Sport....
Eine Infragestellung moderner Religion
Was wir heute unter sportlicher Betätigung bezeichnen, kann grundlegend in zwei Kategorien unterteilt werden.
Das "rekreative Prinzip" beinhaltet den Bereich des zweckfreien, ungebundenen Spiels; es verwirklicht sich in der Freiheit vom Leistungszwang, bestimmt sich in der immer beschränkten zeitlichen Aufwendung; es versucht, Freude und Vergnügen zu gewinnen; es huldigt dem Überflüssigen; es gibt spontanen, schöpferischen Einfällen nach; es befreit sich von aufgezwungenen Regeln und Übungsweisen; es tendiert auf Erholung und Ausgleich und gewährt die Rückgewinnung der menschlichen Freiheit von belastenden Daseinsbedingungen. Das ist schon fast eine Annäherung an lila.
Dem wettkampfmässig betriebenen Sport (Breiten- und Spitzensport) liegt dagegen ein anderes "Prinzip" zugrunde, und zwar das "sportliche". Es beinhaltet das auf Rekord gerichtete Leistungstreben; es verwirklicht sich im Leistungsvergleich das Wettkampfes; es versucht, durch Rationalisierungsmassnahmen vielfacher Art die Effektivität der aufgewendeten Trainingszeit zu erhöhen; es ersinnt immer neue Methoden der Ökonomisierung von technischen Fertigkeiten oder taktischen Verhaltensformen; es drängt auf Automation von Bewegungsabläufen und unterscheidet sich nicht grundlegend von wirtschaftlichem Denken.
Dieser Art von medial vermitteltem Sport wird täglich von Milliarden Menschen Aufmerksamkeit geschenkt. Als wirtschaftliches Gefüge ist der Kapitalismus längst in Frage gestellt worden….aber dessen Grundwerte als „Sport“ verpackt, werden fraglos und begeistert angenommen.
Die folgenden Gedanken richten sich nicht gegen die natürliche Neigung nach Bewegung und auch körperlicher Ertüchtigung, sondern möchten die Verkultisierung dessen in Frage stellen.
Dort, wo Themenbereiche, die einem lieb geworden sind, in Zweifel gesetzt werden, wohnt eine ganz interessante Entscheidungsfreiheit inne….
Im Olympiajahr 1932 brachte das Berliner Magazin "Der Querschnitt" ein Heft mit dem Thema "Fug und Unfug des Sports" heraus. Über die erste Seite zog sich eine Balkenüberschrift "Weltreligion des 20. Jahrhunderts". Der fiktive Rückblick aus einem Abstand von zehntausend Jahren beginnt mit der Aussage: Nicht das Christentum sei das beherrschende Religionssystem des euroamerikanischen Kulturkreises gewesen, sondern eine neue "Weltreligion" mit Namen "Sport". Diese neue religiöse Bewegung habe im 20. Jahrhundert die alte christliche Religion fast völlig verdrängt. Das Symbol des Kreuzes sei ersetzt worden durch das des Balls, dessen Kugelgestalt - als "Sinnbild des im Endlichen beschlossenen Unendlichen" - als höchste Form des Religiösen angesehen worden wäre. Die Kugelgestalt des Balles, des hauptsächlichsten Kultgegenstands, zeige den Diesseits-Charakter der "Sportreligion". Am Ende des Artikels wird die staunenerregende Popularität mancher "Priester und Priesterorden der Sportreligion" erwähnt, um die sich häufig hunderttausend "Gläubige" scharen.
Das Wort „Sport“ stammt aus dem lateinischen „deportare“ - das heisst: zerstreuen.
„De se porter“ im Französischen und im englischen „to disport“ heisst, „sich vergnügen und herumtollen“.
Die ganze Idee des Sport-Kultes ist mit der Industrialisierung entstanden, als Menschen komplett losgerissen wurden aus einem natürlichen (bäuerlichen) Umfeld, um in Fabriken in einer entstellten Atmosphäre zu arbeiten. Solchen Menschen musste man eine Kompensation anbieten, damit die Rebellionskraft sich nicht gegen die Arbeitsgeber richtet. Dazu diente Sport.
