Von der Stille Buddhas zum Tanz Caitanyas
Dies ist ein Artikel von Narasimha Maharaj, übersetzt von Sacimata und Gaurahari - www.bhakti-yoga.ch
Einleitung
Nach meinem Gang durch die Lehren der spirituellen Meister Indiens komme ich zu dem Schluss, dass zwischen Buddha, Shankara-Acharya, Ramanuja, Madhva und zuletzt Mahaprabhu kein Widerspruch
besteht, da jeder eine bestimmte Stufe der Erleuchtung auf dem Pfad zur Absoluten Wahrheit repräsentiert. Beginnend mit dem Buddha und mündend in Mahaprabhu, ist von einem zum nächsten eine
Fortsetzung der Entwicklung des Theismus sichtbar.
Buddhas "Vier Edle Wahrheiten" es gibt Leid, Leid hat eine Ursache, Leid kann überwunden werden und es gibt eine Methode, durch die man Freiheit von Leid erreichen kann, haben das Fundament für
die Voraussetzung gelegt, dass es eine höhere Errungenschaft, ein höheres Ziel im Leben gibt, als das, was im allgemeinen als Realität angenommen wird. Auf Buddha folgte dann Shankara, der, auf
den Lehrsätzen Buddhas aufbauend, einführte, dass nicht einfach die Verneinung des materiellen Daseins, sondern der ewige Geist (atma) die positive Realität ist. Ramanuja entwickelte dann die bei
Shankara gefundene theistische Auffassung weiter und gründete die Bewegung der bhakti oder Hingabe, basierend auf der dem lebendigen Geist innewohnenden Natur. Madhva setze die Entwicklung von
Ramanuja fort und etablierte die ewige Existenz von der Seele (atma) und der Überseele (paramatma) als funktionale Elemente der bhakti.
Diese Entwicklung des Theismus, wie sie in den Lehren Bhuddhas, Shankaras, Ramanujas und Madhvas gefunden wird, wurde manchmal mit dem Wachstum eines Mangobaumes verglichen. Von seinem Samen in
den "Vier Edlen Wahrheiten" Buddhas, zu seinem Spross als Shankara, zur Entwicklung von Ästen und Zweigen in Ramanuja und Madhva, sind alles wichtige Wachstumsstufen in der Entwicklung des
Theismus in der indischen Philosophie. Als der Baum des Theismus herangereift war, trug er Früchte, und Mahaprabhu wird mit dem transzendentalen Gärtner verglichen, der diese Früchte in der Form
von Liebe zu Gott erntet und freizügig an die Welt verteilt. Mahaprabhu kostet diese Früchte der Gottesliebe und lehrt andere durch Sein persönliches Beispiel, sie zu kosten.
Der verstorbene Bhaktivinode Thakur, ein Biograph und Verfechter von Mahaprabhus Schule der göttlichen Liebe, hat allen ernsthaften Seelen, die danach streben, die Absolute Wahrheit zu kennen,
einen wertvollen Rat gegeben, als er sagte: "Parteidenken, der grosse Feind der Wahrheit, wird den Versuch des Fragers, der die Wahrheit aus den religiösen Werken seiner Nation zusammentragen
will, immer vereiteln, und wird ihn glauben machen, dass es Absolute Wahrheit nirgendwo gibt, ausser in seinem alten Religionsbuch. Deshalb sollte der am Pfad der Selbstverwirklichung
Interessierte immer eine umfassende, freundliche, grosszügige, ehrliche, sympathische und vor allem unparteiische Haltung einnehmen, um die grösste Hoffnung auf Erfolg auf diesem Pfad zu
erhalten."
Buddha
Das tatsächliche Datum von Buddhas Geburt ist unbekannt, aber laut indischer Autoritäten wurde er im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung in einer kleinen Provinz in Bihar, an der Grenze
zwischen Nepal und Indien, geboren. Der Buddha wurde dem König Suddhodana Gautama und seiner Königin, Mayadevi, einer Frau von reinem Charakter, geboren. Es wird gesagt, dass bei der Geburt des
göttlichen Kindes vier Engel vom Himmel erschienen, und seine zukünftige Herrlichkeit als jemand, der die Welt erlösen würde, verkündeten. Auf die Geburt Buddhas hin, gedieh Suddhodanas
Königreich wie ein grosser Fluss, dessen Wasser von vielen Nebenflüssen angeschwollen waren. Jeden Tag ergossen sich neue Reichtümer in seine Schatzkammern. Seine Ställe waren zu klein, um all
die Pferde und Elefanten aufzunehmen, die als Geschenke überreicht wurden. Jedermann im Königreich fühlte grosse Freude und Zufriedenheit.
Am Tage nach der Geburt des Kindes, kam ein Weiser namens Asita Rischi zum Palast des Königs Suddhodana. Von der Ankunft des Weisen erfreut, brachte der König das Kind vor ihn. Asita vergoss
Tränen der Liebe beim Anblick des Kindes und sprach von der vorangegangenen Geburt des Kindes als ein indischer Brahmane namens Sumedha und davon, dass er in diesem Leben ein grosser Asket werden
würde. Er sagte, dass Sumedha eines Tages, als er in Gedanken vertieft dasass, eine auf sich selbst bezogene Offenbarung empfing: "Siehe, ich bin Geburt, Tod, Alter und Krankheit ausgesetzt.
Gewiss werde ich den Pfad der Erleuchtung entdecken und ihn der ganzen Menschheit kundtun müssen." Die Geschichte des Buddha, die von dem Weisen Asita erzählt wurde, war in den alten
Sanskritschriften vorausgesagt worden und dem König zu jener Zeit offengelegt.
Am fünften Tage nach der Geburt des Kindes wurde ein Fest anlässlich der glückverheissenden Gelegenheit seiner Namensgebungszeremonie gehalten. Acht Astrologen wurden gerufen, die Zukunft des
Kindes mitzuteilen. Das Kind wurde Siddhartha genannt, und sieben der Astrologen sagten ihm eine Zukunft als grosser König voraus, der die Welt regieren würde. Der achte Astrologe sagte, dass der
junge Prinz eines Tages sein königliches Gewand aufgeben und den Pfad der Entsagung beschreiten würde. Er sagte voraus, dass der Prinz der Buddha, der Kenner, der Erleuchtete, werden würde. König
Suddhodana wollte nicht, dass sein Sohn sein Zuhause verliess, um der Buddha zu werden. "Was wird mein Sohn sehen, das ihn veranlasst, seinem weltlichem Leben zu entsagen?" fragte er. Der
Astrologe antwortete: "Vier Dinge: Er wird einen vom Alter gezeichneten Mann sehen, einen Kranken, einen Leichnam und einen Bettler. Vom Mitleid für die leidende Menschheit bewegt, wird dein Sohn
den königlichen Haushalt verlassen und den Pfad der Erleuchtung beschreiten." In dem Moment beschloss der König, dass keiner dieser Anblicke jemals vor die Augen seines Sohnes kommen
sollte.
Am siebten Tage kam ein Unglück über König Suddhodana; seine Frau Mayadevi verschied von der Welt. Die Grossmutter Siddharthas, Anjana, kümmerte sich um das kleine Kind und zog ihn mit Liebe und
Zuneigung heran.
So kam es, dass der junge Prinz niemals etwas anders erlebte, als die feinsten Vergnügungen, die das Leben bieten kann. Als Siddhartha 16 Jahre alt wurde, entschied der König, dass es für seinen
Sohn an der Zeit war zu heiraten. "Ja, ich werde heiraten," sagte Siddhartha, "aber nur ein Mädchen mit vollkommenen Manieren, das absolut ehrlich, sittsam und meinem Temperament angemessen ist.
Sie muss von reiner und ehrenhafter Geburt, jung und hübsch, darf aber nicht Stolz auf ihre Schönheit sein. Sie muss gütig sein, zufrieden in Selbstverleugnung, zuneigungsvoll wie eine Schwester
und zärtlich wie eine Mutter zu allen lebenden Kreaturen. Sie muss lieblich und frei von Neid sein. Nur solch ein Mädchen kann ich zur Frau nehmen."
Es war keine leichte Aufgabe, aber nach einer langen Zeit fand der König letztlich das ideale Mädchen als Frau für seinen Sohn: Yasodhara, die Tochter Dandapanis. Die Hochzeit wurde gehalten, und
nach einiger Zeit wurde Yasodhara schwanger und brachte ein männliches Kind zur Welt. Zu dieser Zeit geschah es auch, dass Siddhartha wünschte, die königlichen Lustgärten zu besuchen. König
Suddhodana ordnete an, dass alle alten, kranken oder sonstwie geplagten Menschen versteckt wurden, damit der Prinz sie auf seinem Weg zu den Gärten nicht sähe. Aber die Hand des Schicksals erwies
sich als stärker als die Vorkehrungen des Königs, denn es sollte auf dem Wege zu den Lustgärten sein, dass Siddhartha die "vier Zeichen" sah, die ihn nach der Aussage des Astrologen auf den Pfad
der Entsagung bringen würden.
Die Stadt war zu dem Anlass hübsch geschmückt. Nur junge und schöne Menschen säumten die Strassen, alle anderen wurden ausser Sicht gehalten. Plötzlich, wie von der Vorsehung geführt, befahl
Siddhartha seinem Wagenlenker, Channa, eine andere Route durch die Stadt zu nehmen. Innerhalb einer kurzen Strecke sah Siddhartha etwas, was er nie zuvor gesehen hatte: einen alten Mann,
vornübergebeugt und von der Zeit gezeichnet.
"Was ist das?" fragte Siddhartha, "und warum beugt er sich so?"
Verängstigt zu sprechen, aber verpflichtet, seinem Herrn zu antworten, sagte Channa: "Herr, das ist ein Mann, der vom Alter gebeugt wurde."
"Müssen alle Menschen alt werden?" fragte Siddhartha.
"Ja" antwortete Channa, und der Wagen fuhr weiter.
Erneut befahl Siddhartha anzuhalten, als er einen leprakranken Mann am Strassenrand liegen sah.
"Was ist das?" fragte Siddhartha.
"Es ist ein von Krankheit geschlagener Mann" antwortete Channa.
"Sind alle Menschen Krankheiten ausgesetzt?" wollte Siddharta wissen.
"Ja, Herr, alle Menschen dieser Welt sind Krankheiten ausgesetzt." Und der Wagen setzte seine Fahrt fort.
Wieder stoppte der Wagen, als Siddhartha eine Beerdigungsprozession sah.
"Was ist das?" fragte Siddhartha "und warum liegt jener Mann regungslos da?"
"Er ist tot," erwiderte Channa, "die Energie des Lebens hat seinen Körper verlassen."
"Müssen alle Menschen sterben?"
"Ja, Herr, jedermann in dieser Welt muss sterben." Der Wagen fuhr weiter.
Siddharthas Verstand war von dem Anblick von Alter, Krankheit und Tod sehr erregt.
"Gibt es für diese Probleme keine Lösung? Gibt es keinen Weg, von allen Sorgen frei zu werden?"
Siddhartha versank tief in Gedanken, als der Wagen weiterfuhr. Dann erschien ein Bettler.
"Was ist das?" fragte Siddhartha, "und warum scheint dieser Mann so zufrieden?"
"Herr," antwortete Channa, "er ist ein Bettler. Er hat alle materiellen Besitztümer aufgegeben und sich der Erlangung absoluten Wissens gewidmet, dessen, was Freiheit von allen Leiden des
materiellen Daseins gewährt."
Dies hörend schöpfte Siddhartha sofort Hoffnung in seinem Herzen und befahl Channa, den Wagen zum Palast zurückzufahren. Als die Nachricht von diesem Ereignis König Suddhodana erreichte, war
dieser sehr von dem Gedanken geplagt, seinen Sohn zu verlieren. In einem vergeblichen Versuch, die Gedanken seines Sohnes mit weltlichen Vergnügungen zu beschäftigen, schickte der König die
schönsten Mädchen des Reiches, um für Siddhartha zu tanzen und ihn mit allen Mitteln zu erfreuen. Die Mädchen, deren Schönheit im Himmel und auf Erden ihresgleichen vergeblich sucht, tanzten und
sangen zur Freude des Prinzen. Aber Siddhartha konnte nicht abgelenkt werden. Er war nun entschlossen, den Pfad der höchsten Erleuchtung zu suchen.
