Was ist Bhakti-Yoga?

 

 

Es ist nicht so einfach, Bhakti zu umschreiben, da es sich dabei nicht mehr um eine Technik wie zum Beispiel bei Asanas handelt, sondern um eine Form des liebenden Umgangs mit dem „Du“ Gottes.

Ich werde dies anhand der Bhagavad Gita, des Buches des Yoga, ein wenig  skizzieren versuchen.

 

Religion verspricht eine glorreiche Zukunft. Das macht sie natürlich auch anziehend für Unzufriedene, in welchen dann aufgrund solcher Verheissungen eine Bereitschaft zur vollständigen Hingabe geboren wird. Jedoch nicht aus der durchdrungenen Liebe heraus wie beim Mystiker, sondern aus dem selbstischen Bedürfnis heraus, aus einem erlebten Mangel heraus. Diese Vermischung eigener Anliegen mit heiliger Hingabe birgt ein Gefahrenpotenzial in sich, denn wenn Selbstsucht als „heilig“ gerechtfertigt wird, wird diese sogar noch rücksichtslos.

Die Wucht in die Verheissung der Zukunft wird verstärkt durch die Entwertung der gegenwärtigen Lage. Religionen beschreiben die äussere Welt oft in negativen Worten. Dies entwurzelt den Unzufriedenen noch mehr und man sehnt sich nach dem „ganz Anderen“ weil man mit der Welt, wie sie ist, nicht zurecht kommt.  

Deshalb ist die praktizierte Zufriedenheit, die sich nicht mehr an den Gegebenheiten der Aussenwelt orientiert, eine wesentliche Grundlage für eine gesunde Spiritualität (Bhagavad Gita 2.55).

 

Neben denen, die aus Weltenttäuschung die Welt zurückweisen wollen, gibt es auch Menschen, die sich an die Notwendigkeiten, die einem der bisherige Alltag vorgeschrieben hat, klammern. Man will alles so machen, wie es geboten ist, wie es die Pflicht ist, wie es alle immer schon getan haben – und verweigert darin die eigene Individualität und die Sehnsucht der Seele.

Bhakti ist das Gleichgewicht im Spannungsfeld von Zurückweisung der Welt und der Verklebung in ihr: Die versöhnte Gotteszuwendung. Äusserlich bleibt zunächst alles beim Alten und dennoch ist eine komplett neue Schau erwacht, da man nicht mehr die Erfreuung seiner Selbst zum Mass aller Dinge gemacht hat, sondern alles in der Welt als nur zur Freude Gottes verstanden wird.

 

Wenn man Bhakti versteht als den Pfad der bedingungslosen Ergebung vor Gott, so ist es sehr wesentlich, auf den riesigen Unterschied zwischen Hingabe und Unterwerfung hinzuweisen.

Nach vielen Jahrhunderten von Unterdrückung und Bevormundung hat der spirituell Suchende die Selbstbestimmung wieder erlangt und ist nun an deren Grenze angelangt, wo er sich in der Hingabe getrost um die Dimension von Gottes Willen erweitern darf.

Wer aber die Fremdbestimmung noch nicht abgestreift hat, und das Eigene in sich noch nicht gefunden hat, für den ist das Leben unter dem Etiquett „Hingabe“ eine bequeme Art, die Unterwerfung spirituell beschönigt weiterzuleben. Aber sie hat keinerlei transformativen Charakter und wird einen in die Entfremdung zu sich selbst treiben. 

 

Bis zur Aufklärung hat Gott die Lücke zwischen der Unerklärbarkeit der Welt, der Natur mit ihren schicksalshaften Abhängigkeiten Schicksalsabhängigkeit und der Sehnsucht nach Erkenntnis gefüllt. Die Menschen haben Gott angerufen in ihren Nöten. Da man die Welt und ihre Abläufe nicht verstand, bedurfte man Gott. Das war der Gott einer Vertröstung, dem Opium für das Volk, der die Umstände im Sinne des Eigenwillens zu richten hätte. 

Dieser Gott ist tot. Menschen der heutigen Zeit haben sich grossteils von diesem naiven Kinderglauben emanzipiert.

Gott kann nun nicht mehr eingespannt werden für die Umsetzung eigener Vorstellungen.

Plötzlich merkt man, dass diese Einsicht der Beginn des Liebesaustausches ist...

 

 

Das Atma, die ewige Seele, hat ein Potenzial in sich angelegt, das gleichzeitig ihre Bestimmung darstellt: Prema, reine Liebe. Jede Seele ist auf der Suche nach Liebe.

Das Objekt der Liebe der Seele ist die Kulmination aller Schönheit: Sri Krishna – die bewusste Persönlichkeit Gottes.

Wenn die Seele mit ihrem Ursprung in Liebe verbunden ist, nennt man dies Bhakti-Yoga, die ewige Funktion des ewigen Lebewesens.

In dieser Einwilligung, die Liebeskraft nicht mehr im Vorläufigen zu deponieren, sondern wieder auf Krishna hinfliessen zu lassen, erübrigt sich die grosse Maya, die illusionierende Energie, welche einem Identifikation mit Dingen ermöglichte, die einem wesensfremd waren.

 

Maya (Täuschung) bedeutet, die von Gott zugestandene Fähigkeit, bei irgendetwas in der gesamten Schöpfung die inhärente Beziehung zu Krishna nicht mehr zu erkennen. Bhakti auf der anderen Seite bedeutet, in allem die Verbindung zu Krishna zu erkennen und mit allem in den Schöpfung, selbst mit dem Allergeringsten, gemäss Seiner Absicht umzugehen.

 

Ein gängiges hinduistisches Missverständnis ist, dass man einfach wählen könne unter verschiedenen Pfaden, die dann jedoch alle zum gleichen Ziel hinführen würden.

Die Bhagavad Gita (u.a. 6.45-46) aber versteht die unterschiedlichen Yogapfade als Sprossen der einen Yoga-Leiter, welche die Seele zur völligen Ergebung, zu Bhakti, hinführt.

Durch Karma-yoga erhält man die Distanz zu den Resultaten des eigenen Handelns, was einen inneren Resonanz-Raum erzeugt, in dem man sich selber als Seele wahrnehmen kann.

 

Durch Jnana-yoga erkennt man den einen Aspekt Gottes – das alldurchdringende Brahman, welches die Grundlage für Gotteserkenntnis darstellt (14.27, 18.54).

In dieser Neutralität zur Dualität enthebt man sich allen Projektionen des Egos. Wenn das Bewusstsein die äussere Dualität überschreitet, wird Gesundheit nicht mehr vor der Krankheit bevorzugt, Erfolg nicht mehr vor Verlust oder das Bequeme nicht mehr vor dem Anstrengenden.

