"Spirituelle" Konzepte

Es ist nicht so, dass wir einfach einen spirituellen Weg begehen. Unser Geist, in seiner Tätigkeit als Jäger und Sammler, trägt einen riesigen Rucksack (mit samskaras) und Identifikationen mit Zeitweiligem mit sich – alles Brillen, die unsere Sicht auf Wirklichkeit verzerren. 

Es hat nicht gereicht, dass man bereits geistiges Gepäck aus der Vergangenheit mitträgt, dass man emotional schon überbeladen ist, dass man die Welt als Identifikationsobjekt missbraucht (uns sich als Erdenbürger missversteht), nein, jetzt nehmen wir zusätzlich auch noch spirituelle Bezeichnungen (ich bin Christ, Hindu, Muslim....in dieser oder jener Organisation oder Institution....) auf uns. Das Gepäck wird immer schwerer und das ursprüngliche Gehen eines Weges, der uns in die Freiheit führen sollte, wird nun selber zu einer Last, zu einer Beschwernis. Der Weg der Leichtigkeit wird immer mühsamer und beschwerlicher. Irgendwann wird man anhalten zu gehen und bricht zusammen unter der Last des Angesammelten.

 

Spiritualität führt immer in die Weite, in die Freiheit. Angst und Enge, autoritäres Pochen auf Glaubenswahrheiten sind immer Zeichen mangelnder Spiritualität. Und Ihn, der in den Veden als Adhokshaja – derjenige, der vollkommen jenseits des Wahrnehmungsvermögens unserer Sinne existiert, der ewig Unergründliche und immer ganz andere –beschrieben ist, kann auch nie gleichgesetzt werden mit dem, was wir als kleiner Hinweis von ihm in dieser Welt sinnlich und mental erfahren. Denn darin würde einerseits die Gefahr des Fundamentalismus liegen, und andererseits eines Reduktionismus des Heiligen in den engen Bereich eigener Vorstellungen. Und genau diese imminente Erfahrbarkeit des Heiligen, die ohnehin zweifelhaft ist und mehr auf Projektionen hindeutet als auf Verwirklichungen, entzieht der Spiritualität die Tiefe und Unergründlichkeit, die sie doch eigentlich zur Faszination des Lebens werden lässt.

“Die spirituelle Substanz ist nie im Wahrnehmungsbereich von materiellen Konzepten, ist nie erfassbar durch irgendwelche Anstrengungen im Diesseits. Dies ist die Aussage aller Vedas und Puranas.” (Caitanya Caritamrta 2.9.194)

 

Die Unerkennbarkeit Gottes auf der Ebene unseres Alltags und der gegenwärtigen Identifikationen, wird auch in den Upanisaden immer wieder angesprochen. 

na sandrse tisthati rupam asya   na caksusa pasyati kascanainam

hrda manisa manasabhiklpto      ya etad vidur amrtas te bhavanti

naiva vaca na manasa     praptum sakyo na caksusa

"Das ewig Geistige ist unerfahrbar für materielle Sinne, unbeschreibbar in materiellen Worten und undenkbar für den weltlichen Geist.” Katha Upanisad (2.3.9, 12)

nayam atma pravacanena labhyo

na medhasa na bahuna srutena

yam evaisa vrinute tena labhyas

tasyaisa atma vivrinute tanum svam

 

“Das Höchste Selbst kann nie erlangt werden durch Argumentation oder gelehrte Vorträge und Erklärungen, noch wird er erreicht durch eigene Brillanz, durch Intelligenz und Vorstellungskraft, oder durch das Studieren vieler Schriften. Nur jemand kann dieses höchste Selbst erreichen, welcher von diesem höchsten Selbst ausgesucht wird. Zu einer solchen Person offenbart er seine wahre, ewige personale Form.“ (Mundaka Upanisad 3.2.3)

 

"Der Krishnaname ist nicht erfassbar

durch irdische Sinne.

