Zulassungsbedingungen für Religion
-eine Aufforderung zur Reflektion anhand 16 innerer Grundhaltungen
Dieser Artikel ist einerseits eine Reflektion zu fatalen Entwicklungen, zu welchen religiöser Fundamentalismus geführt hatte und denen man, will man den Gotteszugang
nicht gänzlich verlieren, auch etwas entgegenzusetzen muss.
Andererseits ist er auch eine persönliche Verarbeitung meiner Beobachtungen aus 20 Jahren, wo ich immer wieder Menschen durch die Praxis von Bhakti auch in eine Selbst-Entfremdung und in eine
Spaltung gehen sah.
Viele wurden nicht unvoreingenommener, sondern eher verbissener.
Viele wurden nicht angstloser und unbeschwerter, sondern schuldbeladener und berechnender. Nicht glücklicher sondern eher bewertender.
Und vorallem: Nach Jahren der spirituellen Praxis sollte doch vergrösserte Sehnsucht und brennende Faszination das Resultat sein. Ich beobachtete aber auch einige, die dadurch eher abgebrüht und
entzaubert wurden.
Dies hat mich einfach bewogen, die folgenden Zulassungsbedingungen für Religion zu formulieren.
Sie hatten bei ihrer ersten Publikation noch zusätzliche Aktualität erhalten durch bestimmte politische Vorkommnisse Anfang Januar 2015 in Paris.
Menschen, die äusserlich spirituell erscheinen und die sich einer bestimmten Glaubensgruppe zugehörig fühlen und die glauben, auf einem Weg zu Gott zu sein, gehen nicht zwangsläufig wirklich einen inneren Weg.
Soren Kierkegaard meint sogar, dass die allergrösste Mehrheit der Religiösen gar keinen Innenweg gehen. Sie gehen einen Weg der äusseren Religion und der Anbetung äusserer Bilder und Glaubensvorstellungen und darin liegt nur ein sehr geringes Transformationspotenzial.
Kierkegaard meint, dass bei vielen, die in Religionen Zuflucht gefunden haben, eigentlich die Grundbereitschaft der Gotteszuwendung fehlt– die Bereitschaft, sich immer wieder von bequemen eigenen Vorstellungen abzulösen. Es scheint ihnen viel zu mühsam, alles hinterfragen zu müssen. Man will sich auch nicht so leicht von der eigenen Sicherheits-Sehnsucht trennen, welche einem oft zu dem Glaubenssystem geführt hatte und in welchem man Aufgehobenheit empfindet.
Erich Fromm meinte einmal: „Die Arroganz des Ichs löst sich nicht einfach auf nur weil man Götter anbetet.“
Um Alkohol zu kaufen, muss man in den Läden einen Ausweis vorzeigen, um zu bezeugen, dass man ein gewisses Alter erreicht hat. Durch diese Altersbeschränkung sollten junge Menschen vor Alkohol geschützt werden.
Die Zuwendung zu Religion hat sich in der Geschichte unserer Erde zum Teil auch als nachteilig und hemmend erwiesen und zwar für die jeweilige Person wie auch für ihr Umfeld. Religiöse Glaubensstrukturen waren die bremsende Kraft für viele grundzivilisatorische Errungenschaften wie die Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Aufhebung der Sklaverei, Folterverbot oder der Abschaffung der Todesstrafe. Da Religion ein Gefahrenpotenzial beinhaltet, ist es vernünftig, erst einmal bestimmte Zulassungsbedingungen zu erfüllen.
Das Heilige und Absolute sollte die unterschiedlichsten Ansätze integrieren und harmonisieren können. Aber die religiöse Binnen-Schau, die Eigenbezogenheit auf eine bestimmte religiöse Tradition führt zu einer „Ich-und die Anderen“-Dichotomie, welche in unserer Welt zu viel Ausschliessung und Gewalt führte.
1885 hatte der russische Ethnologe Michail Kulischer einen bemerkenswerten Dualismus der Ethik festgestellt. In seiner Auswertung der Reiseberichte früher europäischer Völkerkundler kam Kulischer zu dem Ergebnis:
„Auf den primitiven Kulturstufen existieren zwei diametral entgegen gesetzte Sittensysteme. Das erste umfasst die Angehörigen einer Gemeinschaft und regelt die Verhältnisse der Mitglieder untereinander. Das andere beherrscht die Handlungsweise gegenüber den Anderen. Die erste schreibt Milde, Güte, Solidarität, Liebe und Frieden vor, das andere Mord, Raub, Hass, Feindschaft und Diskriminierung. Das eine gilt für die Zugehörigen, das andere gegen die Fremden.“
Nicht gereifte Religiosität führte nicht in die Versöhnung universeller Geschwisterlichkeit, sondern sehr oft in erneute Identifikationsgruppen-Bildung. Diese führt zu einer Bedrohung durch den Anderen und damit zu Konflikt. Die Geschichte hat uns auch gezeigt, dass Menschen, die in ihrer letztlichen Ausrichtung, in der Religion, bedroht sind, eine aussergewöhnliche Rücksichtslosigkeit und Aggression manifestieren können.
Angesichts des aggressiven religiösen Fundamentalismus kann man verstehen, dass sich der wache Bürger von Heute eine rein säkulare Gesellschaft nur ersehnen kann.
Die vedischen Texte kennen eigentlich keine Fremden, sondern nur Brüder und Schwestern (vasudeve kutumbakam), und dennoch erstaunt es mich immer wieder, wie viel Spaltungen und Abtrennungen zwischen kleinen Untergruppen nur schon innerhalb der Gaudiya-Vaishnavas zu beobachten sind. Anstatt das Potenzial der gegenseitigen Bereicherung zu nutzen, wird voneinander gewarnt.
Damit Religion in Zukunft nicht noch mehr Spaltung, Trennung und damit Feindbilder und Aggression stiftet, ist es vielleicht sinnvoll, bestimmte Grundvoraussetzungen, die ein Adept erst einmal zu erfüllen hätte, zu formulieren. Religion bedarf einer Qualifikation, damit sie in eine heilige Wachheit führt und nicht in die stumpfe Nachfolgerei.
In Folgenden werden ein paar Grundbedingungen, Zulassungsbedingungen, für einen gesunden Zugang zur Gotteshinwendung formuliert. Diese Ausführung ist nur als Anregung zu verstehen und ist sicherlich unvollständig.
Wenn diese erfüllt sind, stellt der Zugang zu Religion keine Gefahr für das einzelne Individuum mehr dar und dadurch deaktiviert sich auch dessen kollektive Bedrohung.
1. Einladung der Religions-Kritik annehmen
Baruch Spinoza machte die erste historisch-kritische Bibel-Exegese. Das ist etwas, was es z.B. in der Welt der Gaudiya Vaishnavas auch 400 Jahre nach Spinoza, noch nicht wirklich gibt.
Denn nicht jedes Wort der heiligen Texte ist göttlich inspiriert. Da gibt es auch Vermischungen mit kulturellen Werten und moralischen Anschauungen aus vergangenen Zeiten, die keinerlei Relevanz mehr für den eigenen inneren Weg aufweisen.
Das eigene religiöse Studium gleicht dann dem Goldwaschen, denn dabei findet man auch nicht einfach nur Gold, sondern erst einmal haufenweise Lehm und Steine. In den offenbarten Traditionen finden sich unter anderem folkloristische Elemente und zum Teil auch bedenkliche Werte und Anweisungen, die man niemals übernehmen sollte.