Während die Mädchen tanzten und sangen, schlief Siddhartha, dessen Gedanken weit weg waren, ein. Als die Mädchen sahen, dass der Prinz nicht mehr aufmerksam war, legten sich die Mädchen ebenfalls
nieder und schliefen ein. In der Nacht erwachte Siddhartha aus seinem Schlaf und entschied sich, den Palast zu verlassen und ein Leben der Entsagung zu beginnen. Als er in die königlichen
Schlafgemächer schaute, fand er seinen Sohn, seine Frau Yasodhara und ihre vielen Dienerinnen fest schlafend vor. Ihre Körper lagen hier und da und ihre Haare waren in Unordung. Einige von ihnen
wandten und drehten sich im Schlafe. Manche grunzten, manche geiferten und manche liessen Luft ab. "Das ist ekelig," dachte Siddhartha, "die Illusion der Vergnügungen im materiellen Leben ist
sehr tief, doch ich sehe, dass es lediglich eine Brutstätte für Alter, Krankheit und Tod ist."
Entschlossen wie er war, ging Siddhartha in derselben Nacht fort. Er bestieg seinen Wagen und befahl Channa, ihn vom königlichen Palast wegzufahren. Am nächsten Morgen gab Siddhartha am Ufer des
Anoma sein königliches Gewand auf, schnitt seine schönen Locken vom Kopf und machte sich bereit, allein in den Wald zu gehen. Bevor er fortging, sagte er: "Trauere nicht um mich, sondern jammere
um diejenigen, die zurückbleiben, von Verlangen gebunden, deren Früchte nur Leid bedeuten."
Schluchzend kehrte Channa zum Palast zurück, um König Suddhodana von dem grossen "Missgeschick" zu berichten.
Hiernach meditierte der junge Prinz für viele Jahre, um Erleuchtung zu erlangen. Was folgte, war die weitgreifende Umkehrung der indischen Massen von Sophisterei und Hedonismus zum Buddhismus. In
der Predigt des Buddha in Saranath lehrte dieser seine Schüler "die vier ehrbaren Wahrheiten":
duhkha, es gibt Leid;
samudaya, Leid hat eine Ursache;
nirodha, Leid kann überwunden werden; und
marga, es gibt eine Methode, mittels derer man Freiheit von allem Leid erlangen kann.
"Dies, meine Schüler, ist die Wahrheit des Leids: Geburt, Alter, Krankheit und Tod. Dies ist die Ursache des Leids: Lust und Wunsch, der Durst nach Sinnengenuss und der Durst nach Macht. Dies ist
die Auslöschung des Leids: Auslöschen von Lust und Wunsch, sie vorbeiziehen lassen, sie vertreiben, sich von ihnen trennen, ihnen keinen Spielraum lassen. Und dies, meine Schüler, ist der Pfad
der Freiheit von allem Leid: Rechter Glaube, rechtes Streben, rechte Sprache, rechtes Leben, rechtes Bemühen und rechte Begeisterung."
Für 80 Jahre reiste Buddha bis zu seinem Tode und predigte, was als "Das Drehen des Rades des Gesetzes" bekannt wurde. Er lehrte, dass jenseits der Welt des Elends Frieden oder Nirvana ist, der
nur von den Reinen erreicht werden kann. Und nur diejenigen, die sich von gewalttätigem Leben, sowohl auf der körperlichen, als auch auf der geistigen Ebene, zurückhielten, könnten die Wahrheit
kennen.
Die Philosophie Buddhas wurde seit der Zeit ihres heiligen Gründervaters weit verbreitet. Obwohl heute viele Formen des Buddhismus vorherrschen, beinhalten alle gewisse grundlegende
Gemeinsamkeiten, die auf den Gründer zurückverfolgt werden können. Alle Buddhisten suchen zum Beispiel eine "negative" Lösung zum problematischen Geschehen des Lebens. Sie schweigen zum Thema der
Selbstverwirklichung. Sie suchen die Auflösung unseres zeitweiligen Daseins mittels empirischer Übung. Deshalb ist der Kern des Buddhismus dem der modernen wissenschaftlichen Annäherungsweise
sehr ähnlich.
Buddha wird von den Theisten und den Atheisten aus unterschiedlichen Gründen verehrt. Die Atheisten, die seine tatsächlichen "Anhänger" bilden, verehren ihn wegen seiner Verdammung von Unmoral
und seiner gleichzeitigen Überzeugung, dass ein moralisches Leben aus sich selbst heraus letztlich unfähig war, irgendwelche positiven, andauernden Ergebnisse hervorzubringen. Sein Eintreten für
empirische Übung, mit Blick auf das Überwinden der Hürde von Aktion und Reaktion (karma), mündete letztlich in Selbstvernichtung (prakriti nirvana). Die Theisten loben seinen Nachdruck darauf,
dass Rationalismus nicht zu irgendeiner positiven transzendentalen Existenz oder Gottesbewusstsein führen kann. Buddha beschrieb den natürlichen Lauf der Ereignisse als resultierend aus
erfahrungsgesteuerter Spekulation, aber machte keine direkte Anmerkung über die Existenz Gottes. Er stellte sich gegen alle hypothetischen Spekulationen über Transzendenz, aber verneinte niemals
die Existenz des Transzendentalen oder die Möglichkeit, diese zu erreichen. In der Tat lehrte er, dass eine transzendentale Realität nicht durch intellektuelle Praktiken erfahren werden kann. Auf
die Frage von der Existenz einer solchen Realität ging er jedoch nicht ein. Folglich schien er ein Atheist oder Agnostiker zu sein.
Buddha wird auch für atheistisch gehalten, weil er die Veden ablehnte. Doch wie ein altes Sprichwort sagt: "Manchmal ist es einfacher, ein neues Haus zu bauen, als ein altes herzurichten." Zu der
Zeit, als Buddha Geburt nahm, waren die Menschen im allgemeinen atheistisch und zogen den Genuss von Tierfleisch allem anderen vor. Unter dem Vorwand vedische Opfer durchzuführen (karma kanda),
wurden sogar Tempel in Schlachthäuser verwandelt, und dem Töten von Tieren wurde ohne Einschränkung nachgegangen. Der Buddha predigte Gewaltlosigkeit, weil er Mitleid mit den Tieren hatte.
Angesichts der Greueltaten, die zu dieser Zeit die Norm waren, und des Anrufens der Halbgötter mit dem Ziel himmlische Freuden zu geniessen, urteilte der Buddha, dass, wenn die Menschen die Veden
in dieser Weise verstehen, es für diese entsprechende Gruppe von Menschen besser sei, die Veden zur Seite zu legen. Tatsächlich predigte Buddha einen Teil der vedischen Prinzipien in einer für
jene Zeit angemessenen Weise. Insofern sehen wir, dass er mit seinem Erscheinen als Atheist geschickt die zukünftige Entwicklung theistischen Gedankengutes vorbereitete.
"Steh auf und zögere nicht,
gehe dem reinen Leben nach!
Wer Tugend lebt, bleibt selig,
in dieser Welt,
wie auch der nächsten."
Shankar Acharya
Als Shankara-Acharya im achten Jahrhundert unserer Zeitrechnung in Indien erschien, war die Autorität der Veden, durch den Einfluss buddhistischen Gedankengutes stark minimiert. Zu dieser Zeit
hatten die meisten Philosophen Indiens, der Lehre von Buddhas sunyavada-Philosophie der negativen Existenz oder prakriti nirvana folgend, die vedische Auffassung von ishwara (der Absoluten
Wahrheit) und jiva (dem ewigen Funken desselben) aufgegeben. Unter dem Patronat mächtiger Kaiser, wie Aschoka (243 v.u.Z.), verbreitete sich der Buddhismus über ganz Indien. Dank seiner
erstaunlichen Gelehrtheit und seiner Fähigkeit, gegnerische Philosophien in philosophischen Debatten zu schlagen, war Shankara-Acharya jedoch in der Lage, das Ansehen der vedischen Literatur, wie
den Upanischaden und dem Vedanta, wiederherzustellen. Wohin Shankara in Indien auch reiste, war er siegreich, und gegnerische Philosophien beugten sich. Shankara-Acharya führte seine Doktrin,
advaita-vedanta, nicht-dualistischen Vedanta, ein, indem er sie mit der Lehre des Buddhismus in Einklang brachte. Er stimmte der buddhistischen Auffassung insofern zu, als sie das körperliche
Dasein als unreal oder asat ansieht - aber er war gegen ihre Konzeption von prakriti nirvana. Shankara-Acharya präsentierte brahman, spirituelle Wesenheit, als eine positive Alternative zu der
illusorischen Ebene der Materie. In aller Kürze ist seine Philosophie in dem Vers brahma satyam jagan-mitya. Brahman oder Geist ist Wahrheit, wohingegen jagat oder die materielle Welt falsch ist.
Mit anderen Worten, Shankara-Acharyas Philosophie war ein Kompromiss zwischen Theismus und Atheismus. Es heisst, dass Shankara-Acharya gemäss Zeit, Ort und Umstand die Position zwischen Theismus
und Atheismus einnahm, weil eine gross angelegte Bekehrung der Buddhisten zum Pfad des ausgereiften Theismus nicht möglich gewesen wäre.
In dem kleinen Dorf Kaladi, in einer Provinz Südindiens, kam Shankara-Acharya als der Sohn eines vedischen brahmana namens Schivaguru und seiner Frau Arya herab. Bereits in der Kindheit war es
klar, dass Shankara, wie sein Vater ihn nannte, eine grosse Persönlichkeit war. Astrologen sagten bei seiner Geburt voraus, dass der Junge ein einflussreicher Gelehrter werden würde, der,
bezüglich der Vernichtung falscher Religionen und nachgemachter Doktrinen, wie ein Elefant in einer Bananenplantage wirken sollte. Shankara erlangte als Student schnell meisterliche Fähigkeiten
in der Sanskrit-Sprache. Er hatte ein erstaunliches Gedächtnis. Alles, was sein Lehrer sagte, blieb für immer in seinem Kopf. Was der durchschnittliche Student in zwölf Jahren lernte, erfasste
Shankara in einem.
Als Shankara drei Jahre alt war, verschied sein Vater. Das Leben war für Mutter und Sohn schwierig, aber durch Gottes Barmherzigkeit lebten sie gemäss ihren Mitteln friedlich. Shankara setzte
seine Studien bis zu seinem achten Lebensjahr fort, dann entschied er, sannyasa anzunehmen und ein Leben der Entsagung zu führen. Eines Tages sagte Shankara zu seiner Mutter: "Das Leben eines
Menschen auf der Erde ist so voller Leid, dass er manchmal wünscht, niemals geboren worden zu sein. Der dümmste Mensch weiss, dass dem Körper bestimmt ist, zu einer festgesetzten Zeit zu sterben.
Allein der Yogi weiss, dass man im Kreislauf des samsara millionenmal wieder und wieder geboren wird und stirbt. Im Kreislauf des samsara spielt er manchmal die Rolle eines Sohnes, eines Vaters,
eines Ehemannes, einer Tochter, einer Mutter oder einer Ehefrau in einer endlosen Folge. Daher kann wahres und dauerhaftes Glück nur erlangt werden, indem man Geburt und Tod durch Entsagung, die
das Tor zu Selbstverwirklichung ist, überwindet. Meine liebe Mutter, bitte erlaube mir, diesen Status anzunehmen und danach zu streben, mich selbst zu erkennen. Erlaube mir, sannyasa
anzunehmen"
"Sprich nicht mehr davon," antwortete seine liebevolle Mutter. "Ich wünsche, dass du heiratest und ein guter Ehemann für eine gute Frau wirst. Bitte sprich nicht wieder davon, sannyasa
anzunehmen."
Während Shankara ein paar Tage später ein Bad im Fluss nahm, schnappte ein Krokodil sein Bein. Ihren Sohn in dieser hoffnungslosen Lage sehend, begann die Mutter herzzerreissend zu schreien. Es
schien, als wollte das Krokodil ihren Sohn bei lebendigem Leibe verschlingen. "Mutter!" sagte der Junge, "es gibt einen Weg der Rettung für mich. Wenn jemandes Leben in Gefahr ist, so sagen die
weisen Männer unseres Landes, kommt man aus dieser Gefahr frei, indem man sannyasa annimmt. Deshalb erlaube mir bitte der Welt zu entsagen."