 

Diese fixierten Ideen des Geistes wie das Sehnen nach Gewinn und die Abwehr gegenüber Verlust zersplittern alle Erfahrungen in ein duales System ein...und man verliert die Sicht der Einheit, dass sich alles in Gottes Obhut abspielt und auf ihm ruht.
Vishvam ekatmakam pasyan (Bhagavatam 11.28.1)
Der Geist, der durch die Meditation im Unvergänglichen verankert ist, verliert natürlicherweise die bisherigen Wertungen wie der Präferenz für den Gewinn und der Ablehnung gegen den Verlust.
In dieser Sicht der Einheit (ekatmakam) darf die Seele herausgelangen aus der wohltemperierten Annehmlichkeit, die sie zuvor für Freude hielt.

"Der Grund, weshalb Menschen in dieser Welt Klagen, Freude, Angst, Ablehnung, Gier und Wünsche haben, ist „prithak-drishah“. Dies ist der Glaube, dass sich Alles als unabhängige Teile chaotisch durch diese Welt bewegt." (Bhagavatam 10.4.27)

Nicht nur Ameisen und Menschen, sondern auch die hohen Devas bewegen sich nur unter der Kontrolle Krishnas und niemand agiert unabhängig. Alles bewegt sich auf und durch die Kraft der einen Wahrheit.

Erst in dieser Sichtweise ist man fähig, sich wirklich in den heiligen Namen zu versenken. Doch wenn man die Welt zersplittert in unendliche unabhängig agierende Teilchen versteht, wird Bhajan eine Unmöglichkeit.

„Wenn jemand erkennt, dass ich alles bin, dass es nichts anderes zu tun gibt, als der liebende Dienst zu mir, beschäftigt sich dieser in  grosser Ekstase in meinem Bhajan.“ (Bhagavad Gita 10.8).

Gemäss dem Bhagavat-Purana gibt es zwei Arten der Einheit, in welche spirituelle Praxis einmünden kann:

 

-vastu ekatva (Einheit in der Substanz, Einheit im Sein im monistischen Sinn)

völlige und endgültige und irreversible Aufhebung der Individualität, Verschmelzung mit dem Brahman. Das ist die Erfahrung von Friede.

Diese Erfahrung stellt die Grundlage der Bhakti dar. Denn erst der Friedvolle ist bereit für das Abenteuer der Liebe:

„Wer im Brahman verankert ist, ist von Freude erfüllt. Er klagt nie mehr und begehrt auch nichts. Er ist allen Wesen gleich wohl gesinnt.

Ein solcher erlangt die höchste liebende Hingabe an mich.“ (Bhagavad Gita 18.54)

 

-dharma ekatva (Einheit in der Bestimmung, Harmonie mit Gottes Wunsch)

Wenn zwei ewige Individuen (Gott und die Seele) ewiglich konfliktlos in einem Austausch stehen, ist dies die Erfahrung von Liebe. Das ist Bhakti.

 

Dies ist nicht eine Einheit im Sinne einer Auslöschung der materiellen Vielfalt, sondern im Sinne der Harmonie mit Krishnas Absicht.

Es ist die Einung der Liebe. Es ist die Erfahrung, dass die beiden, der Liebende und der Geliebte, die Seele und Gott, niemals zu trennen sind. Denn selbst in Zeiten der äusseren Trennung bleibt die Liebe zwischen ihnen.

Einheit ist nie Verschmelzen als vielmehr Einklang: Ein Ineinander- und Zusammenschwingen zwischen Seele und Gott. In der Musik ist es die Erfahrung der unterschiedlichsten Einzeltöne als Gesamtharmonie.

Es ist also nur ein Zurücknehmen des falschen Ichgefühls der Seele und nicht die Negation der ewigen Individualität.

Jenseits von Dualität (der Erfahrung dieser Welt) und Einheit (der Erfahrung des Einen hinter den Phänomenen der Vergänglichkeit) ist Individualität – der Liebesaustausch zwischen der individuellen Seele und dem „DU“ Gottes.

 

In der Praxis von Bhakti geht nicht darum, sich dem Schlamassel der äusseren Welt zu entwinden. Wenn man sich durch Bhakti eine Erleichterung im eigenen Leben erhofft oder die Entledigung vom Leiden und den Wiedergeburten, dann ist dieser Ansatz „jnana-avrita“, das heisst, bedeckt von dem eigensüchtigen Wunsch, weniger Beschwerlichkeit erleben zu müssen.
Der Antrieb in Bhakti ist deshalb nie der Wunsch nach Entbindung, Entlastung oder Entledigung von Beschwernis und auch nicht Tröstung, Milderung oder Heilung davon. Der Antrieb ist immer nur die Schönheit Radha-Krishnas, ihr Lächeln und der Wunsch, ihnen intensiver und näher dienen zu dürfen.

 

 

 

Was ist Bhakti?

 

Liebe ist der Grundantrieb in jedem einzelnen Lebewesen.

Selbst, wenn man allergrössten Erfolg hat und alles besitzt, was man sich wünscht, wird einem ein Mangel an Liebe unzufrieden bleiben lassen.

Der Mensch bleibt unglücklich solange er diesem Grundantrieb der Liebe nicht folgt. Man muss aber zulassen, dass sie sich erweitert zur allergrössten Ausdehnung hin, die dann alles mitbeinhaltet – auf  Gott hin.

Die ungereifte Liebe bleibt im Vorläufigen stehen. Ein Kind liebt erst einmal nur seine Mutter, dann kommt der Vater dazu, dann noch Geschwister. Im Wachsen des Organismus erweitert sich immer auch der Kreis der Liebe: Es beginnt, die Familie, die Sippe, die Gemeinschaft und die Gesellschaft zu lieben. Dann erweitert sich die Liebe auf das Land und auf die gesamte Menschheit hin. Das ist der Reifegrad, den Platon „Kosmopolitismus“ nannte.

Doch auch da merkt man, dass der Drang zur Liebe hin so lange unerfüllt bleibt, bis er auf den höchsten Geliebten, auf Gott selber, gelenkt wird.

Wenn man die Wurzel eines Baumes mit Wasser begiesst, wird jeder einzelne Ast und jedes Blatt genährt. Wird jedoch jedes einzelne Blatt begossen, verdorrt der Baum. Wenn die Liebeskraft das eigentlichste Objekt der Liebe, Sri Krishna, wiederfindet, wird dies Liebe dann „allumfassend“. Und wenn sie sich im Provisorischen, den Weltdingen, verirrt, bleibt man auf der Suche nach wirklicher Liebe.

 

Wenn die Liebeskraft der Seele wieder gänzlich auf Gott gerichtet ist, nennt man dies „Bhakti“.

Bhakti ist die natürliche Funktion jeder Seele (svabhavik vritti) und nicht ein Zweig einer indischen Tradition. Das ist essenziell wesentlich zu verstehen.