Ein Pfad der kompromisslosen Wahrheitssuche fordert einen auf, aus dem naiven Gottesglauben, dem undifferenzierten Theismus, zu erwachen und sich von der Religionskritik (von Feuerbach, Freud bis Erich Fromm) in seinem eigenen Pfad hinterfragen und auch auf problematische Themenbereiche hinweisen zu lassen.
Das dankbare und genaue Studium der Religionskritik, welche ja aus berechtigten Beobachtungen entspringt, verhilft dem Menschen auf dem Weg nach innen zur Motivations-Analyse und auch zur Behebung von geistiger Unschärfe auf dem Weg.
Aufgeklärter Theismus widerspricht den gott-kritischen Aussagen nicht und ist gänzlich einverstanden mit der Infragestellung der naiven Religiosität.
Der Pfad der wachen Religion ist mit dem Atheismus verbündet, was die Religionskritik angeht.
Wie eine ernsthaft betriebene Wissenschaft darf auch der eigene Glauben hinterfragt werden. Er wird weiterwachsen in der Geschichte und man muss zudem anerkennen, dass die momentane eigene Auffassung des Absoluten fehleranfällig und vorläufig ist.
Der grosse Vorteil einer solchen Haltung ist, dass sie falsche Ideen und Vorstellungen sterben lässt, bevor Menschen für falsche Ideen sterben müssen.
Vernünftiger Glaube wird durch den Zweifel nicht erschüttert, sondern gefestigt und bekräftigt. Wahrheit scheut die genauere Untersuchung nicht, nur die Lüge.
Echte Gottessuche setzt voraus, dass religiöse Fragen, Sinnfragen und spirituelle Themen in einer offenen, aufgeklärten, nicht dogmatisch vorbelasteten, religiös ungebundenen freien Atmosphäre erforscht und reflektiert werden können.
Ich bin so dankbar, ein Kind des Zeitalters der Aufklärung zu sein. Da haben wir aufgeräumt
mit viel abergläubischen Konzepten, welche die religiösen Traditionen durchzogen haben. Die heilige Offenbarung ist natürlich vermischt mit den kumulativ entstandenen Traditionen, die oft mit
tiefer Unwissenheit durchwoben sind.
Viel effektiv Unvernünftiges und Menschenverachtendes, was in den alten Texten oft drin steht (z.B. stellte die Sklaverei zur Zeit Jesu eine solche Normalität im nahen Osten dar, dass die Bibel
die Anschauung, dass man überhaupt einen anderen Menschen besitzen könne, nicht in Frage stellt.)
Da religiöse Menschen ihre Praxis oft vermischen mit den rückständigen Werten der primitiven Kulturen, in denen sie entstanden sind, wirken sie auf wache und hinterfragende Menschen auch nicht
mehr anziehend. Die säkulare Gesellschaft hat diese archaischen Werte glücklicherweise überwunden.
Radikale Hinterfragung und alles auf den Prüfstand zu legen - dies stellt die Grundlage einer Spiritualität dar, welche der heutigen Zeit noch angemessen ist. Echtes Vertrauen hat keine
Angst, wenn Teile der Glaubensüberzeugung durch kritisches Hinschauen wegfallen mögen. Das Wirkliche bliebt.
2. Ausbruch aus dem Wunderglauben
Gottes Erwiderung darf ganz still im Herzen geschehen in Form eines verstärkten Urvertrauens in ihn. In der Aufgehobenheit in ihm. In der Sorglosigkeit durch ihn. Dann wird das ganze Mühen um aussergewöhnlichen Einwirkungen (körperliche Heilungen, Rettungen aus Nöten oder übernatürliche Eingriffe) unnötig und überflüssig werden.
Man darf nun aus dem Wunderglauben heraussteigen, der annahm, dass die Intervention Gottes sich im Paranormalen zu zeigen hätte. Es war ein Gebilde, welches an einem Glauben hing, dass Gottes Antwort auf das Gebet sich durch das Durchbrechen von Naturgesetzen bemerkbar machen würde. Dies wäre eine Einbahnstrasse auf dem inneren Weg, denn der Parameter, an welchem man inneren Fortschritt mass, war das äussere Wunderwirken und nicht das still wachsende Grundvertrauen.
3. Bereitschaft zur Konversion
Der religiöse Zugang zur Welt darf nicht gekoppelt sein mit einer autoritären Denkstruktur.
Es gibt nicht das unbedingt Wahre, nur weil es in einer Schrift steht oder ein Heiliger davon gesprochen hat. Ein zaghafter Widerspruch gilt in einem solchen Denksystem bereits als Häresie und wird mit Drohung besetzt. Dann wird Angst zur religiösen Grunderfahrung.
Der innere Weg ist dazu angelegt, Kritik einzuladen, die Möglichkeit einer Falsifikation zuzulassen und wenn bisherige Überzeugungen sich als Irrtum erweisen, diese auch zurückzulassen. Das ist die Grundhaltung, welche von der Wahrheitssuche gefordert wird.
Gottsuche bedeutet, dem Wahren verpflichtet zu sein. Wenn man an ein umfassenderes Gottesverständnis hingelangt, verbleibt man nicht im Angewohnten, sondern folgt dieser neuen Fährte. Das impliziert, dass man den inneren Radar auf Aufnahme stellt und sich auf religiöse Begegnungen mit anderen einlässt.
Soll die Begegnung eine echte religiöse sein, muss sie vor allem der Wahrheit treu und für die Wirklichkeit offen bleiben. Die echte religiöse Geisteshaltung weiss sich nicht nur der Vergangenheit verpflichtet (der eigenen Tradition), sondern auch der Gegenwart (der Weiterentwicklung des Glaubensinhaltes).
Ein religiöser Mensch weiss nicht immer auf alles eine Antwort.
Er bleibt immer auf der Suche, ein Pilger, der seinen Weg zu finden hat, der auf keiner Karte verzeichnet ist. Die vor ihm liegende Spur ist noch jungfräulich und unberührt. Der religiöse Mensch erlebt jeden Augenblick als neu und ist umso mehr erfreut, wenn er darin das erregende Schöne einer persönlichen Entdeckung und zugleich die Tiefen eines bleibenden Schatzes findet, den seine Glaubensvorfahren an ihn weitergegeben haben.
Aber das Feld der religiösen Begegnung zu betreten stellt immer ein Wagnis und eine Herausforderung dar. Der religiöse Mensch betritt eine Arena ohne Vorurteile und vorgefasste Konzepte. Er ist sich voll im Klaren darüber, dass er möglicherweise bestimmte Teile seines Glaubensbekenntnisses oder gar eine bestimmte Religion überhaupt aufgeben und verlieren wird. Er vertraut der Wahrheit vollkommen. Sie führt ihn weiter. Er geht unbewaffnet hinein, bereit, selber ein anderer zu werden. Vielleicht wird er seine bisherige Identifikation verlieren, vielleicht wird er sein Leben verlieren – vielleicht wird er auch neu geboren werden.
Die Möglichkeit einer Bekehrung muss zugelassen werden – und sie kann so tiefgreifend sein, dass die Überzeugungen und Bekenntnisse, an denen man bisher unter Umständen ein Leben lang festgehalten hat, sich vielleicht in Luft auflösen oder doch einem grundlegenden Wandel unterzogen werden. Das Unternehmen ist gefährlich und kaum jemand wäre dem gewachsen, wenn nicht aus dem Drang des Glaubens selbst heraus, der uns ermuntert, unser Leben furchtlos aufs Spiel zu setzen.
Alles darf erschüttert werden.
