Religionskritik

 

 

Religionskritik ist nicht In-Frage-Stellung Gottes, sondern nur der Ansätze, die in seinem Namen verbreitet werden. Aus diesem Grund sollten gerade spirituelle Menschen diese ernst nehmen und betrachten, um den Schatten, den die Religion in dieser Welt verursacht, zu deaktivieren und vor allem auch, um die krankmachenden Auswüchse der Religion zu vermeiden.

Ein aufrichtiger spiritueller Mensch erkennt, dass die Religionskritik der repräsentativen Atheisten berechtigt ist und hilfreich im Hinterfragen eigener Konzepten.

 

 

Karl Marx hatte Recht: Religion kann Opium, also ein Mittel sozialer Beschwichtigung und Vertröstung, von Repression sein („ein Seufzer der leidenden Kreatur“) und ist es leider oft auch. Aber sie kann auch Mittel umfassender Aufklärung und sozialer Befreiung sein. Religion soll nicht der verbürgerlichte Trost sein für die Leidenden- meist in Form einer Jenseitsversprechung, sondern ist das natürliche Transzendenzbedürfnis, welcher aus der Stille der Versöhntheit mit der Welt in einem aufsteigt.

Marx bezeichnete Religion auch als Selbstberuhigung und illusorischen Rausch. Das wird sie effektiv, wenn man nicht mit dem klaren Mut der Selbsterforschung an alles hintritt und sich nie mit vermeintlichen Sicherversprechungen und den Verheissungen der Religion einfach nur abspeisen lässt. Der innere Weg ist eine Einladung zur radikalen Erforschung des Wahren. Die Ängstlichkeit dabei wäre ja nur die Ahnung, dass im Grunde keine Substanz zugrunde liege.

 

Sigmund Freud hatte Recht: Religion kann Illusion, Ausdruck einer psychischen Unreife oder gar Neurose („Menschheitsneurose“), von infantiler Regression (infantile Wunschvorstellung) sein und ist es oft. Sie kann aber auch Ausdruck personaler Identität, psychischer Reife und natürlichem Aus-der-Welt-hinauswachsens sein.

 

Die Psychologie spricht von dem Phänomen der Verschiebung.

Der Ärger auf den Chef entlädt sich am Abend auf die Familie und in Gruppen wird der Unmut auf ein Opfer verschoben, auf einen Sündenbock.

 

Sigmund Freud glaubte, dass Regungen, die dem Vater gelten (Ehrfurcht, Aufgehobenheit, Liebe, Dankbarkeit) mit Hilfe der Religion auf Gott verschoben werden.

Die Mystik sieht dies eher umgekehrt: Leidenschaftliche Hingabe und innige Liebe, existenzielle Verbundenheitsgefühle werden von Gott auf einen Freund oder eine Freundin – ins Intermenschliche - verschoben, so dass die Beziehung schon anmutet wie ein privater Kult.

Dass kann nur zu einer Überforderung führen, da man die Rolle Gottes nicht ersetzen kann - die Rolle Gottes kann nicht zur Zufriedenheit wahrgenommen werden und schon gar nicht auf längere Zeit.

 

Es ist ein tiefes Glaubensbekenntnis von mir, dass wesentliche Sehnsüchte nach Gott auf den Menschen verschoben werden und dadurch vom Menschen natürlich nie dementsprechend erfüllt werden können. Die Hoffnung gehen zu lassen, dass diese letztliche Sehnsucht von der Welt her – vom liebevollen Austausch zu den Menschen und von all den Schönheiten in ihr – erfüllt werden und einen wirkliche Erfüllung schenken würden, ist ein wesentlicher erster Schritt des inneren Weges.

 

Freud spricht davon, dass der Mensch die Naturkräfte personalisiert und zu schützenden Mächten erhoben hätte. So fühle sich der Mensch in seiner Hilflosigkeit und Sinnlosigkeit geborgen. Es sei die in das Erwachsenenalter hineintransportierte frühkindliche Erfahrung des schützenden und strafenden Vaters. Der Vater verkörperte Respekt und Ehrfurcht. Das setzt sich dann als Erwachsener im Glauben fort.