Niemand kann also zum Bhakti-Yoga hin konvertieren, da es die zu-Ende-gedachte Sehnsucht einer jeden Seele darstellt.

Um diese Perspektive klar vor sich zu behalten ist es immer auch wichtig, Bhakti aus dem gesamten hinduistischen Kontext heraus zu sondieren, damit man sich nicht im Sumpf von kulturell entstandener Folklore bewegt.

Das, was man im Sanskrit als „Sraddha“, „Urvertrauen“, bezeichnet, ist nicht das Festhalten und Für-Wahr-Halten einer Doktrin. Lehrgebäude sind nur für Menschen, die sich auf der mentalen Ebene bewegen wollen und weit entfernt sind von der Frucht der Innenschau: nämlich greifbarer Verwirklichung.

Sraddha ist die Folge eines solchen Einblickes. Wenn in einer erwachenden Seele der Aufmerksamkeits-Fokus gänzlich auf Gott allein und nicht mehr auf Seine Energien gerichtet wird, und sie sich flehend um Seine Gemeinschaft sehnt, darf Er mit einem Eingriff von Seiner Seite her beginnen. Dies nennt man Sraddha, ein unverrückbares inneres Vertrauen, welches bereits eine Intervention Gottes darstellt.

Im Vedanta sutra heisst es: „bhakti unmukhi citta vritti vishesha“ „Grundvertrauen ist die natürliche Tendenz, ununterbrochen und spontan zum motivlosen Gott-Dienen hingewandt zu sein, gänzlich unabhängig von konfessionellen Festlegungen.“

Im Sandilya-sutra heisst es gleich zu Beginn:

Sa paranuraktir isvare

„Transzendentale Anhaftung an Gott ist Bhakti.“

Diese heilige Zuneigung weist gemäss Bhakti-Rasamrta-Sindhu bestimmte Eigenschaften auf:

 

"Der kontinuierliche, natürlich spontane, ununterbrochene Fluss (so wie Honig aus dem Honigglas herausfliesst) des Bewusstseins und aller Bemühungen des Körpers, des Geistes (der inneren Gemütsstimmungen) und aller Worte ganz allein zur Freude von Sri Krishna, wird reine Bhakti genannt.

Diese Hingabe ist frei von irgendwelchen eigensüchtigen Motivationen, die einem von seiner Wesensnatur entfremden -  nämlich der Ambition, irgend etwas von Gott zu bekommen und dem Flehen, vor etwas bewahrt zu werden.“

In der Praxis bedeutet dies, dass die Seele ein natürliches Desinteresse an Dingen entwickelt, die nicht mit der ursprünglichen Sehnsucht der reinen Seele zu tun haben. Genauso wie ein Kind natürlicherweise aus dem Spielzeugalter herauswächst, verliert die Seele durch den Kontakt mit Bhakti das Interesse an materiellen Errungenschaften, an übernatürlichen Fähigkeiten, mit denen in die Welt hinein gewirkt werden könnte (siddhis), an Religiosität, welche sich nur auf die äussere Welt hinbezieht (Ritualen) und auch an der Befreiung von der vergänglichen Welt (moksha).

Solange man religiöse Handlungen verrichtet oder Glaubensbekenntnisse in sich aufsaugt, weil man damit etwas für sich leisten will, lebt man in dem Schema des „do ut des“, des „Ich gebe, damit du gibst“. In den Religionen kennt man die Tendenz, Strukturen zu etablieren, die diese geistige Tauschwirtschaft ermöglichen. Das Gute tut man nicht selbstlos, sondern im Interesse der eigenen Heilssicherung.

Wo dieser religiöse Materialismus, die spirituelle Lohnspekulation, noch agiert, ist das Verständnis von Gottesliebe, Bhakti, weit entfernt.

Bhakti bedeutet, dass die Seele von einer Sehnsucht angetrieben wird, die ihre Ursache nicht im Leid der Welt hat oder in der Unbeholfenheit in eigenen Lebenssituationen. Sie gründet allein in der Lieblichkeit Krishnas.

In der Welt wird Verehrung normalerweise ausgeführt als eine Möglichkeit zu schmeicheln, um Aufmerksamkeit zu werben, um eine Segnung zu erhalten oder ein eigener Wunsch erfüllt zu bekommen. Um zu bestechen.

Der Verehrer benötigt etwas und auch der Verehrte. Es ist das Arrangement von Bedürftigen.

Wer denkt, Krishna würde etwas benötigen oder hätte Not, versteht nicht seine vollkommen lenkende Hand in allem, was geschieht.

Und wer denkt, dass seine treuen und unerschütterlichen Geweihten ihn verehrten, um etwas zu erhalten, oder von etwas bewahrt zu werden, versteht nicht die Lieblichkeit und Freude von selbstlosem unmotiviertem Dienen und leidenschaftlicher Gottesliebe.

 

 

Bhakti ist eine Lebenshaltung, welche darauf abzielt, Sri Krishna zu erfreuen, absolut unabhängig davon, was die eigene Lebensspur gerade für Erlebnisse liefert. Krankheit wird genauso angenommen wie Gesundheit, Verlust nicht als minder bewertet als der Gewinn. Denn in allem geht es um eine solch fundamentale innere Ausrichtung, welche einen dermassen ins Staunen versetzt, dass man die Eigenwertung der zeitweiligen an einem vorbeiziehenden Phänomenen verliert. 

 

Immer wieder begegnet man Menschen, die aufrichtig einen spirituellen Weg zu gehen versuchen und denen sehr Tragisches im Leben widerfahren ist. Sie fragen dann, wie es möglich sei, dass Gott einem solches zumute.

Doch es gibt keine grössere Täuschung, als zu denken, man könnte Gott durch die eigene Ergebenheit bestechen, damit er einem vor Hindernissen und persönlichen Tragödien bewahre.

Der innere Weg verheisst nie eine Erleichterung. Inmitten von persönlichen Krisen und Schwierigkeiten betet der Bhakta nicht um Linderung des Ungemachs oder um Entlastung von Beschwerden, sondern immer nur um die Kraft und die Gnadenfähigkeit, sich an Ihn zu erinnern.

 

 

Die Menschen wollen „etwas“ von Gott, Wunder, das Übernatürliche, Segnungen, aber fast niemand will ununterbrochenen, motivlosen Liebesdienst (seva).

Deshalb heisst es, dass Bhakti „sudurlabha“ ist, „nur sehr selten geschenkt wird“. (Gita 7.3)

 

Vorgang

Auf dem inneren Weg geht es  nicht mehr um Errungenschaften irgendwelcher Art – nicht um Aneignung einer Lehre, dem Erlernen einer Praxis, und auch nicht um das Empfangen von Mantras. Es geht um eine radikale Offenbarung: Um ungebundene Wahrheit, die nie abhängig ist von Ideen, Bildern und Vorstellungen, Gedanken, Gefühlen, Gemütszuständen, Lebensumständen, Gutsein und Schlechtsein oder karma.