Auf dem inneren Weg beginnt man Grundfesten, auf der die ganze innere Welt aufgebaut ist, in Frage zu stellen, zu erforschen. Und man darf sie auch einstürzen lassen, was erstaunlicherweise eine grosse Erleichterung darstellt. Man wird nun erleben, dass das, was früher die sakrosankte Weltperspektive war, eigentlich nur eine schwere Last bedeutete.
Kein Kind überprüft das, was ihm gelehrt wird.
Deshalb nehmen Kinder zwangsläufig das an, was ihnen aus der Gesellschaft, ihrer Umgebung, von den Eltern und ihren ersten Lehrern gelehrt wird.
Aus diesem Grund ist der innere Weg auch nicht für Kinder geeignet, denn er beginnt im genauen Überprüfen sämtlicher Überzeugungen, die man als geistiges Gepäck mit sich trägt.
Dieser angstfreie Aussortierungsprozess lässt alles zurück, was in der Wirklichkeit keinen Bestand hat, was unwahr ist. Darin liegt eine Rücksichtslosigkeit, die weh tun kann, da sie die alte angewöhnte Welt in Aufruhr versetzt.
«Krishna,
ich bin nicht bereit, meinen gegenwärtigen Bewusstseinszustand und mein momentanes Selbst-, Welt-, und Gottesverständnis als endgültig und abgeschlossen anzusehen.
Jeden Tag ist ein Durchbrechen von der Begrenzung des Bisherigen, von dem Bollwerk der Gewöhnung, und der Umarmung der Einladung nach neuen Horizonten.»
Diese Haltung selber stellt bereits eine Verehrung Gottes dar.
4. Binnenpespektive überwinden
Jeder Mensch wird auf dieser Welt mit den unterschiedlichen spirituellen Ansätzen konfrontiert. Dass es diese gibt, ist nicht ein Betriebsunfall in Gottes Schöpfung, sondern von ihm gewollt. Dies bedeutet, dass er sich auch viel dabei gedacht hat. Er möchte uns immer Ergänzungspotenzial liefern, um nicht in der Binnenperspektive der eigenen Tradition einen Kleingeist oder einen religiösen Stolz zu entwickeln.
Es benötigt nun aber die Vertiefungsarbeit, zwischen Ausschliesslichkeit (aus der Überheblichkeit agierend) und dem Synkretismus (aus der Versimplifizierung heraus die unterschiedlichen Traditionen gleich zu stellen und damit zu nivellieren) einen Mittelweg zu finden.
Die geistige Vitalität des inneren Weges fordert das Einlassen auf das Abenteuer, welches einen aus allen abgesteckten Denkstrukturen heraushebt, denn all zu oft wird der religiöse Pfad als das treue Funktionieren in der Repetition des bereits Bekannten verstanden.
Die Dankbarkeit zum religiösen Glauben enthebt einen nicht davon, persönlich immer wieder neue Ansätze zu ergründen, die vielleicht in der eigenen Tradition nicht einmal existierten.
5. Betrachtungsfaulheit
Das, was zu einem Zeitpunkt richtig ist, kann sich schon schnell wieder umdrehen ins Falsche.
Es benötigt deshalb eine genaue Betrachtung und immer wieder eine Neueinschätzung.
Der Traditionalismus, welcher das einst Stimmige einfach in die kommende Zeit hineinkopieren möchte, unterliegt dieser Betrachtungsfaulheit. (Bhagavatam 11.21.16)
Sich also der Komplexität der verschiedenen Weltanschauungen auszusetzen, ist fordernd und anstrengend.
Daraus ergibt sich oft eine Ermüdungs-Erscheinung: Man will nur noch das Eine.
Es ist einfacher, wenn sich nur etwas, ein Einziges, durchsetzt.
In Deutschland vor Hitler war die politische Landschaft geprägt von einem Wirrwarr von vielen Parteien, Gruppen, von Konflikten und Streit.
Alle waren erleichtert, als eine einzige Partei auftauchte...
In der Komplexitäts-Ermüdung greift man oft zur Simplifizierung.
Im Bereich des Religiösen tönen dann solche Ermüdungs-Vereinfachungen, die aus der Verweigerung der Komplexität der Welt entspringen, zum Beispiel folgendermassen: „Alles ist eine Energie (die Weltschau des advaita)“
Aber auch unter Bhakti-Yogis gibt es solche Ermüdungs-Erscheinungen:
„Wenn man in Vrindavan seinen Körper aufgibt, geht man zurück in die spirituelle Welt.“
„Nach dem Tod geht man in das Reich Gottes..:“
„Der heilige Name Gottes sei identisch mit Gott selber...“
Der illusionäre Charakter religiöser Heilsversprechungen soll genau betrachtet werden, denn sie verleiten einen, secound-hand-Konzepte zu übernehmen, die nicht in die Wirklichkeit, sondern in die Selbstentfremdung führen.
6. Die Vereinnahmung der eigenen Konditionierung genau betrachten
Ist die Sehnsucht nach einem lebendigen inneren Prozess, welcher mich aus allen bisherigen Lebens-Strukturen herausheben wird, grösser, als die Angst vor der Verurteilung der Menschen und der alten Welt?
Die Angst vor der Verurteilung von den Menschen orientiert sich nicht an der Wahrheit, sondern einfach an der Unwissenheit fragwürdiger Übereinkünfte, die über viele Leben angenommen und ins innere System integriert wurden.
Der Weg der Freiheit nimmt keine Referenz mehr aus der Vergangenheit, auch nicht an den begrenzten Lehrern aus vielen Generationen, und fordert die Einstellung der Orientierung an den Menschen und dem eigenen denkenden Geist, der diese Verständnisse der Masse internalisiert hatte. Die Würde der Seele ruft zu einer radikalen und augenblicklichen Zurückweisung des Gefängnisses aller bisherigen Spuren auf. In der Gita beschreibt Krishna die Ablösung von den Vorgaben der Masse der Menschen ein Anzeichen erwachenden Wissens (13.11).
Wahrheitssuche bedingt, immer wieder das vermeintlich Erkannte für das grosse Unbekannte hinzugeben.
Im spanischen Bürgerkrieg geriet ein Soldat mit seiner Gruppe in einen Hinterhalt und er überlebte als einziger. Alle seine Kameraden wurden vor seinen Augen erschossen. In diesem Augenblick übermannte ihn eine unermessliche Freude. Doch genau diesen Frieden empfand er wie einen Verrat und er konnte sich diese Tatsache nicht verzeihen.
Die Moral als kollektive Norm und die Ideologie der Gesellschaft hatten das Erlebnis vereinnahmt.
Ist die geistige Vorstellung einmal geprägt, so muss die Wirklichkeit das Feld räumen und hat keine Chance mehr.
So stark ist die Struktur unserer Konditionierung.
Ist man bereit, seine geistigen Prägungen wirklich aus der Distanz zu betrachten, um dann zu erkennen, wie sie verzerrend auf die klare Wahrnehmung wirkten?
7. Bereitschaft für die Überraschung
Der Gottesweg ist nicht einfach ein Fertig-Konstrukt, das man nur noch konsumieren braucht. Er ist nicht vorgefertigt. Er ist nirgendwo verzeichnet und kann deshalb nicht einfach wie eine Landkarte hervorgeholt werden, um sich Orientierung zu verschaffen.