Karl Marx bezeichnete den Proletarier-Sport als Disziplinierungsmassnahme der Bourgeoisie.
Es war das Ablenkungsmanöver der Herrschenden, die Aufmerksamkeit auf das Banale zu lenken und darin Identität zu erlangen. Das hilft, die Unerträglichkeit des Alltags besser zu tolerieren. Marx nennt dann im Gegenzug die luxuriösen Sport-Clubs der Reichen „Herrschaftssymbole“.
Da die Idee des Sports, wie wir ihn heute kennen in der Zeit des Frühkapitalismus entstanden ist, sind darin auch noch dieselben archaischen Strukturen gespiegelt.
Industrialisierung und Sportwesen haben beide in England ihren Anfang gefunden. Der Sport orientierte sich mit seinem Leistungs, - Rekord, - und Konkurrenzprinzip an den gleichen Werten wie die Arbeitswelt. Zudem gab es in der Industrie wie auch im Sport eine Entwicklung zur Spezialisierung und Rationalisierung hin. Der Athlet ist für Pierre Coubertin, dem Gründer der olympischen Spiele der Gegenwart "eine Art Priester und Diener der Religion der Muskelkraft“. Die Maxime des Sportes verkündete er als "citius, altius, fortius - schneller, höher, stärker".
In vielerlei Hinsicht haben wir frühkapitalistische Strukturen überwunden, aber im Sport sind sie noch hängen geblieben. Da gilt noch immer das Aggressionsprinzip und die Idee zu gewinnen. Zudem huldigt man in sportlichen Arenen noch Werten wie nationalistischen Gefühlen, die man sonst als fragwürdig bezeichnet.
Die Waffen der frühesten Kriege müssen Jagdgeräte gewesen sein. Mannschaftssportarten sind eigentlich stilisierte Echos von Kriegen.
Bereits die Cherokee-Indianer nannten ihr altes Ballspiel Lacrosse »kleiner Bruder des Kriegs«.
Dass es mit der nationalen Identifikation von Sportspielen nicht mehr weit ist bis zu reellen Kriegen wissen wir vom sogenannten „Fussballkrieg“. Nach drei mit aller Härte ausgetragenen Fußballspielen überquerten 1969 salvadorianische Panzer die Grenze zu Honduras, und salvadorianische Bomber griffen honduranische Häfen und Militärstützpunkte an. In diesem »Fußballkrieg« ging die Zahl der Toten in die Tausende.
Heutzutage ist der Sport zu einer Ersatzreligion geworden. Der philosophische Begriff dafür heisst „Kryptoreligiosität“.
Das religiöse Erleben, welches sich nicht mehr auf Gott bezieht und sich in die Unendlichkeit seiner Schöpfung verstreut, ist Kryptoreligiosität. Religiöse Verhaltensweisen Sehnsüchte werden in den profanen Raum übertragen. Es ist anonyme Religiosität – ein Verhalten, das vom Wesen her weltlich ist, aber die darin wohnende Sehnsucht eine tief religiöse darstellt.
Auch die totalitären Ideologien des vergangenen Jahrhunderts – Nationalsozialismus ebenso wie der Kommunismus und natürlich auch institutionalisierte Religion – haben sich in diesem Sinne als verdrehte Religionen erwiesen. Ihre Weltbilder beanspruchen, das wahre Wesen von Natur und Geschichte erkannt zu haben. Sie geben vor, zu wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Sie wollen das Ganze begreifen und greifen nach dem ganzen Menschen. Sie geben ihnen die Geborgenheit in abgesicherten Strukturen. Sie kalkulieren mit der Angst vor dem offenen Lebensgelände, vor dem Risiko der menschlichen Freiheit, die stets auch bedeutet: Ungeborgenheit, Alleinstehen, Ungewissheit. Sie wollen den Menschen von seiner schwierigen Freiheit, ein Einzelner zu sein, befreien und in ein Kollektiv eingliedern: Dort darf er sich zugehörig fühlen – im verfeindenden Gegensatz zu denen, die nicht dazugehören. Dieser Gegensatz ist von elementarer Bedeutung: Das Gefühl dieser Art Zugehörigkeit ist, genau gesehen, nichts anderes als die Abgrenzung von den Feinden und dem Fremden. Die totalitären Ideologien als Religionsersatz wollen den Menschen von der Freiheit, die immer auch das Gefühl des Fremdseins und der Einsamkeit einschliesst, befreien, da sie einen nicht die Erfahrung effektiver Aufgehobenheit vermitteln können.