Die Wurzel, weshalb die ganze Szenerie von Unwissenheit überhaupt erst Wirklichkeitsgehalt angenommen hat, ist die Gleichgültigkeit zum seva zu Radhe-Syam.

Deshalb braucht man auch nicht bei provisorischer Zwischen-Heilung zu stagnieren, denn es geht um das Flehen um seva, welcher immer Gnade ist.

Wenn die individuelle Seele ihre natürliche Beziehung zu Gott vergisst und ihm gegenüber gleichgültig wird, tritt ihre svabhava (die natürliche Neigung der Seele zur Gottesliebe hin) in einen latenten Zustand. Aufgrund dieser Gleichgültigkeit erwirbt die Seele eine übernommene aufgesetzte Natur. Das ist der Zustand der Identifikation mit Zeitweiligem, also mit etwas, was man wesensgemäss nicht ist. So beginnt man zu denken, glauben und fühlen, Teil der vergänglichen Welt zu sein. Aufgrund von Verblendung halt man sich für einen Mann oder eine Frau, zugehörig zum Landstrich in dem man dieses Mal gerade geboren wurde. Die ewige Seele, die sich mit Materie identifiziert, beginnt nun zu glauben, sie hätte ein Alter und gehörte der geschichtlichen Sphäre an.

 

Seine Fehlidentifikation, die Gleichsetzung mit etwas, was man vom Wesen her gar nicht ist, zeigt sich an einem Symptom: citta-vritti, einem aufgewühltem Geist. In endlosen Wünschen nach dem Zeitweiligen.

Diese zwingen die sich selbst vergessene Seele auf eine Reise durch die verschiedenen Lebensformen hindurch.

So wie Wasser im natürlichen Zustand flüssig ist, doch zu Eis gefriert, wenn es extremer Kälte ausgesetzt wird, so nimmt die Seele, welche die Aufmerksamkeit von Gott weglenkt und sich an die Gleichgültigkeit zum Liebesdienst Gottes gewöhnt, einen unnatürlichen Zustand an.

Bhakti ist der Weg, sich wieder in der eigenen natürlichen Position zu verankern. Das Feld endloser Identifikation darf verlassen und die Aufmerksamkeit wieder fokussiert werden auf die wunderbaren Namen Gottes, welche die erste Offenbarung Gottes darstellen. Diese glückselige Sanftheit, die in der Seele auftaucht, ist das Symptom davon, dass die übergestülpte angenommene Identifikation langsam abgestreift wird.
Wenn die Seele wieder zur natürlichen Liebesbeziehung zu Gott erwacht, werden alle Identifikationen überflüssig.

Der Eintritt in Bhakti, das Abstreifen der übernommenen und angewöhnten Hüllen, beginnt mit Saranagati, dem Pfad der Ergebung an den Höchsten Herrn.

Dieser ist in sechs Etappen eingeteilt:

 

 

  1. Anukulyasya sankalpa

Ein Versprechen, nun der Sehnsucht nach Heimat wirklich treu bleiben zu wollen.

  1. Pratikulyasya varjanam

Eine klare innere Entscheidung, Dinge einzustellen, welche die liebende Hingabe behindern.

  1. Raksisyatiti visvaso

Ein unerschütterliches Vertrauen, dass Sri Krishna einen in jeder Lebenssituation begleitet und dass aller Schutz von ihm kommt. Man fühlt sich getragen in seinen sanften Händen so wie ein Fisch immer vom Wasser getragen ist, das ihn umgibt. Nun sind alle Ängste für immer verschwunden. 

Sobald ein Bhakta denkt, dass er eine Garantie hätte, von Gott beschützt zu sein, verliert er die Bhakti.

Er beschützt die Bhakti, die Möglichkeiten zur Hingabe, aber niemals wird der Bhakta von physischen und mentalen Katastrophen geschützt, welche karmisch gesehen zu geschehen haben.

Es gibt keine Errettung von dem Fluss des Geschehens. Die Aufmerksamkeit kann jedoch jederzeit auf Radha-Krishna gelenkt werden und die Wahrnehmung des Leidens ist dabei verschwunden.

 

  1. Goptrtve varanam

Heute, morgen und für immer in der Zukunft muss man nie wieder irgendeine Sorge haben für seinen Erhalt. Man ist getragen in Krishnas Arrangierung. “Diese Entität, die alles besitzt und von dem alles stammt, ist gleichzeitig mein bester Freund. Gibt es nun irgendeinen Grund zur Sorge?”

Man vertraut sich Gott wirklich an.

  1. Dainya

Dies ist die ständige Haltung der Demut.

Man fühlt sich selber als eine unbedeutend kleine spirituelle Seele. Aus dieser Perspektive heraus sieht die Welt so anders aus. Die Arrangierungen der Selbstbehauptung fallen weg und Selbstwert muss nicht mehr durch Karriere oder Beziehungen kompensiert werden.

Die Seele verliert alle Forderungen und Ansprüche. Sie versteht, dass Krishna viel genauer weiss, was für sie gut ist und dass ihre Aufgabe nur darin besteht, in ihm absorbiert zu sein.

  1. Atma-nivedana

Die Seele lernt, die von Krishna getrennten Interessen abzulegen. Sie waren Leidensquellen, da sie Disharmonie mit dem Ursprung erzeugten.

Selbsthingabe bedeutet erst einmal, diese zu Gurudeva und den Bhaktas um einen herum zu leben, da die Seele in ihrem bedingten Zustand keine Erfahrung der ewigen Welt Radha Krishnas hat.

Durch die Hingabe an Sri Guru werden Partikel seiner Verwirklichung ins Innere der Seele übertragen und man erhält einen Einblick in die Wirklichkeit. Durch diese Erfahrung des Göttlichen wird ein wirklicher Durst nach ewigem liebevollen Dienen (nitya-seva) erweckt.

Die spirituelle Grundstimmung darin ist die Fortsetzung der Abhängigkeit Gottes: ein Anvertrauen in die Liebe Gottes, in tiefster Zuversicht. „O mein Herr, für so lange Zeit hatte ich dich vergessen.“ Nun taucht die Dringlichkeit des Anliegens der Hingabe wieder auf.

 

Jede Handlung, die man begeht wird in dem Bewusstsein getan, dass sie für Gott ausgeführt wird und dass ihr Ergebnis, ihre Früchte, Gott gehören. Dadurch hängt man nicht am Handeln, auch nicht am Ausgang der Handlung, denn nichts davon gehört uns, sondern dient allein der Freude Gottes.