Der Weg ist also eine Entwicklung und eine Offenbarung von Augenblick zu Augenblick. Und er zeigt sich nach jedem Schritt, für den man bereit war und ihn bewusst gegangen ist, neu. (Bhagavad Gita 10.10)
„Krishna,
wir meinen immer, dich definieren, dich in unsere geistigen Formeln schliessen zu können. Sie mögen aber so weit, so vielseitig, so umfassend sein, wie sie wollen – du bleibst immer der Unbeschreibliche, sogar für den, der dich kennt und dich liebt.
Dann man kann dich lieben, ohne dich beschreiben zu können, man kann deine Unendlichkeit verwirklichen, ohne dich definieren und erklären zu können.
Immer bleibst du das ewige Geheimnis. Allen Staunens würdig, nicht nur in deinem undenkbaren Sein im nitya-dham (deinem Vrindavan), sondern selbst in deiner Weltoffenbarung.“
Wenn man auf dem inneren Weg vom „Plan Gottes“ spricht und von den in den heiligen Schriften beschriebenen Etappen, so ist dabei Vorsicht geboten und ein warnendes Wort vonnöten. Das einzige, dessen wir auf unserer spirituellen Reise absolut sicher sein können, ist, dass sie sicherlich anders verläuft als die Erwartungen dies ausgemalt hatten.
Krishna ist nie an irgendwelche Vorstellungswelten gebunden.
Wenn wir viel studiert haben und erwarten, dass die Dinge nach diesem Verständnis ablaufen sollten, wird Krishna in unserem eigenen Interesse alles verändern und umstellen.
Es ist nicht eine gänzlich abgesteckte und planbare Reise, sondern bedarf den Sprung des Vertrauens ins Unbekannte.
Ist man bereit, den „Sprung zu wagen“ (Kierkegaard), der Leidenschaft für das Unbedingte, für Gott selber, Raum zu geben?
8. Konzeptionelle Flexibilität
Ein saragrahi Vaishnava (Essenz-Sucher der Wahrheit) ist nicht verwirrt oder angehaftet an einer bestimmten Theorie oder religiösen Doktrin. Denn Gott ist immer mehr als alles, immer der „gänzlich andere“, derjenige, der alle Widersprüchlichkeiten in sich zu vereinen mag.
So gerät er nicht in Schwierigkeiten in seinem Vertrauen und in seinem Glauben (der Art, die Welt zu betrachten), wenn er auf widersprüchliche Aussagen stösst.
Er vereint die beiden Randpositionen – einerseits lässt er alle Zweifel zu, und andererseits kann er noch immer tief an Gott glauben. Dieser Wahrheitssucher erblickt essentielle Wahrheit auch in Traditionen ausserhalb der eigenen.
Wenn eine suchende Seele sich nicht mehr stören lässt durch Unterschiedlichkeiten und Widersprüche an der Oberfläche, vermag sie die wirkliche Essenz der Gotteszuwendung wahrzunehmen, die nicht mehr konfessioneller Art ist und sich nicht mehr über Äusserlichkeiten wie einer Gruppenzugehörigkeit definiert.
In der Krishna Samhita schreibt Bhaktivinod Thakur: "Die Regeln und Regulierungen, die man durch die Schülernachfolge erhalten hat, betreffend Sadhana und Sadhya, verändern sich im Laufe der Zeit gemäss der Mentalität und Örtlichkeit der Menschen. Eine Regel, die in einer Gemeinschaft befolgt wird, mag von einer anderen Gesellschaft nicht unbedingt akzeptiert werden. Deswegen ist die eine Gemeinschaft von einer anderen verschieden. Aber in fortgeschrittenen Seelen existiert keine Spur von Sektierertum (der Mentalität der Abtrennung).“
Der buddhistische Lehrer Trungpa Rinpoche hatte seine eigene Art und Weise, seine Schüler in dieser Flexibilität zu trainieren.
Er liess sie bestimmte Gesänge auswendig lernen, und ein paar Monate später, nachdem die meisten die Texte endlich konnten, wechselte er sie. Er lehrte spezifische Rituale, deren Einzelheiten man äusserst präzise einzuhalten hatte. Als die Schüler dann anfingen, diejenigen zu kritisieren, die es falsch machten, lehrte er die Rituale plötzlich ganz anders. Die Anleitungsbücher waren bereits wieder überholt, noch bevor sie vom Drucker kamen.
Wie kostbar ist diese konzeptionelle Flexibilität..... sie ist die Kraft, das Augenmerk immer auf die Essenz gerichtet zu halten und nicht an den Ablagerungen, die in der Übertragung des Heiligen über die Zeit hinweg natürlicherweise auch daran hängen.
In seiner Abhandlung zum Srimad Bhagavatam (The Bhagavat) schrieb Bhaktivinod Thakur bereits 1859: "Höre nie auf zu zweifeln und weiter zu fragen. Natürlich ist Gott
nicht beleidigt oder gekränkt dadurch, vielmehr sind sie Anzeichen einer/s richtig Suchenden.
Freiheit ist das Prinzip, das wir als wertvollstes Geschenk Gottes betrachten. Wir müssen uns nicht leiten lassen von denen, die lange Zeit vor uns gelebt und gedacht haben. Es braucht
eigenständiges Denken und die Offenheit, Aspekte der Wahrheit zu entdecken, die noch nicht entdeckt sind und momentan für einen noch im Verborgenen liegen.“
Innerhalb dieser Welt gibt es die verschiedensten Weltanschauungen.
Die Seele, die sich nach effektiver Transzendenz sehnt, ist aufgefordert, sich der ungeheuren Vielfalt von Perspektiven zu stellen ohne dabei irritiert zu werden. Es ist praktisch eine Offenheit auf 360 Grad - nach allen Seiten hin.
Aus dieser Konfrontation frei von Angst, etwas zu verlieren, was einem lieb war,
kann Gott einen erst weiter führen. Denn sonst liegt man dem "Betrug der Überseele" auf, den Krishna in der Bhagavad Gita (7.21) beschreibt - dass er nämlich einfach die Weltsicht unterstützt,
die man gerade haben möchte... auch wenn diese gar nicht der Wahrheit entspricht.
Das abgeschlossene sakrosankte Weltbild ist die Perspektive der Verhaftung und nicht im Geiste der Wahrheitssuche.
In der Haltung der konzeptionellen Flexibilität und der Bereitschaft, alles Bisherige und Angewöhnte vollständig zu hinterfragen, braucht einem Gott nicht einfach nur das unsichere Gemüt zu stabilisieren, sondern darf nun wahrhaft intervenieren und einen in seinem Sinne weiterführen.
Das eigene Verständnis von Religion ist fehleranfällig und dadurch immer auch korrigierbar und erweiterbar. Auch das Verständnis des Heiligen ist limitiert durch das eigene begrenzte Erkenntnisvermögen. Es sind Jahrtausende alte Strukturen, welche die eigenen Denkstränge in ihren Bahnen halten. Deshalb bedarf es der radikalen Forschung und Weitersuche.
Der ausgedrückte und klar formulierte Zweifel beginnt einen Prozess zu initiieren, in welchem einem Antworten von überall her geschenkt werden.
Verdrängter Zweifel ist ein schwelender Prozess, welcher letztlich das Grundvertrauen, das wesentlichste Merkmal inneren Fortschrittes, beeinträchtigt.
Deshalb fordert der innere Weg eine Atmosphäre, in welcher Zweifelsformulierung willkommen ist und eingeladen wird.
9. Rechthaberei durschauen und überwinden
Wir glauben, Recht haben zu müssen, damit wir uns wohl und sicher fühlen können. Wir wollen nicht Unrecht haben.