Freud sieht das religiöse Verhalten als ein infantiles Abwehverhalten.

Auch diesen Einwand lässt ein wirklich Glaubender gelten und er hat seine Berechtigung. Viele verstehen Religion effektiv nur als moralisches Verhaltenssystem, seinem Gewissen Beruhigung zu schenken und dadurch die einen kritisch beobachtende höhere Macht milde zu stimmen.

Religion kann aber auch von einer gänzlich anderen Weltdeutung ausgehen – dass effektiv alles beseelt ist und dass auch die Naturgewalten letztlich Individuen sind in der Verwaltung von Gottes Welt. Gott selber will aber nicht einfach korrektes Verhalten, sondern einen brennenden Liebesaustausch mit der Seele. Das nennt man den transmoralischen Aspekt der Religion.

 

Ludwig Feuerbach hatte Recht: Zweifellos enthält Religion wie alles menschliche Glauben, Hoffen und Lieben einen Anteil der Projektion. Aber hatte Feuerbach damit bewiesen, dass Religion NUR Projektion ist? Sie kann auch echte Beziehung zu einer ganz anderen Welt sein.

Für Feuerbach war Gott im Letzten ein psychologisches Phänomen. Der Mensch ist ein Wesen mit unermesslichen Wünschen und Sehnsüchten. Aber erfahrungsgemäss gehen die meisten Wünsche nicht in Erfüllung. Gemäss Feuerbach verfällt der Mensch nun einem Trick: Er denkt sich die Erfüllung seiner Wünsche im Himmel. Die von der Religion induzierte Vertröstung aufs Jenseits macht einem in einem gewissen Sinn gleichgültig für die hiesigen Zustände.

Feuerbach bezeichnet Gott als die Gestaltwerdung der unerfüllten Wünsche und Sehnsüchten der Menschen, als eine im Kopf des Menschen entstandene Projektion.

Religion sei, wenn man eine infantile Hoffnung in den Bereich einer Unversehrtheit und Unverletzbarkeit hineinprojiziert. Jeder religiöse Mensch, der die Tendenz und potenzielle Neigung zur Projektion nicht tief in Betracht zieht, und das in seinem Leben wirklich analysiert, steht unter grossem Projektionsverdacht. Wahrheit (Gott) muss nicht verteidigt werden, sondern erfordert genaueres Hinschauen, da sonst die vermeintliche Wahrheit nur eine menschliche Überzeugung war, die man vergöttlicht hatte. Der Zweifel will in eine Vertiefung des Themas hineinführen.

 

Ja, es könnte sein, dass es Gott nicht gibt und dass dann all die Vorstellungen von Gott aus unseren gestaltgewordenen Wünschen und Sehnsüchten bestehen. Man lässt die Möglichkeit der Nichtexistenz Gottes zu, da es sein könnte, dass all unsere Hoffnung auf Erlösung sich in einem liebenden Gott ein Gebilde geschaffen haben, das uns das Leben erträglicher macht.

Man lässt den Gedanken zu, dass wir nur aus Angst vor dem Tod mit der Idee eines Gottes Beruhigung schaffen möchten. Und man lässt den Gedanken zu, dass man mit Gott eine einfache Erklärung für das Unerklärliche schaffen möchte.

 

Doch das Projektionsargument begründet nicht den Atheismus, sondern weckt den Glaubenden Menschen zu vergrösserter Tiefe und Reflektiertheit auf.

Das es psychologische Gründe für den Glauben geben kann impliziert aber nicht Gottes Inexistenz.

Alleine dass man sich Sahnetorte ersehnen mag ist kein Beweis für ihre Nichtexistenz.

 

Aber der Bereich der starken Wünsche sollte einen vorsichtig machen, damit man sich nicht aus grossem Hunger heraus eine vorschnelle oder übermässige Befriedigung herbeizwingen will. Man sollte bekanntlich nie hungrig einkaufen gehen, da man dann zuviel einkauft.

