Tun und Nicht-Tun

Das Paradoxe des spirituellen Weges scheint zu sein, dass es der vollkommenen Mühe bedarf, um Mühelosigkeit zu realisieren. Die vollkommene Mühe könnte man gleichsetzen mit dem vollkommenen Willen einerseits und andererseits der vollkommenen Bereitschaft, jede Arbeit geschehen zu lassen, die zu geschehen hat. 

 

Spirituelle Führung beinhaltet aber immer auch noch den anderen Askpekt: das Hinweisen auf die Erkenntnis, dass keine Arbeit notwendig ist. Wie kann dieser Widerspruch gelöst werden? 

Die Bhagavad Gita lehrt,  dass nicht wir es sind, die zu arbeiten haben, sondern dass man lediglich Arbeit geschehen zu lassen hat. Das bedeutet: Was sich ver-wickelt hat, ent-wickelt sich ganz von selbst, wenn die Spannung, die vom Ich künstlich aufrechterhalten wird, aufgegeben wird. Wenn wir uns eine verwickelte Spirale vorstellen, die durch eine Spannung zusammengehalten wird, so wird sie sich in dem Moment, in dem die Spannung losgelassen wird, ganz natürlich wieder ent-wickeln. Der denkende Geist, das falsche "Ich", ist eine künstlich festgehaltene Anspannung, die eine natürliche Entwicklung verzögert oder nicht zulässt.

Der denkende Klein-Geist hält alles fest. Das ist ja seine Tendenz: festzuhalten, anzuhalten, anzuhaften, das Fliessen nicht zu gestatten. Zweierlei hilft einem, diesen scheinbaren Widerspruch zwischen der Einfachheit und der Schwierigkeit zu beheben: Das eine ist die Sehnsucht, über die Kompliziertheiten der Gebäude, die der eigene Geist konstant konstruiert, hinüberzugehen. Das Andere ist die Erkenntnis der Führung Gottes. "Es geschieht". Man braucht nur in die Stille zu gehen und zu spüren "Es geschieht", und dann geschieht ganz viel.

 

 Die Schwierigkeit ist ja nicht die Arbeit selbst, sondern die Schwierigkeit besteht aus dem Widerstand gegen die Arbeit. Denn wir wissen, dass es im denkenden Geist als einem gespaltenen Instrument zu jedem "Ja" ein äquivalentes "Nein" gibt. Wenn er sich bemüht "zu wollen", gibt es im Unterbewusstsein ein verborgenes "Ich will nicht". Diese ewige Spaltung, die nicht in vollkommener Bewusstheit stattfindet, macht die Arbeit, die zu geschehen hat, zu einer grossen Schwierigkeit. Die zweite Schwierigkeit ist die Nicht-Bereitschaft, mit Phänomenen zu sein, die ausserhalb der bequemen Zone des denkenden Geistes liegen. Jedes Tier - und das Lustprinzip ist ein tierisches Prinzip - sucht ganz natürlich die Orte auf, an denen es sich wohlfühlt und so zunächst auch der Mensch, der in seinem begrenzten "Ich" mit den niederen Instinkten des Tierkörpers identifiziert ist. Der spirituelle Weg ist ein Weg, der das Lustprinzip verlässt.

 

Ein guru teilte seinen Schülern mit: "Ich habe eine gute Nachricht und eine schlechte Nachricht für euch. Die gute Nachricht ist: Die Befreiung aus dem konditionierten menschlichen Zustand steht für jeden von euch in diesem Moment zur Verfügung. Und die schlechte Nachricht ist: Ihr müsst alle durch die dunkle Nacht der Seele." Im Moment der Unbequemlichkeit, der sich bis zur Unerträglichkeit steigern kann, sind viele nicht bereit, in einem innerlich bewegungslosen Zustand von Meditation zu verweilen, ohne zu flüchten, ohne woanders hinzugehen (abzulenken) und ohne dagegen anzugehen. 