Bereit, alles zu tun, um das Leben ihres Sohnes zu retten, willigte die arme Frau seinem Ersuchen ein. Shankara erhob daraufhin seine Hände und sprach die Worte sannyas o'ham: "Ich habe entsagt"
So geschehen, liess das Krokodil sofort Shankara-Acharyas Bein los, und sein Leben war geschont. Sowie er aus dem Wasser kam, umarmten sich Mutter und Sohn. "Meine liebe Mutter, du warst immer
meine Fürsorgerin. Nun gehe ich hinaus in die Welt, und jeder, der mir fortan zu essen gibt, ist meine Mutter, wer immer mich lehrt, ist mein Vater. Meine Schüler sind meine Kinder, Frieden ist
meine Braut und Einsamkeit mein Segen. Dies sind die Unbilden meines Vorhabens."
"Sei gesegnet, mein Sohn. Dein Leben steht nun unter der Obhut des Höchsten Wohltäters." Mit diesem herzlichen Austausch zwischen Mutter und Sohn ging Shankara.
In ein einfaches Tuch gekleidet, eine Wasserkanne tragend, barfuss und mit einem Stab in seiner Hand, streifte der junge Shankara für viele Monate durch das Land. Eines Tages rastete Shankara im
Schatten eines Banyanbaumes, als er einige Frösche friedlich neben einer Kobra sitzen sah. Bei diesem Anblick erinnerte er sich an die Lektionen seiner früheren Lehrer, dass Koexistenz zwischen
natürlichen Feinden nur in der Umgebung eines grossen Weisen oder eines erleuchteten guru möglich ist. Die dort ansässigen Menschen befragend, hörte Shankara von einer heiligen Person namens
Govindapada, die in einer nahegelegenen Höhle wohnte. Er beschloss, sofort dorthin zu gehen. Shankara brachte vor der Höhle lang ausgestreckte Ehrerbietungen dar und rezitierte eine Hymne zum
Lobpreis des grossen guru. "Meine Ehrerbietungen gelten dir, ehrwürdiger Govindapada, der du die Wohnstätte allen Wissens bist. Dein Ruhm kennt keine Grenzen, weil du in dich selbst eingekehrt
bist - in das Innerste deines Seins. Du bist die am weitesten verwirklichte Person auf Erden, da du das grosse Glück hattest, der Schüler Gaudapadas, des Schülers von Sukadeva, dem
selbstverwirklichten Sohn von Vyasadeva, dem Verfasser der vedischen Literatur, zu werden. Somit gehörst du einer höchst bemerkenswerten Reihe von spirituellen Lehrern an. Bitte nimm diesen
unwürdigen sannyasi als deinen Schüler an und mache mich zum Erben des Wissens um Selbstverwirklichung."
Govindapada nahm den kleinen sannyasi gern als seinen Schüler an, und er vermittelte ihm die vier sutras, die Shankara später weltweit predigte:
prajnnam brahma brahman ist reines Bewusstsein
ayamatma brahma die Seele ist brahman
tat tvam asi du bist dieses Bewusstsein
aham brahmasmi Ich bin brahman
Shankara verbrachte eine lange Zeit mit seinem guru, bis Govindapada ihn anwies, nach Benares zu gehen und die Menschen zu unterweisen.
Als Shankara in die gelehrten Kreise von Benares einzog, war er kaum zwölf Jahre alt. Sein zartes Alter, gepaart mit seinem umfassenden Wissen und seiner tiefen Verwirklichung, erstaunte in der
Tat alle, die kamen, ihn zu sehen. Wie von der Vorsehung bestimmt, zog Shankara bald viele Schüler an, die in gespannter Aufmerksamkeit für jedes seiner Worte über Transzendenz vor ihm sassen.
Von dieser Zeit an wurde Shankara als acharya oder Shankara-Acharya bekannt.
In Benares verursachte Shankara-Acharya den Gezeitenwechsel des Atheismus. Er verfasste zum Brahma Sutra, zur Bhagavad-gita und den wichtigsten Upanischaden Kommentare, die die nicht-duale
Wesenheit, brahman einheitlich als die höchste Wirklichkeit beschreiben. Sein Kommentar zum Brahma Sutra, bekannt als Sariraka-bhasya, wird von seinen Anhängern als der wichtigste angesehen.
Shankara-Acharya bezeichnet das Wesen des brahman als das, was jenseits der Sinne liegt, unpersönlich, formlos, ewig und unveränderlich ist; als das summum-bonum der Absoluten Wahrheit. Nach
Shankara-Acharya ist das als atma oder Seele bekannte nichts weiter als ein bedeckter oder illusionierter Teil des Höchsten Brahman. Diese Illusion, so sagt Shankara-Acharya, ist auf den Schleier
mayas, der aus Unwissenheit und Vergesslichkeit besteht, zurückzuführen. Die Vorstellung, dass die Absolute Wahrheit von maya bedeckt werden kann, wurde später von Schri Ramanuja erfolgreich
bestritten. Diejenigen, die den Lehren Shankara-Acharyas folgten, wurden später vielen als Mayavadis oder Philosophen der Illusion bekannt.
Shankara-Acharyas Theorie der Illusion behauptet, dass wir aufgrund von Täuschung denken, die Absolute Wahrheit wird transformiert, obwohl sie niemals transformiert wird. Shankara-Acharya glaubte
nicht an die Umformung der Energie des Absoluten. Die Umformung von Energie gelten zu lassen, hätte die Billigung der Persönlichkeit der Absoluten Wahrheit oder der persönlichen Existenz Gottes,
voll entwickelten Theismus, notwenig gemacht. Gemäss Shankara-Acharya sind wir selbst Gott. Sobald der Schleier der Unwissenheit gehoben ist, wird man seine vollständige Identität als nicht
verschieden von dem Höchsten Brahman oder Gott erkennen.
Shankara-Acharya war der Meinung, dass die Fragen vom Ursprung des Universums und dem Wesen der Illusion unbeantwortbar und unerklärbar seien. Er war überzeugt, dass die spirituelle Substanz,
brahman, überweltlich ist, verschieden von den grob- und feinstofflichen Körpern des Geistes und der Intelligenz in dieser Welt. Shankara-Acharya betonte weiterhin, dass mukti, oder Befreiung aus
dem Kreislauf von Geburt und Tod, nur möglich ist, wenn das Lebewesen seiner Beziehung mit der materiellen Welt entsagt. Er sagt, das Verständnis von ich und mein: "Ich bin ein Individuum, und
dies sind meine Besitztümer: Frau, Kinder, Eigentum usw.", ist die Ursache der Bindung an die materielle Existenz und muss aufgegeben werden. Deshalb waren und sind die meisten seiner Anhänger
zölibatäre Studenten.
Um seine Schlussfolgerungen des advaita-vedanta, Nicht-Dualismus, zu unterstützen, interpretierte Shankara-Acharya die Veden seinem Zwecke entsprechend. Die Veden haben, mit anderen Worten, ihre
direkte und indirekte Bedeutung. Grammatikalisch mit Suffices, Präfices und Affices jonglierend, gab Shankara-Acharya seine eigene, imaginäre oder indirekte Auslegung. Er positionierte sich
selbst zwischen den Theisten und Atheisten und scheint deshalb der Freund von beiden gewesen zu sein. Der grosse Acharya nahm diese Position ein, um den Grundstein für eine zukünftige theistische
Evolution zu setzen. Der Beitrag Shankara-Acharyas zur Entwicklung theistischen Denkens von der atheistischen, oder neo-theistischen Konzeption der Buddhisten, prakriti nirvana zu der von dem
erhabenen transzendentalen realen brahman hat Indien und Generationen zukünftiger Theisten für immer dankbar gemacht.
Von einer Gruppe Schüler begleitet, reiste Shankara-Acharya durch ganz Indien. Nach Norden ging er bis zum ashrama von Badrinatha in den Himalayas. Dort etablierte er ein Kloster für Meditation
und vedische Studien. Gleichartige Klöster entstanden auf seinen Reisen nach Puri im Osten, Dwaraka im Westen und Schringeri im Süden. Alle diese von Shankara-Acharya eingerichteten Institutionen
bestehen noch heute nach zwölf Jahrhunderten.
Auf seinen Reisen in Südindien hatte Shankara-Acharya eines Tages die Gelegenheit, mit einem berühmten Gelehrten aus Mahismati, namens Mandana Mischra, "dem Juwel unter den Gelehrten", zu
diskutieren. Viele gebildete Personen kamen zu dieser Debatte zusammen, und Bharati, die gute Ehefrau des Gelehrten, wurde als Schiedsrichter und Moderator bestimmt. Eingangs zu der Debatte legte
Bharati jedem der Wettstreiter eine Blumengirlande um den Hals. Sie verkündete, dass derjenige der Sieger sein sollte, dessen Girlande am Ende der Diskussion nicht verwelkt war.
Mandana, der niemals eine Niederlage hinnehmen musste, eröffnete die Debatte mit der Behauptung: "Ich akzeptiere die Autorität der Veden. Sie lehren hauptsächlich, dass Vortrefflichkeit erreicht
werden kann, indem man die vorgeschriebenen Rituale in der vorgeschriebenen Weise durchführt. Jemand, der diese Rituale durchführt, wird in den Himmel kommen und in der Gesellschaft von Indra und
den himmlischen, jungen Mädchen weilen. Wenn das Verdienst erschöpft ist, kehrt er zur Erde zurück, damit er weitere fromme Guthaben, für einen längeren Aufenthalt in der Welt der Götter,
ansammeln kann. Die Veden enthalten auch diesbezügliche Vorschriften als Voraussetzung für die Durchführung der Riten." Die Zuhörerschaft, die aus vielen Bewunderern und Schülern Mandanas
bestand, applaudierte zu seiner Darlegung.
Shankara-Acharya erwiderte daraufhin: "Ich akzeptiere die Autorität der Veden auch. Ihr Hauptzweck ist jedoch dieser: Brahman allein ist real, diese phänomenale Welt ist eine Täuschung, und die
individuelle Seele ist mit dem brahman identisch. Die Teile der Veden, die die Rituale betreffenden Beschreibungen und Vorschriften enthalten, sind dem hauptsächlichen Teil, der das Wissen vom
Selbst und wie man es erlangt behandelt, untergeordnet. Rituale können nur zu karma, sowohl gutem als auch schlechtem, führen, das einen davon abhält, Selbstverwirklichung zu erreichen. Das
einzige Ziel der Veden ist brahman."
Beide Gelehrte zeigten auf verschiedene Art und Weise profunde Kenntnisse der Veden, und die Diskussion dauerte für achtzehn Tage unvermindert an. Am letzten Tag konnte man sehen, dass die
Girlande Mandana Mischras zu welken begann, und die von Shankara-Acharya blieb frisch. Daraufhin erklärte Bharati Shankara-Acharya zum Sieger. Nun wäre es an Mandana Mischra gewesen, seiner
Verbindung mit der Welt zu entsagen und Schüler Shankara-Acharyas zu werden.
In einem letzten Versuch ihren Ehemann zu retten sagte Bharati: "O grosser Acharya, du bist gewiss siegreich aus der Debatte mit meinem Ehemann hervorgegangen, und er wird dein Schüler werden
müssen. Jedoch bin ich, die Frau Mandana Mischras, seine bessere Hälfte. Bevor dein Sieg vollständig ist musst du auch mich schlagen." Shankara-Acharya war etwas überrascht, nahm die
Herausforderung aber an.
Bharati sagte zu Shankaracharya: "Ich kann dich nicht als Meister aller Lehren anerkennen, solange du nicht beweisen kannst, dass du auch ein rechtes Verständnis von Sexualkunde hast. Sage mir
daher, was sind die verschiedenen Formen und Ausdrucksweisen der Liebe? Was ist das Wesen der geschlechtlichen Liebe? Welche Auswirkung hat der zu- und abnehmende Mond auf den Geschlechtstrieb
bei Mann und Frau? Du musst all diese Fragen beantworten."
Da er ein zölibatärer Mönch und erst sechzehn Jahre alt war, erschien es, als sei Shankara-Acharya von seiner Gegnerin verwirrt worden. Er bat daraufhin um vierzig Tage Aufschub, da er nicht
vorbereitet war, sofort zu diesem Thema zu sprechen. Bharati willigte in sein Ersuchen ein, und Shankara-Acharya und seine Schüler verliessen die Versammlung. Mittels der Kräfte mystischen Yogas
versetzte sich Shankara-Acharya in Trance. Er verliess seinen Körper und ging in den Körper eines sinnlichen Königs namens Amaruka ein. Im Körper des Königs erfuhr Shankara-Acharya erotische
Liebe und erlangte Wissen von all ihren Feinheiten. Noch ehe die vierzig Tage verstrichen waren, ging Shankara-Acharya in seinen eigenen Körper zurück und setzte die Debatte mit Bharati
fort.
