Mittendrin - über das erste Kapitel der Bhagavad Gita
(diese Gedanken sind bewusst nicht ganz ausformuliert, da sie sonst zu viel Platz in Anspruch nehmen würden, sondern sind nur ein feines Antönen, damit es in einem selbst weiterklingen möge...)
Arjuna ist bereit zum Kampf. Er bläst sein Muschelhorn (1.14), das Zeichen des Schlachtbeginns, nimmt seinen Bogen und macht sich bereit, seine Waffen abzuschiessen (1.20). Dann bittet er Sri Krishna, seinen Wagen zwischen die beiden Heere zu lenken, damit er diejenigen sehen kann, die sich voller Kampfbegierde versammelt haben, und gegen die er zu kämpfen hat (1.21-22).
Was bloss wie eine formale Einleitung für Krishnas Belehrungen aussieht, hat, genauer betrachtet, eine wesentliche inhaltliche Bedeutung. Mit dem ersten Kapitel weist uns die Bhagavad Gita auf die Notwendigkeit einer inneren Vorbereitung hin, welche allein es der Seele - vertreten durch Arjuna - überhaupt ermöglicht, transzendentales Wissen aufzunehmen und zu verstehen wie jenes, das Krishna im 2. Kapitel zu erklären beginnt.. Es ist also nicht einfach nur eine historische Einleitung. Und wenn man durch diese Entwicklung selber nicht hindurchgeht, führt die gehörte spirituelle Information nicht zu einer Ermächtigung des Lebewesens - nämlich dass die Seele wieder wirklich kämpfen kann gegen die Tendenzen der Verzettelung in das Äussere und dadurch sich wieder auf das Wesentliche zu beziehen lernt in einer Vereinigung ihres gesamten Wesens - sondern zu einer Selbstentfremdung: Man kann das Gehörte nicht wirklich verstehen, und beschäftigt sich dann nur mit versimplifizierten spirituelle Lehren. Und diese intellektuell übernommene, oberflächliche Spiritualität führt die Seele letztlich zu einer Gottesentferntheit, da man in dieser inneren Diskrepanz von "auswendig-gelernt" und "erlebt" den Bezug zu sich selber verliert. Wenn diese Fühlung zu seinem Innersten nicht da ist, erlebt man eine Trennung von einem selbst und der erhofften Spiritualität, eine unbewusste Abspaltung zwischen dem, was ich mir erhoffe und einbilde und meiner Wirklichkeit. Und die Existenz, die in dieser Abgetrenntheit lebt, wird schwächlich.
Arjuna bittet Krishna, ihn zwischen die Heere zu führen
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Nachdem die Krieger beider Parteien ihre Kampfbereitschaft durch Waffenlärm, Trommel-schlagen, Trompeten- und Muschelhornblasen zum Ausdruck gebracht haben, bittet Arjuna Krishna, ihn zwischen die beiden Heere zu fahren. Er wolle "diejenigen sehen, die hierher zum Kampf gekommen sind.“ (BG 1. 23). Das ist einigermassen erstaunlich. Schliesslich kennt Arjuna seine Gegner alle persönlich und ist es noch nicht lange her, dass er ihnen von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Er mag jetzt wegen der grossen Distanz ihre Gesichter nicht sehen, doch lässt sich mit Recht fragen, wozu das ausgerechnet jetzt noch nötig sein soll.
Als ersten Schritt benötigt es den Wunsch, in die Mitte gehen zu wollen. Zwischen die Polarität der verschiedenen Parteien. Der Schiedsrichter in der Mitte ist derjenige, der keine Position mehr hat, das Geschehen nicht aus der einen oder anderen Warte aus betrachtet (aus dem Begehren oder Abwehren), sondern nur beobachtet. Mahaprabhu sagt im Siksastakam, dass man sich niedriger fühlen soll als das Stroh in der Gasse. Wie ist dies möglich? Das Stroh hat noch immer eine Position in der Welt. Der beginnende Spiritualist soll auch diese verlieren. Er fühlt, dass er in dieser Welt real heimatlos ist und nur im Zuhause der spirituellen Praxis Erfüllung finden kann. sarvopadhi vinirmuktam (Narada Pancaratra) Erst die Befreiung von den Designationen, mit welchen man sich bisher identifizierte, und das Wieder-Eintreten in die Identität als ewiger Diener Gottes ermöglicht den Zugang zu suddha bhakti.