Doch wenn ein Mensch in der Sehnsucht

nach liebendem Dienen

das Antlitz seiner Seele Gott zuwendet,

dann offenbart sich der göttliche Name von selbst

auf der Zunge des Singenden." (Padma Purana)

 

 

Lieber Krishna

 

Woran liegt es, dass ich gestern deine Nähe fühlte, wie Wind im Haar, wie Sonne auf der Haut, wie eine Hand in meiner Hand, und heute spüre ich nichts – heute spreche ich an eine Wand, zu einem Felsen, ohne Ohr und Stimme. 

Du willst, dass ich warte, und suche. An dir erlebe ich, was es heisst, Trennungsschmerz auszuhalten.

Ich traue dir, dass du mich dennoch hörst, dass du irgendwann einmal, wiederkommst, wie die Sonne aus der Wolkenwand, und mich wieder wärmst.

 

Du willst, dass ich dich in meiner alten Vorstellung und besitzergreifenden Hab-Sucht loslasse, um dich neu wieder zu gewinnen, um wieder loszulassen....

Du bist so vielfältig und unbegreiflich. 

Du bist mir so vertraut und gleichzeitig so unerreichbar weit weg. Ich lasse dich aber nicht los.

Ich taste mich durch das Dickicht meiner Sprache und meiner Gedanken vor zu dir hin.

In vertrauten und fremden Bildern suche ich dich, und weiss doch, dass ich dich niemals zu erfassen vermag, weil du der immer tiefere und unergründliche, der immer noch geheimnisvollere und unbegreifliche bist. Immer grösser als mein Begreifen.

Doch all mein Stammeln und Formulieren, mein Suchen und Sprechen bleibt umfangen und geborgen von deiner alles umfassenden Gegenwart.“

 

Es ist wichtig, dass man den transzendentalen Charakter des Heiligen wahrt.

Das Bhagavatam sagt: 

“Die Grundfaktoren der materiellen Energie, die gunas, produzieren verschiedene Wahrnehmungsbereiche in der schlafenden Seele. Die Klarheit (sattva) erzeugt die Illusion des Wachseins, die Aktivitätsenergie (rajas) den Traumzustand, und die Schwere (tamas) den Tiefschlaf. Der reine Zustand der Seele ist jenseits dieser drei und wird turya (transzendental genannt)  SB 11.25.20

Das bedeutet, dass die Beschäftigung mit dem echten Heiligen  - und nicht dessen Reproduktion in der Werkstatt eigener Vorstellungen, welche man oft mit Spiritualität verwechselt -  jenseits dieser Bewusstseinszustände ist.

 

„Die Bewohner der Sonne (die alle Körper aus Feuer angenommen haben, wie die Sonne geworden sind), sehen Suryadeva, den vorherrschenden Deva der Sonne. Genauso ist die Höchte Persönlichkeit Gottes wahrnehmbar, wenn man wie sie geworden ist (sich ganz transzendent erlebend von allen Gedanken, Gefühlen und Emotionen dieser Welt) 

(Caitanya Caritamrta 1.2.25)

 

Gott scheint zu schweigen – und im Nichtaushalten-können dieser Stille sucht der Mensch nach Mitteln, dieses Schweigen zu übertünchen. Er macht sich ein Bild von Gott. Aber gerade so verbirgt er sich hinter dem Bild, das wir zwischen ihn und uns schieben. 

Gott hat eine ihm eigene Verborgenheit. 

Mam tu veda na kashcana „Niemand kennt mich“ (BG 7.26).

Die Verhaftung an das Bild und die geglaubte Überzeugtheit  führt zu einer Gottesfinsternis.

Das Bild, das wir uns von Gott machen, wird zum Götzen, den wir handhaben und für unsere Pläne nützlich machen. So wird Gott zum Lückenbüsser, der herhalten muss, wenn wir ihn gerade brauchen. Er wird zum Tröster- oder gar Vertröster-Gott, auf ein besseres Jenseits. 

Der Gott als ein Wesen verwandelter Wünsche der Menschen eignet sich nicht als Gesprächspartner im Gebet, als das wirkliche Gegenüber. Gott wird als interessensbedingte Vertröstung und infantile Illusion in Anspruch genommen. 

Und vorallem darf man den Bereich des Heiligen nicht versimplifizieren und sich selber in dem Glauben hypnotisieren, die eigenen meist trivialen Erfahrungen seien eine Verwirklichung der letzten Wahrheit.