Nach einem kurzen Wortwechsel gab Bharati zu, dass Shankara-Acharya der unumstrittene Sieger war. Nun war Shankara-Acharya der führende spirituelle Meister in Indien. Sechzehn Jahre lang predigte
er den advaita-vedanta Tag und Nacht. Auf einer Pilgereise in den Himalayas verliess Shankara-Acharya im Alter von 32 Jahren diese sterbliche Welt und kehrte zu seiner ewigen Wohnstätte
zurück.
Während seines Lebens verfasste Shankara-Acharya eine Vielzahl schöner Verse, die als "Bhaja Govindam" "Verehrung Govindas" bekannt sind. Ein Geheimnis um diese Gebete ist, dass Shankara-Acharya
in all seinen Kommentaren konsequent brahman als das höchste Ziel lehrte, doch in seinen Gebeten sagt er: "Verehre einfach Govinda." Viele Kommentatoren zu Shankara-Acharyas Leben betrachten ihn,
da er eine Inkarnation Schivas war, tatsächlich als den grössten Geweihten Gottes, aber aufgrund der Umstände zu der Zeit, konnte er nicht direkt Hingabe als die höchste Errungenschaft
verfechten.
Bevor er diese Welt verliess, sprach Shankara-Acharya diese letzten Worte:
bhaja govindam, bhaja govindam
bhaja govindam mudhamate
samprapte sannihite kale
na hi na hi rakshati dukrinyakarane
"Verehre Govinda, verehre Govinda, o ihr Narren und Schurken, verehrt einfach Govinda. Eure Grammatikregeln und Wortspielereien werden euch zur Zeit des Todes nicht helfen."
Ramanuja
Wenn die Lebewesen
individuelle Persönlichkeiten sind,
so schlussfolgerte er,
ist das Höchste ebenso
eine Persönlichkeit, die Höchste Persönlichkeit.
Indem Shankar die Veden im Hinblick auf eine besondere Schlussfolgerung interpretierte, stellte er die Doktrin des Nicht-Dualismus, advaita-vedanta, auf, die behauptet, dass alle Lebewesen auf
einer Ebene mit Gott stehen. Er betonte vornehmlich solche Verse, die eine Antwort auf den rationalistischen Atheismus der Buddhisten gaben, aber auch die Lehren Schankaras waren nicht ganz
theistisch. Daher wurde eine weitergehende Enthüllung der höchsten Realität bestimmt. Diese Bestimmung wurde durch Schri Ramanuja-Acharya erfüllt.
Ramanuja wurde nach unserer Zeitrechnung im Jahre 1017 in Indien geboren, als, nach astrologischen Berechnungen, die Sonne im Zeichen des Krebses stand. Seine Eltern waren Asuri Kesava und
Kantimati, beide aus aristokratischen Familien stammend. Ramanuja verbrachte die Tage seiner Kindheit in Schriperumbudur, seinem Geburtsort. Im Alter von 16 Jahren wurde er mit Rakschakambal
vermählt.
Nur vier Monate nach seiner Hochzeit wurde Ramanujas Vater schwer krank und starb. Nach dem Tode seines Vaters übernahm Ramanuja die Führung des Haushaltes und beschloss, nach Kanchi, einer für
ihre Gelehrten und prachtvollen Tempel gerühmte Stadt, umzuziehen.
In Kanchi lebte ein Gelehrter namens Yadava Prakasch, der für seine Bewandertheit in der Doktrin des advaita-vedanta, Nicht-Dualismus, bekannt war. Niemand konnte Yadava in seiner Fähigkeit,
Schankaras Kommentare zum Vedanta-sutra zu erklären, übertreffen. Ramanuja schrieb sich in der Schule Yadavas ein und befasste sich mit dem Studium des Sanskrit und der vedischen Literatur.
Obwohl er nicht im geringsten von der Auffassung Schankaras überzeugt war, lernte Ramanuja seine Lektionen gut und wurde bald einer von Yadavas bevorzugten Studenten. Weil Yadava ihn für einen
ernsthaften Anhänger der Lehren Schankaras hielt, zeigte Yadava Ramanuja besondere Zuneigung. Aber diese Zuneigung dauerte nicht lange an.
Eines Tages, nachdem Yadava einen Vortrag über die Chandogya Upanischade gehalten hatte, bat er Ramanuja seinen Körper mit Öl zu massieren, was ein Dienst war, der in jenen Tagen für gewöhnlich
von einem Studenten ausgeführt wurde. Während er seinen Lehrer massierte, kam ein anderer Student wegen der Klärung eines Punktes des morgendlichen Vortrages zu Yadava. Der Junge hatte die
Bedeutung des siebten Verses des ersten Kapitels, das mit tasya yatha kapyasam pundarikam evam akshini begann, nicht begriffen. Yadava fuhr fort, seine Interpretation zu erklären, die die
erstaunlichen Qualitäten Gottes in einer offenkundig anstössigen Weise beschrieb. Die Worte seines Lehrers betrübten das Herz Ramanujas, das voller Liebe für die Höchste Gottheit war. Heisse
Tränen strömten aus seinen Augen und fielen auf Yadavas Oberschenkel. Als dieser die heissen Tränen spürte, blickte er auf und konnte verstehen, dass etwas Ramanuja Schwierigkeiten bereitete.
Über sein Leid befragt, antwortete Ramanuja: "Oh, grosser und weiser Meister! Ich war tief im Herzen getroffen, eine solch ungeziemliche Erklärung von einer ehrbaren Seele wie Euch zu hören. Wie
sündhaft ist es von Euch, den Höchsten, der mit allen anmutigen Qualitäten versehen und die Quelle aller schönen Dinge dieser Welt ist, zu erniedrigen. Vom Munde eines so gelehrten Mannes wie
Euch, hätte ich niemals solch eine niedere und hinterlistige Auslegung erwartet."
Yadava wurde so ärgerlich, dass er sich kaum beherrschen konnte. "Nun gut" sagte er verächtlich, "vielleicht möchtest du deine eigene Auslegung präsentieren, da du offenbar glaubst, es besser zu
wissen."
Mit sehr freundlicher Stimme antwortete Ramanuja: "Verehrter Herr, es ist nicht notwendig, eine geringschätzige Interpretation zu einem Vers zu geben, wenn die wahre Bedeutung klar und glorreich
ist."
"Dann lass uns diese deine Bedeutung, die so glorreich ist, hören!" sagte Yadava. Da stand Ramanuja auf, und mit grosser Demut gab er die Bedeutung des Verses wieder. "Die beiden Augen des
Höchsten sind so lieblich wie zwei Lotosse, die durch die Strahlen der Sonne erblüht sind."
"Ich verstehe," sagte Yadava, "du sprichst, als gäbe es tatsächlich solch eine 'Höchste Person'. Das liegt an deiner kindlichen Unwissenheit. Du hast deine Lektion nicht richtig gelernt. Du
solltest immer daran denken, dass das Höchste ohne Form, ohne Namen und ohne Eigenschaften ist. Das ist die Lehre des grossen Schankara. In Zukunft solltest du deine dummen Gefühlsduseleien nicht
aussprechen!" Die Worte Yadavas waren schmerzhaft für Ramanuja, aber aus Respekt vor seinem Lehrer blieb er ruhig.
Einige Tage später ereignete sich ein zweiter Vorfall. Yadava erklärte einen Vers aus der Taittiriya Upanischade, der mit satyam jnanam anantam brahma beginnt und sagte, dass Brahman Intelligenz,
Wahrheit und das Unendliche sei. Als Ramanuja diese Erklärung hörte, fügte er höflich hinzu: "Brahman ist versehen mit den Eigenschaften Intelligenz, Wahrheit und Unendlichkeit. Das heisst, dass
Er nicht wie gewöhnliche Lebewesen von Unwissenheit bedeckt ist. Er ist niemals falsch, und Seine Energien sind unbegrenzt, nicht beschränkt. Das Höchste Brahman ist der Ursprung aller guten
Eigenschaften, jedoch steht Er über diesen Eigenschaften, wie der Sonnenplanet dem Sonnenlicht übergeordnet ist."
Die Erregung, die Yadava in seinem Geist fühlte, liess seine Stimme zittern. "Du junger Narr!" rief er. "Deine Schlussfolgerungen stimmen nicht mit denen Schankaras oder irgendeines der
vorangegangenen Meister überein! Wenn du auf diesem nutzlosen Geschwätz über einen persönlichen Gott beharrst, warum kommst du dann überhaupt hierher, um meine Zeit zu verschwenden? Warum
eröffnest du nicht deine eigene Schule und lehrst, was immer du willst? Nun verlasse sofort mein Klassenzimmer!" Ramanuja erhob sich von seinem Platz und verliess schweigend den Raum.
Kurz danach eröffnete Ramanuja eine kleine Schule in seinem Heim, und unversehens begannen viele Menschen zu ihm zu kommen, um seine hingebungsvollen Vorträge zu hören. Ramanujas Lehren waren
vollständig theistisch. Er lehnte das Konzept ab, dass der jiva, ein Lebewesen, dem Höchsten Brahman ebenbürtig oder Gott werden könnte, wie von Schankara behauptet wurde. Das Lebewesen, so
lehrte Ramanuja, ist ein Teilchen Gottes, und seine Aufgabe als solches ist, dem vollständigen Ganzen zu dienen. Er sagte, dass die Hand ein Teil und daher ein Diener des Körpers ist. Ebenso ist
das Lebewesen Teil des Höchsten, und daher ist seine wesensgemässe Stellung, diesem Höchsten zu dienen.
Die Philosophie Ramanujas wurde als visischtadvaita, oder qualifizierter Nicht-Dualismus bekannt. Demnach werden die Lebewesen als qualitativ eins mit dem Höchsten, gleichzeitig jedoch
quantitativ verschieden von Ihm angesehen. Ramanujas Aussage zum quantitativen Unterschied war, dass die fragmentarischen Teile des Höchsten abhängig vom Höchsten sind, aber nicht das Höchste
werden können.
Die Philosophie Schankaras behauptet, dass alles Brahman und das Brahman selbst vollkommen homogen, undifferenziert und ohne Persönlichkeit sei. Individualität käme nur aufgrund von Illusion,
oder maya, auf. Aber diesem Verständnis trat Ramanuja streng entgegen. Seine Philosophie stellt fest, dass es niemals Wissen von einem eigenschaftslosen Objekt geben kann. Wissen deutet
notwendigerweise auf ein irgendwie zu beschreibendes Objekt hin. Ramanuja liess niemals ein eigenschaftsloses, undifferenziertes Brahman gelten, sondern ein Brahman, das ein Attribut einer
grösseren Realität, Gott Selbst, ist. Wenn die Lebewesen individuelle Persönlichkeiten sind, so schlussfolgerte er, ist das Höchste ebenso eine Persönlichkeit, die Höchste Persönlichkeit.
Ramanuja schlussfolgerte weiter, dass, wenn Illusion die Identität des Höchsten bedecken könne, diese höher als Gott einzustufen sei. Deshalb, so behauptete er, sind wir ewig individuelle
Persönlichkeiten, und das Höchste ist ewig die Höchste Persönlichkeit, aber aufgrund unseres Begrenztseins sind wir manchmal Täuschung unterlegen.
Ramanuja akzeptierte auch die von Schankara abgelehnte Theorie der Umformung. Nach Schankara ist die materielle Welt falsch. Sie hat keine Existenz. Ramanuja andererseits sagte, dass die
materielle Welt Gottes Energie ist, und dass die subjektive Wirklichkeit in Bezug auf die materielle Manifestation keine Änderung ihrer Substanz erfährt, genauso wie ein Sänger, der aus eigener
Energie ein Lied kreiert, sich aufgrund dieser Schöpfung nicht verringert. Er wird eher glorreicher.
In der visischtadwaita Philosophie werden weder die materielle Welt, noch die Lebewesen als unabhängig von der Höchsten Persönlichkeit angesehen. Die Lebewesen, da sie mit freiem Willen versehen
sind, sind eine unterschiedliche Manifestation des Höchsten, wohingegen sich die materielle Energie direkt nach dem Willen des Höchsten manifestiert. Der freie Wille des Lebewesens ist ein
überaus wichtiger Faktor, da dieser freie Wille als das grundlegende Prinzip der wechselseitigen Beziehung zwischen Gott und dem Lebewesen angesehen wird.
