Vibhuti-Yoga
Sobald die innere Praxis motiviert ist von einem Befreiungs-Impuls, setzt immer auch gleich ein Widerstand gegen die Welt ein – und bindet einen.
Hingabe entspringt nicht der Unannehmlichkeit, von welcher man sich erleichtern möchte, sondern aus der Schönheit Radha-Krishnas, von der man in der Gemeinschaft von Gott-Verliebten angesteckt werden kann.
Wenn das Bewusstsein nur auf die Weltphänomene gerichtet bleibt, erscheinen diese erstaunlich und anziehend.
Der innere Weg soll aber nie in einen Widerstreit mit der Faszinationskraft zur Welt hin treten. Das würde nur die Aufmerksamkeit binden und absorbieren. Er möchte die Gabe unseres Bewusstseins nur auf die Radha Krishna hinlenken…. In diesem Kontext Gottes wird die gesamte Welterfahrung relativiert…
„O mein Herr, wie wunderbar doch deine Geweihten sind! Sie betrachten den König der Flüsse als eine kleine Hand voll Wasser, die Sonne als ein kleines Glühwürmchen, den Meru-Berg als ein Erdhäufchen, die Weltherrscher als unbedeutende Diener, einen grossen Haufen von Cintamani-Juwelen als einfach nur Kieselsteine, kostbarste Kalpa-Druma-Bäume (wünsche-erfüllende Bäume) bloss als ein paar Stecken und die gesamte Ausdehnung aller Welten als einfach nur einen Stroh-Haufen…“ (Aus: Padyavali)
Die Schönheit zielt eigentlich immer auf ihren Schöpfer zu, der durch sie etwas von seinem Wesen in die Erscheinungswelt abstrahlt.
Caitanya Mahaprabhu nennt das Streben für mukti „kaitava-pradhan“, die grundlegende Gottesausflucht“.
Denn in diesem Wunsch nach Auflösung in der einen Energie verneint man die ewig individuelle Existenz des Höchsten, sein eigenes individuelles Sein sowie auch den Zweck der Welt.
Man schliesst einfach die Augen und versucht alles zu negieren.
Psychologisch gesehen existiert in der Sehnsucht nach Verneinung eine tiefe Welt-Enttäuschung. Das Wahre aber existiert jenseits von Negation.
Deshalb ist die grundlegende Haltung eines Suchenden nie die Ablehnung, sondern das „Sich-Verweisen-Lassen“, wobei einem die Welt und alle Tendenzen in dieser Welt nur kleines Abbild sind.
Das Wirkliche geschieht nicht aus dem Paradigma des Kampfes heraus, aus dem Glauben, sich mit Bemühung und Anstrengung gegen einen Strom behaupten zu müssen, der es nicht wirklich gut mit einem meint.
Für die unverzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit darf alles Kämpfen abgelegt werden. In der Stille lässt man sich ein in den Gottesbezug.
Aus dieser Beziehung heraus schaut man wieder auf und erkennt, dass einem alles freundlich gestimmt ist. Dass jedes Atom und jede Bewegung in allen Schöpfungen einen weiter in die Arme von Radhe-Syam hineintreiben möchten.
Zur Auflösung jeglicher Weltabneigung vermag das 10. Kapitel der Bhagavad Gita einen Schlüssel zu liefern.
Vibhuti-Yoga, bedeutet die Weltschau, dass die Dinge in dieser Welt nicht nur isoliert für sich selber stehen, sondern einen Anstoss für die Erinnerung an Krishna schenken können.
Jemand, der seine eigene Identität als unvergängliche individuelle Seele erlebt,
versteht, dass alle Dinge in der gesamten Schöpfung nur die Zutaten (Ingredienzen) für den liebevollen Seva zum Höchsten Herrn darstellen.
Auf diese Weise wird man frei von der separatistischen Haltung, der Sichtweise, die Welt als getrennt von Krishna zu betrachten und als Folge davon zu glauben, diese sei für den eigenen Genuss
existent.
