschen in die Gottesferne getrieben hat. Angelus Silesius (1624-1677) schreibt: „Je mehr du nach Ihm greifst, desto mehr entwird Er dir.“ Die Sprache ist zu eng, zu verstaubt, zu nichts sagend, zu irreführend, um den mystischen Zustand auszudrücken. Alle Worte sind besetzt mit einer innerweltlichen Erfahrung. Jedes Wort ist in uns mit einem Bild besetzt. Genau das macht die Worte, die das Heilige umschreiben, zum Götzen, zum selbst gemachten Bild. Es braucht das Misstrauen gegenüber der Sprache. Sie ist eine Konvention, eine Abmachung innerhalb dieser Welt, der wir alle einfach zugestimmt haben, um die benennbare Welt zu benennen. Peter Bichsel schreibt in einer Geschichte, wie jemand sich dieser Konvention entzog und eigene Benennungen machte. „Ich nenne ab heute einen Stuhl Bett, Tisch nenne ich Decke, Essen nenne ich Fahren, Käse nenne ich Kaulquappen, etc. Er setzt sich auf das Bett an der Decke um Kaulquappen zu fahren.“ Die Sprache hat etwas Willkürliches und eignet sich deshalb nicht für das Unveränderbare. Raghunnatha das Goswami spricht im Vilapa Kusumanjali von „mukha asvadan-vat“, dass er sich wie ein Stummer fühle, der etwas Wunderbares erlebt hat, aber nicht fähig ist, die gesamte Erfahrung zu vermitteln. Er erlebt seinen Austausch im ewigen spirituellen Körper mit Srimati Radhika in der ewigen Welt, kann aber nur Bruchstücke davon in diese Welt hinein transportieren und diese dann auch nur in Bengali, einer Sprache, in der die Menschen seines Umfeldes jedes einzelne Wort mit einem Bild ihrer eigenen Erfahrung besetzt hatten.

Wenn er sagt, dass Nandagaon ein kleiner Bauerweiler sei, dann ist diese Aussage im Geist mit einem Bild aus der eigenen Erfahrung heraus bereits besetzt.

Im Narada Bhakti Sutra (Vers 53) wird beschrieben, wie die mystischen Äußerungen von liebestrunkenen (verwirklichten) Gottgeweihten nur sehr selten und nur von Glück begünstigten Seelen verstanden werden können.

 

Eine franziskanische Mystikerin in Italien, Angela von Foligno (1248-1309), nennt ihre eigenen höchst präzisen Schilderungen dessen, was sie im Austausch mit Gott erlebt hat, Blasphemien. Für die Erfahrung Gottes fehlen die passenden Worte, um diese Einsicht zu vermitteln. Es ist, als versuche man mit der Hälfte des Alphabets einen Roman zu schreiben. Alle spirituellen Autoren haben mit der Begrenztheit der menschlichen Sprache gerungen. Und doch vermag man hinter dem verzweifelten Versuch, die Erfahrung der Gottesbegegnung in Worte zu fassen versuchen, die Ungeheuerlichkeit und grenzenlose Erhabenheit davon erahnen.

 

Ein klassisches Zeugnis der abendländischen mystischen Tradition für die Limitiertheit der Sprache ist das Traktat „Wolke des Nichtwissens“. Ein unbekannter englischer Priester aus dem 14 Jahrhundert, vielleicht ein Kartäusermönch, hat diese Erfahrung niedergeschrieben. „Wenn ich von „Dunkel“ spreche, so meine ich ein Dunkel des bewussten Erkennens, das zwischen dir und einem Gott liegt.“ (4. Kapitel) Kurz vor seinem Tod hatte Thomas von Aquin, der grösste Denker und theologische Konzeptdenker des Mittelalters, während einer Messe ein mystisches Erlebnis, das ihm die Sprache verschlug. Er vertraute sich einem Freund an: „Mir ist solches geoffenbart worden, dass das, was ich mein Leben lang geschrieben und gelehrt habe, so belanglos wie Stroh erscheint.“ Die Rede wird flach, geistlos, banal, wenn sie glaubt, alles zur Verfügung zu haben, alles genau erklären und zu umschreiben vermögen. Das kann vielleicht die technische Beschreibung, aber nicht die Faszination der Liebe. An der Grenze und nicht im Inland, wächst die Sprache. Bei Gott sind alle Worte nur noch ein Stammeln, einen Hinweis, den derjenige versteht, der die gleiche Erfahrung geschenkt bekam oder zumindest in die gleiche Richtung schaut. Das Thema Gottes ist das, was uns unbedingt angeht (Paul Tillich), es ist das mystische Apriori, der heilige Imperativ. Die Bemühung, Gott zu verstehen, ist durch die Erkenntnis der Limitation der Sprache nicht lahm gelegt oder verunmöglicht, sondern wird nur differenzierter.