Kryptoreligiosität vermag letztendlich die zutiefst empfundene Sinnleere nicht zu ersetzen. Der Mangel bleibt bestehen, so intensiv man ihn auch zu überspielen sucht.
Die post-kirchliche Gesellschaft verlegt Ekstase und Jubel ins Inhaltslose hinein. Sport wurde zum Surrogat (Ersatz) des Göttlichen. An die Stelle des Transzendenten wird nun eine Ode an den Staat gesungen (Nationalhymnen) und der siegreiche Sportler erhöht sein Vaterland und Rasse. In diesem Sinne kann man Sport auch als Paganismus, als heidnischer Ausdruck verstehen.
Carl Diem schrieb 1936 zu seiner Olympia-Inszenierung im Nazi-Deutschland:
"Über dem modernen Geschehen der Olympischen Spiele liegt der Zauberkreis des göttlich-Frommen. ... Was die Feier einleitet: Glockenklang - Fanfaren - festlicher Umzug - Chorgesang - Ansprache - Eid - Fahnen - Tauben - Lichtsymbol, das alles bedeutet Weihung, einem kirchlichen Fest gleichgeordnet, und über allem liegt die tiefe Ergriffenheit – mit einer religiösen Feierstunde durchaus vergleichbar."
Man verehrte nun nicht mehr Zeus, aber huldigt dem Staat.
Diem stand dann im März 1945 vor Teenagern auf dem Reichssportfeld in Berlin, um sie mit einer "flammenden Rede, in der so viel von Sparta und sportlicher Opferbereitschaft vorkam, zum siegreichen Endkampf gegen die deutschen Feinde" aufzufordern.
Im Sport haben sich nicht nur die fraglichen Werte seiner frühkapitalistischen Entstehungsgeschichte noch immer aufrechterhalten, sondern er hat in einer Zeit, in der der Grossteil der Menschen den Kontakt zu einer tragenden Spiritualität verloren hat, den Status der Ersatzreligion eingenommen. Es ist eine ursprünglich religiöse Sehnsucht, die sich im Sport profan (pro – vor, fanum – dem Tempel) ausdrückt.
Dabei werden aber im Sport auch fragwürdige Grundwerte zelebriert:
Das Denken, dass Aggression gegen andere und Härte gegen sich selbst zum Sieg führe, dass Erfolg glücklich mache dass es erstrebenswert sei, an der Spitze zu sein. „Wir haben gewonnen“ – gerade im Fussball, dem populärsten Massensport der Neuzeit, lebt ein grosses Identifikationspotenzial. Durch Identifikation mit grossen Sportlern erlebt man das simulierte Glück, um aus der Eintönigkeit eines gewöhnlichen Alltags heraus zu steigen.
Sportanlässe sind also nicht einfach nur Zerstreuungs-Momente und Ablenkung, sondern eine symbolisch dramaturgische Darstellung des Lebens, in dem Körperlichkeit, Jugendlichkeit, Einsatzbereitschaft, Kampf, Ethnozentrismus (Patriotismus) und auch Nationalismus (nationales Trancegefühl) gedankenlos gelebt und ausgedrückt werden.
Die Schwachen, Alten, und Verlierer haben in diesem Denken nur noch Randpositionen inne.