Dazu dienen dogmatische Glaubensgebäude natürlich perfekt. Sie schenken die Verheissung ontologischer Aufgehobenheit. Eigentlich war es nur verbissene Verteidigung des eigenen begrenzten Standpunktes, den man mit religiösen Glaubens-Strukturen abzusichern versuchte. Der träge Geist hat das Bedürfnis, die Dinge den eigenen Massstäben gemäss richtig gestellt zu haben. Man beurteilte etwas als „falsch“ einfach aus dem Bedürfnis heraus, dadurch auf einem festen Boden der Sicherheit zu stehen.
Das Eingeständnis, dass unsere gesamte Wahrnehmung so begrenzt ist und dass folgedessen auch unser Verständnis der heiligen Offenbarung den Stempel der eigenen Begrenztheit mitträgt, wirkt weitend.
Der Erforschergeist , die Faszination für das Neue und das Staunen, welche die Grundlagen des inneren Weges darstellen, beginnen in einem wieder zu pochen.
Wenn man aufhört, rigoros an der eigenen Version der Wirklichkeit festzuhalten, öffnet sich die Aufmerksamkeit. Man verliert das Anrecht des Kleingeistes, der Richter über die Dinge zu sein.... und eine ungeheure Lebendigkeit und Wachheit durchzieht das Leben.
Rechthaberei und Ausschliesslichkeitsansprüche stammen aus mangelndem eigenem Vertrauen. Denn man versuchte sich dadurch mehr Wert zuzuschreiben.
10. Die eigene Götzenverehrung erkennen
Als ich als 16 Jähriger alleine nach Paris ging und nur ganz wenig Geld hatte, kaufte ich mir ein einziges Buch. Ein Bildband von Rene Magritte. Darin war ein Bild, das mich tief herausgefordert hatte.... weniger wegen des Motivs, als wegen des Schriftzugs darunter. Magritte nannte es die „trahison des images“.
(Dieses Bild ist unten im Artikel angefügt)
Im Erkenntnisprozess versteht man:
Das Subjekt erkennt ein Objekt in seiner Wahrnehmung, weil dessen Qualitäten und „Daten“ im eigenen Bewusstsein bekannte und vertraute Eindrücke aktiviert. Das heisst, dass man in seinem Geiste drin ein eigenes Bild vom Objekt kreiert. Jemand mit anderen inneren Eindrücken (samskaras) wird in sich drin ein gänzlich anderes Bild von demselben Objekt schaffen. Wer nun meint, das imaginierte Bild sei identisch mit dem Bild selbst (Objekt), unterliegt einem grundlegenden und folgenschweren Irrtum. Das Objekt und das Bild vom Objekt sind zweierlei!
Wenn ich diese Einsicht auf die Gotteserkenntnis übertrage, könnte die Gleichsetzung von Gottesbild und Gott zu einer Fixierung des Bildes führen, die keine anderen Bilder mehr zulässt. Wenn ich aber voraus setze, dass Glauben weitgehend ein Denken in Bildern ist und ich fixiere also das Gottesbild, dann bin ich bei der oben erwähnten „folgenschweren “, weil gefährlichen, Konsequenz angelangt, die „Objekt“ und „Bild vom Objekt“ vermischt.
Dann hat man sich seinen eigenen Götzen geschaffen.
Die Folge dieser Erkenntnis, nämlich das Gottesbild nicht mehr mit Gott zu vermischen, ist eine innere Offenheit und die ständige Bereitschaft zur Ausweitung all dessen, was man bisher erkannt
und als wahr verstanden hat.
In der Bibel (Gen 1,27) heisst es, dass der Mensch aus Gottes Ebenbild entstanden sei.
Moderne Denker aber beobachteten, dass eigentlich “der Mensch Gott nach seinem Bilde schuf ” (Ludwig Feuerbach). Das Gottesverständnis ist oft eine Wunschprojektion des Menschen.
Deshalb braucht es das Eingeständnis: Wenn wir Sri Krishna, Gott, erfahren, dann gibt es in dieser Erfahrung anfänglich Vermischungen zwischen unseren eigenen Projektionen, Wünschen, Sehnsüchten, Erwartungen, Gottesbildern und der ewig unveränderlichen Wirklichkeit Sri Govindas.
Gott-Glaube ist projektionsverdächtig.
«Die konstante Ausschau nach dem echten Gott» ist gefordert.
Die Heilige Schrift ermutigt uns, immer an uns zu zweifeln, ob wir wirklich Gott erfahren oder nur eigene innere Bilder bestätigen.
Projektionslastige Menschen wollen aber genau dies nicht, da es ihr Gewissheits-Gebäude beschädigen könnte. Die scharfe Betrachtung beängstigt sie.
Aber genau diese Beängstigung stellt einen Verrat in der Wahrheitssuche dar. Denn man glaubt tief in einem nicht an den Wahrheitsgehalt, will ihn aber dennoch verteidigen.
Eine Hilfe, sich von Gottes-Projektionen zu befreien, ist es, sich von einseitigen Funktionsbestimmungen Gottes frei zu machen:
-Gott dient nicht nur zur Stabilisierung des Denkens
→ er ist immer auch Provokation
-Gott dient nicht nur der Bewältigung von Krisen
→ er kann auch schwere Erschütterung und Prüfung evozieren
-Gott beruhigt nicht nur vor metaphysischer Unruhe
→ er ist auch ein Aufruf zum letztendlichen Exodus
-Gott kann durch offenbarte Fundamental-Werte Brücken bauen
→ aber auch mit Fundamentalismus Aggression schüren
-Gott lehrt nicht nur Wertekonformismus
→ er hat auch einen revolutionären Impuls, der alle Werte in Frage stellt
-er macht die Welt transparent auf ihn hin; seine Gegenwart ist auch im Hier erfahrbar
→ er lehrt aber seine Unbegreiflichkeit, dass er immer der ganz andere ist.
Immer wenn ich denke, ich hab's, kommt wieder Verwirrung, Dies ist der normale Prozess des Wachsens zum Unbegrenzten hin.
11. Distanzierung von einem oberflächlichen Gnadenverständnis
Calvin hat vor 400 Jahren bereits von der Erfolgs-Theologie gesprochen, die heute populär scheint: Wenn man Erfolg in dieser Welt hat, ist dies ein Zeichen von Gottes Gnade. Wenn man viel Geld verdient, ist dies ein Hinweis auf den Segen Gottes. Wenn einem die eigenen Wünsche erfüllt werden, meint es Gott gut mit einem. In der körperlichen Heilung wird mehr Gottesgnade gesehen als in der Nichtheilung und im Krankbleiben....
Wenn man diese Vorläufigkeitsgeschenke als die tiefere Gottesgnade identifiziert als die Wüste der Geschehenslosigkeit bedeutet dies, dass man eine Sackgasse mit dem Gottesweg verwechselt hat.
In der Volksreligiosität geht es primär um eine Markt-Orientierung– die Religion ist gut, wenn sie materielle Vorteile bringt.
Calvinismus erkennt in Wohltun und Wohlstand einen Zusammenhang.
Auf dem Beginn des echten inneren Weges erkennt man jedoch die Dissoziation der beiden.
Der Gotteszugang misst sich in vergrösserter Sehnsucht, Leben für Leben motivlos zu Dienen und niemals in greifbarem Erfolg.
Das Bhagavatam spricht von einer ganz speziellen Gnade, die nicht mehr darin besteht, dass Gott die Anliegen der Seele erfüllen soll.