 

Jede Aussage über Gott wirkt limitierend und würde Ihn schmälern. Deshalb bediente sich die mystische Sprache der via negativa, der Negation von allem, um wenigstens darauf hinzuweisen, dass die Erfahrung Gottes von grundlegend anderer Wesensart ist. Für sie ist die Verneinung (griechisch apophaseis) wahr und die Bejahung (kataphaseis) unzureichend. Apophatische und kathaphatische Tradition – das Wahre und das Unzureichende, ergänzen sich in Wirklichkeit und bleiben aufeinander angewiesen. So gelangt man über die bisherige Besetzung des Wortes hinaus – zu dem hin, was das Wort letztlich ausdrücken möchte. Um den Worten ihre Ladung zu entnehmen, die sie durch die eigenen Erfahrungen automatisch bekommen haben, braucht es das Zulassen der Ungewissheit. Swami Sadananda schreibt in einem Brief (6. Jan. 1961) von der Schwierigkeit, durch vermittelte Worte auch das Wirkliche durchleuchten zu lassen: „Meine Erfahrungen in Indien und Europa haben mich gelehrt sehr vorsichtig zu sein, von Dingen zu sprechen oder zu lesen zu geben, für welche die Voraussetzungen fehlen, denn sonst endet alles in Spaltpersönlichkeit, Mystik und erbaulicher Verschwommenheit.“

 

David Hume fragt, worin denn ein „Mystiker“ (Anhänger der „theologia negativa“), der von der absoluten Unbegreiflichkeit Gottes ausgeht, sich von einem Skeptiker (Agnostiker) oder Atheisten unterscheidet, welcher die erste Ursache für unerkennbar und unverstehbar hält. (Dialogues concerning natural religion , erstmals 1779 veröffentlicht)

Der Unterschied liegt darin, dass der Mystiker das Geheimnis Gottes hinter allen Phänomenen erahnt und in Staunen zittert.

Der Agnostiker aber benützt den Fakt von Gottes Unergründlichkeit als Begründung seiner Gleichgültigkeit.

Der Mystiker springt vertrauensvoll dem unbekannten Gott entgegen... der genau durch diesen waghalsigen Mut berührt ist und sich der Seele offenbart.

 

 

Zulassen der Ungewissheit

 