Wenn man im Wikipedia irgendeine Stadt eingibt (zum Beispiel Leipzig), findet man unter „Persönlichkeiten“ eine Liste der bekannten Söhne und Töchter der Stadt. Es fällt einfach auf, dass die Menschen, die vor hundert Jahren einen Bekanntheitsgrad erlangten – das heisst, Dinge ausübten, die in den Augen der Masse erstrebenswert waren – Denker, Philosophen, Musiker oder Theologen waren. Betrachtet man die Liste aus der Neuzeit, sieht man, dass die Idole von heute zu über 80% nur noch Sportler sind.
Die Sehnsucht, die im Sport (und auch in der Popkultur)Ausdruck findet, ist eine säkularisierte Religion, die das Leben von vielen bestimmt und deren tägliches Erleben und Handeln prägt, sehr fragwürdige Werte vermittelt und zudem vernebelt, dass die Sehnsucht des Menschen auf etwas Absolutes und Unvergängliches hin zielt. Religion verweist den Menschen eigentlich auf Letztendliches. Das Substitut „Sport“ allerdings stärkt innerweltliche Werte und Körper-Identifikation.
Massenhaft besuchen Menschen medial aufbereitete Sportveranstaltungen.
Ein erster Verdacht, dass es sich bei Sportstadien um so etwas wie „heilige Räume“ handelt, ergibt sich aus den liturgischen Abläufen von Sportanlässen. Alles beginnt mit einer oft stundenlangen Wallfahrt, auf der schon Bekenntnisse gesungen und liturgische Gewänder getragen werden (Schals, Mützen, Trikots, Fahnen). Es ist eine Prozession.
Während der Veranstaltung hat man das Gefühl, am Nabel der Welt zu sein, dort, wo nun wirklich das Wesentliche geschieht. Man hat nun mit allen anderen Zuschauern
einen gemeinsamen Mittelpunkt, auf den man sich ausrichtet.
Die Symbole und der Ritus schenken Verbundenheitsgefühl auf der aller äussersten Ebene. Auf dem „niedrigsten gemeinsamen Nenner“.
Man ist gegliedert in homogenen Zuschauergruppen (Fan-Blocks) und dies erhöht das Mass einer emotionalen Beteiligung. Gefühle dürfen jetzt entfesselt werden. Man kann schreien und unterstützen – verehren. Der Besucher von sportlichen Grossveranstaltungen erlebt die Leidenschaft des Spektakels und er kann wieder einmal mitgerissen werden.
In den Stadien gibt es responsorische Rufe, die durch den Liturgen, dem Stadions-Sprecher, angeleitet werden und chormässig wird gemeinsam gesungen. Es hat den Anschein eines Bekenntnisses, was der Fan da tut. Dass der Text sinnentleert ist, stört anscheinend nicht mehr. Das Erleben des Rausches, in der Gemeinschaft zu einem grösseren Ganzen dazuzugehören, gilt ihnen mehr als die stille Freude, sinnvoll zu leben.
Im den Kneipen wird das Sieges-Bier herumgereicht wie der Kelch beim Abendmahl.
Die Stadion-Gottesdienste werden von Radio- und Fernsehpredigern in die Wohnzimmer der breiten Masse übertragen. Ein echter Fan (von „fanum“ – heilig) kennt die Spielzeiten und stellt sich darauf ein. Dies strukturiert sein Jahr und erfüllt das, was der heilige Kirchkalender oder der Vaishnava-Kalender dem homo-religiosus schenkte. Das Wort „Olympiade“ bezeichnet den Zeitraum von vier Jahren hin zu den nächsten Spielen, einem nächsten Höhepunkt im Leben.
Der Fan beschäftigt sich mit seinen Idolen und mit den Biografien der grossen Spieler. Es gibt Wundergeschichten, Sündenböcke und Heiligenlegenden. Die Liturgie und die Mythen machen aus den Zuschauern eine Gemeinschaft – die Fan-Gemeinde.
Diese identifiziert sich mit ihren Stars und hält die Siege und Niederlagen von ihnen als ihre eigenen: „Wir haben gewonnen / verloren“.
Das Publikum ermöglicht erst die sportlichen Grossveranstaltungen. Hier geht es nicht nur um das Moment der "Identifikation" mit den sportlichen Helden. Unübersehbar ist das "Aussersichsein", das Aufgehen in der Masse der Gleichen.
