Alleine-Sein
Gott, die Liebe, Freundschaft, Beziehungen – all dies sind keine Notwendigkeit.
Weil alle Menschen dies als Grundnotwendigkeit betrachten, suchen unzählige Menschen nach Liebe.
Die Suche zielt aber nicht darauf hin, zu lieben, sondern geliebt zu werden. Man sehnt sich nach jemandem, der einem seinen unersättlichen Durst, geliebt zu sein, stillen könnte.
Diese Haltung hat aber nichts mit Liebe zu tun. Das Suchen nach Befriedigung der eigenen Bedürfnisse schafft eine Art von Sucht, die „Anhaftung“ genannt wird.
Anhaftung ist nie identisch mit Liebe, obwohl es sehr ähnlich ausschaut. Oft ist die „Verliebtheit“ von Paaren nichts mehr als eine gegenseitig sich ergänzende Sucht, eine grosse Verhaftung. Verklebung führt nie in die Freiheit.
So bleiben die Menschen auf der Suche nach Liebe, die sie effektiv gar nicht erfahren und zur gleichen Zeit nehmen sie eine Welt wahr, wo ihnen Liebe fehlt.
Man fühlt sich als bedürftig. Und ein Bedürftiger kann nicht lieben.
Man nähert sich gegenseitig, innerlich entleert, und glaubend und hoffend, dass der andere ihr Märchenprinz sein würde, die Frau seiner Träume. Für Augenblicke denkt man tatsächlich, dass dies die Person sei, die einem aus dem Leid und dem Elend befreien könne, die Person, die einem erretten könne von unserer Not der Einsamkeit, die Person, die einem die erhoffte Lösung geben könnte von aller Traurigkeit, Bitterkeit und Leid. Man denkt, dies sei die Person, die unsere Probleme lösen könne. Der Partner sieht aber den anderen und denkt genau das Gleiche. Er oder sie würde der Lebensretter sein. Und man erwartet Liebe – das Geliebtsein.
Was geschieht, wenn zwei Wesen, die beide nur den Wunsch haben, zu empfangen, zu erhalten, sich begegnen? Beide gehen mit leeren Händen aus.
Es folgt die Ernüchterung, der Zorn und den Schmerz über die nichterfüllten Hoffnungen ohne zu verstehen, dass diese Projektion der Leidesbeendung niemals hätte funktionieren können. Es war ein Suchen nach einer Lösung welche das Selbst, die ewige Seele, und ihre Bedürfnisse nicht einmal berührt. Aber dennoch glaubte man, es würde Erfüllung darin liegen. Alle Beziehungen, die das Ich zur fluktuierenden Welt hat, sind substanzlos, weswegen in ihnen konnotativ schon immer eine Leere mitschwingt.
Das Bedürfnis, Beziehungen mit anderen haben zu wollen, muss überwunden werden. Nicht die Beziehungen selber sollen aufgegeben werden, aber das Bedürfnis und die gefühlte Notwendigkeit danach. Dieses Bedürfnis verwandelt einen in einen Sklaven. In der Aufgabe dessen wird die Liebe zu den Menschen, die einen umgeben, zu den Freunden, zum Partner, nicht zu einem beengenden Konzept, nicht mehr basiert auf Bedürftigkeit, sondern wird zu einer heilenden Liebe, welche immer weit über die geliebte Person hinauszielt – immer auf das wirkliche Objekt der Liebe hin: auf Sri Krishna.
Kein Wesen auf dem Planeten, auch nicht Gott, kann das süchtige und dürstende Bedürfnis stillen. So wie Freundschaft und Liebe ist auch Gott nicht eine Notwendigkeit.
Wenn die Menschen um einen herum das Leid der eigenen Einsamkeit nicht lösen können, dann fällt man auf Gott zurück, aber er wird da auch nicht einspringen. Der wahre Gott ist kein Lückenfüller.
Zu dem Leid der unerfüllten Wünsche gibt es keine Lösung, auch Gott nicht. Das Problem ist nur das fehlprojizierte Sehnen nach einer Fata Morgana, der Glaube, dass der Durst des kleinen Ichs zu stillen wäre.
Eigentlich bin ich ein Wesen, das liebt, das gibt ohne eine Erwartung, das schenkt ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Man gibt, auch ohne eine Reaktion zu erwarten. Der Punkt ist nicht das Geliebtsein, sondern das ausschliessliche Geben. In der Einsicht dessen fühlt man sich immer dankbar und nie entmutigt. Es ist ein freies Fliessen, das sich nicht an die Reaktionen bindet, die von aussen kommen.
Man vermeidet dann nicht mehr Beziehungen, sondern erlebt Beziehung zu allem – mit allen menschlichen Wesen, mit Bäumen, Vögeln, Blumen, Wolken, Seen – ohne die Gefangenschaft der Erwartung und ohne das Gefängnis der Bedürftigkeit.
Das ist der freie Bewusstseinszustand, den Krishna in der Bhagavad gita umschreibt mit
„samah sarveshu bhuteshu“ (Bhagavad gita 18.54), der Gleichheit zu allen Wesen, aus welchem Bhakti, liebende Hingabe an ihn Selbst erwächst.