Inmitten der Schlachtfelder, aus der Neutralität innerhalb der Dualität heraus, konnte Arjuna plötzlich keine Feinde mehr erkennen, und verlor alle bisherige Motivation des Handelns. (siehe BG 14.22-25). Das, was einem vorher als Lebensziel geliebt im Herzen lag, erscheint nun plötzlich fahl und leer. Es ist die Entrückung aus dem Alltäglichen, der radikale Bruch, der Moment, wo alles, was ich bisher geglaubt und getan habe, sich als überflüssig und unnötig entpuppt. Viele weichen vor dieser Erschütterung wieder zurück in die Nestwärme des Gewöhnlichen.
Allerdings ist die in einem solchen Moment von einer Seele erlebte Unsicherheit, die Zweifel an der Richtigkeit unserer Bemühungen auslöst, ein wichtiger und wesentlicher Antrieb im spirituellen Leben. Es ist ein Impuls, ständig nach dem „wahren Gott“ Ausschau zu halten, und nicht nur in den projizierten Bildern seiner selbst stecken zu bleiben. Darum wird sie auch immer wieder erfahren, folgt auf eine Phase der Harmonie unserer inneren Kräfte stets eine der Verwirrung und der Unordnung. Fehlt die Disharmonie, drohen trügerische Selbstzufriedenheit und Selbstgerechtigkeit, welche beispielsweise Christus den Pharisäern vorgeworfen hat. Gerade die Situation Arjunas unterstreicht die Bedeutung der Selbstentzweiung als Anstoss für eine intensivierte spirituelle Praxis. Arjuna hat gelernt und weiss, was seine Pflicht ist, vermag jedoch durch besondere Umstände seine Verpflichtung nicht mehr von innen heraus zu erfüllen. Er erlebt die Pflicht als etwas Auferzwungenes, dem er nicht mehr nachkommen mag. Seine Reaktion darauf lehrt, wie der Selbstentfremdung mit göttlicher Hilfe zu begegnen ist.
Die materielle Welt ist ein von Krishna geschaffenes Feld, das den Seelen, die ihn vergessen wollen, eine Möglichkeit gibt, sich in den Dualitäten freiwillig gefangen zu halten. Und da wir so auf die Pole (dargestellt durch die beiden Schlachtparteien) fixiert sind, verlieren wir die Fähigkeit, Ihn, der gerade dahintersteht, unseren ewigen Freund, Sri Krishna, wiederzuerkennen.
"Durch die Wirkung von Begehren und Abneigung, durch die Verblendung der Wahrnehmung in Gegensätzen (Absorbation in der Dualität), fallen alle Wesen von Anbeginn der Schöpfung in Verwirrung." (Bhagavad-gita 7.27)
Die Ursache für die Verblendung ist, dass wir von den Sinnen auf das gelenkt werden, was angenehm für sie ist, und von dem ferngehalten werden, was die Sinne als unangenehm empfinden. So bekommen wir einen verblendeten Blick auf die Wirklichkeit, weil er durch den Blendspiegel unserer weltlichen Emotionen und der Relativität dessen, was unsere Sinne im Moment gerade als angenehm oder unangenehm empfinden, verzerrt ist.
Aus diesem Grund ist die Neutralität innerhalb der Dualität ein Anfang für die Sicht der Transzendenz.
"Für jemanden, der den Geist bezwungen, das heisst, der Ausgeglichenheit erlangt hat, sind Glück und Leid, Hitze und Kälte, Ehre und Schmach alle das gleiche. Und so erreicht er die Überseele.“ (Bhagavad-gita 6.7)
"Wer weder frohlockt, wenn er etwas Angenehmes erreicht, noch klagt, wenn ihm etwas Unangenehmes widerfährt, wessen Vernunft unerschütterlich und ohne Verblendung ist, befindet sich bereits auf der Ebene der Transzendenz." (5.19)
Arjuna will die Heere sehen
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Man muss seine Feinde sehen können, um mit ihnen zu kämpfen. Die Gita will uns da Introspektion lehren, das Beschauen meiner inneren Widerstände.