Im Alltagsbewusstsein in der Umgangswelt denken wir, dass wir manchmal etwas missverstehen, dass wir aber doch das Meiste erkennen und verstehen. Sat-Sang, Gemeinschaft mit Heiligen, lässt uns das Gegenteil diagnostizieren: auch wenn man im spirituellen Leben meint, etwas verstanden zu haben, ist es mit grosser Wahrscheinlichkeit einfach ein erneutes Verkennen. Diese Missdeutung und Verfälschung geschieht aufgrund des riesigen Schattens, den wir mit uns tragen, ein Schatten von vergangenen Eindrücken. Ohne dieses Handicap wäre jegliches spirituelles Bemühen eine Einfachheit. Dieser dicke Filter unserer eigenen selbst verursachten Vergangenheit kreiert auch in der Auseinandersetzung mit dem Heiligsten wieder Dunkelheit. Alles Verstehen, jede Verwirklichung wird dadurch verzerrt und es untersteht nicht einmal der eigenen Kontrolle, es nicht zu verzerren. Aber was man tun kann, ist, dies einzugestehen, dieses Phänomen anzuerkennen, die Achtsamkeit zu vergrössern, wodurch der verzerrende Teil des Unterbewusstseins verkleinert wird. Erst im Licht des Gewahrwerdens, in konstanter Aufmerksamkeit löst sich der Schatten der eigenen Eindrücke in jedem Wort allmählich auf, welcher ja genau aus der Unaufmerksamkeit besteht. Erst in der vollkommenen Bewusstheit und Wachheit wird dann das Missverständnis ausgeschlossen. Der Erwachte erst versteht wirklich. Und bis dahin ist die Erkenntnisfähigkeit gefärbt und getrübt, das Wissen auch immer noch teilweise Täuschung. In der Annahme und der Akzeptanz dessen verliert das Ego an Durchsetzungsmacht, da es sich einzugestehen hat, dass all sein Verstehen sehr relativiert wird von einem gleichzeitigen Missverstehen. All das, auf dem sich das Ego behaupten möchte, ist gar nicht so gesichert. Das Ego verliert seine Sicherheit, wenn es sich eingestehen muss, dass all seine Annahmen Eventualitäten sind. Es wird durchlässiger. Auch die Wissenschaft bestätigt ihm nun, was ihm die Mystiker seit Jahrhunderten zu erklären versuchen: Es nimmt die Welt gänzlich falsch wahr. Auf jeden Fall wird man in diesem Eingeständnis einfacher und unschuldiger und in der Unschuld wird die Meditation erst möglich. Wenn die Widerstände gegen die Ungewissheit meiner Wahrnehmung und meines Verstehens sich auflösen, wird man offener und sensibler für die Möglichkeiten, die sich ausserhalb meines gegenwärtigen Verständnisses befinden. Man wird weniger bestimmt,  und festgesetzt, denn der Wissensstand ist noch nicht definitiv. Die arrogante Sicherheit löst sich auf, die gerade im Religiösen den eigenen Zugang zur Wirklichkeit blockiert.

 

Wenn jemand verliebt ist in eine andere Person, fällt es enorm schwer zu sagen: „Es besteht die Möglichkeit, dass ich dich liebe. Ich liebe dich vielleicht.“ Aber es entspricht der Wahrheit, denn im momentanen Zustand kann nicht mehr gesagt werden. Denn wie oft dreht sich diese so genannte Zuneigung in ganz kurzer Zeit in Hass um. Wieso gerade der dünnen Spitze des Eisbergs der Wahrnehmung unseres Oberflächenbewusstseins das ganze Vertrauen schenken? Im nächsten Moment kann die Entscheidung wieder ganz anders aussehen, da im riesigen Bereich des Schattens noch ganz andere Informationen verborgen liegen, die das Handeln dann gezwungenermassen prägen werden.

 

Ein grosser buddhistischer Heiliger, Mahavira, benützte auch als erleuchtete Seele das Wort “vielleicht” “wahrscheinlich” in jeder Antwort, die er den Fragenden gab, was natürlich jede Aussage relativierte. Aus diesem Grund hatte er nicht viele Schüler, denn die bedingte Seele möchte Gewissheit, obwohl Gewissheit in ihrem Zustand unmöglich ist. So lässt der Wunsch nach Sicherheit alles Gehörte zu einem Konzept versteifen, was die Erfahrbarkeit, die Verwirklichung des Verständnisses natürlich verunmöglicht. Aus der Ungewissheit des menschlichen Lebens heraus, in welchem alles unsicher ist, wird dann ein Bedürfnis geboren, wenigstens ein klares und absolutes Glaubenssystem zu haben. Deshalb spricht Krishna in der Bhagavad Gita davon, dass man für die Begegnung mit der ewigen Wahrheit (sanatana dharma) alle Hoffnung aufgeben und alle Schein-Sicherheiten hinter sich lassen muss (2.52, 18.66).

 

Mahavira vermittelte keine Konzepte (das ist ein wichtiger Ansatz im Buddhismus geblieben). Als ihn jemand nach Gott gefragt hat, antwortete er: „Vielleicht“. Aber wenn man einen Gott verehren möchte, der ein „Vielleicht“ ist, dann würde auch das Gebet zu Ihm zu einem „Vielleicht“ werden und das gesamte Glaubenssystem, seine Religion wäre eine Idee der Relativität. Aber in den konfessionellen organisierten Religionen sind „vielleicht“ und „aber“ gebannt.