Wenn man erkennt, dass man weder die Früchte der Handlung selber erzeugt, noch die Handlung an sich auszuführen vermag, dann ist diese hingebungsvolle liebende Haltung eigentlich die natürliche Konsequenz.

Aus diesem atma-samarpan – der Übergabe aller Dinge inklusive sich selbst – erwächst brennende alles verzehrende Gottesliebe. Diese ist die Substanz, aus welcher die Seele eigentlich besteht und erst darin lebt man seine Wesensbestimmung.

 

 

Man offeriert sich nun gänzlich. Auf dem Pfad der Selbst-Hingabe wird man angewiesen, alles was man ist und um sich hat (zu besitzen wähnt), immer wieder zu Krishnas Füssen zu legen mit den Worten: „Es ist ganz dein.“

So bietet man Sri Krishna natürlich auch seine Schwäche, seine Krankheit und seine physischen Zerfalls-Erscheinungen an.

Dabei ist es essenziell, dass man sich gänzlich von der kleinsten Hoffnung befreit, dass Krishna diese Sekundär-Leiden beheben solle.

Er ist nur daran interessiert, unser Primär-Leiden zu heilen: unser Vergessen von Ihm.

 

 

Bhakti ist nicht primär ein Weg von „Aus-dem-Weg-Räumen“ von Hindernissen. Was es von der Seele fordert, ist die Bereitschaft der Absorption in Gott, in Seine Namen, Seine Gestalt, seine erstaunlichen Eigenschaften und Sein Lila.

Krishna wartet auf diese Ausrichtungs-Bereitschaft der Seele... dann darf er selber intervenieren. Die ausgedrückte Bereitschaft (dazu ist das Singen Seiner Namen das Wesentlichste), erlaubt Gott den Gnaden-Eingriff.

Durch das Tor von Saranagati (diese oben erwähnten sechs Aspekte) lädt die Seele die Kraft der Bhakti ein, welche nicht ein Bestandteil der Seele selber ist. Es ist Gottes eigene Kraft. Wenn durch Gnade, Krishnas Intervention zur Seele hin, diese Kraft die Seele berührt, wird sie erst fähig, die Wirklichkeit Gottes zu ermessen.

 

Die praktischen Aspekte von Bhakti, wie zum Beispiel das Anrufen von Gottes Namen wird deshalb nicht selber gemacht, sondern immer nur erfleht.

Wenn durch dieses intensive Flehen die Gottes-Gnade in Gestalt von Bhakti die Seele berührt, ergibt sich daraus eine ungeplante Reaktion in der Seele. Sie beginnt ganz natürlicherweise ohne jegliche Willens-Anstrengung über Radha-Krishna zu hören, über sie zu singen und sich in sie zu absorbieren.

Bevor man von Bhakti wirklich berührt ist, mag man das Gleiche ebenfalls tun, doch dann ist es nur Ausdruck unseres Flehens.

Da Bhakti eine Gnadenmanifestation Gottes darstellt, hängt Bhakti auch nicht ab von einer bestimmten sozialen Stellung, frommem Handeln oder gutem moralischem Verhalten. Das Letztliche ist unverfügbar – ist Geschenk.

Bhakti ist also nicht eine Aktivität, die mit dem Körper oder den Sinnen ausgeführt wird, sondern das Wirken, von Krishnas innerer Kraft. Wenn ein Bhakta in dieser Welt den Pfad der Hingabe aufrichtig begeht, beginnt die innere Kraft Gottes in das Herz des Bhakta einzudringen, fasziniert ihn von der Liebe, und daraus ergeben sich natürlicherweise die Beschäftigung in sravana, kirtana, smarana etc (im Hören über Radha-Krishna, das Sprechen und Singen über sie, die Erinnerung an Sie....). Deshalb sprechen die Bhaktas auch nie davon, dass sie Bhakti „ausführen“, sondern durch Gnade darin „beschäftigt“ sind.

 

„Wie vermag es eine Seele, die von der materiellen Natur gebunden ist, ihre Beziehung mit Sri Krishna aufzunehmen, der sich gänzlich jenseitig der materiellen Natur befindet?“

„Die Einsicht, dass es für uns unmöglich ist, diese Beziehung von uns aus zu etablieren und nach unserem Dünken zu gestalten, stellt das Grundverständnis von Bhakti dar.

Doch durch Gottes eigene Arrangierung, die man „Gnade“ nennt,  wird er selber von der Seele angezogen und gerät unter ihren Liebeseinfluss. Weshalb? Wenn Krishna seine eigene svarup-ananda (die inhärent in ihm existierende Freude) in der Seele reflektiert sieht, erscheint sie ihm aufgrund der Eigenheit und einzelnen Ausprägung der individuellen Seele nun noch anziehender. Wenn diese Gnadenkraft Krishnas die Beziehung initiiert, wird dies beginnende „Bhakti“ genannt. Obwohl die Sonne sehr weit weg ist, vermögen wir sie zu sehen aufgrund des Lichtes, das sie selber aussendet.

Deshalb ist es wesentlich zu verstehen, dass Bhakti nicht gemacht, sondern darum nur gefleht wird. In jedem Leben beginnt diese Gnade anzuklopfen und gibt der Seele eine Möglichkeit, zur Gottesbeziehung einzuwilligen.

Im Zustand spiritueller Liebe vermag man bis zu einem ganzen Tag ohne seinen Geliebten sein. Aber wenn die Liebe zu heiliger Anhaftung anwächst, kann man allerhöchstens für ein paar Stunden von Ihm getrennt sein.

Doch wenn die heilige Anhaftung zur vollständigen und lebendigen Hingabe heranreift, dann kann der gesegnete Geliebte nicht einmal mehr für einen einzigen Moment von seinem Geliebten getrennt werden.

 

In den Upanishaden heisst es: „raso vai sah“, dass Gott in seinem letztlichen Aspekt keine Aufgaben hat (Bhagavad Gita 3.22), sondern einfach nur geniesst. Gott ist nicht ein kosmischer Polizist, der als Aufpasser fungieren muss, sondern die Entität, welche die höchste Freude geniesst – liebevollen Austausch.

Wenn Sri Krishna nun die ihm eigene faszinierende und berauschende Freudenkraft (hladini-shakti) geniesst, nennt man diese Freude „svarup ananda“, seine ihm inhärent existierende Freude.

Aber Krishna kostet seine Glückseligkeits-Kraft ungemein viel mehr, wenn sie über die Herzen der Bhaktas auf ihn zurück reflektiert wird. Die Geweihten tragen in sich einen leidenschaftlichen Wunsch des Dienens gemäss ihren eigenen stayi-bhava (der ewigen Identität als Seele, welche in eine einzigartige Beziehung zu Ihm einmündet). Nun vermischt sich die Hladini Sakti, die Bhakti-Kraft, mit den Stimmungen im Herzen der Geweihten (stayi-bhava) und erzeugt unendliche Vielfältigkeit im Liebesaustausch (vaicittri), welche Krishna immer und immer wieder neu zu betören vermögen.