Unbestreitbar macht sich allerdings der heutige Sport eine Tendenz in der modernen Gesellschaft zunutze: Es sind die diffusen Wünsche und Sehnsüchte der Menschen nach einem Sinn des Lebens, nach Identifikation mit "Helden", ja nach "Lichtgestalten" mit Quasi-Erlösungsfunktionen.
Im Sport erlebt man, dass auch unbedeutende Personen unabhängig von Geburt und Stand berühmt und zu Stars werden können. Genau dies ist ein ursprünglich religiöser Wert – der Mensch ist wertvoll unabhängig seines sozialen Status. Die Liebe Gottes zielt auf jeden gleich und darin gibt es keine Klasse von Privilegierten mehr.
Im Sport kennt man die Spannung, dass trotz bester Vorbereitung und finanziellem Vermögen nichts vollständig berechenbar und vorhersagbar ist. Die Faszination für Überraschung, des Unvorhersehbaren, dass der Mensch die Umstände nicht zu kontrollieren vermag, ist effektiv eine religiöse Grundhaltung.
Religion dient der Kontingenzbewältigung.
Kontingenz bezeichnet die Erfahrung der eigenen Endlichkeit. Jeder Mensch macht die Erfahrung des Ungenügens, des Mangels, zu dem nicht nur Erfahrung von Leid, Krankheit, Alter, Schuld, Versagen und Tod gehören, sondern ein Wahrnehmen existenzieller Leere. Religion lehrt also ein erfolgreiches Umgehen mit diesem existenziellen Sinnvakuum durch Vermittlung einer Perspektive, die in allem innerweltlichen Erleben drin eine beständige Hoffnung vermittelt.
Kontingenz bedeutet, dass Menschen die Erfahrung machen, dass vieles in ihrem Leben nicht verfügbar ist, dass sie bestimmte Ereignisse und Erfahrungen nicht beeinflussen können. Kontingenzbewältigung meint dann, wie man mit diesem Gefühl des "Ausgeliefertseins" umgeht.
Religion schenkt eine tiefste Gelassenheit in allem, eine Substanz in allem, die einem selbst die Erfahrung des Unvermeidlichen an der Oberfläche als peripher erscheinen lässt.
Das bedeutet, Religion ist realitätstauglich.
Genau diese Substanz vermag Sport nicht zu vermitteln und verpasst ein transzendentes "Heilsziel". Es ist ein Sich-Arrangieren mit dem Sinndefizit. Dies nennt man „Stumpfheit“.
Im "Drama des Wettkampfspiels" steht die symbolisierte Existenz auf dem Spiel: Es
geht um "Sieg oder Niederlage, um Gewinn oder Verlust, um Glück und Unglück, um
Erfolg oder Versagen. Es symbolisiert das eigentliche Leben und bietet eine verdichtete Spielsituation, die vom Publikum miterlebt wird und über einen Verweis-Charakter hinsichtlich menschlicher Ängste und Hoffnungen verfügt. Sport ist religions-analoges Verhalten, dem jedoch aller Inhalt und die wesenshafte Tiefe entzogen wurde.
Das Verhalten der Sportfans in der Verehrung ihrer Heroen des Feldes und die Verwerfung der 'Versager'; die kollektiven Erfahrungen der Angst vor dem Verlieren, das Bangen bis zum Schlusspfiff und schliesslich die ekstatischen Feiern der Erlösung aus dem Bannkreis der Ungewissheit durch den Sieg – das sind sicherlich religiöse Elemente, welche sogar in einer religiösen Sprache ausgedrückt werden. Doch der Inhalt ist banal und die tiefe Wirklichkeitsebene einer Transzendenz-Zuwendung wurde evakuiert. Deshalb ist Sport nur Ausdruck einer Ersatz-Religiosität.
Der Religion und dem Sport liegt die Sehnsucht nach Entgrenzung, Durchbrechung des Alltags und unbändige Lebens-Lust zu Grunde. Dem entsakralisierten Menschen fehlt das Grundgefühl des Aufgehobenseins und er fühlt sich letztlich einsam in einem riesigen leeren Raum, einer amorphen Masse, in welcher keine Orientierungspunkte mehr zu finden sind.