Wird die äussere Welt wieder als Hilfsmittel für den liebevollen Dienst zu Krishna verstanden, wird alles in ihr zum Anstoss der Erinnerung an Ihn und sie wird somit transparent für die Gottesschau.
Wenn Krishna zur Freude seiner Bhaktas, was wiederum seine ganze Freude darstellt, sich selber in der vergänglichen Welt drin offenbart (Bhagavad Gita 4.8), so ist dies für ihn nicht eine geographische Verschiebung – da er da auch bereits gegenwärtig ist. Sein Erscheinen bedeutet nur, dass Yoga-maya, seine eigene innere Kraft, nur den Schleier seiner Verborgenheit wegzieht.
Die Welt des Entstehens und Vergehens erscheint nur isoliert aus dem Standpunkt von Seelen, die nicht mit der Bhakti-Kraft verbunden sind.
Wenn die Beziehung mit Krishna nun im eigenen Leben auftaucht, entwertet dies die materielle Welt nicht, sondern lässt sie nur in Beziehung zu Ihm in einem ganz neuen Licht erscheinen.
Der Zweck der irdischen Schönheit besteht darin, im empfindungsfähigen und erkennen-wollenden Menschen die Erinnerung an die Urbilder zu wecken und auf diese Weise den Weg aus dem Vergessen heraus zu ebnen.
Für den wachen Menschen ist jeder Stein, jede Blume ein übersinnliches Zeugnis von Gottes Unendlichkeit. Alles um die Seele herum, einschliesslich jeder Bewegung seines Körpers und der Gestirne, sind Zeugnis von Gott selber.
Doch selbst inmitten einer solchen Welt, in welcher alles von Gott zeugt, vermag der Mensch aufgrund Krishnas illusionierender Kraft dennoch eingleisig auf horizontale Weise zu leben. Das ist Gottes Geschenk an jemanden, der Ihn vergessen will.
Das Staunen darüber ist bereits wieder ein Schauen auf Krishna hin, welcher dadurch den Schleier der Täuschung zu lichten beginnt.
Jede Zahl mit Null multipliziert ergibt Null.
Alles, was mit Null in Berührung kommt, erhält die Qualität von Null.
Alles in der gesamten Schöpfung ist bereits in Berührung mit Krishna. Wenn diese Verbundenheit bewusst erkannt und anerkannt wird, dann wird auch die materielle Welt vergöttlicht, das heisst, durchlässig für die Gotteserkenntnis.
Das erste Kennzeichen einer erwachenden Seele besteht darin, dass die Seele nicht mehr wie früher Freude empfindet an allen schönen, guten und liebenswürdigen Wesen dieser Welt. Und zwar nicht aus Enttäuschung oder Frustration heraus, sondern weil sie langsam aus ihr herauswächst, genauso wie jemand aus dem Spielzeug-Alter ganz natürlich herauswächst.
Sie fühlt, zuerst schwach, dann immer stärker und öfter: "Das ist alles irgendwie zuwenig". Auf dem Weg wird man eine radikale Verlagerung, eine Zerstörung, einen Wegfall der Interessen wahrnehmen, die bisher angeblichen Lebensinhalte eines Menschen ausmachten.
Das Emporsteigen, das Sichentfalten von Interesselosigkeit am Bisherigen manifestiert sich.
Es füllt die Seele nicht mehr aus. Wohl wusste sie immer, dass sie nicht daran satt sein könne für immer. Da sie vorher ja in Harmonie mit allem zu leben versuchte, verband sie ganz von selbst jenes Freuen auch mit Krishna, den sie in der Schönheit der Natur und in der sinnvollen Abfolge der Geschicke wahrnahm. So freute sie sich mit ihm, aber doch mit ihm an jenen Wesen, an Blumen, Sternen, Menschen, an Musik, Bild und Dichtung, an hohen Gedanken und edlem Tun, an Geschichte, Reisen und Begegnungen.