 

In aller Verwirrtheit und Konfusion des Alltags will der unaufrichtige Gottsucher nun einfach Gewissheit und Sicherheit. Er will sich nicht der ewigen Suche nach Gott ausliefern, die ihn zunächst einmal in noch viel existentiellere Unklarheit hineinbringt, in der dann auch noch alle bisherigen akzeptierten Grundlagen zu zerfallen drohen.

 

Und so mag der Ursprung des Glaubens noch so heilig und transzendental sein, aber er sucht ja nur ein kleinliches Festhalten, ein verbürgerlichtes Glauben-Wollen, das ihm Sicherheit und Schutz, Gewissheit und Sorglosigkeit, letztlich eine Rechtfertigung für seine Anhaftungen im Leben vermittelt - ein gerettetes Leben als eine Bürgschaft für ein gutes Gefühl. Er will nur einen Gott, der ihn, seine Familie und seinen Weinkeller beschützt, und zu dem er beten kann, wenn er gerade nicht mehr weiter weiss und wenn es ihm gerade schlecht ergeht – und will sich nicht von Ihm erschüttern und entwurzeln lassen. Hätte er den Gott nicht, würde er sich einfach verloren und einsam fühlen. Und dafür soll Gott nun sein magisches Trost-Pflaster werden. Echte Heilige geben nicht oberflächlichen Trost und illusionären Mut, sondern zerstören ihn. Sie vermitteln nicht Behaglichkeit und Wohlergehen, sondern eine radikale Kehrtwende, in der man sich selber verliert. Srila Sridhar Maharaja sprach immer wieder davon, „zu sterben, um zu leben“. Wir haben Angst davor.

 

Wenn wir dieser Angst nicht begegnen, wird die ganze Spiritualität ein Ausweichen vor der Wirklichkeit, ein Einnisten in einer erneuten Illusion – die nun aber noch viel schwieriger zu durchschauen ist, da man ihr einen heiligen Deckmantel umlegte. Die echte Spiritualität setzt sich bereitwillig dem Vakuum der Ungewissheit aus, und darin wird man zu einem wahren Sucher.

Man ist bereit, selbst alle bisherige Erkenntnis in Frage zu stellen, sämtliche angewöhnte Denkvorgänge kollabieren zu lassen. Alles darf bereitwillig einstürzen. Man will nicht Scheinsicherheit, sondern Wahrheit, und für die müssen alle Hoffnungen und Erwartungen und Ansprüche hinfällig werden. Es braucht eine Bereitschaft für die Totalität, sonst wird man weiterhin einfach nur kleine Einsichten haben und sein inneres Leben ein wenig weiter seicht wohldosiert tröpfeln lassen. Die vollständige Bereitschaft für die Ganzherzigkeit macht einen bereit für die Offenbarung.

 

Offenbarung

 

Die heilige Schrift besteht nicht aus Buchstaben und Wörtern dieser Welt, sondern ist eine direkte kondensierte Erfahrung der Transzendenz, welche im Herzen von Heiligen erlebt wird. Sie lebt von kaimuttik-nyaya, dem Prinzip der Betrachtung von etwas Bekanntem, um von dort auf das noch Unbekannte hinzuweisen.

Wenn Krishnadas Kaviraj Goswami im Caitanya Caritamrita (1.4.202) versucht, die Reinheit von Radharanis Liebe zu Krishna zu beschreiben, beginnt er mit der Schilderung von Daruka. Er ist ein einfacher Diener Krishnas in Dvaraka, der von tiefer Freude überwältigt wird, wenn er Krishna Luft zufächelt. Da er aber genau diese entzückende Ekstase ihm als ein Hindernis in der Erfreuung Krishnas erscheint, versucht er sie mit grossem Aufwand zu unterdrücken.

In der materiellen Welt ist jede einzelne Seele auf einer Odyssee nach Glück und wenn sie einmal einen Schein davon findet, will sie gleich zugreifen. Genau dieser Greifimpuls verhärtet das Gebilde der Trennung. Daruka aber empfindet solche Glückseligkeit, und doch drängt er sie weg, um fähig zu sein, Krishna weiter zu dienen. Dies ist der erste essenzielle Schritt der Gotteserkenntnis: Die Einsicht, dass es um Krishnas Freude geht, gänzlich unabhängig von angenehmen und unangenehmen Empfindungen des Geistes. Darin löst sich die Verklammerung an die bedeckenden Schichten, welche einen vor der Wirklichkeit trennten.

