kritischer Blick
In „Zukunft einer Illusion“ zeigte Freud auf, wie eine der Anmassungen von disfunktionalem Glauben darin liegt, dass man wirklich denkt, den Gotteszugang zu verlieren, wenn man ihn in Frage stelle. Es fordert Mut, gegen die Schrecken von Verdammnis und Gericht, und noch mehr von der diesseitigen Bedrohung von der Verstossung aus der Gruppe, vorzugehen. Nur wenn man auch alle religiösen Glaubenssätze zutiefst in Frage stellt, und auch von den Mitkommilitonen aufgefordert wird, dies zu tun, kann ein reifer Gotteszugang daraus hervorgehen.
Christus wurde hingerichtet, weil er ein Rebell war. Die Nachfolge und die Ähnlichkeit mit solch gereiften Gottesliebenden kann, zumindest für das geistige System, gefährlich werden. Doch die reine Seele setzt immer alles auf ein solches Risiko. Denn erst diese Wahrheitsbereitschaft, die durch die Hinterfragung bezeugt wurde, wird Gott zur Weiterführung dieser Seele antreiben.
Wer Kritik und Infragestellung verteufelt, hat eigentlich innerlich bereits die Überzeugung, dass die übernommene Wahrheit der Überprüfung nicht standhalten wird.
Wahrheit hat nichts zu verbergen und ist souverän und selbstleuchtend. Sie lädt genauere Untersuchung immer ein und darf sich dabei noch vertiefen.
Sri Caitanya sprach genau von dieser Haltung im Caitanya Caritamrita (1.2.117)
Man darf annehmen, dass Autoritäten, für die eine Kritikimmunität beansprucht wird, etwas zu verstecken haben.
Je stärker ein solcher Anspruch betont wird, umso eher scheint der Verdacht gerechtfertigt zu sein, dass hinter diesem Anspruch die Angst vor der Aufdeckung von Irrtümern, also die Angst vor der Wahrheit steht.
Denn gerade bei Aussagen, die einen besonders hohen Wahrheitsanspruch für sich proklamieren (und dies ist ja gerade bei Religionen der Fall), ist das Prinzip der radikalen Infragestellung unerlässlich.
In diesem Sinne sind diese Ausführungen zu verstehen.