Sri Krishna legt ein unverrückbares Vertrauen ins Herz seiner Geweihten hinein, sodass sie in allen Umständen ihre Aufmerksamkeit nur Ihm zuwerfen.
Zur Verherrlichung seiner Geweihten und in der Gerührtheit von ihrer echten Liebe spricht Krishna diesen Vers (10.88.8):
"Wenn ich jemandem meine spezielle Gnade erweise, dann entziehe ich ihm die Sicherheit, die er in den Dingen der Welt wähnte. Und somit entgeht ihm auch das soziale Ansehen, das mit Besitz verknüpft ist.
Auf diese Weise sende ich meinen geliebten Geweihten eine Schwierigkeit nach der anderen."
Krishna tut dies nur, um die reine Natur der Liebe seines Geweihten offen zu legen und er ist berührt, dass sich eine Seele ihm ganz alleine wegen ihm selber zuwendet und nicht wegen vermeintlichen Vorteilen und Geschenken, die in einer solchen Hingabe verheissen werden.
Für den Bhakta selber sind die Beschwerlichkeiten auf dem Weg zu Ihm hin nicht unterscheidbar von den Annehmlichkeiten. Denn es geht ihm ja nur darum, Krishna zu erfreuen und er schaut dabei nicht auf die eigene Befindlichkeit am Wegrand. Der echte Gottesbezug ist eine non-duale Erfahrung, da es der Seele einzig um die Erfreuung Gottes geht und alle auf diesem Weg erfahrene Freude und Beschwerlichkeit nicht mehr als Gegensatz einander gegenüber stehen, sondern beide die Grund-Trägheit der Seele, die Gleichgültigkeit zu Gott, aufzulösen vermögen.
Aus der Ungewissheit des Lebens heraus beginnt man nach Ersatzsicherheiten zu suchen, die man oft mit Wahrheit verwechselt.
Dies nennt man dann «Volksreligion» - Vorstellungen, welche einen über Jahrhunderte vermittelt wurden. Es sind Glaubensthesen, die selber der Ich-Identifikation entstammen.
Der innere Weg ist nicht mehr interessiert an Strohhalmen, die vermeintlichen Halt liefern. Er führt in die Bereitschaft, allen Halt loszulassen aus dem tiefen Grundvertrauen heraus, dass darunter tragende Substanz existiert.
Dort erst wohnt der wahre Gott und die wahre Gnade.
12. Versöhnung mit der Welt
Wenn Religion Inseln der Geborgenheit in einem Meer der Unübersichtlichkeit liefern soll, gesicherte Werte in einer konfusen Welt oder die Einstellung, einer Gemeinschaft von Wissenden anzugehören, die sich von der unwissenden Welt abhebt, wird sie nicht nur fragwürdig, sondern gefährlich. Sie erhöht so nur die Hoffnungen des Eigennutz.
Religion fordert erst einmal zum Aufbruch in die absolute Ungesichertheit auf.
Sie legt ein Urvertrauen in die Seele hinein, dass im Abbau der Sicherheit das Allerwesentlichste nicht verloren geht.
Wer eine persönliche Geschichte, eine Erziehung, die ihm „hören und sehen vergehen liess“, durchleben musste, der verliert den Kontakt mit seiner inneren Wirklichkeit und der äusseren Welt. Deshalb ist er für ideologische Manipulation und Verblendung bestens präpariert. Weil er sich selber fremd geworden ist, entfremdet wurde, kann in ihm eine Fremdherrschaft errichtet werden.
Deshalb ist es für eine gesunde religiöse Haltung so wesentlich, dass die Versöhnung mit der Welt stattgefunden hat.
Ein Leidender ist bedürftig und nimmt alles, was ihn gerade umgibt, zu seinem Eigennutzen an. Auch Gott.
Religion verspricht eine glorreiche Zukunft. Das macht sie natürlich auch anziehend für Unzufriedene, in welchen dann eine Bereitschaft geboren wird, alles dafür zu geben. Nicht aus der durchdrungenen Liebe heraus wie es der Mystiker ersehnt, sondern aus einem erlebten Mangel heraus.
Die Wucht in die Verheissung einer Zukunft im Reiche Gottes wird verstärkt durch die Entwertung der gegenwärtigen Lage. Darum beschreiben ungereifte Religionen die äussere Welt oft in negativen Worten – als Leidenstal. Der Frustrierte versteht diese Worte auf seine Weise sehr genau.
Deshalb ist die praktizierte Zufriedenheit, die sich nicht mehr an den Gegebenheiten der Aussenwelt orientiert, eine wesentliche Grundlage für eine gesunde Spiritualität. Der Zufriedene instrumentalisiert Gott nicht, um Löcher zu stopfen und erst er kann auf Gott zugehen ohne irgendwelche Abneigung zur äusseren Welt zu verspüren.
Man braucht die relative Versöhnung mit der Aussenwelt, um überhaupt erst mit dem wesentlichen Wollen, mit der Grundsehnsucht in sich drin, mit dem, was man zutiefst will, in Berührung zu gelangen.
Der erste Hinderungsgrund, den Srila Rupa Goswami im Bhaktirasamrita-sindhu (3.5.2) für den Pfad von Raganuga-Sadhana aufzählt, besteht darin, zuviel Abneigung zur Welt zu haben.
In Bhakti will man sich nicht von der Welt abwenden, sondern nur die purusha-bhav, die Haltung aufgeben, der Geniesser der materiellen Umgebung zu sein und einen Anspruch auf sie zu haben. Die Welt wird angenommen und geliebt, einfach nicht aus der Perspektive des nimmersatten und gefrässigen Ichs, sondern als Möglichkeit des Seva, des Gott-Dienens.
In dieser Kombination - inmitten der Welt zu leben und sich innerlich gelöst
von allem zu erleben - liegt tiefe Befriedung. Sie stellt die Grundlage für ein gesundes Innenleben dar.
Das Weltleben dient dann nicht mehr der Verkrallung, Identitäts-Stiftung oder Erhöhung des verschütteten Selbstwertes und das spirituelle Leben ist nicht mehr die Abwehrreaktion zur
Unzugänglichkeit und Banalität des Alltages oder irgendeine Abneigung zur weltlichen Existenz.
Es ist die Versöhnung mit dem Hiersein, welches unerwartet die Tore zu Radha-Krishnas Lila eröffnet.
Friedrich Rückert schreibt in seinem Werk „Weisheit der Brahmanen“ :
„Heil dem, der Demut lern nicht durch Demütigungen,
der, ohne dass die Welt ihn zwang, sich selber hat bezwungen.“
13. Motivations-Analyse
In den letzten 200 Jahren hat sich in Europa die
wirtschaftliche Lebenslage stark verbessert. Das deaktivierte die Sehnsucht auf ein aufgehobeneres und besseres Jenseits dementsprechend enorm.
Diese Beobachtung bedeutet, dass ein Grossteil der Menschen nicht nach der Transzendenz suchten, sondern eigentlich Gott nur als Stabilisierungsfaktor für ihr innerweltliches Eigenleben gebrauchten.
Häufig ist nicht die Sehnsucht nach Wahrheit die Grundmotivation, sondern die kleinliche Geborgenheits-Sehnsucht, durch welche man erhofft, besser mit seiner Endlichkeit zurechtzukommen. Die beiden sind anfänglich fast nicht auseinander zu halten, da aus beiden Hingabe fliesst.
Die Beschäftigung in der Bhakti sieht bei beiden ähnlich aus. Doch das Resultat könnte fast nicht weiter auseinander klaffen.