Ramanuja stellt die Beziehung des Lebewesens mit Gott als auf ewigem Dienst beruhend dar. Wenn die Lebewesen durch die Methode der Hingabe und natürlichen Liebe zu Gott, vergleichbar mit dem
Umgang zwischen einem liebevollen Diener und seinem Herrn, von den Täuschungen, die von der materiellen Energie herbeigeführt werden, befreit sind, dann geht die Seele in den spirituellen Himmel,
Vaikuntha, ein. Einmal die Vaikuntha-Welt erreicht, beschäftigt sich die Seele im ewigen Dienst der Höchsten Person, Narayana (Vischnu). Diese erhabene Botschaft vermittelte Ramanuja seinen
Zuhörern täglich.
Der stolze und arrogante Yadava Prakasch wurde angesichts der wachsenden Popularität Ramanujas und des Einflusses, den er auf die Menschen von Kanchi hatte, unruhig. Er rief seine getreuen
Studenten zu sich und sagte: "Dieser unverschämte Ramanuja ist ein Ketzer! Er ist ein Ärgernis für die Gesellschaft und eine Bedrohung für unsere Lehren des Nicht-Dualismus. Ich sehe für dieses
Problem keine andere Lösung, als diesen Schurken zu töten! Was sagt ihr?" Yadavas Schüler stimmten völlig mit ihrem Lehrer überein, da auch sie neidisch auf Ramanuja waren. Also erdachten sie
einen Plan, ihn zu töten.
Unter dem Vorwand, dem heiligen Ganges huldigen zu wollen, trafen Yadava und seine Schüler Vorkehrungen für eine Pilgereise nach Benares und fragten Ramanuja, ob er sich ihnen anschliessen wolle.
Nichts von ihrem verräterischen Plan ahnend, nahm Ramanuja die Einladung an. Ramanuja bat seinen Cousin Govinda, ihn zu begleiten. Am vierten Tage ihrer Reise wurde Govinda von einem jüngeren
Schüler Yadavas ins Vertrauen gezogen, der den Plan Ramanuja zu töten enthüllte.
Über die bösen Absichten Yadavas und seiner Anhänger schockiert, nahm Govinda Ramanuja zu einem abgelegenen Ort im Wald und informierte ihn über die Gefahr. Er bat Ramanuja, sofort in den Wald zu
flüchten, ehe es zu spät war.
Govinda kehrte daraufhin zum Lager zurück und erzählte den anderen, dass er und Ramanuja im Wald nach wilden Beeren gesucht hätten, und währenddessen sich ein Tiger auf Ramanuja gestürtzt und
seinen hilflosen Körper weggeschleppt hätte. Nach aussen hin zeigten Yadava und seine Schüler Zeichen von Bedauern, aber innerlich sprangen ihre Herzen vor Freude. Ramanuja war nun für immer aus
ihren Leben verschwunden. So dachten sie.
Auf seiner Wanderung durch das Land, seinen Heimweg suchend, kam Ramanuja an einen Brunnen, wo ein Mann und eine Frau eifrig Wasser heraufzogen, um es zu ihrem Dorf zu tragen. Das Paar bot ihm
einen Becher Wasser gegen seinen Durst an. Nachdem er getrunken hatte, legte Ramanuja sich zu einer Rast nieder und fiel in einen traumreichen Schlaf. Er träumte, wie er auf dem Weg durch den
Wald Ramachandra, die Inkarnation Gottes, und Seiner Gefährtin Sitadevi sah, die ihm den Weg zu seinem Dorf zeigten. Als Ramanuja aus seinem Traum erwachte, waren der Mann und die Frau am Brunnen
verschwunden. Sich umsehend erkannte er, dass er sich am Stadtrand von Kanchi befand. Wie er dorthin gekommen war, konnte er nicht nachvollziehen, ausser durch ein Wunder.
In Kanchi setzte Ramanuja sein gewöhnliches Leben fort und erzählte niemandem davon, dass sein Leben in Gefahr gewesen war. Einige Monate vergingen, bis eines Tages Yadava und seine Schüler nach
Beendigung ihrer Pilgereise nach Kanchi zurückkehrten. Sie waren beim Anblick Ramanujas, lebend und wie gewöhnlich seine Schule führend, verblüfft. Sie dachten, ihr Plan sei aufgedeckt worden,
bekamen Angst und unterliessen jegliche weiteren Pläne, Ramanuja zu töten.
Der Ruhm Ramanujas breitete sich weiter und weiter aus. Als er eines Tages in seine Studien versunken dasass, kam ein ehrwürdiger Heiliger namens Yamunacharya an seine Tür, um ein Almosen zu
erbitten. Ramanuja zeigte seine ganze Höflichkeit und hiess den Heiligen in seinem Haus willkommen. Er erfuhr, dass Yamuna von Schri Rangam, dem berühmten Vischnu-Tempel, war. Im Laufe ihrer
Unterhaltung erkannte Ramanuja bald, dass Yamunacharya ein qualifizierter spiritueller Meister der Wissenschaft der Hingabe war. Von Entzücken und Jubel übermannt, fiel Ramanuja zu seinen Füssen
und bat darum, als sein Schüler angenommen zu werden.
Yamuna richtete Ramanuja sofort vom Boden auf, umarmte ihn mit tiefer Liebe und sagte: "Mein Kind, ich bin heute selig, deine Hingabe zu Gott zu sehen. Mögest du ein langes und ergebnisreiches
Leben haben, immer auf den Dienst zu Narayana, der Persönlichkeit Gottes, bedacht."
Dann umkreiste Ramanuja seinen Guru, um glückverheissende Umstände zu erflehen, und Yamuna ging nach Schri Rangam.
Mehr als je zuvor, predigte Ramanuja die Lehre der Hingabe mit Kraft und Überzeugung. Er war in seiner Darstellung so überzeugend, dass sogar Yadava Prakasch und seine Anhänger sich ergaben und
Ramanujas Schüler wurden.
Dann kam eines Tages ein Bote von Schri Rangam und berichtete Ramanuja, dass sein Guru krank sei und auf der Schwelle des Todes stünde. Ramanuja machte sich sofort auf nach Schri Rangam, konnte
aber nicht rechtzeitig dort ankommen. Kurz bevor Ramanuja ankam, verliess Yamuna seinen Körper und betrat das glückselige Reich Vaikuntha.
Ramanuja überquerte den Fluss Kaveri, erreichte die Insel, auf der der Tempel von Schri Rangam stand und ging direkt zu dem Platz, an dem sein Guru lag. Yamuna lag mit geschlossenen Augen auf
einem Bett, seine Arme an seinen Seiten ausgestreckt, und sein Gesicht strahlte, als sei er in Gedanken von unendlicher Schönheit vertieft.
Für einen Augenblick richtete sich jedermanns Aufmerksamkeit auf Ramanuja, als dieser den Raum betrat und sich neben seinen Guru setze. Tränen der Liebe füllten seine Augen, und er schluchzte. In
seinem Herzen fühlte er grossen Trennungsschmerz von seinem Meister. Die linke Hand Yamunas schwebte in der Yoga-Haltung für Frieden, mit drei Fingern ausgestreckt und dem Daumen und dem
Zeigefinger an den Spitzen zusammengeführt. Seine rechte Hand hingegen war an seiner Seite, aber zur Faust geballt. Alle Schüler waren starr vor Verwunderung über die Haltung der rechten Hand
ihres Guru, und keiner von ihnen konnte die Bedeutung dessen verstehen. Während jeder in Staunen verharrte, brach Ramanuja die Stille und erklärte: "Unser Guru, der ehrwürdige Yamunacharya, hat
drei Wünsche, die er erfüllt haben möchte. Ich werde die allgemeine Menschheit, die von der Unpersönlichkeitslehre irregeführt ist, beschützen, indem ich den Nektar der Hingabe zu den Lotosfüssen
Narayanas über sie ergiesse."
Als Ramanuja sprach, streckte sich ein Finger an Yamunas rechter Hand aus. Dann sagte Ramanuja: "Zum Wohle der Menschen der Welt werde ich einen Kommentar zum Vedanta-sutra verfassen, der die
Höchste Person als die höchste Realität nachweist." Hierzu streckte sich ein weiterer Finger aus, und Ramanuja fuhr fort: "Und um Parasara Muni zu ehren, der in längst vergangener Zeit die
Beziehung zwischen jivas, Lebewesen, und ishwara, der Höchsten Person, festgestellt hat, werde ich einen meiner Schüler, der wohlgelehrt und hingegeben ist, nach ihm benennen."
Dann wurde Ramanuja still. Der dritte Finger der rechten Hand Yamunas streckte sich aus. Jeder der Anwesenden war erstaunt über dieses Wunder, und von diesem Tage an akzeptierten sie alle
Ramanuja als ihren Führer und Leiter. Im Laufe der Zeit wurden alle drei Gelübde von ihm erfüllt.
Ramanuja lebte weiter in Schri Rangam, diente der Bildgestalt Narayanas und gab jedem der zu ihm kam Erleuchtung, bis zum Alter von 120 Jahren. Eines Tages, als er die Bildgestalt verehrte,
betete er: "Lieber Gott, was immer ich zum Erhalt der Essenz der Veden, zur Erhebung der gefallenen Seelen und zur Etablierung der Zuflucht bei Deinen Lotosfüssen als das höchste Lebensziel tun
konnte, habe ich getan. Nach vielen Jahren in dieser Welt ist mein Körper nun müde geworden. Erlaube mir freundlicherweise, diese sterbliche Welt zu verlassen und Deine höchste Wohnstatt zu
betreten."
Mit diesem Gebet kehrte Ramanuja zur Versammlung seiner Schüler zurück und gab seinen Wunsch, diese Welt zu verlassen, bekannt. In ein Meer von Trauer geworfen, ergriffen die Schüler die Füsse
ihres Guru und flehten ihn an, bei ihnen zu bleiben. "Es ist für uns unerträglich, an die Abwesenheit deiner göttlichen Gestalt zu denken, die das höchste Reinigende, der Sitz alles Guten, der
Vernichter allen Kummers und der Quell grenzenloser Freude ist. Hab Erbarmen mit deinen Kindern und bleib bitte noch einige Zeit bei uns."
Ramanuja blieb noch drei Tage auf der Erde. Um ihre bekümmerten Herzen zu beruhigen, sprach Ramanuja seine letzten Anweisungen zu denen, die ihm am nächsten und liebsten waren: "Bleibt immer in
Gemeinschaft von Gott hingegebenen Seelen und dient ihnen so, wie ihr eurem eigenen spirituellen Lehrer dienen würdet. Habt Vertrauen in die Lehren der Veden und die Worte der grossen Heiligen.
Werdet niemals der Sklave eurer Sinne; seid immer bemüht, die drei grossen Feinde der Selbstverwirklichung, Lust, Ärger und Gier, zu besiegen. Verehrt Narayana, und erfreut euch daran, die
Heiligen Namen Gottes, euer einziges Refugium, zu lobpreisen. Dient den Geweihten Gottes ernsthaft. Durch den Dienst zu den grossen Gottgeweihten bringt man den besten Dienst dar und erlangt
schnell die höchste Barmherzigkeit. Immer an diese Dinge denkend, sollt ihr glücklich in dieser Welt leben, um die nächste zu erreichen."
Mit diesen Abschiedsworten, gab Ramanuja, seinen Kopf in den Schoss Govindas gelegt und seinen Geist in spiritueller Trance vertieft, seinen sterblichen Körper auf und ging in das Reich Vaikuntha
ein.
Madhva-Acharya
Shripada Madhva-Acharya wurde im Jahre 1238 in Pajaka-kchetra, einem kleinen Dorf, 8 Kilometer südöstlich der Kleinstadt Udupi, an der Westküste Südindiens, geboren. Seine Philosophie und sein
Schriftwerk haben ihn als einen der grössten spirituellen Lehrer Indiens ausgezeichnet. Seine Lehren waren durch und durch theistisch. Madhva folgte Ramanuja geschichtlich, und seine theistische
Darstellung Vedischen Wissens in klaren Begriffen legte Nachdruck auf das, was Ramanuja umgangen hatte: Hingabe, sowohl als Weg, als auch als Ziel der Gotteserkenntnis.
Madhva schrieb Kommentare zum Vedanta Sutra, Shrimad-Bhagavatam, Mahabharata und der Bhagavad-gita und führte auch eine strenge Ordnung für Tempelriten in Udupi ein, die noch heute befolgt
werden.