Es ist erst einmal das Erkennen all meiner Schattenseiten, meiner inneren Feinde. Es ist ein Innehalten und Betrachten, wo man wirklich steht.
Nur selten - wenn überhaupt - nehmen wir uns die Zeit, innezuhalten, unser unstillbares Wünschen zu hinterfragen und die leidverursachende Unbeständigkeit unserer Ziele wahrzunehmen.
(Es gibt aber auch eine Über-Analyse, was bedeutet, dass man einfach alte Anhaftungen im Geist paradieren lässt - eine Möglichkeit, die Samskaras dieser Verhaftung zu erstärken (BG 2.62).)
Krishna führt nun Arjunas Wagen direkt vor Bhisma und Drona (1.25). Dies bedeutet, dass Krishna damit eine bestimmte Absicht verfolgte, denn das Heer bestand aus vielen Millionen von Kämpfern und er hätte ja auch woanders "parkieren" können.
Und dann spricht Krishna die ersten Worte in der Bhagavad Gita:
pasyaitan samavetan kuru - "Schau dir diese Armee der Kurus an."
Wenn ich dies nur äusserlich verstehe, ergibt diese Aussage keinen Sinn, denn Arjuna bat Krishna bereits zwei Mal, dass er diese Armee sehen möchte (1.21 und 23).
Krishna präsentiert Arjuna genau die beiden Dinge, an die er noch am meisten verhaftet war. Dies bedeutet, Krishna offenbart als erstes unsere Anhaftungen. Bhisma repräsentiert die "Familien-Anhaftung" (das bedeutet, das Verknüpftsein mit dem, was mich umgibt, dem gewohnten Lauf der Tätigkeit, der geglaubten Selbstverständlichkeit und der scheinbaren Sicherheit in die ich mich immer wieder einbette. Familienanhaftung in diesem tieferen Sinne ist etwas ganz und gar Losgelöstes von Zivilstands-Fragen) und Drona ist die "guru-Anhaftung" (der guru kann auch eine materielle Anhaftung sein: wenn ich denke, eine andere Person wird mir automatisch meine Probleme lösen und ich werde einfach als Zuschauer daneben sitzen können, oder wenn ich mich zum Beispiel nur an jemanden festklammern möchte, um die Verantwortung meines Lebens abzugeben (und das kann auch ein Ehepartner sein) Die Trauer der Nichtbewältigung meiner Lebensführung verwandle ich einfach in eine Hoffnung, die ein anderer mir nun erfüllen zu erfüllen hat).
Am Anfang unseres spirituellen Lebens offenbart Krishna unsere dunklen Stellen, unsere Anhaftungen auf eine solche Weise, dass viele
dies nicht ertragen wollen und gleich wieder umkehren. Der Weg der Konfrontation mit sich selbst erscheint ihnen zu mühselig; aber er ist unumgänglich. Ich kann ihn durch meine Ausflucht im Jetzt höchstens auf zukünftige Leben verschieben.
Deshalb fühlen viele Spiritualisten, dass sie vor Beginn ihrer Praxis fast ruhiger und innerlich ausgeglichener waren als nachdem sie angefangen haben zu beten und meditieren. Viele Anhaftungen entdecken wir nicht einmal in uns, bis Krishna unseren Wagen genau vor sie hin positioniert und sagt: pasyaitan...(BG 1.25)
Die dunklen Tendenzen unseres Geistes waren bisher nur verdeckt.
Es ist eine Illusion zu denken, ich könnte einen unbekannten Feind bezwingen. Deswegen ist das Bewusstwerden meiner Verhaftungen der erste Schritt ihrer Überwindung. Dämonen sind nur in der Dunkelheit stark - so sind auch die dunklen Tendenzen in mir drin nur so lange wirklich stark, solange sie in der Unbewusstheit agieren. Wenn ich mich weigere, meine Schattenseiten anzuschauen, werde ich von ihnen bestimmt. Durch mein Begegnen mit ihnen beginnen sie, ihren Einfluss einzubüssen.
Und wenn man sie sieht und identifiziert hat, wird man vor die nächste Frage gestellt: will ich kämpfen oder nicht. Arjuna wurde beauftragt, Bhisma und Drona eigenhändig zu töten. Krishna führt den Wagen unseres Lebens, aber WIR müssen kämpfen. Sind wir bereit, das, was uns in dieser Welt am nächsten und am liebsten war, aufzugeben, wenn es einem höherem Ziel im Wege stehen sollte?
