Die Magie des Höchsten

Täglich sieht das Lebewesen Entstehung und Auflösung. Obschon die Lebenskraft ewig ist und folglich weder entsteht noch vergeht, nennt und erfährt der jiva (die unzerstörbare Seele) diesen Wechsel als Entstehen und Vergehen des Lebens. Und hält erstaunlicherweise an dem Vergänglichen so fest, als sei es ewig. Diese Inkonsistenz im Verhalten der Seelen hier ist nur möglich aufgrund des Gauklerstückes des Höchsten Herrn, seiner maya.

Das Wirken der Maya erinnert tatsächlich an ein Zauberstück. Obwohl jeder

sie erfährt, können die wenigstens sie erfassen. Und würde man sie erfassen, hätte sie keine Wirkung mehr auf einen.

 

Narada Muni sah wie sehr die Lebewesen aufgrund ihrer Versunkenheit in maya zu leiden hatten, und er konnte den Zauber nicht verstehen, der sie trotzdem nicht losliess. So bat er seinen Freund Krishna, ihm maya und ihre Wirkungsweise zu zeigen. "Nein, mein Freund. Du willst diese Kraft bestimmt nicht kennenlernen! Du

wirst von ihr bezaubert und verzaubert werden. Meine Energie wird dich nur

verblenden."

Narada Muni jedoch stellte Krishna vor die Wahl: "Wenn du glaubst, dass ich auch nur den geringsten Tropfen liebende Hingabe für dich verspüre, denn zeige mir bitte deine maya!"

Krishna dachte bei sich: "Nun, solange mich Narada nicht vergisst, wird es mir unmöglich sein, ihm meine maya-Kraft zu zeigen. Ich muss ihn Mich vergessen machen." So führte Krishna ihn an einen bezaubernden See und forderte ihn auf, ein

Bad zu nehmen, um sich von der langen Reise zu erfrischen. Er selbst wollte am Ufer warten. Narada tauchte erfreut in das kühle Nass ein und als er wieder auftauchte, war Krishna verschwunden und er selbst hatte nun den Körper einer wunderschönen jungen Frau angenommen. Der See war zu einem Ozean geworden und die junge Frau klagte: "Oh, überall nur Wasser. Hilfe! Wer kann mich retten?!" Umringt von Wasser hatte Narada Krishna vergessen und so begann der Zauber der maya zu wirken.

König Taladhvaja erschien nun am Ort des Geschehens und sah die junge, hübsche Frau, die seiner Hilfe bedurfte. Er sah ihre Anmut und ihre Not und verlor sogleich sein Herz an sie. Neugierig fragte er nach dem Heim und dem Wohnort der jungen Frau, doch diese schien sich an nichts mehr erinnern zu können. Hilflos bat sie um seinen Schutz. Erfreut brachte er sie in seinen Palast und als die Erinnerung nicht wiederzukehren schien, hielt er um ihre Hand an.

So wurde Narada in der Gestalt einer jungen Frau Königin über ein grosses Reich. Sie war umgeben von Dienern, Reichtum und Überfluss, den sie mit ihrem Mann genoss. Sie fand nun auch keine Zeit mehr, sich um religiöse Themen zu kümmern - tatsächlich fehlte es ihr am Interesse. Viel lieber beauftragte sie einige Priester, die religiösen Feste in ihrem Namen durchzuführen.

Mit der Zeit gebar sie ihrem Mann viele Kinder und teilte nun die Liebe ihres Mannes mit ihnen. Als die Söhne heranwuchsen bat die Königin ihren Gemahl, ihnen eine Arbeit zu geben, damit sie ihren Reichtum noch vermehren konnten. "Arbeit?", fragte sich der König. "Weshalb sollten sie arbeiten. Das haben sie nicht nötig. Nein, sie sollen Prinzen sein. Ich teile mein Land in gleichmässige Stücke auf, und sie können darauf leben, wie es ihnen gefällt."

Als die Söhne nun auf ihrem eigenen Land in ihrem eigenen Haus wohnten, wünschte ihre Mutter, dass sie sich verheiraten sollten. Ein pompöses Heiratsfest wurde veranstaltet, das an Opulenz kaum zu überbieten war. Doch schon bald nachdem die Ehefrauen bei ihren Prinzen eingezogen waren, kam es zu Eifersüchteleien. "Dein älterer Bruder hat ein grösseres Stück Land erhalten" und "Das Land deines Bruders ist fruchtbarer", tönte es aus den Häusern. Anfänglich wollten die jungen Prinzen nicht hinhören, aber mit der Zeit schien ihnen, dass ihre Ehefrauen im Grunde genommen die Wahrheit sprachen.