 

 

 

 

 

 

 

Gott scheint zu schweigen – und im Nichtaushalten-können dieser Stille sucht der Mensch nach Mitteln, dieses Schweigen zu übertünchen. Er macht sich ein Bild von Gott. Aber gerade so verbirgt er sich hinter dem Bild, das wir zwischen ihn und uns schieben.

Die Verhaftung an das Bild und die geglaubte Überzeugtheit führt zu einer Gottesfinsternis.

Das Bild, das wir uns von Gott machen, wird zum Götzen, den wir handhaben und für unsere Pläne nützlich machen. So wird Gott zum Lückenbüsser, der herhalten muss, wenn wir ihn gerade brauchen. Er wird zum Tröster- oder gar Vertröster-Gott, auf ein besseres Jenseits.

Der Gott als ein Wesen verwandelter Wünsche der Menschen eignet sich nicht als Gesprächspartner im Gebet, als das wirkliche Gegenüber. Gott wird als interessensbedingte Vertröstung und infantile Illusion in Anspruch genommen.

 

Wenn wir Sri Krishna, Gott, erfahren, dann gibt es in dieser Erfahrung anfänglich Vermischungen zwischen unseren eigenen Projektionen, Wünschen, Sehnsüchten, Erwartungen, Gottesbildern und der ewig unveränderlichen Wirklichkeit Sri Govindas.

 

 

Die Heiligen Schriften ermutigen uns, immer an uns zu zweifeln, ob wir WIRKLICH Krishna erfahren. Viele können genau dies nicht, denn sie haben Angst, dass sie sich Gott nur einbilden, damit es ihnen besser geht oder um ihre Angst zu beruhigen. Dann setze ich auf die Karte, auf die die grossen vergangenen Acaryas gesetzt haben.

"Befreit von Anhaftung, Angst und Zorn, völlig in Mich versunken und bei Mir Zuflucht suchend, wurden viele, viele Menschen in der Vergangenheit durch Wissen über Mich geläutert - und so erlangten sie alle transzendentale Liebe zu Mir." (Bhagavad Gita 4.10)

 

Psychologisch gesehen weist der Gottesglaube, wie jedes andere Glauben, Hoffen und Lieben, Strukturen und Gehalte einer Projektion auf und steht somit unter Projektionsverdacht.

Aber der Zweifel gehört immer wieder zu echtem Sraddha (heiligem Grundvertrauen) dazu, denn er zwingt uns, eigene Projektionen zu erkennen und somit sich von ihnen zu befreien, das heisst nach dem wirklichen Gott Ausschau zu halten.

 

Der oberflächliche Mitläufer will den Zweifel nicht zulassen; er will ihn verdrängen - und bleibt somit an der Oberfläche. Die Unfähigkeit, offen an Zweifel heranzugehen - und das unangenehme Gefühl bei ihrer Konfrontation nicht tolerieren zu wollen, ist ein Anzeichen von innerer Unsicherheit. Denn die Zweifel könnten ja rechhaben... Aber ich habe mich krampfhaft an etwas geklammert, das nun wahr sein muss. Diese Haltung ist die Grundlage für religiöse Dogmen, das heisst unerlebte Spiritualität. Und diese Oberflächlichkeit erzeugt direkt Abwendung von Gott, das heisst Atheismus.

komala sraddha (oberflächlicher Glaube) will, aus einer Unsicherheit in der Überzeugung heraus (die versucht man zu übertünchen mit einem "sich-Festklammern) und einem einfachen Mangel in der Erfahrung, alles wörtlich nehmen. Und somit die Transzendenz zu begrenzen auf Regeln und Dinge, die man tun oder unterlassen soll.

Erst ein reifer Transzendentalist hat wirklich alle Zweifel beantwortet. Ohne die Konfrontation mit ihnen, wäre er aber nie zu diesem tieferen, erfahrenen Vertrauen gekommen.