Arjuna wollte anfänglich nicht. Die meisten Menschen wollen dies auch nicht. Deshalb gehen sie nie über das 1. Kapitel der Bhagavad Gita hinaus.
Arjuna hatte die gute Eigenschaft, dass er ehrlich genug war, sich selber in Frage zu stellen. Er war sich auch in seinen weltlichen Anhaftungen nicht sicher. Anfänglich wollte er fliehen, dann aber besann er sich und hörte Krishna offen zu - jenseits des Bezugrahmens seiner Anhaftung, die sonst das Blickfeld ganz reduziert hätte. Hier lehrt mich die Gita, unabhängig von meinen momentanen Ansichten und Anhaftungen, den ewigen Worten des Herrn Gehör zu schenken. Es ist das Prinzip des "offenen Hörens" (dass man Tageseindrücke, Sorgen und Probleme, die ein Grossteil unseres Bewusstseins ausmachen und die Wahrnehmung einschränken, einmal auf die Seite legt und nicht gerade aus der Begrenztheit her wertet, urteilt und reagiert), das uns wahrt vor der Tendenz des Flüchtens vor diesen Herausforderungen der Konfrontation mit unserer eigenen Unehrlichkeit.
Arjuna hat sich so lange Zeit vorbereitet gehabt auf diese Schlacht - er erhielt Pasupati, göttliche Waffen von Devas, Segnungen von den Rsis im Wald, und so lange Zeit der eigenen Übung - aber in dem Moment, wo er mit der Wurzel seiner Anhaftungen konfrontiert wird, ist alles wie weg. Auch wir tätigen viel spirituelle Übung und auch wir werden vor die Frage gestellt, ob sich das Realitätsverständnis wirklich verändert hat - sonst sind auch all die Jahre unseres Sadhana, wie weg, vergeblich, speziell in den essentiellsten Momenten unseres Lebens.
Krishna adressiert in seinen ersten Worten (BG 1.25) die Krieger nicht als "Söhne Dhrtarastras", sondern "Söhne Kurus", womit Er auf die gemeinsame Verwandtschaft der beiden Parteien hinweist. Alle Seelen haben den gleichen Ursprung, wir sind eng miteinander verwandt - über unseren Vater. Das Gefühl des vasudevam kutumbakam ("alle Lebewesen sind meine Familie und ich spüre diese universelle Verbundenheit") soll der angehende Spiritualist also nachempfinden, denn erst die Gelöstheit innerhalb der Spannungen aller menschlichen Beziehungen, erlaubt es der Seele, sich auf Tieferes zu besinnen. Alles spirituelle Tun ist wertlos ohne dieses geschlechts-, rasse-, und Lebensform überspannende Geschwisterlichkeits-Gefühl.
"Jemand, der Verehrung ausführt, jedoch nicht versteht, dass der Höchste Herr als Paramatma im Herzen eines jeden Lebewesens weilt, muss in Unwissenheit sein und wird mit jemandem verglichen, der seine Opfergaben der Asche darbringt.
Jemand, der Mir Achtung erweist, aber mit seinen Mitgeschöpfen unversöhnt ist, erreicht niemals inneren Frieden, da er sich anderen Lebewesen gegenüber feindselig verhält.
Als das lodernde Feuer des Todes verursache ich grosse Angst in jedem, der aufgrund einer unterscheidenden Betrachtungsweise zwischen sich und anderen Lebewesen den geringsten Unterschied sieht." (Srimad Bhagavatam 3.29.22-23, 26)
Diese Gedanken sind nur eine kleine Anregung, die Inhalte von heiligen Texten in Bezug zu seinem eigenen spirituellen Leben zu setzen, denn sonst sind sie nur Konzepte und Geschichten, die man lernen kann und die, auch wenn sie noch so "transzendental" und philosophisch sinnvoll ertönen, nicht wirklich das bedingte Selbst zu erschüttern vermögen. Wenn man heilige Texte aufschlüsselt und in den eigenen Bezugsrahmen hineinstellt, werden sie zu einem echten Anstoss für die Seele auf ihrer "Nachhause-Reise".