 

Wenn Gottes Glückseligkeits-Kraft aus ihm herausstrahlt und ins Herz einer Seele eindringt, d.h. wenn die Glückseligkeit von Gottes ewiger Gestalt die Seele berührt und anrührt, dann nennt man dies geschenkte Gnadenkraft „Bhakti“.
Die Reaktion, die diese Kraft im Menschen auslöst, ist die spontane ununterbrochene motivlose und bedingungslose Betätigung in Handlungen zur Erfreuung Gottes.

 

Bhakti ist die Vritti (Funktion) von der Hladini Shakti, der Kraft, die Krishna Freunde schenkt. Diese shakti offenbart sich in dieser Welt und der erste feine Kontakt in Tropfenform nennt man „sraddha“. Ihre vollumfassende Gestalt ist Srimati Radharani. Sie ist die kondensierte Form aller Liebe. (Priti-Sandharbha 65)

Hladini Shakti, welche durch eine individuelle Seele auf ihn zurück spiegelt, erweitert die Freude Krishnas, die er bereits in seinem eigenen Inneren hat. Jiva Goswami gibt dazu ein Beispiel: Mit dem Mund können wir einen bestimmten Bereich von Tönen pfeifen. Mit einer Flöte jedoch wird dieser Bereich ausgedehnt, sodass man viel höhere und auch viel tiefere Töne spielen kann.

 

Wenn sich nun eine Seele dieser Welt wieder nach Heimat sehnt (7.19), wird sie irgendwann einem Heiligen begegnen, der eine Manifestation der Barmherzigkeitskraft Krishnas darstellt.

Durch diese Gemeinschaft erhält man ein unerschütterliches Urvertrauen (paramarthik-sraddha), das ein erster Tropfen von Radharanis Liebe betrachtet wird.

Dieser erste Samen im Herzen verursacht krishna-seva-vasana (den spontanen Wunsch, Krishna in Hingabe zu dienen). Der will weiter anwachsen und reift hin zur Prema.

Aber bereits die ersten Regungen in der Seele, sich wieder Krishna zuzuwenden, wirken auf Krishna anziehend und bewirken Seine spezielle Aufmerksamkeit zu diesem Bhakta hin.


Die Liebe zu Krishna, die eine Manifestation der Hladini Shakti (Radharanis Kraft) in der Seele ist, ist für Krishna tiefer zu kosten als Seine eigene svarupa-ananda.

Seine eigene ananda-shakti, die sich in den Bhaktas auf ihn zurückreflektiert, ist nun so anziehend für ihn, dass er sich von seinen Geweihten abhängig fühlt.

Aham bhakta paradhino (Bhagavatam 9.4.63)

"Ich stehe völlig unter der Herrschaft meiner Geweihten. Wahrlich, ich bin ganz und gar nicht unabhängig.

Ohne heilige Persönlichkeiten, für die ich das Objekt ihrer ganzen Zuwendung bin, möchte ich meine transzendentale Glückseligkeit und meine überragenden Füllen nicht geniessen.

Diese Bhaktas sind immer im Innersten meines Herzens. Ich kenne niemanden ausser ihnen.“ (9.4.68)

So entsteht ein ewig anwachsender Wettstreit des gegenseitigen Erfreuens zwischen Krishna und den Bhaktas, welcher im Falle der Bhakti von den Gopis in Vrindavan, in einem Kapitulations-Eingeständnis Krishnas einmündet (Bhagavatam 10.30.37). Um seine Geweihten zu erfreuen überdeckt Krishnas madhurya seine aisvarya. Der Allmächtige und Alldurchdringende lässt sich von seiner Mutter Yasodha binden und voller Stolz trägt derjenige, der alle Universen trägt, die Schuhe von seinem Vater auf dem Kopf, um ihm zu zeigen, wie stark er nun schon ist.

Er, welcher alle ernährt, bettelt Essen bei den Brahmanas und die Gopis lassen ihn, der alle Bewegungen lenkt, tanzen für eine kleine Handvoll Chaj (Buttermilch). Für einen Blick von Radhika zu bekommen, rollt er sich im Staub von Vraja.

 

Krishna ist immer atmarama, in seinem Selbst zufrieden. Er braucht nichts ausserhalb seiner Selbst. Er besitzt alles. Er ist nie hungrig, durstig, müde, noch bedarf er irgendeines Dienstes.

Aber wenn ein Geweihter Ihm in Liebe dienen möchte, dann will Krishna dies nicht nur, sondern Er braucht es dann auch dringend. Bhakti erweckt in Krishna den Wunsch danach und wenn Er den liebevollen Dienst erhalten hat, fühlt sich Krishna wirklich bereichert und glücklich und ebenso der Geweihte.

Wenn die Liebe des Geweihten noch brennender wird, dann möchte Krishna von ihm essen, bevor es der Bhakta Ihm überhaupt darbrachte. Deshalb geht Krishna in Vrindavan von Haus zu Haus und stiehlt. Es ist die überquellende Liebe (prema) zwischen dem Bhakta und Bhagavan, welche dieses Verhalten veranlasst.

Es ist ein Mysterium, dass Krishna den Dienst seines Geweihten direkt annimmt. Er weilt weit jenseits aller materiellen Sphären in der spirituellen Wirklichkeit, wo kein Mangel herrscht. Er benötigt nie etwas. Er hat nie Durst oder Hunger oder kennt nie irgendeine Unvollständigkeit. Alleine durch seine iccha-Sakti, seine Wunscheskraft, schöpft und zerstört er in einem einzigen Augenblick unzählige Universen.

Muss Krishna nun einfach aus Gefälligkeit so tun, als würde es ihn wirklich erfreuen? So wie es ein erwachsener Mensch tut, wenn er ein Gekritzel von einem Kleinkind erhält und ihm sagt, dass sei nun wirklich ein schönes Kunstwerk.

Dann wäre das Gottsein eine unglaublich verkrampfte Existenz.

Krishnas eigene Lila-shakti „Yoga-maya“ lässt ihn effektiv seine Allmachtposition (aisvarya) vergessen und blendet in ihm aus, dass er alles durchdringt und besitzt. So fühlt Krishna effektiv Hunger, Durst etc, das heisst, wirkliche Bedürftigkeit. Er fühlt sich unvollständig und die Beziehung zu seinem Geweihten empfindet er nicht nur als faktische Bereicherung seiner Selbst, sondern sie bedeutet ihm alles.

 

Im Srimad Bhagavatam (11.27.18 a) offenbart Krishna ein Geheimnis:

„Opulente Darbietung von einem Nicht Bhakta interessiert ihn nicht.