 

Eine Seele auf dem Weg darf auch ihre Emotionen nicht mit Gotteserfahrung gleich setzen. Tut sie dies, wird sie sehr bald spüren, dass Krishna ganz woanders zu finden ist, und dass sie sich nur um sich selber herum drehte. Wer Gott mit seinen Emotionen identifiziert, der missbraucht Gott wie eine Droge, die ihm ein High-Gefühl vermitteln soll. Doch es ist nicht eine Erfahrung von Transzendenz, sondern nur von eigenen Gefühlen. Deshalb ist eine erste Vorsichtsmassnahme, eine Grundlage für spirituelle Entwicklung, auch die Distanz zu Gedankenkonzepten, die innere Indifferenz zu Gefühlen und Emotionen, damit ich überhaupt Platz habe, für eine Ausrichtung zu Krishna hin. Deswegen geht ein übender Spiritualist immer wieder in das Schweigen hinein.

 

Manche reden von Gott, als ob sie ganz genau Bescheid wüssten, aber es sind nur Begriffe, intellektuelle Konzepte, über die sie sich unterhalten. Dieses unerfahrene und unverwirklichte Gerede, das gegen aussen hin auch abschreckend erscheint, kann sogar eine Abwehr gegen eine echte Gotteserfahrung sein. Man benützt Gott als eine Möglichkeit, Ihn zu umgehen. Die Bedrohung der existenziellen Sinnfrage taucht immer wieder im Leben auf. Weltliches Leben ist die sinnlose ständige Anstrengung, ihr auszuweichen. Durch die Berauschung (das einfachste), Arbeit und Karriere, Frust-Einkäufe, aber man kann dieses innere Loch auch "zu-beten".

Selbst beim Sprechen von katha (Gespräche über die Höchste Person) schwingt auch immer die eigene Lebenserfahrung, unsere samskaras (Eindrücke) mit. Und man legt in den Begriff "Gott" oft eigene sehr weltliche Sehnsüchte hinein.

 

So wie manche mit Alkohol alle Probleme zu lösen erhoffen, so möchten jene am liebsten mit Gott alle Schwierigkeiten meistern. Sie glauben, sie bräuchten nur zu beten und bestimmte religiöse Übungen zu praktizieren, dann hätten sie alles im Griff, dann bräuchten sie sich der eigenen Wahrheit nicht zu stellen. Man erlebt den religiösen Kick.

Es gibt nicht nur eine Drogensucht, nicht nur eine Sex-, Spiel-, oder Beziehungssucht, es gibt auch religiöse Sucht. Und diese ist oft gar nicht so leicht zu erkennen, denn die Worte, die religiös Abhängige im Mund führen, haben viel Wahrheitsgehalt.

Aber wir dürfen Gott nicht für uns missbrauchen. Wenn einer zu selbstsicher von Gott spricht, merkt er gar nicht, wie er Gott dazu benutzt, sich selber über die anderen zu stellen. Gott löst für ihn alle Probleme - mit diesem Patentrezept und anderen versimplifizierten spirituellen Wahrheiten ruft man bei anderen, speziell in einer säkulären - nach Heiligem dürstenden Welt - schnell Bewunderung hervor. Man überspielt eine eigene innere Unsicherheit und übt eine religiös-suggestive Macht über andere aus. (Man findet aus diesem Grund bei religiös Abhängigen oft eine starke Tendenz, ihren Glauben eifrig zu missionieren - um Menschen um sich zu haben, die einen wertschätzen)

Man benutzt Gott dazu, um sich gegenüber anderen Menschen als etwas Besonderes fühlen zu können. Aber dieses "spirituelle Sich-Selbst-Rühmen" ist mit Sicherheit das Gegenteil von echter Gotteserfahrung.

Gebet und den Bezug auf Gott ist nicht nur eine Reflektion, eine psychologische Übung, sondern soll immer verstanden werden als ehrfurchtsvolles Schweigen vor dem Geheimnis Gottes.

Aus diesem Grund ist man Ludwig Feuerbach von Herzen dankbar, dass er einen auf diesen gravierenden religiösen Schatten aufmerksam gemacht hatte.