Radharani besteht gänzlich aus dieser Stimmung, die nur andeutungsweise mit Daruka umschrieben werden kann.  

Die Sprache stammt aus dieser Welt und es ist ihr dadurch verunmöglicht, Transzendenz zu beschreiben. Jedoch vom Standpunkt der Offenbarung aus hat alles in dieser Welt göttlichen Ursprung und somit auch göttlichen Sinn. So existiert Sprache nicht nur dazu, um Informationen des Diesseits mitzuteilen, sondern dient vorrangig als Erwiderung für die Offenbarung (response-ability). Die Sprache hat wie alles göttlichen Ursprung und ist ursprünglich dazu gedacht, Gott zu verherrlichen (Srimad Bhagavatam 6.16.32). Aus diesem Grund spricht das Vedanta Sutra davon, dass eigentlich jedes einzelne Wort nicht dazu gedacht ist, praktische Informationen auszutauschen. Denn dafür bräuchten wir nicht eine solch komplexe Sprache mit einem Wortschatz von mehreren hunderttausend Worten. Das rein praktische Vermitteln von Lebensbefindlichkeiten bedürfte nicht dieser unglaublichen Kompexität. Diese Komplexität ist dafür da, die Erfahrung des Heiligen, der Berührung mit Gott, zu vermitteln. Jedes Wort ist Verehrung und bezeichnet in seiner primären Bedeutung nur Gott. Deshalb ist es heilig. Am Anfang war das Wort!

 

„Der Unvollkommene wäre nicht unvollkommen, wenn er nicht Hilfe von aussen bedürfte. Der Vollkommene wäre nicht vollkommen, wenn er nicht in der Lage wäre, sich selber mitzuteilen. Somit ist die Unterweisung, die zur Vollkommenheit oder der Absoluten Wahrheit führt, notwendigerweise eine Wirkung des Absoluten selber. Wir sind von unserer Wesensart ausgerüstet, die Gnade Gottes zu empfangen.“ (Srila Sridhara Maharaja in der Einleitung „Guru and his grace“)

Die Heilige Schrift ist eine Manifestation der karuna sakti, der Gnadenkraft Gottes.

Der Vaishnava erhält von Gott eine ganz bestimmte Kraft, welche man im Sanskrit: dharya dharana sakti nennt. Es ist die Ermächtigung, die Fassung aufrecht zu erhalten selbst in der Berührung mit dem Heiligen, was die Kapazität des physischen Körpers bei weitem sprengt.  Normalerweise kann derjenige, der schaut, gar nicht mehr sprechen. Somit würde jegliche heilige Offenbarung für immer verborgen bleiben. Durch diese Kraft ermöglicht es Gott, die Seele innerlich schauen zu lassen und das Geschaute zu vermitteln.

 

Alle spirituellen Traditionen kennen die Offenbarung in Gestalt Heiliger Texte. Dies sind sozusagen Wort-Inkarnationen Gottes. Eine solche Einwirkung Gottes darf aber nicht in die alte Gewohnheitsstruktur des Geistes integriert werden. Damit reduzierte sie sich auf leeres Konzeptwissen. Sie wird lebendig und aktiviert in der Reflektion im Innern, im Gebet und der Kontemplation und in der Gegenwart der Heiligen, die diese Hinweise in ihrer Lebensart verkörpern. Die Verliebten verstehen den kleinsten Hinweis ihres Geliebten. So dringt heilige Offenbarung Gottes hindurch durch die Wirrnis der von unseren vergangenen Eindrücken besetzten Worte. „Während dein Inneres vor Liebe zu brennen scheint, lässt er dich etwas von dem unaussprechlichen Geheimnis seiner göttlichen Existenz ahnen. („Wolke des Nichtwissens“ Kapitel 26) Wenn sich das Unbegrenzte im Begrenzten offenbart, behält es die Eigenschaft der Unbegrenztheit bei. „prati sloka prati akshare nana artha kaya“ (Caitanya Caritamrta 2.24.318) «Jeder Vers und jede einzelne Silbe aus der Offenbarungsschrift hat unzählbar viele Bedeutungen. Jedes Wort ist ein Universum an Sinn. ».