Aber die unbedeutendste Darreichung aus den Händen seiner liebenden Geweihten erfreut ihn über alles.“

Brahma, der Schöpfer aller Welten schenkt Sri Krishna das gesamte Universum. Aber die einfache Darbringung eines Geweihten, der ihm in liebender Versunkenheit ein wenig Wasser schenkt, berührt ihn viel tiefer.

 

Der Grund dafür ist, dass die Bhakti im Herzen von Krishnas Geweihten selbst auf Sri Krishna anziehend wirkt (Sri Krishna akarsini).

 

Sri Krishna reflektiert in sich drin (Caitanya Caritamrita 1.4.238-249):

„Alle Wesen nennen mich die Verkörperung von Glückseligkeit und erfüllt von allen Rasas.

Alle drei Welten sind durch mich entzückt und erfahren grosse Glückseligkeit in mir. Doch wer mag mich zu beglücken? Wer vermöchte es, mir Freude zu schenken? Nur eine Person die wirklich viel qualifizierter als ich bin, wäre fähig, mich zu faszinieren und meinen Geist zu betören.

Doch selbst wenn man alle Welten absucht, findet man niemanden, der geeigneter wäre, Freude zu schenken, als ich es bin. Doch in Srimati Radharani erfahre ich genau eine Freude, die mir bisher unbekannt war. (Krishna kennt seine svarup-ananda, die Glückseligkeit seiner selbst, aus welcher er selber besteht. Doch in der Gemeinschaft mit Radhika erfährt er svarup-shakti-ananda, welche für ihn seine in ihm angelegte Glückseligkeit verblassen lässt. Dies ist der glückselige Austausch mit seiner ewiglich zu ihm gehörenden Shakti, mit Radharani.)

Obwohl Meine Gestalt Millionen von Liebesgöttern besiegt (weltliche Liebesanziehung wirkt angesichts dieser wirklichen Schönheit nur schal) und obwohl mein Anmut unvergleichlich und unübertroffen ist und obwohl bereits die Erinnerung an mich allen drei Welten Freude schenkt, erfahren Meine Augen und mein Gemüt beim Anblick Radharanis eine mir bisher unbekannte Freude. 

Obwohl der Gesang meiner Flöte auf die drei Welten anziehend wirkt, so sind meine Ohren sind von den lieblichen Worten Srimati Radharanis bezaubert. Sie stehlen meine Aufmerksamkeit.

Obwohl Mein Körperduft der gesamten Schöpfung Wohlgeruch verleiht, fesselt der Duft der Glieder Radharanis Mein Gemüt und Mein Herz.

Obwohl der Geschmack meiner Form die gesamte Schöpfung mit den unterschiedlichsten Geschmäckern erfüllt, lässt mich der nektargleiche Geschmack von Radhikas Lippen gänzlich in ihre Kontrolle geraten.

Obwohl die Berührung mit mir kühlender ist als Millionen von Monden (in der Verbindung mit Ihm vermag kein Leid mehr bestehen), so werde ich doch durch Radhikas Berührungen gänzlich erfrischt.

Obwohl Ich der Ursprung für das Glück der gesamten Welt bin, sind die Schönheit und die Eigenschaften Sri Radhiks Mein Leben und Meine Seele.“

 

Hier offenbart das Caitanya Caritamrita die Verwirklichungen Gottes. Sri Krishnas innere Reflektionen, lassen ihn erkennen, dass das Gott-Dienen noch freudvoller ist als das Bedient-Werden, dass Bhakti mehr Erfüllung schenkt als das Gott-Sein, das ihm ja vertraut ist.

Deshalb möchten die Bhaktas ständig nur in der dienenden Haltung verweilen und erfahren da nie Mangel, sondern eine tiefste Erfüllung, nach der sich selbst Gott sehnt.

Die Mentalität materiellen Bewusstseins ist dem diametral entgegengesetzt.

 

„pritih svayam pritim agat gagasya“

“Krishna selber besteht aus priti, aus glückseligem liebendem Glück. Und dennoch erhielt er priti von seinem Geweihten.” (Bhagavatam 5.15.13)

Das unerhört Seltsame und das Geheimnis von Rasa ist, dass Krishna die Verkörperung aller Glückseligkeit ist – er besteht aus ananda  - und dennoch eine unendliche Steigerung dieser ananda erlebt, wenn die glückselige Liebe durch den Geweihten auf ihn zuströmt.

 

 

Eine der grossen Verirrungen in spirituellen Kreisen ist das Denken, dass man äusserlichen Erfolg und Errungenschaften in Verbindung bringt mit der Erwiderung und der Gnade Gottes. Die Spuren des Calvinismus haben sich tief in unser Gebetsleben hineingefressen, da man den äusserlich wahrnehmbaren Wesenszustand in Verbindung sieht, ob Gott einen angenommen hätte oder nicht. Aber das völlig unscheinbare stille Gebet vermag ihn mehr anzurühren als den grössten äusserlichen Erfolg.

Das bedeutet natürlich nicht, dass nicht auch im Grossen Liebe und Hingabe sein kann – aber die Gefahr ist akuter, dass sie sich vermischen mit weltlichen Ambitionen.

 

Krishna erklärte, dass es keine Wahrheit über ihm gäbe (7.7). Doch in der Gita (9.26) gibt er zu, dass es etwas gibt, was diesen Allerhöchsten bezwingt: eine einfache Blume, die Ihm mit der Liebe des Bhakta dargebracht wird.

 

Die Wunderbarkeit der Bhakti liegt darin, dass sie den Majestäts-Aspekt Gottes bezwingt. Bhakti ist die stärkste Kraft im Universum und überwältigt Krishna. Sie ist offensichtlich nicht eine Kraft der Seele, sondern eine Manifestation Srimati Radharanis.

Das Ziel des Bhakti-Yoga ist es nicht, irgendetwas zu erlangen, nicht einmal Gott selber. Es geht immer nur um ewiglich wachsende Liebe zu Gott.

Das Ziel von wahrer Bhakti ist es nicht, den Nektar von Rasa oder die Freude der Teilnahme an Krishnas ewigem Spiel zu kosten. Sie zielt weder auf die direkte Begegnung mit Gott hin, noch um irgendeine Erleichterung von Leiden.

Das ewige Dienen, sich einfach ganz Seinem Wunsch auszuliefern, ist das Ziel.

Ein solcher Bhakta ist nur bereit, in Gottes Reich einzugehen, da ihn da intensivere Aufgaben des Dienens erwarten.

 

 

Bhakti wird in drei Reifegrade unterteilt:

Die erste Wegstrecke heisst „Sadhana-Bhakti, die Stufe, auf welcher man zwar die Präsenz der Bhakti noch nicht erfährt, aber mit stillem Vertrauen darum fleht und innerlich ausgerichtet bleibt durch das Hören von Krishna und das Vertiefen in Seine Namen. Auf dieser Stufe ist Eigenbemühung nötig. Es ist wie die Energie, die man anfänglich investieren muss, um eine Kernspaltung auszulösen. Danach wird eine unglaubliche Kraft freigesetzt.