Nun aber wird dies alles schal. Es verklingt und versandet.
Die Seele erfährt eine innere Unsicherheit: "Was ist mit mir geschehen? Weshalb freut mich dies nun nicht mehr von Herzen? Bin ich krank?"
Die Seele empfindet eine grosse Leere und Ernüchterung, wenn sie mit diesem Altgewohnten umgeht. Es ist die nachdenkliche Traurigkeit, nie wieder der Alte zu sein.
Nicht ständig ist dies so. Man kann auch wieder einmal ganz aufgehen in einem schönen Buch, ganz verzaubert sein von einer herrlichen Symphonie. Aber dann bricht das wieder ab, manchmal mitten während der Freude. Etwas Graues verhüllt alles, entleert und entwertet es. Es ist, und das spürt man ganz klar, keinerlei Abwertung drin, sondern ein zusätzliches Geschenk, das ins Leben hineingetreten ist und in dessen Angesicht das bisherige einfach nur den Glanz und den Schein verlor.
Man weiss, dass man etwas ganz anderes sucht und will. Man spürt es im tiefsten immer deutlicher: Dass es Syamsundar ist, nachdem das eigene Herz sucht, und schon seit unzähligen Leben gesucht hat.
Das Suchen kann zum Schreien werden. Man wandert draussen durch blühende Wiesen, die bisher das grosses Entzücken bildeten, man entdeckt eine seltene Blume, auf die man sich immer schon gefreut hatte. Aber was ist in einem? Kein Jubelruf, sondern etwas wie ein Schmerz zieht durch einen hindurch. Oder man starrt auf dieses kleine Wunder der Schöpfung, und einem ist, als flüstere man ganz in der Tiefe: "Dies nur gibst Du mir? Warum nur das? Warum nicht Dich?
Die Seele ist sich gewahr: Krishna ist allgegenwärtig, Sein Wesen leuchtet aus allem, was sie sieht. Aber sie will mehr. Sie will Ihn ohne das andere, ohne seine Werke, die Ihn verhüllen.
Die Liebe sehnt sich nach ihm - unverhüllt von seiner Schöpfung.
Rumi erzählt die wunderschöne Geschichte von Sulaika, einer ägyptischen Königstochter, die in leidenschaftlicher Liebe für Josef entbrannt wurde:
„Sulaika, sie gab allem- von der Raute
Bis hin zur Aloe – den einen Namen „Josef“.
Alles in der Welt, jede Gestalt und jedes Geschehnis erinnert den von der Liebe Entzündeten an den Geliebten. (Siehe Venu Gita – Srimad Bhagavatam 10.21)
Man möchte nun lernen, Krishna in dem zu erkennen, was von ihm zeugt.... also die gesamte Schöpfung.
Die materielle Welt erscheint dann nicht nur als ein Ort der Verbannung, sondern zugleich als ein Widerschein der Heimat und jedes Phänomen wir zu einem Anstoss zur Rückkehr.
Man darf dabei nicht die äussere Welt vergöttlichen, aber in ihr die hineingelegte Spur wiederfinden. Er ist direkt hinter dem Schleier der Erscheinungen und unterhalb dem Strom der sich ständig verändernden Formen.
Sri Krishna spricht im Bhagavatam zu Brahma: „Wenn du all deine Aufmerksamkeit dem hingebungsvollen Dienst widmest, wirst du im Verlauf deiner Tätigkeiten mich in dir und überall im Universum sehen. Du wirst direkt schauen, dass sich alles – du selber, das Universum und alle Lebewesen – in mir befindet.“
„Du wirst mich in allen Lebewesen sowie überall in der gesamten Schöpfung sehen. In diesem Zustand transzendentaler Sicht wirst du imstande sein, von allen Täuschungen frei zu werden.“
(Bhagavatam 3.9.31-32).