 

Fundamentalismus will diese Unendlichkeit einfach nur eingleisig deuten. Die Offenbarung im Wort (die Heilige Schrift) verlangt die Weitung des eigenen Verständnisses, um sensibel zu werden für das, was Krishna einem in diesen Worten wirklich offenbaren möchte.

Die Geschichte des barmherzigen Samariters aus Lukas 10 beleuchtet auf schöne Weise, dass die heilige Offenbarung aufgeschlüsselt werden muss und man nicht einfach denken kann, sie im Besitz zu haben. Der Priester und der Levit, die an dem von Räubern schwer Verwundeten vorbeigehen, sind fromme, gottesfürchtige Leute. Sie „kennen“ Gott und sein Gesetz. Sie tragen Gott in sich, wie der Wissende das Gewusste besitzt. Sie glauben wirklich, ganz genau zu wissen, was Gott von ihnen will. Sie wissen auch, wo Gott zu finden ist – in der Heiligen Schrift und im Kult des Tempels. Gott ist für sie vermittelt durch die vorgegebenen Institutionen. Sie haben ihren Gott – und er lässt sich nicht auf der Strasse zwischen Jerusalem und Jericho finden. Was ist falsch an diesem Gottesverständnis? Nicht die Rituale im Tempel und auch nicht die Heilige Schrift. Sondern die Erkenntnis Gottes, die keine Überraschungs-Erkenntnis zulässt. Sie sind festgefahren in einem bestimmten Verständnis. Das Heilige will sich immer weiter ausdehnen und in ihm gibt es nie Stagnation. Das ist die wesensgemässe Reaktion auf das Unbegrenzte.

Dann kann Wirklichkeit durch die Worte hindurch scheinen.

 

Es ist aufgrund der Gottes-Absorption des Sprechers, welche es ermöglicht, an allen Begrenztheiten der Sprache vorbei durch das Medium der Worte eine gänzlich neue Erfahrung zu erhalten.

Im Bhagavatam wird oft geschildert, was mit jemandem geschieht, der über Krishna befragt wird. Er antwortet nicht aus dem Reservoir seiner Erinnerungen heraus, sondern vertieft sich immer wieder ganz neu in Gott.

Hier befragt Vidura den Uddhava, er solle ihm über Krishna berichten:

„Einen Augenblick lang verstummte er wie ein Toter, und sein Körper bewegte sich nicht. Er versank in hingebungsvoller Ekstase im Nektar der Erinnerung an die Lotusfüsse des Herrn, und er schien immer tiefer in diese Glückseligkeit einzugehen.“

 

„Vidura beobachtete, dass Uddhava aufgrund tiefer Ekstase alle transzendentalen körperlichen Veränderungen zeigte und dass er versuchte, sich Tränen der Trennung aus den Augen zu wischen. Vidura konnte daher verstehen, dass Uddhava in jeder Hinsicht tiefe Liebe zum Herrn entwickelt hatte.“ 

 

„Der grosse Gottgeweihte Uddhava kam bald vom Reich des Herrn auf die menschliche Ebene zurück (d.h. er war gänzlich in Samadhi), und indem er sich die Augen rieb, erweckte er seine Erinnerung an die äussere Welt und sprach zu Vidura mit freundlichen Worten.“ (Bhagavatam 3.2.4-6)

 

Auch König Pariksit befragte seinen Lehrer nach Krishna. Dann heisst es im Bhagavatam (10.12.44):

„Als Maharaja Pariksit Sukadeva Gosvami diese Frage stellte, erinnerte sich Sukadeva Gosvami im Innern seines Herzens sofort an Krishnas Taten und verlor äusserlich den Kontakt zur Tätigkeit seiner Sinne. Schliesslich gelang es ihm unter grossen Schwierigkeiten (indem er seine innere Freude unterdrückte), seine äussere Sinneswahrnehmung zurückzuerlangen, und er begann, zu Maharaja Pariksit über krishna-katha zu sprechen.

 

Das entzündete Herz vermag die Intensität und übergrosse Liebe wie nicht zu fassen und ist immer am überborden...
Rumi drückte dies so aus:

„Und wenn ein jedes Haar
auch Zungen hätte -
genug an Dank
ich nie gesungen hätte....“

Diese Überwältigung ist die Grundlage der Gottesliebe, welche die Offenbarung geschehen lässt.