Madhvas Eltern lebten ursprünglich in Kadiyali, einem kleinen Dorf nahe Udupi. Vom Verlust zweier Söhne bekümmert, zogen sie in das Dorf Pajaka-ksetra. Tag für Tag gingen die beiden von
Pajaka-ksetra nach Udupi und beteten zu der Bildgestalt darum, mit einem erhabenen Sohn gesegnet zu werden. Zwölf Jahre lang unterzogen sie sich dieser Härte. Während eines Tempelfestes erklomm
einer der Priester eines Tages des Fahnenmast und verkündete, dass der Gott des Windes, Vayu, bald auf der Erde geboren und viele aussergewöhnliche Taten vollbringen würde. Bald darauf erfüllte
sich die Prophezeiung, und die beiden wurden mit einem männlichen Kind gesegnet, das sie Vasudeva nannten und das später als Madhva-Acharya bekannt wurde.
Zu mehreren Gelegenheiten zeigte Vasudeva, dass er kein gewöhnlicher Sohn war. Sein Vater, Madhyageha, hatte einst Schulden gemacht. Der hartnäckige Gläubiger kam zu seinem Haus, setzte sich auf
die Stufe vor der Haustür und erklärte, dass er fasten würde bis die Schuld beglichen sei. Vasudeva sah Madhyagehas Unruhe und beschloss, die Situation zu retten. Er führte den Gläubiger hinter
den Wassertank unter einem grossen Tamarindenbaum, nahm eine handvoll Tamarindensamen und schüttete sie in die Hände des Geldgebers. Dieser dachte zuerst, dass das Kind nur spielte, aber als er
erneut in seine Hände schaute, sah er, dass sich die Samen in Goldmünzen verwandelt hatten, gerade ausreichend, um die Schulden zurückzuzahlen.
Weil Vasudeva so erstaunlich war, wollte ihm sein Vater aus väterlicher Zuneigung eine Ausbildung geben. Daher führte er die aksara-abhyasam Zeremonie durch, mit der ein Kind seine Schulung
beginnt. Kurz nach seinen ersten Studien hatte Vasudeva eines Tages eine Gelegenheit, seine Gelehrsamkeit zu prüfen. In dem nahegelegenen Dorf Nayampalli gab ein Brahmane namens Siva Vorlesungen
über die Puranas, und Vasudevas Eltern hatten den Knaben mitgebracht, um den Vortrag zu hören. Eine schwierige Textstelle kam, und der Brahmane war sichtlich verwirrt und unfähig, die klare
Bedeutung des Verses darzulegen. Er sprach trotzdem weiter, bis plötzlich Vasudeva das Wort ergriff und zum Erstaunen der Versammlung, den wahren Gehalt des Aphorismus offenbarte.
Nach dem Abschluss seines Sanskrit-Studiums im Alter von elf Jahren, machte sich Vasudeva auf die Suche nach einem Guru, der ihn in den Lebensstand der Entsagung, sannyasa, einweihen würde.
Bereits im Alter von fünf Jahren hatte er die Einweihung in den brahminischen (priesterlichen) Stand empfangen. In Udupi fand er Achyuta Prekscha, einen adwaitinischen Mönch. Er wandte sich mit
grossem Respekt an Achyuta Prekscha und ermpfing seine Segnungen. Er lebte unter seiner Führung und wurde ein gehorsamer Schüler. Unterdessen war Vasudevas Vater, wegen der langen Abwesenheit
seines Sohnes von zuhause, beängstigt. Madhyageha kam nach Udupi und fand sein geliebtes Kind in Achyuta Prekschas Kloster. Als er die Absichten seines Sohnes erkannt hatte, versuchte Madhyageha
ihn zur Heimkehr zu bewegen, aber seine Bemühungen waren vergebens. Mit grossem Kummer ging Madhyageha nach Hause. Nachdem er den Vorfall seiner Frau berichtet hatte, war die ganze Familie in
eine leidvolle Lage versetzt, und seine Frau überredete Madhyageha, den geliebten Sohn nochmals aufzusuchen und alles Mögliche zu tun, um ihn nach Hause zu bringen.
Madhyageha ging wieder zu dem Ashram, konnte jedoch lediglich feststellen, dass Achyuta Prekscha eine Pilgerreise zu den heiligen Orten Südindiens begonnen hatte. Unverzüglich folgte er der
Gruppe. Südlich von Udupi überquerte er den Fluss Netravathi und fand seinen Sohn im Kuthyadi-Ashram in dem Dorf Kayuru. Wieder ersuchte er ihn, nach Hause zu kommen. Vater und Sohn diskutierten
eine Weile bis Madhyageha schiesslich wütend wurde und drohte, sich zu töten, falls Vasudeva sannyasa annehmen würde. Angesichts der Erregung seines Vaters sagte Vasudeva, dass er die Meinung
seiner Mutter respektieren würde und selbst dann nicht eher in den Lebensstand der Entsagung eintreten würde, bis sie einen weiteren Sohn zur Welt gebracht hätte.
Nach seinem sechzehnten Geburtstag wurde ein weiteres männliches Kind geboren, und mit der Erlaubnis seiner Eltern wurde ein glücksverheissender Tag ausgewählt, an dem Vasudeva im
Anantasana-Tempel in Udupi in den entsagten Lebenstand eintrat. Zwischen Guru und Schüler ergab sich eine interessante Beziehung. Während Achyuta Prekscha ein unerschütterlicher Anhänger der
Linie Shankaras war, war es Madhva bestimmt, seine eigene Linie zu beginnen und neues Licht auf die wenig entwickelten schriftlichen Schlussfolgerungen Shankaras zu werfen.
Madhva wich in vieler Hinsicht von Shankara ab. Wie Ramanuja, unterstützte er, dass Shankara dem Hauptaphorismus der Veden, pranava omkara, keinen Nachdruck verliehen hatte. Aus der Sicht Madhvas
hatte Shankara stattdessen die Aufmerksamkeit auf zweitrangige Aussprüche, wie tat tvam asi, gelenkt. Nach Madhva bieten Shankaras Lehren also nicht das ganze Bild, sondern nur Teilwissen von
dem, worauf die Veden hindeuten.
Shankara bestand so sehr auf dem Einssein oder der Identität aller Dinge, dass nach seiner Sicht von der höchsten Wirklichkeit, alle "Dinge" oder alles Getrenntsein als solches, aufhören zu
existieren. Madhva betonte hingegen fünf absolute und ewige Unterscheidungen zwischen Gott, der individuellen Seele und Materie.
Der Unterscheidung:
- zwischen Gott und der begrenzten Seele,
- zwischen Gott und der unbeseelten Welt der Materie,
- zwischen einer begrenzten Seele und einer anderen,
- zwischen der begrenzten Seele und Materie und
- zwischen einem unbeseelten Objekt und einem anderen.
Madhva erkannte auch eine absolute Übereinstimmung in jeder dieser fünf genannten ewigen Unterscheidungen. Gott und die begrenzte Seele sind miteinander in dem Sinne identisch, dass beide bewusst
sind und in einer Beziehung zueinander stehen, wie das Ganze zu seinen Teilen. Gott und Materie sind insofern aufeinander bezogen, als letzteres des erstgenannten wegen seiner Schöpfung und
Erhaltung bedarf. Begrenzte Seelen sind identisch, weil sie alle Teile Gottes, von Ihm abhängig und bewusst sind. Die begrenzte Seele und Materie sind in dem Sinne dasselbe, als beide von der
Überseele abhängig sind, und unbeseelte Objekte sind identisch, da ein jedes von Gott, der sie in einem geordneten System verbindet, abhängig ist.
Seine Philosophie, "dvaita" (Dualismus), unterstreicht das ewige Verschiedensein zwischen dem Lebewesen und Gott. In diesem Sinne ist seine Philosophie der (nicht-dualen) advaita-Lehre Shankaras
direkt gegenläufig. Es ist jedoch wichtig festzuhalten, dass beide, Madhva und Shankara, darin übereinstimmen, dass die der Sinneswahrnehmung entspringende Dualität illusorisch ist. Madhvas
Dualismus ist ein transzendentaler Standpunkt, und um zu dieser Auffassung zu gelangen, muss man das "falsche Ego" sterben und das wirkliche Ego (das individuelle Wesen) im selbstlosen Dienst zu
Gott aufblühen lassen.
Madhva führte das Konzept von vischescha ein, um Gottes Einheit mit der Vielfalt seiner Eigenschaften und Merkmale in Einklang zu bringen. Ebenso, wie wir keinen Unterschied zwischen einem Laken
und seiner Weisse wahrnehmen und doch gleichzeitig eine Eigenheit (vishesha), nämlich die Weisse des Lakens erkennen, in ähnlicher Weise, so behauptete Madhva, offenbart ein genauerer Blick auf
das brahman (Bewusstsein, die höchste Realität), dass Gott in harmonischer Vielfalt existiert. Dies ist, im Gegensatz zur monistischen Haltung Shankaras, insofern eine theistische Ansicht, als
die begrenzte Seele ein im herrlichen Dienst zu Gott beschäftigtes Individuum bleibt. Zur gleichen Zeit wird alles Existierende als ein organisches Ganzes betrachtet.
In philosophischen Diskussionen zeigte Purnaprajna, wie Madhva zu der Zeit genannt wurde, regelmässig die zahlreichen Mängel an den advaita-Interpretationen des Vedanta Sutra auf. Dies wurde von
seinem Guru bemerkt. Achyuta Prekscha erkannte, dass sein Student sehr stark war und selbst bald ein grosser Lehrer sein würde. Er machte ihn zum Leiter eines anderen Klosters und gab ihm den
Namen Ananda Tirtha.
Sobald sich die Nachricht herumsprach, dass Ananda Tirtha ein neuer spiritueller Führer war, strömten viele pandits nach Udupi und versuchten, ihn in philosophischen Streitgesprächen zu schlagen,
was damals der Brauch war. Zu jener Zeit hielten sich viele Buddhisten und Jainiten im südlichen Gebiet Kanara auf. Der grösste Gelehrte der Buddhisten, Buddhi Sagara, kam um Purnaprajna
herauszufordern und wurde geschlagen. Seine Niederlage wurde anerkannt, als er, nach nur eintägiger Debatte, in der Nacht floh. Dieser Sieg brachte Madhva beachtliche Aufmerksamkeit. Sogar
Madhva-Acharyas Guru, obwohl ein unbeugsamer advaiti, war von Anfang an beeindruckt von den anscheinend unwiderlegbaren Argumenten des immer frischen Madhva. Deshalb forderte er Madhva-Acharya
auf, seinen eigenen Kommentar zum Vedanta Sutra zu schreiben. Madhva nahm diese Aufforderung an. Es heisst, dass jedes philosophische System, dessen Gedanken auf der Vedischen Literatur basieren,
auf einem Kommentar zum Vedanta Sutra aufgebaut sein muss.
Einen Grossteil seiner Zeit verbrachte Madhva-Acharya in philosophischen Streitgesprächen mit den damals führenden Denkschulen Indiens. Er diskutierte sowohl mit jenen innerhalb der Vedischen
Tradition, als auch mit Buddhisten und Jainisten, die die Veden nicht als die Norm offenbarten Wissens in literarischer Form akzeptieren. Um sicher zu sein, hatten diejenigen ausserhalb der
Vedischen Tradition ihre eigene literarische Grundlage, auf der ihre Doktrin basierte. Madhva wandte gegen diese philosophischen Gegner mit überwältigendem Erfolg eine erstaunliche Logik an, wie
sie im Vedanta Sutra zu finden ist. Bei jenen Gegnern innerhalb der Vedischen Tradition waren Madhvas Diskussionen dergestalt, dass er seiner These direkt vom Vedanta Sutra, was in Indien noch
heute als der Zenit der Logik und Argumentation (nyaya shastra) angesehen wird, Nachhalt lieferte.
Innerhalb der Vedischen Tradition werden die Veden, Upanischaden und nachfolgende Schriften, wie die Puranas, wie Gesetzbücher in unserem heutigen Rechtssystem angesehen. Wenn zwei Anwälte vor
Gericht gehen, so tun sie das mit der Absicht, genau das durchzusetzen, was in dem gegebenen Fall Gesetz ist. Beide versuchen, ihre Anschauung durchzusetzen, indem sie sowohl die geltenden
Gesetzbücher zitieren, als auch solche Bücher, die Schilderungen von ähnlichen Fällen und davon, wie das Gesetz in diesen Fällen ausgelegt wurde, enthalten. Die Veden und ihre Folgeliteratur
können mit Gesetzbüchern und Fallbeschreibungen verglichen werden. Wenn wir deshalb von den philosophischen Debatten Madhvas sprechen, behandeln wir Debatten vergleichbar denen, die heutzutage
von Anwälten geführt werden, oder genauer gesagt denen von Wissenschaftlern, entsprechend der Natur der Themen. Sie diskutierten Wirklichkeit und deren Natur in allen Ebenen der Wahrnehmung, und
jede Partei war theoretisch bereit, sollte sie unterliegen, ihre bisherige Auffassung aufzugeben und den Sieger als spirituellen Mentor zu akzeptieren.