Die sportliche Erfahrung wird als meditative Übung der Selbstentgrenzung dargestellt: Selbstvergessenheit und Ichlosigkeit, eine distanzlose Einheit und ein Verschmelzen mit der umgebenden Lebenswelt, ektstatische Erfahrungen einer ozeanischen Geborgenheit.
Der "Kick", den die Protagonisten des Sports suchen, ist aber lediglich die Steigerung des individuellen "Spass-Motivs". Blosse Spannungsmaximierung und Lustbefriedigung im sportlichen Tun sowie das Auskosten körperbezogener Erlebnisintensitäten, das "Just-for-Fun" - das alles ist nur ein Anspruch der Sinne, aber noch kein "Sinnanspruch". Lebendige Substanz findet man in Sport nicht und wenn man dies dennoch erhofft, klafft einem die Leere nur noch gähnender entgegen. Der Wille zur Spass ist frustrierter Wille zum Sinn.
Religion vermittelt einen letztlichen Sinnhorizont, was ein Weg ist, auf Dauer Leichtigkeit und Glück zu erfahren. Philosophie geht davon aus, dass der Mensch nur glücklich wird, wenn er seinem Wesen gemäss, das heiss aus der Perspektive der Seele heraus, und im Einklang mit Gottes Wunsch lebt.
Die Verlockung des schnellen Genusses ist immer nah. Aber die Sucht nach kurzfristigem Spass verdirbt einem auf die Dauer den Zugang zu Glück.
Das deutsche Wort „Spass“ kommt von italienischen „spasso“ und meint ursprünglich: Zerstreuung, Zeitvertreib.
Spass ist etwas anderes als Freude.
Die Bhagavad Gita (6.22): spricht von einer unszerstörbaren Freude, die auch durch Widerwärtigkeiten nie gestört werden kann: Die Beziehung als Seele zu Radha-Krishna.
Diese Tiefendimension fehlt dem Sport. Da im Sportkult aber religiöse Elemente auf die äusserlichste Ebene verlegt werden, wirkt er als Verdunkler der Wirklichkeit.
Die religiösen "Gewänder", die religiösen "Symbole" und "Rituale dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich beim modernen Sport nicht um eine "Religion" im eigentlichen Sinn handelt. Diese Symbole und Rituale sind nur entliehen. Sport und die olympischen Spiele werden nicht mehr zur Ehre einer Gottheit veranstaltet. Ihnen fehlt der Transzendenzgehalt vollständig. Im Sport wird Religion vielmehr instrumentalisiert. Religiöse Gefühle und Energien der Menschen werden auf ein anderes Objekt gelenkt. Im Sport feiert der Mensch sich selbst. Eine Religion ohne Gott führt zur Vergötterung der Menschen und ihrer Leistung. Der klassische Ausdruck dafür ist die "Vergötzung".
Sport propagiert die "Gesundheit ist das höchste Gut“. Überhöhung und Huldigung der Körperlichkeit und dessen vermeintliche Unversehrtheit ist das Symptom einer Gesellschaft, die ihr Heil vorwiegend im Diesseits sucht.
Es ist die "Verweltlichung des Paradieses" und seine Verlegung in die irdische Existenz hinein.
Sport repräsentiert die säkular-profane Lebensform und zelebriert den Körperkult. Obwohl er religiöse Form angenommen hat und im modernen Menschen den Status innehat wie ihn vor einiger Zeit die Religion hatte, vermag er gerade auf die wesentlichen Fragestellungen keine Antworten zu geben. Die Absenz dieses Aspektes erweist deshalb die Sportreligion als Sinn-defizitär.
Wenn der säkulare Mensch sein religiöses Bedürfnis nach Gott unterdrückt und nur noch Kompensationen lebt, bleibt ganz tief die innere Unerfülltheit.
Wesentliches kann nicht mit Schatten ersetzt werden.