 

Das sind die Grundbewegungen, die in den Schlaf des Bewusstseins führen, den wir so schmerzlich als Abtrennung von uns selbst erfahren. In der nackten Präsenz unserer selbst gibt es Phänomene, die zunächst unerträglich scheinen. Doch unerträglich sind sie nur, wenn wir uns mit diesen Bewegungen identifizieren, anstatt im Zeuge-sein still zu verweilen. Ein normaler Mensch ahnt nichts von dieser Möglichkeit, da niemand ihn jemals gelehrt hat, innerlich einfach still zu bleiben. Egal, was auftaucht: einfach in dieser inneren Regungslosigkeit verweilen und das Auge des Bewusstseins keinen Moment wegrichten - und alles verbrennt. Angst, Zorn, Verzweiflung, Schuld, Vorstellungen, Bilder, all die Alpträume und Horrorvisionen des Geistes - sie verbrennen einfach. Die ganze Welt, die Leiden ist, verbrennt so in der klaren Bewusstheit.

 

Das Leiden verbrennt ganz von selbst. Das ist die Einfachheit. Wer erkennt, dass Leiden nicht durch Bemühung verbrennt, sondern letztlich durch die vollkommene Aufgabe jeder Bemühung, der erkennt die Einfachheit des Seins. 

Viele glauben jetzt "Ich bin in Wirklichkeit schon erleuchtet" und lehnen jede Form therapeutischer Arbeit oder Sadhana (spirituelle Übung) als ein Konzept ab. Der Geist macht sich das Konzept der Nicht-Arbeit zunutze, um damit seine Unernsthaftigkeit und seine Bequemlichkeit zu rechtfertigen. Er nennt das dann: "Einfach tun, was mir Spass macht" oder "das Leben feiern". Das Konzept von "Es gibt nichts zu tun" ist für die Bequemlichkeit, die Hauptleidenschaft des Geistes, von grosser Attraktivität. 

 

Auf der anderen Seite gibt es all die uralten religiösen Missverständnisse im Hinblick auf die Bemühung. Wir alle im Westen zehren noch von den Missverständnissen der Kirche und den unerleuchteten Generationen von christlichen Gläubigen und Lehrern. Eine Grundaussage von Religion ist: "Bemühe dich, ein guter Mensch zu werden!" Diese Grundaussage impliziert: "Du bist sündig, du bist ein schlechter Mensch. Bemühe dich, um besser zu werden. Läutere dich, reinige dich." Deshalb gibt es Busse und Sühne. Es gibt in allen Religionen verschiedenste Mittel, um sich zu reinigen, sich zu läutern, sich zu bessern. All das setzt voraus, dass du ein schlechter Mensch bist, und die Bemühung, die daraus folgt, ist nichts anderes als der Versuch, dieses "Schlechtsein" wiedergutzumachen und dich der Schuld, die du dir scheinbar aufgeladen hast, zu entledigen oder sie zumindest zu erleichtern. Das ist der Teufelskreis, in den dich der betrügerische denkende Geist, der dieses System entworfen hat, führt. Die Wahrheit ist: Erkenne, dass es hoffnungslos ist und dass Schuld, Schlechtigkeit oder Bösartigkeit - um einfach nur verschiedene Begriffe zu nennen, die alle auf das Gleiche deuten - niemals wiedergutgemacht werden können. Es ist, wie ich es immer wieder mit einem primitiven Bild ausdrücke, als wenn du eine versalzene Suppe mit Zucker neutralisieren willst. Es funktioniert nur sehr, sehr begrenzt. Und im Grunde ist es innerhalb der Dualität unmöglich, denn es wäre ein Versuch, innerhalb der Dualität die Dualität zu überwinden. Letztlich gilt es zu erkennen, dass "Schlechtsein" und "Gutsein" und die Bemühung, die du aufwenden musst, um aus einem Zustand, den du als schlecht oder schuldhaft empfindest, herauszukommen, dass all das ein Konzept des denkenden Geistes ist. Die Wertungen im Zeitweiligen ist ein System, das der Geist selber entworfen hat...

 

dvaite' bhadrabhadra-jnana, saba--`manodharma'

`ei bhala, ei manda',--ei saba `bhrama'  (CC antya 4. 176)

 

"Die Konzepte von gut und schlecht in der materiellen Welt sind mentale Gedanken. Deshalb ist diese Wertung im Zeitweiligen in "das ist gut" und "das ist schlecht" in beiden Fällen ein Fehler."

Der Gedanke, dass innerhalb der Welt bestimmte Dinge glücksverheissend wären und andere unglücksverheissend, ist nur eine Illusion, da sie sich auf die vergängliche Natur beziehen.

Die Unterscheidung in Glück und Leid ist eine mentale Erfindung. Ein schlafender Mensch kreiert Situationen des Glücks und Leides im Schlaf, welche aber eigentlich keine Existenz haben.