Was bleibt von mir übrig, wenn ich alle Konzepte fallen lasse? Alles gehen lasse, was ich je über mich gehalten habe und wie ich mich definiert hatte?
Wer bin ich, wenn ich nicht der Freund, der Chef in der Firma, der Familienvater, der Kollege, der Sohn ...etc. bin. Wenn ich alle Rollenspiele abstreife?
Wenn ich ganz alleine mit mir selbst bin...
Wenn man nicht wirklich an das wesentliche Sein dahinter glaubt, wird auch die Zuwendung zur Spiritualität eine Angelegenheit der verbissenen eigenen Wertgebung –also zu einem erneuten Rollenspiel.
Es gibt eine grosse Unterscheidung zwischen Hingabe und Unterwerfung.
Nach vielen Jahrhunderten unterdrückten Lebens hat nun der spirituell Suchende die Selbstbestimmung wieder erlangt und ist nun an deren Grenze angelangt, wo er sich in der Hingabe getrost um die
Dimension von Gottes Willen erweitern darf.
Wer aber die Fremdbestimmung noch nicht abgestreift hat, und das Eigene in sich noch nicht gefunden hat, für den ist das Leben unter dem Etiquett „Hingabe“ eine bequeme Art, die Unterwerfung
spirituell beschönigt weiterzuleben. Aber dies hat keinerlei transformativen Charakter. Im Zeitalter der
Aufklärung (sapere aude!) haben Menschen in einem mühsamem und anstrengenden Prozess gelernt, sich von knechtischer Hörigkeit und stumpfem Nachfolgen aus widerstandsloser Schicksalsergebenheit
abzulösen. Diesen Prozess hat das islamische und auch indische Kollektiv nicht so bewusst und explizit durchlebt wie das Abendland, weswegen man an diesen Orten unterdrückte Wesen oft für
hingegebene Adepten hält.
In der Gita (z.B. 4.20) fordert Krishna erst einmal zur Fähigkeit der Zufluchtslosigkeit (Selbstständigkeit) auf, und erst danach vermag man in die echte Ergebung gehen. Sonst ist diese motiviert
durch die Sehnsucht nach Abhängigkeit und dem Nicht-Aushalten-Können der Freiheit. Erst in der Eigenständigkeit ist die Hingabe ein freiwillig gewählter Akt und hat nichts mehr mit der Anlehnung
zu tun, wenn einem das eigene Stehen zu unangenehm geworden ist.
Nun darf noch die Unterscheidung getroffen werden, dass absolutes Hinsinken zu Gott nicht ein Zustand der Depression oder der Unterwerfung darstellt, sondern aus unbeirrbarem Selbstwert
entspringt..... so sehr, dass alles andere um einen herum hergegeben werden darf und man dabei nicht eine Reduktion seiner Selbst erfährt.
Bei Schimpansen kann man beobachten, je günstiger man sich durch Demutsgebärden zum Alpha-Männchen stellt, desto höher erhebt man sich selber in der Säugetier-Hierarchie.
Wahrheitssuche legt sich aber immer an mit der Konvention und der übernommenen Tradition.
Die aufklärerische Tugend der Hinterfragung einer Glaubensorientierung („ist es vernünftig, sich am Wertesystem einer primitiven israelischen Hirtenkultur zu orientieren oder sein Verhalten von mittelalterlichem bengalischem Dorfverhalten leiten zu lassen?“) ist eine tiefe religiöse Grundhaltung.
Wenn Religion nur Unterwürfigkeit und gehorsame Gefügigkeit fordert, stellt sie nur ein menschliches Konstrukt einer Übertragung auf ein in der Transzendenz vorgestelltes Alpha-Tier, Gott, dar.
Immer wieder behauptete und gehörte Unwahrheiten werden nicht zu Wahrheiten, sondern was schlimmer ist, zu Gewohnheiten.
Das wache Hinterfragen von Glaubensaussagen ist absolut wesentlich – auch losgelöst von der kollektiven Denktradition seiner Gruppe.
Die Geschichte wimmelt von tragischen Beispielen blind angenommener religiöser Überzeugungen.
Kein noch so talentierter Personalchef eines weltlichen Unternehmens könnte einen Menschen zu einer Selbstaufgabe à la 11 September motivieren. Ungezähmte Religion schafft es hingegen, ihre Anhänger bis ans Äusserste, bis in sehr ungesunde Bereiche der religiös legitimierten Selbsthingabe hinzubringen, wo selbstständig denkende Menschen schon längst Einhalt gebieten würden.
Deshalb bedarf eine gesunde Religion der dringlichen Einladung zur radikalen Hinterfragung.
„Gott“ wurde geschichtlich zu oft gebraucht zur Herrschaftsstabilisierung.
Das normative Zusammenleben wurde mit einem übermenschlichen und überhistorischen Etiquett „Gott“ versehen, sodass es dann auch noch in kommenden Zeiten gelten soll. Dadurch wurde es noch zementiert.
Wie soll der Mensch nun umgehen mit einem solchen ambivalenten
Kulturerbe?
Vertraditionalisierte Religion vermag überkommene Glaubenssätze und nicht mehr zeitgemässe Weltanschauungen nicht einfach aufgeben, da sie diese als Bestandteil einer fixierten Überlieferung
betrachtet. Ein Wahrheitssucher hat aber darin keine Hemmungen. Er lässt falsche Ideen sterben, bevor Menschen für falsche Ideen sterben müssen.
Der heilige Benedikt versteht den Mönch als jemanden, der sein gesamtes Leben nach dem wahrhaften Gott forscht (sie revera Deum quaerit, Benedikts-Regel 58,7). Genauso beginnt auch das Vedanta sutra (athato brahma jijnasa)
14. Emotionale Zustände nicht für spirituellen Fortschritt halten
Es braucht die Entfühlung von den Zuständen, die man auf dem inneren Weg durchwandert.
Es gibt Zeiten, wo man sich so vertraut mit Gott fühlt.
Genau da setzt die Gefahr ein, dass man sich einrichtet und sich bestätigt fühlt.
In den Momenten grösster innerster Trockenheit ist man Gott nie ferner als in der allergrössten Verzückung. Denn Gottesnähe resultiert aus der tiefen Grundhaltung der Seele, sich frei von Eigenmotivationen für seine Freude einfach zu sein, und niemals in dem fühlbar Wahrgenommenen.
Mutter Teresa, der ich Mitte der 90 er Jahre noch persönlich begegnet bin in
Kalkutta, und die ganz kurz nach ihrem Tod vom Papst selig gesprochen wurde, trug über 50 Jahre lang sehr grundlegende Gottes-Zweifel mit ihr herum.
Sie schreibt: "In meinem Innern ist es eiskalt“ oder „Die Seelen ziehen mich nicht mehr an – der Himmel bedeutet nichts mehr – für mich schaut er wie ein leerer Platz aus.
Was mich bei ihr und bei allen Heiligen immer berührt, ist nicht ihre völlige Zweifels-Freiheit, sondern vielmehr das Vertrauen, bei Ihm zu bleiben, auch wenn man gefühlsmässig von Gott gar nicht
ein Echo erhält.
15. Freiheits-Würde
Der kategorische Imperativ besteht darin, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, geknechtetes, verlassenes, verachtetes Wesen ist. (Karl Marx)
Die innere Würde widersetzt sich auch innerer Tyrannei und den Rillen eigener Konditionierung.
Dieser brennende Freiheitsimpuls scheint der ursprüngliche Sozialismus mit Religion gemeinsam zu haben.