Der König versuchte zu schlichten, indem er darauf hinwies, dass alles, was je ihm gehört hatte, nun ihnen gehörte. Es sei jedoch unmöglich, ein solch grosses Stück Land exakt in genau gleich grosse Stücke aufzuteilen. Doch der Streit nahm zu und wurde immer heftiger. Schliesslich brach Krieg aus, in dessen Verlauf schliesslich sämtliche Prinzen ihr Leben verloren. Ob diesem Unglück wurde die Königin wahnsinnig. Sie hatte mit grosser Zuneigung an ihren Söhnen gehangen und nun musste sie zusehen, wie sie sich einer nach dem anderen gegenseitig umbrachten. So begann sie Krishna zu beschuldigen: "Gott ist nicht allgut - nein, er ist allgrausam. Es gefällt ihm, Leid über die Lebewesen zu bringen. Ich glaube nicht an Krishna. - Wir

sind alt und haben ein langes Leben gehabt. Aber er nimmt das Leben unserer jungen Söhne. Nun wird niemand mehr da sein, der Nachkommen zeugen könnte. Dieser sogenannte Schöpfer verfügt über keinerlei Weisheit. Er ist ein Schwachkopf!" So versankt sie in tiefem Leid.

Da nahm Krishna die Gestalt eines Brahmanen an und ging zu ihrem Haus. In grosser Aufregung klagte sie ihm den Verlust all ihrer Söhne und der Brahmane entgegnete: "Woher kamen denn deine Söhne? Durch den Willen des Höchsten werden die Lebewesen geboren, bleiben eine Weile in dieser Welt und werden durch seinen höchsten Willen wieder von der Welt genommen. Kinder gehören nicht ihren Eltern. Wenn auch nur einer deiner Söhne tatsächlich dein Besitz gewesen wäre, dann hättest du dieses Kind für immer behalten können. Doch alles kommt vom Höchsten. Diese Welt ist das Reich des Sterbens. Wer geboren wurde, dem ist der Tod gewiss. Das ist unvermeidlich. Wir sollten drüber nicht in Verzweiflung geraten."

Als die König diese Worte des Brahmanen vernahm, beruhigte sie sich etwas. Doch sobald sie durch Kleider und andere Besitztümer ihrer Söhne wieder an sie erinnert wurde, überkam sie der Schmerz der Trennung, und sie versank wieder in Klagen.

So sagte Krishna in der Gestalt des Brahmanen zu ihr: "Du kannst Deine Söhne nicht mehr zurückbringen. Geh zum See und reinige dich. Ich werde hier alles vorbereiten, damit die Seelen deiner Söhne Frieden finden können." Die Königin antwortete: "Ich will nicht länger in dieser Welt leben. Du bist ein brahmane, deshalb werde ich deine Anweisung befolgen. Aber eigentlich möchte ich sterben." So begab sich Narada in der Gestalt der Königin zum See. Als sie wieder aus dem Wasser auftauchte, sah sie plötzlich wieder Krishna vor sich und erkannte ihn gleich.

"Was tust du hier?", fragte Narada, der nach dem Auftauchen wieder seine

ursprüngliche Gestalt angenommen hatte. "Weshalb erzählst du Mir nicht, was du gesehen hast!?", erwiderte Krishna. Verwirrt antwortete Narada: "Oh, es ist beschämend. Plötzlich befand ich mich in der Gestalt einer Frau und ich wurde die Königin eines mächtigen Herrschers. Mein Leben war erfüllt mit Opulenz und ich gebar viele Kinder. Ich war völlig in diese Dinge vertieft und vergass alles andere. Nachdem meine Söhne geheiratet hatten, begannen sie sich untereinander zu bekämpfen und töteten sich schliesslich gegenseitig. Da klagte ich Dich an: 'Du bist

grausam! Du kennst kein Mitleid! Du bist ein Narr und Schwachkopf!'. Bitte sag mir, was habe ich da erfahren?"

"Das ist Meine Maya. Möchtest du noch mehr davon sehen?" entgegnete Krishna.

(Geschichte aus dem Brahma-Vaivarta Purana).

 

Wir leben in einer riesigen Arrangierung dieses Magiers. Im Verlaufe vieler Leben erhalten wir als ewige Seelen immer wieder kleine Botschaften, die darauf hinzielen, uns den Ausgang aus diesem Haus zu zeigen, indem in uns der göttlichen Ursprung unserer Existenz wieder in die Gegenwart unseres Bewusstseins eindringt. Und wenn es einen göttlichen Ursprung hat, hat es auch einen göttlichen Sinn, eine göttliche Absicht darin, welchen zu ergründen die Aufgabe unseres Aufenthaltes in einem menschlichen Körper darstellt.