Symbiose von Zweifeln und Urvertrauen

 

 

 

Philosophie wird manchmal als reines Spiel von Ideen betrachtet, als leere Spekulation von Lebensanschauungen, als „Narrheit im Ballkleid.“ Doch wenn es sich um so etwas Harmloses handeln würde, wäre sie nicht von allen totalitären Regimen und diktatorischen Regierungen verboten worden.

 

Es handelt sich um eine fundamentale Wahrheitssuche, wobei dann gemäss Heidegger nicht nur bei der Liebe zur Weisheit verbleibt, sondern sich noch ausweitet zur Weisheit zu Lieben. 

Philosophie und Naturwissenschaft haben sich historisch betrachtet nicht ausgeschlossen. Platon und Sokrates waren begeistert von der Geometrie. Aristoteles von den Naturbetrachtungen, Descartes hat die analytische Geometrie erfunden, die Optik und die moderne Algebra, Leibnitz die Differential- und Integralrechnung....

Die Naturwissenschaft ist ein Denksystem, welches versucht, auf das „Wie“ zu antworten, die Philosophie und die Religion dagegen auf die Frage des Weshalb und Warum.

 

 

Thomas von Aquin nannte die Philosophie die „Dienerin der Religion“. Gesunde Religion beruht ebenfalls auf Reflexion und der Fähigkeit der kritischen Hinterfragung und ist nie dogmatisch. Wenn sich das Verständnis ausweitet, hat dies immer eine Konsequenz und darf nicht einfach von einer Orthodoxie ein für alle Mal beantwortet werden. Denn auch die religiöse Dimension eröffnet sich uns nicht durch fixierte gegebene Antworten und einfach bereit gestellte Lösungen, sondern durch das Erfragen, durch Sich-Selbst-Überholen und durch die andauernde Suche nach dem Wirklichen. 

 

 

Ich habe so oft erlebt, dass schwaches Vertrauen in eine Verteidigung münden wird, die sehr fanatische Züge hat...

Der reife Mensch auf dem Weg vermag die Spannweite von heiligem Urvertrauen und Zweifel gleichzeitig ertragen. 

Wenn Zweifel auftauchen, darf die Umgebung nicht einen Druck erzeugen, dass man doch vertrauen sollte. Es bedarf auch keiner Selbstverurteilung, wenn Zweifel, welche eine Sehnsucht nach umfassenderer Tiefe darstellen, um Leben gerade prominenter sind als der heilige Gott-Glaube. Es ist nicht der Abschied vom religiösen Vertrauen. Der Zweifel am bisherigen Verständnis des eigenen spirituellen Weges ist der Ruf, die Herausforderung anzunehmen, seinen Glauben neu zu formulieren und vertiefter zu verstehen. 

Leben gelingt nur, wenn man unterschiedliche Standpunkte integrieren lernt. C.G. Jung schreibt, wer einen Pol unterdrücken oder verdrängen möchte, lässt diesen einfach in den Schatten geraten, wo dieser dann im Unbewussten einen stärkeren Einfluss auf einen haben wird. 

Wer also Zweifel unterdrückt, wird diese auch in Weggeschwister hineinprojizieren, die leicht anders denken als man selbst. Dann möchte man diese bekämpfen, da sie einen verunsichern. Zweifel ist die Kraft, sich immer tiefer in ein unbedingtes Urvertrauen hineinfallen zu lassen. 

Mitten in allen Fundamental-Zweifeln wohnt plötzlich tragende Sehnsucht nach gänzlicher Gottesergebung inne, die auch in Momenten von Unsicherheit Bestand hat. 


Der Sadhaka darf die Gleichzeitigkeit von Zweifel und Vertrauen annehmen lernen, denn erst der wirklich Vertrauende wagt es sich, den Zweifel zu begegnen und sich von ihnen in umfassender Tiefe weisen zu lassen. 

Wer den Zweifel an der Tradition und an sich selbst ausschliessen möchte, läuft in Gefahr, rechthaberisch zu werden. Dies ist das exakte Antonym der Demut, welche die Grundhaltung des Gottesweges darstellt (Siksastakam 3). 

Religiöser Glaube ist nie ein fester Besitz oder ein statisches Konstrukt. Man darf sich immer wieder für diesen entscheiden und immer wieder aus dem Zweifel in den Glauben springen. Das macht ihn zur lebensverändernden Haltung, die dem heiligen Gottesweg angemessen ist. Wer aber ängstlich nur eigene Momentan-Verständnisse, die immer provisorisch sind, festigen und verteidigen möchte, schaut nicht auf die unendliche Natur Gottes, sondern bleibt fixiert auf den Wegweiser.