Bevor Madhva seinen Vedanta Sutra-Kommentar schrieb, reiste er für einige Jahre. Während dieser Zeit gewann er die Erkenntnis, dass er einen Kommentar zur Bhagavad-gita schreiben sollte. Als er
daran schrieb, beschloss er, in die Himalayas zu gehen, um Vyasadeva (dem ursprünglichen Autor der Vedischen Literatur, der noch immer in den Himalayas lebt) seinen Respekt zu zollen und dessen
Segen für sein neues hingebungsvolles philosophisches System (sampradaya) zu erhalten. Begleitet von seinem Schüler Satya Tirtha, erreichte er Badrinath und verweilte im Ananda Ashram, um sich
auf den letzten Teil der Reise vorzubereiten.
Nachdem er seinen Gita-Kommentar an diesem Abend der Bildgestalt als Opfergabe dargebracht hatte, begann Madhva die erste Zeile zu lesen. In demselben Augenblick ging eine himmlische Stimme von
der Bildgestalt aus, die Madhva bat eine kleine Korrektur vorzunehmen. Wo Madhva geschrieben hatte: "Ich werde die Bedeutung der Gita meinen Fähigkeiten entsprechend erklären", warf die
Bildgestalt ein: "Du bist in der Lage die volle Bedeutung zu erklären, aber in Übereinstimmung mit dem Ausmass des Verständnisses deiner Studenten, solltest du nur ein wenig erklären." Damit war
angezeigt, dass die Entfaltung des vollkommen theistischen Verständnisses der Gita noch von einem anderen grossen Lehrer in der Zukunft vorgenommen werden sollte.
Madhva empfand dann den Wunsch, in die höheren Himalayas, zum Aufenthaltsort Vyasas zu reisen. Er bereitete sich auf die Reise durch eine 48-tägige Fastenzeit und stille Meditation vor. Vor
seiner endgültigen Abreise schrieb er seinen Schülern: "Dieser Ort ist heilig. Vischnu ist der Höchste. Mein Wort ist zum Wohle aller gedacht. Ich gehe, um Vyasa Ehre zu erweisen. Ich mag
wiederkehren oder nicht. Möge Gott Euch segnen." Als er an das Ende seiner mühsamen Reise gelangte, ging Madhva langsam zu dem heiligen Gebiet, wo Vedavyasa von rischis umgeben sass. Dort empfing
er aus dem Munde Vyasas die Segnung, seinen Kommentar zum Vedanta-Sutra zu schreiben. Damit war seine Mission erfüllt, und Madhva kam zum Ananda Ashrama zurück, wo Satya Tirtha Madhvas Kommentar
niederschrieb und Vorkehrungen für die Erstellung und Aussendung von Kopien traf.
Nach Osten reisend, kam Madhva dann schliesslich am Fluss Godavari (Ostzentralindien) an. Dort traf er am Ufer des Godavari, in der Stadt Ganjam, eine Gruppe von Pandits und erörterte
Philosophie. Er besiegte Buddhisten, Jainisten, Charvakas und Nachfolger Shankaras. Er bekehrte die beiden grossen Pandits, Schri Sobhana Bhatta und Schri Rama Schastri, die seine Schüler wurden
und die Namen Padmanabha Tirtha und Narahari Tirtha empfingen. Sobhana Bhatta und andere Schüler begleiteten ihn auf seinem Rückweg nach Udupi. Seine spirituelle Stellung war nun ungeschlagen und
unherausgefordert. Er gab vielen Gottgeweihten die Einweihung und überzeugte tausende von Menschen, bei seiner dvaita-vada-Philosophie Zuflucht zu suchen.
Udupi war im Begriff, der Sitz von Madhvas transzendentaler Ontologie des dvaita-vada zu werden. Es war in dieser Stadt, wo sich einer der bedeutendsten Vorfälle seines Lebens ereignete. Als er
ein Bad im Meer nahm, bemerkte Madhva einen seefahrenden Kaufmann in Not. Schwere Winde hatten seine Annäherung an die Küste gefährlich gemacht, und er war auf eine Sandbank gelaufen. Vom Strand
aus dirigierte Madhva, sein Tuch schwenkend, den Seefahrer sicher an die Küste. Sicher angekommen, fühlte sich der Kapitän Madhva gegenüber tief verschuldet und drückte seinen Wunsch aus, ihm ein
Geschenk machen zu dürfen. Madhva willigte ein und bat um ein Stückchen Ton, dessen Wert unbedeutend war. Aber sehr zum Erstaunen eines jeden befand sich im dem Lehm eine grosse Bildgestalt Schri
Krischnas. Die Neuigkeit verbreitete sich in Udupi, und die Bildgestalt wurde im Tempel installiert. Somit wurde Madhvas Schule in Udupi fest etabliert, und bis zum heutigen Tage wird die
Bildgestalt von zahlreichen Anhängern Madhva-Acharyas verehrt.
Im Laufe der Zeit richtete Madhva-Acharya acht Tempel in Udupi ein und ernannte acht seiner führenden Schüler als Hauptpriester, die verantwortlich für altehrwürdige Bildgestalten waren. Er lebte
neunundsiebzig Jahre und schrieb siebenunddreissig Bücher.
Von westlichen Gelehrten wurde seine Philosophie in gewisser Weise vom Christentum beeinflusst angesehen. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt liegen. Madhva hat seine These eindeutig
mit Nachweisen aus der Vedischen Literatur untermauert, und seine Lehren können eher als eine Entwicklung theistischen Gedankenguts angesehen werden, aufbauend auf dem, was früher von Ramanuja
angeboten wurde.
Wir haben versucht, seinen höchst herausragenden Beitrag im Bereiche der Philosophie und Hingabe zu betonen, doch der zur Verfügung stehende Raum erlaubt uns nicht, seine philosophische
Abhandlung des dvaita-vada bis ins letzte Detail darzustellen. Wer dem zugeneigt ist, kann Madhvas Lehren in seiner Abhandlung über den Vedanta Sutra studieren. Dabei ist eine vergleichende
Studie der Vedanta-Kommentare von Shankara, Ramanuja und Madhva sehr empfehlenswert.
Hingabe der Weg und das Ziel
Um zu dieser Auffassung zu gelangen,
muss man das "falsche Ego" sterben
und das wirkliche Ego
(das individuelle Wesen)
im selbstlosen Dienst zu Gott aufblühen lassen.
Chaitanya Mahaprabhu
Sri Chaitanya Mahaprabhu, gilt als der grosse Meister, der der Welt der spirituellen Sucher die vertraulichsten und erhabensten Aspekte der Absoluten Wahrheit, achintya-beda-abeda-tattva
(gleichzeitiges, unbegreifliches Eins- und Verschiedensein) und prema (Gottesliebe) offenbarte.
Mahaprabhu erschien in dieser Welt am 18. Februar 1486, in Mayapur, Navadwip Dham, Westbengalen, im Hause von Jagannatha Mischra, einem gelehrten brahmana der Vaishnava-Gemeinde. Zur Zeit von
Mahaprabhus Erscheinen herrschte eine Mondfinsternis, und deshalb hatten sich die Einwohner von Navadwip Dham am Ganges versammelt, um ein Bad zu nehmen. Gemäss dem Brauch ihrer Zeit, sang ein
jeder während des Bades im Ganges Vedische Mantren. Aufgrund des Singens dieser Mantren wurde die Atmosphäre von spirituellen Vibrationen aufgeladen, und in diesem glückverheissenden Augenblick
stieg Mahaprabhu Selbst herab.
Das Leben Mahaprabhus wurde von Geschichtsschreibern und Gelehrten gleichermassen geschildert. Nach weitverbreiteten Erzählungen war Mahaprabhu eine grosse Persönlichkeit, die in der Blüte seiner
Jugend in den Lebensstand der Entsagung trat und Indien in eine Renaissance der Hingabe führte, die das Singen der Heiligen Namen Gottes als Mittelpunkt hatte. Dies ist sicherlich wahr, doch es
gibt eine weitere Darstellung des Lebens Mahaprabhus, eine höchst esoterische und spirituelle. Der bengalische Klassiker Chaitanya-caritamrita, im 16. Jahrhundert von Krishnadas Kaviraj Goswami
verfasst, offenbart die innere Identität Mahaprabhus, die von all Seinen Anhängern akzeptiert wird. In diesem, in Indien in 17 Bänden erschienenen Buch beschreibt der Autor Mahaprabhu als niemand
anderen, als das Summum-Bonum der Absoluten Wahrheit, dem Höchsten Wesen. Krishnadas sagt: "Was die Upanischaden als das unpersönliche Brahman beschreiben, ist nur die Ausstrahlung von
Mahaprabhus transzendentalem Körper, und die Überseele in den Herzen aller Lebewesen ist nur sein lokalisierter Teil. Er ist Parabrahman, Krishna Selbst, vollständig versehen mit sechs Füllen. Er
ist die Absolute Wahrheit, Paratattva, und keine andere Wahrheit ist grösser als Er oder Ihm gleich."
Die höchste Auffassung des Parabrahman in der persönlichen Gestalt Mahaprabhus wurde auch von Lehrern der heutigen Zeit, wie dem bedeutenden Professor der indischen Philosophie, Dr. O.B.L.
Kapoor, im Detail erklärt, der sagt, dass das Erscheinen Mahaprabhus in dieser phänomenalen Welt der Gipfel einer transzendentalen Dialektik ist, die dem Wesen der Höchsten Person innewohnt.
Parabrahman, so sagt Kapoor, ist rasa, oder konzentrierte Glückseligkeit. Dieser rasa, der als göttliche Liebe verstanden werden kann, setzt eine Person voraus. Diese Person ist Shri Krishna.
Diese Person ist dynamisch, ruhelos, strahlend, immerwallend und immerwachsend. Sie ist erstaunlich neu und genussreich, und verbringt jeden Moment jenseits ihrer selbst auf neuen Ebenen des
rasa-Bewusstseins. Innerhalb des rasa oder der Liebe, muss es auch rasika oder die Fähigkeit geben, diese Liebe zu kosten, sagt Kapoor. Deshalb zerbricht in Krishna die Einheit von rasa und
rasika und erblüht in der Dualität von Krishna und Radha. In dieser Dualität ist Krishna rasa, das höchste zu geniessende Objekt, und Radha ist rasika, der grösste Geniesser des rasa. Nach
Erreichen der höchsten Stufe der göttlichen Liebe, die prema-vilasa-vivarta genannt wird, verbindet sich die Dualität von Radha und Krishna wieder. Mahaprabhu, so fährt Kapoor fort, ist die
substantielle oder personalisierte Form dieser Einheit von Krishna und Radha. Demnach war die Geburt Mahaprabhus in dieser Welt nicht die eines gewöhnlichen Kindes, sondern von der Natur einer
göttlichen Herabkunft.
Der Onkel Mahaprabhus, der ein berühmter Astrologe war, sagte voraus, dass das Kind mit der Zeit als grosse Persönlichkeit anerkannt würde, und er nannte ihn Vishvambhar. Aber die Mutter des
Kindes, Sacidevi zog es vor, ihn Nimai zu nennen, da an dem Ort, wo er geboren wurde, ein Neembaum stand. Als Kind liebte es Nimai, mit seinen Freunden am Ufer des Ganges zu spielen, und wie
Jungen nun einmal sind, trieben Nimai und Seine Freunde oft Unfug. Manchmal spritzten die Jungen Wasser auf die Yogis, die zur Meditation an das Flussufer gekommen waren. Wenn die Erwachsenen
jedoch kamen, um Nimai für seine Streiche zu bestrafen, stellten sie fest, dass sie von Seinem verschmitzten Wesen einfach bezaubert wurden. Jedermann liebte Nimai, als wäre Er sein eigener Sohn.
In Seinem fünften Lebensjahr wurde Nimai in der Schule des Gangadas Pandit angemeldet, wo Er in zwei kurzen Jahren das Bengali und Sanskrit beherrschte. Danach studierte Nimai zuhause, und bis zu
seinem zehnten Lebensjahr war Er bereits als grosser Gelehrter bekannt.