16. Immer weiter wachsen
Spirituelle Traditionen sind oft rückwärtsbezogen in der Zeit.
Die Retro-Romantik, der nostalgische Rückblick in eine idealisierte goldene Vergangenheit, wirkt magisch anziehend auf Enttäuschte und vom Leben Verbitterte.
Sie sehnen sich nach einer Welt, die von klaren Prinzipien gelenkt ist. Die Komplexität der gegebenen Welt scheint ihnen bedrohlich.
Die Wahrheitssuche ist aber immer progressiv offen und auf Weiterentwicklung ausgerichtet. Der Rückbezug und die Festlegung auf alte Zustände widerspricht der natürlichen Ausweitung des Bewusstseins.
Religiosität ist zu oft vergangenheitsbezogen.
Wo sie nicht wächst, zerfällt sie. Wie mit allem Leben. Stillstand ist Rückschritt und Tod.
Es ist verkehrt und methodisch falsch, die theologische Aufgabe auf die blosse Nachahmung dessen zu beschränken, was unsere Vorfahren gemacht und getan haben.
Religion ist in diesem Sinne immer ein gewagtes Unternehmen, ein Risiko, sich zur terra incognita zu begeben. Würde dies aber unterlassen, reduzierte sich spiritueller Wachstum auf eine Entwicklungsgeschichte des Dogmas, eine Erläuterung von etwas im Grunde bereits Gegebenen.
Gäbe es ein derart statisches religiöses Bewusstsein, bestünde unsere Aufgabe einzig darin zu entfalten, was bereits da und ein für alle Mal gegeben ist.
Die physikalische Theorie eines sich ausbreitenden Universums gibt ein gutes Gleichnis ab für das, was sich auch auf ontologischer Ebene ständig vollzieht.
Religiöses Wachsen ist nicht nur Evolution, Reform oder Verbesserung, es ist echte Mutation, einen qualitativen Sprung in etwas ganz Neues.
Die letzte religiöse Wahrheit fällt nicht in den Bereich lehrmässiger Festlegungen oder gar individueller Befangenheiten. Deshalb kann es nur durch aufrichtiges Weiterwachsen – unter Gottes Führung – erahnt werden. Einstellung des Wachsens bedeutet die Abfindung mit dem Vorläufigen, die Stagnation im Relativen.
Die Heiligen, die einst erschienen sind, würden heute wieder ganz Neues tun. Das ständige Wachsen muss ein grundlegendes Element sakraler Theologie sein.
Wachsen ist nicht nur Entwicklung oder Entfaltung. Im Wachsen gibt es Kontinuität und ebenso Neuheit, Entwicklung ebenso wie Integration des Unbekannten, welches im Verlauf des Wachstumsprozesses verinnerlicht, inkorporiert wird.
Wachsen ist also nicht nur Kontinuität und Entwicklung, sondern auch Verwandlung und Revolution. Darin gibt es keine Vorhersehbarkeit, welchen Weg man dann noch gehen wird. Die Zukunft ist nicht bloss Wiederholung und Weiterführung der Vergangenheit.
Wir wissen nicht, wohin unsere Reise noch geht. Doch in dieser allgemeinen Ungewissheit ist das grösste Wachstum möglich. Und darin sind wir verbunden als Menschen, als Geschwister auf dem Weg.
Alles hat die Feuerprobe einer radikalen Überprüfung zu bestehen. Die Forderung nach metanoia ist umfassend. Auch der religiöse Mensch kann sich da nicht heraushalten, indem er Ohren und Augen verschliesst und einfach zum Himmel starrt (Transzendenzbezug) oder dem Vergangenen nachtrauert (vedischer Kultur, Prabhupadas Zeiten). Er kann seine Mitmenschen nicht ignorieren und so tun, als hätte ihm seine Religion einen Freibrief ausgestellt, der ihn von jedem künftigen Lernen und Sichverändern entbindet. Er muss sich mitten in die aufgewühlten Wasser der See werfen und zu gehen anfangen, auch wenn seine Füsse wanken und der Mut ihn verlässt.
Religion darf nicht die wachsende Saat ersticken, sondern soll die Blüten personalen Wachsens fördern, inspirieren und leiten.
Es gibt noch keine fertig ausgebaute Strasse zu Gott - wir dürfen selber
ohne Kompass und ohne genaue Vorgaben durch die Wildnis gehen – in tiefstem Vertrauen und dem ständigen Gebet und der inneren Bereitschaft nach seiner Führung.
In jedem konsumfertigen Religionsangebot (man kennt sie als „Konfessionen“) finden sich Orientierungshilfen, die aber nie zur lebendigen Wirklichkeit hinführen werden. Der transzendente Krishna
will einfach nicht eingezwängt werden in Systeme, sondern will mit aufrichtigem Herzen erfragt werden.
Wenn solche Grundstimmungen integriert werden (eine solche Kurzbetrachtung hegt wie oben schon gesagt nicht den Anspruch einer Vollständigkeit) und vielleicht auch der Widerstand gegen sie genau analysiert wird, dann kann man sagen, dass der Gottesweg in eine Gesundung führt und nicht noch weiter in die Entfremdung.
Denn in jedem Menschen steckt die Sehnsucht, einen Sinn in seinem Leben zu finden, welcher das Selbstgebastelte übersteigt und inhärent einfach da ist. Die Sehnsucht ist die Spur, die Gott selbst ins das menschliche Herz hineingelegt hat, sich selber zu überschreiten.
Wenn der Mensch bereit ist, auf das Rufen seiner Sehnsucht zu hören und auf die Stimme Gottes, die auf das innere Schreien antwortet, dann gibt es einen Umbruch im Menschen. Dann zerbrechen seine bisherigen Lebensmuster. Dann zerfällt das Lebensgebäude, das man mühsam aufgebaut hat und immer zu erhalten versuchte, wie ein leeres Kartenhaus. Dann bricht man auf und beginnt, Gottes Weg zu folgen, der sich radikal anders gestaltet als alle eigenen Lebensentwürfe. Man bricht die Zelte ab, in denen man bisher gehaust hat und wagt den Aufbruch zu Gott und zum wahren Selbst, das sich erst in der Beziehung zu Gott lichtet.
Es ist die tiefste Kehrtwende, die ein Leben erfahren mag.
Wenn man erkennt, dass eine Lehre oder eine eigene Überzeugung begrenzt war, dann ist das immer erst einmal eine Irritation im Geist. Es ist eine Art der Demütigung und Kränkung, die nicht so angenehm ist, sie sich einzugestehen. Sie besteht darin, dass wir etwas für das Letztendliche, für das Höchste, für die Wahrheit gehalten haben, und dann stellt sich doch heraus, dass man damit an einer Grenze angelangt ist.
Nun ist man an einem ganz wesentlichen inneren Punkt angelangt.
Der Irrtum braucht nicht verteidigt zu werden. Man schreitet dankbar weiter.
Das bedeutet nicht, dass das Bisherige weggestossen wird und abgewertet werden soll. Die differenzierte Betrachtung bildet kein eindimensionales Urteil. Alles behält seinen Wert bei und wird einfach ergänzt. Manchmal dürfen gewisse Anschauungen auch ganz sterben.
Diese 16 kurz umrissenen Grundhaltungen stellen nicht den inneren Weg selber dar, sondern sind nur die Qualifikation, damit der Weg der Gottesliebe in die Angstlosigkeit, in die Weite und in zunehmende Lebendigkeit hinführen mag.