Die Mentalität des Anfängers
Shraddhavan jana haya bhakti-adhikari
(Madhya 22.64)
Spiritueller Fortschritt ist sichtbar durch die Entwicklung von einem inneren Vertrauen.
Der kanistha, ein spiritueller Anfänger hat nur ein ganz schwaches Vertrauen, das nur von äusseren Umständen geprägt ist. Er verehrt die physische Form seines spirituellen Lehrers, aber diese Worte sind nur lippentief, denn er kennt nicht das Prinzip der Hingabe, durch welches der Gehalt der Vedas im Herzen offenbart werden. Denn da würde der Guru zu einem allgegenwärtigen und durch alles hindurch wirkenden Prinzip.
So hält er die physische Gemeinschaft mit seinem Lehrer als wichtiger als das Verstehen seiner Lehren. Er zieht die Form der Substanz vor.
Der kanishta verkündet sein eigener Lehrer als den einzig Richtigen, und alle anderen sollten auch von ihm eine Einweihung empfangen. Dadurch will er sein schwaches Vertrauen erhöhen, das nicht vom Inhalt der Unterweisungen inspiriert ist, sondern von der Anzahl der Nachfolger. Die Quantität soll ihm dann den Wahrheitsgehalt bezeugen.
Der kanistha weist die Stellung Srila Rupa Goswamis als Gründer-Acarya der Nachfolger Sri Caitanyas zurück und denkt, sein eigener guru sei der „Founder-Acarya“.
Der kanistha sieht seinen guru als absolut in allen Bereichen. Er kann nicht unterscheiden, wo der Guru absolute Wahrheit repräsentiert und wo er auch einfach nur menschlich ist, das heisst er kann die absoluten und relativen Aussagen seines guru nicht harmonisieren.
Der spirituelle Anfänger hat keine individuelle Verwirklichung von seinem guru und versteht nichts von der ontologischen Position des guru im aprakrita-lila (der ewigen spirituellen Welt). Es fehlt im an Verständnis der tattva-Siddhanta, des philosophischen Verständnisses der vedischen Literatur. Er folgt vielleicht den Worten des guru, den wörtlichen Anweisungen der Veden, aber er versteht ihr Geist nicht, die Mentalität auf welche die Worte eigentlich hinweisen möchten.. So mag er das Richtige falsch tun, und in einer Genugtuung leben, zu meinen, er würde auf dem Pfad der Freiheit wandeln und sei erleuchtet. Dies erzeugt eine Illusion, zu glauben, befreit von Illusion zu sein. Wie will man aus dieser Täuschung ausbrechen?
Der Anfänger betrachtet andere, welche nicht genau die gleiche Theopraxis ausüben, zumindest als minderwertig, und da sie ihn relativieren könnten verurteilt er sie in inkompetenter Weise, da er nicht die innere Anbindung hat, die es ihm erlauben würde, sich offen und interessiert auf die spirituelle Praxis eines anderen einzulassen. So entgeht ihm eine der relevantesten Bereicherungsquellen in der Spiritualität.
Als Resultat von dieser äusserlichen Betrachtung des spirituellen Lebens wird er materiell angehaftet an die Institution, die sein guru gegründet hat. Die Institution wird ihm auf seinem Weg eine wesentliche Stütze. So trifft er Entscheidungen, welche die Interessen der Institution den Interessen des Individuums überstellen. Er denkt, der Fortschritt der Institution, das Bauen von Tempeln und Sammeln vieler Gelder oder Verteilen vieler Bücher und das Vermitteln der Botschaft zu vielen Menschen um viele Nachfolger zu bekommen, sei äquivalent mit spirituellem Fortschritt.
Er denkt, das Ausführen der äusseren Form der Spiritualität, des Rituals, sei bereits das Echte. Und ohne sich um inneres Erleben zu kümmern hat er eine Genugtuung, da er sich nun für einen Menschen auf einem inneren Weg hält.
Der Anfänger misst alles aus der äusseren relativen Perspektive heraus und die Betonung wird nicht auf das innere spirituelle Leben gelegt. In den heiligen Schriften wird er deswegen als bahiranga-bhakta beschrieben, als eine Seele, deren Perspektive sich vorwiegend mit der äusseren Welt beschäftigt. Er denkt, dass er einfach so weitermachen müsse, und so erlange er automatisch das ersehnte Lebensziel, Liebe zu Gott.
Aufgrund seiner Fähigkeit zum Organisieren (Manager), seiner Expertise in Geschäftsfragen oder manchmal nur aufgrund der Zeit, die er schon in der Mission verbracht hat, wird der kanishta zu einer Position der Berühmtheit, Ansehens und Autorität innerhalb der Institution seines Guru erhoben, ohne die echten Qualifikationen des inneren Bhajans wirklich aufzuweisen.
Dies wird natürlich nur Störung, Verwüstung und Zerrüttung innerhalb der Gemeinschaft und verwandelt die Mission des Guru in eine weltliche Institution von Gewinndenken und Vorzeigementalität, um andere zu beeindrucken.
Treue zur Struktur, in die Institution, verwechselt er mit dem tiefen Glauben und Gottesvertrauen. Er betrachtet Erfolg in messbaren Dingen und nicht in der Anziehung zum Heiligen Namen und dem Hören von hari-katha.
Auf diese Weise betrachtet der kanistha, der spirituelle Anfänger, sein gurudeva als identisch von der Institution, welche sein Guru gegründet hat.
Er hält sein guru als identisch mit seinem murti (seiner Bildgestalt) und mit seinen Büchern, die er geschrieben hat. Er trifft seinen guru, der die Welt verlassen hat, nur an äusseren Orten und nicht in seinem Inneren. Der kanistha sagt, dass alles in den Büchern seines Lehrers enthalten sei, aber er weiss gar nicht, was dieses „alles“ eigentlich ist.
Das Fixieren des Anfängers auf die äussere Form des guru hat dann schnell die Konsequenz, dass andere Heilige verurteilt und in ihrer Position gemindert werden, anstatt dass man den eigenen Lehrer auch durch den Mund von anderen Heiligen hindurch hört.
Der spirituelle Anfänger mag sehr rigide die Prinzipien eines reinen Lebens befolgen, jedoch ohne die tieferen Mentalitäten zu erkennen, auf welche die Prinzipien des sattvischen Lebens eigentlich nur hinweisen möchten. Er kann auch den Fluss der Führung Gottes nicht verstehen. Aufgrund der Nicht-Integration dieser Prinzipien in sein Leben, wird eine Härte in seiner Persönlichkeit erzeugt, die sich darin ausdrückt, dass er andere verurteilt, welche nicht nach diesen Prinzipien leben.
Er rechtfertigt dies sogar als ein Mitleid, als „Vermitteln von heiligen Inhalten“, aber eigentlich ist es ein egoistisches „Sich-über andere Erheben“.
Der kanistha, obwohl er in spiritueller Hinsicht nicht wirklich qualifiziert ist, glaubt, aufgrund seiner oberflächlichen Spiritualität, dass ihn sein guru einfach zurück zu Gott bringen würde. So wird der Heilige Pfad der Liebe zu Gott mechanisiert, simplifiziert und institutionalisiert und der kanistha fühlt dabei nicht einmal einen Schmerz in seinem Herzen, sondern denkt, er sei mit der Essenz des spirituellen Lebens verbunden.