Mit der Zeit wurde Nimai zum bekanntesten Gelehrten in ganz Bengalen. Sein Ruhm als grosser Gelehrter zog bald den Digvijaya Pandit aus Kaschmir an, der nach Navadwip kam, um Nimai zu einem
Streitgespräch herauszufordern. Der Digvijaya Pandit hatte bis zu jenem Zeitpunkt alle grossen Gelehrten Indiens geschlagen. Niemand konnte gegen ihn bestehen. Es war, als hätte er das
persönliche Wohlwollen von Sarasvati, der Göttin der Gelehrsamkeit.
Als Digvijaya in Navadwip angekommen war, traf er Nimai mit einer Gruppe Seiner Freunde und Schüler am Ufer des Ganges. Nimai bat Digvijaya respektvoll, einhundert Verse in Sanskrit zum Lobpreis
des Ganges zu komponieren. Mit derselben Leichtigkeit und Geschicklichkeit, mit der ein Adler hoch in der Luft dahingleitet, begann Digvijaya auf diese Aufforderung hin, spontan einhundert Verse
in Sanskrit vorzutragen. Der Digvijaya war in der Tat ein stolzer Poet und Nimais Freunde waren über die Art und Weise erstaunt, in der Digvijaya spontan einen Vers nach dem anderen komponierte.
Mit jedem Vers gab er neue und neuere Erleuchtung über die Herrlichkeit des Ganges. Nimai sass jedoch schweigend und ohne Kommentar da, bis Digvijaya seinen Vortrag beendet hatte. Nimai lobte
Digvijaya für seine gelehrten Fähigkeiten, wies aber gleichzeitig mit folgenden Worten auf Fehler in seiner Komposition hin: "Mein Herr, es gibt auf der ganzen Welt keinen grösseren Poeten als
Euch. Eure Dichtung ist so schwierig, dass niemand ausser Euch und Saraswati, der Göttin der Gelehrsamkeit, sie verstehen kann. Könntet ihr jedoch bitte die fünf Fehler und fünf literarischen
Verzierungen des 64. Verses erklären?"
Der Digvijaya war bestürzt. Was sagte Nimai? Wie war es möglich, dass irgendwelche Fehler in seiner Komposition waren, und wie konnte Nimai die Verse so schnell auswendig lernen? Der Digvijaya
lehnte nichtsdestoweniger ab, anzuerkennen, dass irgendwelche Fehler in seiner Präsentation waren, sondern lediglich Ausschmückungen. Vom Digvijaya aufgefordert, zeigte Nimai dann die fünf Fehler
in der grammatikalischen Zusammenstellung des Verses auf, nachdem er seine fünf Ausschmückungen gelobt hatte, die Digvijaya selbst nicht kannte. Nimai ging nach den Regeln der Sanskritgrammatik
vor, die literarische Kompositionen leiten, und als er seine Rede beendete, war der Digvijaya buchstäblich sprachlos. Er war von einem lediglich 16 Jahre alten Kind geschlagen worden. Wie war das
möglich?
In der folgenden Nacht hatte Digvijaya einen Traum. Die Göttin Sarasvati erschien ihm in seinem Schlafe und verkündete, dass, obwohl der Digvijaya sicherlich ihr Lieblingsschüler sei, Nimai
andererseits ihr ewiger Meister ist. Dann forderte Sarasvati den Digvijaya auf, zu Nimai zu gehen und sein Schüler zu werden. Die Nachricht von Nimais Sieg über den Digvijaya sprach sich weit und
breit herum. Nimai war nun der wichtigste Gelehrte seiner Zeit.
Noch im selben Jahr reiste Nimai mit einer Gruppe Seiner Studenten nach Gaya und traf dort den gefeierten Guru Ischwara Puri. Nimai empfing zu diesem Zeitpunkt Seine spirituelle Einweihung von
Ischwara Puri, und Biographen haben angemerkt, dass diese Einweihung den Wendepunkt in Mahaprabhus Leben markierte. Als Nimai nach Mayapur zurückkehrte, war Er nicht mehr an gelehrten
Errungenschaften interessiert. Sein Geist wandte sich stattdessen spirituellen Themen zu. Äusserlich erschien es, als habe Er das Interesse an konventionellen Pflichten verloren. Von da an war
Nimai ein anderer Mensch, wie von Gott inspiriert.
Es wird gesagt, dass Nimai sich in den Abendstunden mit Seinen engsten Anhängern im Hause des Shrivas Thakur versammelte und sankirtan, das gemeinsame Singen der Namen Gottes, durchführte. In
jenen Singzusammenkünften wies Nimai manchmal ekstatische Symptome von Gottesliebe auf, und manchmal offenbarte Er Seine Form als die von Shri Krishna. Als die verborgene Identität Nimais
bekannter wurde, sprach man Ihn mit Mahaprabhu, der grosse Meister, an. Für beinahe acht Jahre lebte Mahaprabhu weiterhin in Mayapur.
Mahaprabhu unterwies Seine Anhänger, dass es für das Singen der Namen Gottes keine ausnahmslosen Grundsätze gibt. Absolut jeder, ungeachtet seiner Position in der Gesellschaft, war geeignet an
diesem Vorgang teilzunehmen. Dies jedoch rief Verwirrung hervor, und gewisse Mitglieder der Gemeinde der Kastenbrahmanen und bestimmte Studenten und Professoren der vedischen Schriften
widersprachen Mahaprabhu und bekämpften Ihn sogar.
Nachdem Mahaprabhu von Keschava Bharati sannyasa (entsagter Mönch) angenommen hatte, machte Er Sich auf den Weg nach Jagannath Puri. Dort traf Er auf den grossen Logiker Sarvabhauma Bhattacharya,
der ebenfalls zu Seinem Schueler wurde. Nach einiger Zeit beschloss Er eine Reise durch Südindien anzutreten. Bald traf Er am Ufer des Flusses Godavari auf Ramananda Raya, den Gouverneur von
Vidyanagar und führte mit ihm einige Tage lang erleuchtende Gespräche zum Thema der prema-bhakti, oder hingebungsvollem Dienst in reiner Liebe zu Gott. Die Anhänger Mahaprabhus sagten, dass der
Zenith des theistischen Gedankens in diesem Gespräch offenbart wurde. Ramananda Raya war ein grosser Geweihter Shri Krishnas, und Mahaprabhu erfragte von ihm in jedem Moment dieser Unterhaltung
höhere und höhere Wahrheiten bezüglich der Natur des Geistes. Der Höhepunkt ihrer Unterhaltung enthüllte, dass die höchsten transzendentalen Gefühle der Liebe zu Gott, die der gopis
(Milchmädchen) von Vrindavan waren. In ihrem Dienst zu Shri Krishna entfalteten die gopis die allerhöchste Ebene der Hingabe und unvermischter Liebe, in der sogar soziale Konventionen von
weltlicher Moral überschritten wurden, womit sie zeigten, dass, obwohl die moralisch Standfesten als gutes Beispiel religiösen Lebens dienen, es doch eine höhere Ebene gibt, wo das Befolgen des
Gesetzes durch Liebe ausser Kraft gesetzt wird.
In Fortsetzung seiner Reise, besuchte Mahaprabhu dann alle wichtigen Pilgerorte in Südindien, wie Tirupati, Shri Rangam, Ahobalam und Chidambharam. In dem als Kurmakchetra bekannten Ort
vollbrachte Mahaprabhu ein Wunder, indem Er einen Leprakranken, namens Vasudeva, einfach dadurch heilte, dass Er ihn mit Seiner Hand berührte. Tagsüber reisten sie und jede Nacht verbrachten sie
an einem anderen heiligen Ort. Mahaprabhu ging bis zum Kap Komorin, wo Er sich wieder nach Norden wandte und allmählich nach Jagannath Puri zurückkehrte.
Nach einigen Tagen in Puri, entschied sich Mahaprabhu, Vrindavan, das Land Shri Krishnas, zu besuchen. Er nahm einen Diener, namens Balabhadra Bhattacharya, mit Sich und reiste am Ufer des
Flusses Yamuna entlang, bis er Vrindavan erreichte. Wie an anderen Orten überall in Indien, drückte Mahaprabhu seine ekstatische Stimmung des Tanzens und Singens aus, und viele tausend Menschen
kamen täglich, um Ihn zu sehen. In Vrindavan dann offenbarte Mahaprabhu die Orte der Spiele Shri Krishnas, die sonst seit den letzten fünftausend Jahren verloren gewesen wären und wandelte auch
eine grosse Gruppe Mohammedaner in Geweihte Shri Krishnas um, indem Er zu ihnen aus dem Koran predigte.
Während Mahaprabhus Aufenthalt in Benares, erhoben die Unpersönlichkeitsanhänger Shankara-Acharyas, angeführt von Prakaschananda Saraswati, starke Einwände gegen Mahaprabhus öffentliches Tanzen
und Singen der Namen Gottes. Prakaschananda Sarasvati behauptete, dass Mahaprabhu ein irregeleiteter Sentimentalist, ohne wirkliches Verständnis des Vedanta-sutra sei, der zu jener Zeit als die
einzig wichtige Vedische Literatur angesehen wurde.
Auf die Einladung eines Brahmanen von Maharaschtra hin, traf Mahaprabhu mit Prakaschananda Sarasvati und 1000 seiner Anhänger zusammen. Als Er diese Versammlung betrat, gewann Mahaprabhu die
Herzen aller mit Seiner natürlichen Demut. Jeder in dieser Versammlung nahm eine glänzende Ausstrahlung - das Brahman - wahr, die von Mahaprabhus Körper ausging. Prakaschananda stellte Mahaprabhu
verschiedene Fragen zum Vedanta, und Mahaprabhu beantwortete sie, eine nach der anderen. Als die Diskussion beendet wurde, gestand Prakaschananda ein, dass sie niemals mit Shankara-Acharyas
Kommentar zum Vedanta, der sich nur mit der indirekten Bedeutung befasste, zufrieden waren. Nachdem sie von Mahaprabhu gehört hatten, so sagten sie nun, könnten sie erkennen, dass Shankaras
Kommentar einfach auf Wortspielereien basierte. Von dem Tage an begleiteten Prakaschananda Sarasvati und seine Anhänger Mahaprabhu bei Seinem gemeinschaftlichen Singen, bis Mahaprabhu Benares
verliess.
Mahaprabhu sagte, dass es keine Notwendigkeit zu irgendeinem Kommentar zum Vedanta gebe, da dessen Autor, Vyasadeva, bereits seinen eigenen Kommentar in Form des Shrimad-Bhagavatam geschrieben
habe. Mahaprabhu informierte jeden Anwesenden der Versammlung darüber, dass das eingehende Studium des Bhagavatam in Selbstverwirklichung gipfelt. Im allgemeinen nehmen die Anhänger Shankaras
advaita-vedanta, Nichtdualismus (die Seele ist Eins mit Gott), als das höchste theistische Verständnis an. Mahaprabhu jedoch stellte fest, dass das Bhagavatam achintya-bheda-abheda-tattva
beschreibt, nämlich, dass die Absolute Wahrheit in der höchsten Instanz gleichzeitig und unbegreiflich eins und verschieden ist; die Seele ist ein wesentlicher Bestandteil Gottes,
eigenschaftsmässig eins, aber mengenmässig verschieden.
Schliesslich kehrte Mahaprabhu nach Jagannath Puri zurück, wo er die verbleibenden achtzehn Jahre Seines Lebens blieb, bis Er in Seinem 48.Lebensjahr, während des gemeinsamen Singens im Tota
Gopinath Tempel, aus der Sicht sterblicher Menschen verschwand.
Geschichtlich wurde Mahaprabhu von verschiedenen Personen unterschiedlich betrachtet. Die unmittelbaren Anhänger Mahaprabhus haben Ihn als die Höchste Absolute Wahrheit, Shri Krishna, angenommen.
Andere haben Ihn als bhakta-avatara, eine göttliche Inkarnation zur Verbreitung von Gottesliebe betrachtet. Aber dass Mahaprabhu ein ehrwürdiger und heiliger Lehrer, der grosse Meister, war, wird
von allen akzeptiert, die mit Seinem Leben und Seinen Lehren mit einem unvoreingenommenen Geist und reinen Herzen in Berührung gekommen sind. Mahaprabhu erschien nicht in dieser Welt, um eine
bestimmte Gruppe Menschen in Indien zu befreien, sondern es scheint, dass es Sein Zweck war, alle Seelen in allen Ländern der Welt zu der reinen und erhabenen Ebene ekstatischer Liebe zu Gott zu
erheben, der ewigen Religion aller Seelen.