Den nächsten Weg-Abschnitt nennt man „Bhava-Bhakti“. Bhava heisst das Eindringen eines ersten transzendentalen Strahles der Liebeskraft aus der spirituellen Welt. Er tritt in die Welt hinein durch den Kanal des absorbierten Hörens von einer verwirklichten Seele, die Radha-Krishna von Angesicht zu Angesicht sieht. Dies erweckt die spirituellen Emotionen der Seele, welche einen dann antreiben, in jedem Augenblick in liebendem Dienst zum göttlichen Paar beschäftigt zu sein. Hier sind alle bewusst investierte Bemühungen vom natürlich agierenden Fluss des unwiderstehlichen Wunsches nach Dienst abgelöst. Die Energie der Bhakti ist ins Herz eingedrungen und bewegt nun den Bhakta. Er chantet nicht mehr, sondern der heilige Name chantet in ihm (Bhagavatam 11.2.40)

Die Kennzeichen eines Bhaktas auf dieser Stufe sind: „Auch bei der Begegnung mit dem Tode bleibt er unerschüttert; er vergeudet seine Zeit und Kraft nicht mehr auf nebensächliche Dinge (auf andere Dinge als Bhakti); die Anziehungskraft der physischen und geistigen Dinge der Erfahrungswelt verblassen völlig; obwohl er auf dem Bhaktiweg weit fortgeschritten ist, weiß er, dass er es zu nichts gebracht hat; dennoch hat er die feste Überzeugung, dass er ans Ziel gelangen wird; er ist voll klarem Sich-Sehnen, einmal Krishna ganz und gar dienen zu können; er ist voll innerlicher Freude, wenn er die Namen, Eigenschaften Krishnas besingt; sein anfangs noch bewusstes Anhaften an den Berichten vom Spiel Gottes wird immer mehr spontan, es wird so unbewusst, wie wenn man atmet; er ist voll innerer Freude, dass er zumindest im Geiste an den Orten des Spiels Gottes auf Erden weilen darf.“

Die Intervention der Bhakti-Kraft nimmt ständig zu. Die Gottesliebe wird so intensiv, dass die Umhüllungen grob-und feinstofflicher Körper einfach wegfallen, ohne dass die Seele dies merken würde. Bhakti-Devi lässt diese Seele Geburt nehmen in einem Universum, in welchem Krishna gerade sein Erden-Lila offenbart. In der Gemeinschaft der ewigen Gefährten des göttlichen Paares wird sie nun eingeführt in den Liebesaustausch mit Radha-Krishna in der spirituellen Welt. Bhakti ist nicht einfach nur ein Mittel, um die Seelen nach Hause zu bringen. Wenn die Seele nun in ihrem ewigen spirituellen Körper (svarupa) im nitya-seva (dem ewigen Liebesdienst) verankert ist, kann Bhakti ihre Kraft erst richtig entfalten. Ihre effektive Wirkungsweise beginnt nach dem Punkt der Befreiung (trans-moksha). Der Übergang von Bhava-bhakti zu Prema-Bhakti erfolgt nicht durch eine Bemühung, sondern ist nur die natürliche Weiterführung der Gnadenkraft, welche Bhakti selber ist.

Prema wird im Bhakti Rasamrita Sindhu (1.4.1) wie folgt definiert:

„Wenn unzählige Gründe bestünden, die liebevolle Beziehung zu lösen, aber die Seele niemals eine Anklage sieht, und die Liebe im eigenen Herzen nicht um einen einzigen Bruchteil abnimmt, sondern unerschütterlich weiter besteht und sogar unlimitiert frischer und tiefer wird, dann bezeichnet man eine solch innige Liebesbeziehung als Prema – reine transzendentale Liebe.“

Prema-Bhakti ist die Kraft, die Gott selbst Glück schenkt und durch die diese höchste

Erkenntnis, die Glück ist, auch anderen erkenntlich gemacht wird. Krishnas ewige Gestalt ist nie statisch. Seine Schönheit, seine Erkenntnis und auch seine Glückseligkeit weiten sich unendlich aus, obwohl sie bereits vollkommen sind. Auch Bhakti kennt nie ein Ende. Je grösser die Liebe ist, desto intensiver ist der Wunsch des Dienens, welcher wiederum die Liebe noch brennender werden lässt.  

Als Kraft heißt Bhakti auch Hladini shakti, als Gestalt ist es Radhika Selbst.

 

Ende:

Jemand, der seine eigene Identität als unvergängliche individuelle Seele erlebt, versteht, dass alle Dinge in der gesamten Schöpfung nur die Zutaten (Ingredienzen) für den liebevollen Seva zum Höchsten Herrn darstellen.
Auf diese Weise wird man frei von der separatistischen Haltung, der Sichtweise, die Welt als getrennt von Krishnas Absicht zu betrachten und als Folge davon zu glauben, diese sei für die eigene Annehmlichkeit bestimmt, was die fundamentale Fehlinterpretation der Seele darstellt, welche sie leiden lässt.

Wird die äussere Welt wieder als Hilfsmittel für den liebevollen Dienst zu Krishna verstanden, wird alles in ihr zum Anstoss der Erinnerung an Ihn und sie wird somit transparent für die Gottesschau.

Zum Abschluss möchte ich noch die bekannte Definition von Bhakti aus dem Narada Pancaratra anfügen:

„Alles, was man im Tiefschlaf, in Träumen und im Wachzustand erfährt und zu sein glaubt,  hat keinen Berührungspunkt mit seiner eigentlichen Identität.

Wenn die Seele alle Identifikationen daran aufgibt und mit den Sinnen der Seele (in der Svarupa, der ewigen Gestalt der Seele) den Sinnen Gottes Freude schenkt, dann wird dies Bhakti genannt.“

 

 

Im aufrichtigen Schreien und Anrufen Krishnas, beginnt sein Herz zu schmelzen. Nun möchte er der Seele das Allerwertvollste schenken, das er besitzt. Er schenkt er die sakti-Gestalt von Radhika, die man Bhakti nennt.

 

„Wenn die Sinne des Lebewesens gänzlich auf den letztlichen transzendenten Sehenden, Gott, gerichtet sind, verschwinden alle Leiden wie für jemanden die Traumwelt entschwindet, wenn er erwacht.“ (Bhagavatam 3.7.13)

 

Die Praxis der Bhakti versucht nicht, sich künstlich von der Sinnenwelt zu lösen, sondern beschäftigt die Sinne im Sinne desjenigen, der sie uns mit einer bestimmten Intention geschenkt hat.