„Du sollst dran glauben – sonst musst du dran glauben“
Gedanken zu religiösem Fundamentalismus
-Eine kleine Rückschau zur Mentalität des Terrors in Paris
Einleitung
Der Terrorismus in Paris hat die westliche Welt aufgewühlt. Es ist deshalb angebracht, ein paar grundlegende Gedanken aus religiöser Perspektive dazu anzustellen. Ich schreibe diese Zeilen aus Betroffenheit über die Auswüchse disfunktionaler Religion, aber zugleich auch als Gott-Glaubender. Oft wurde ich auch von Glaubensgeschwistern der eigenen Tradition kritisiert und gefragt, weshalb ich denn immer wieder so Vieles in Frage stelle. Meine Antwort darauf ist, dass ich die Infragestellung und das innere Grundvertrauen nie in einem Zwist miteinander betrachte. Der Zweifel gehört notwendigerweise zur gesunden Gotteszuwendung. Nur die wackelige Gläubigkeit will ihn bekämpfen. Das Wahre fürchtet genauere Untersuchung nicht, sondern wird von ihr bestärkt.
Jede spirituelle Tradition ist eine Mischmenge von Transzendenzbezug und kumulativ entstandener Tradition. Diese aber ist Menschenwerk und untersteht menschlicher Begrenztheit, die man nicht über die Jahrtausende hindurch religiös idealisieren darf. Wenn man das wirklich Heilige wieder herausschält aus den Begrenztheiten, kuriosen folkloristischen Gebräuchen und auch aus den bedenklichen ethischen Werten, die in der Zeit ihrer Entstehungsgeschichte geherrscht hatten, vermag ein Gottbezug Menschen im 21. Jahrhundert wieder berühren, anrühren und einem weiter in die Tiefe führen. Wird der kulturelle Überbau aber verteidigt und zur inneren Essenz dazugezählt, dann entspringt daraus eine religiöses Gemenge, welches auf suchende und nachdenkliche Menschen nur noch abschreckend wirken kann, doch eine grosse Anziehungskraft für unsichere Menschen mit schwachem Selbstvertrauen hat. Das ist eine problematische und gefährliche Situation. Deshalb ist es an der Zeit, dass Religionskritik auch von gottgläubigen Menschen kommen muss.
Mit geht es um eine solche Infragestellung, nicht nur der islamischen Konfession, sondern auch meiner eigenen Anbindung der Radha-Krishna-Bhakti.
Wir alle Tragen die Sehnsucht des Unbedingten, nach dem Ursprung und der vollständigen Hingabe in uns. Doch auch die Kehrseite dieser Sehnsucht braucht in einer gesunden Spiritualität ebenfalls betrachtet zu werden: es ist die Faszination der Selbstüberhebung, der Inflation des Ichs, der Begeisterung, der Gruppe der Geretteten anzugehören, Recht zu haben im Letztendlichen, Träger des letztlich Gültigen zu sein..... Es ist die göttlich legitimierte Faszination des Machbaren. Es ist die Aufblähung des Ich-Gefühles. Menschen, die so verbissen zur eigenen Wertgebung einer religiösen Gruppe anhängen, machen rein äusserlich betrachtet einen tief religiösen Anschein. Doch könnten sie von der Grundhaltung des echten Gottesbezugs, von der Kontrollabgabe, nicht weiter entfernt sein. Religion kann einem unsicheren Menschen, der sich dadurch Bedeutung zuschreiben möchte, ein sehr kräftiges Mittel sein.
Es finden sich in den heiligen Büchern aller Religionen, mehr oder minder stark, Gewaltdarstellungen, Aufforderungen zur Gewalt und die Aufstachelung zu Verachtung und Hass gegenüber anderer Gruppen.
Wenn nicht explizite Distanzierungen von solch problematischen Aussagen gemacht werden, braucht man sich nicht zu wundern, dass einige Gläubige diese Stellen todernst nehmen. Eben im wörtlichen Sinne.
„Du musst daran glauben – sonst musst du daran glauben.“
Es ist so wesentlich, dass wir nicht in eine Regression in der Geschichte zurückfallen. Die ethischen Werte der religiösen Traditionen sind sehr oft enorm rückständig und reflektieren die kollektive Unerleuchtetheit jener primitiven Zeiten, in denen sie entstanden sind.
Die Offenbarungsschrift ist von Gott inspiriert.
Dennoch lässt sich erkennen, dass sie von Menschen gesammelt, niedergeschrieben, bearbeitet, übersetzt und in verschiedenen Richtungen weiterbearbeitet wurde. Als Menschenwerk ist sie deshalb nicht ohne Mängel, Verhüllungen, Vermischungen und Beschränktheiten.
Der historische Charakter der heiligen Schrift ermöglicht nicht nur Schrift-Kritik, sondern erfordert sie geradezu. Ernsthafte Kritik ist unverzichtbar, damit die heilige Botschaft von Gott nicht in einem Buch verschlossen bleibt, sondern zu jeder Zeit wieder neu lebendig zugänglich ist. So erfordert speziell das Studium heiliger Texte die kritische Exegese, da diese Texte viel mehr als nur ein Roman werte-bildend für viele Menschen sind.
Diese Texte kann man deshalb auch nicht einfach nur lesen, sondern es braucht die Wissenschaft, wie man die heilige Schrift verstehen und aufschlüsseln kann, um sie in einer reifen Weise zu applizieren.
Wie man praktisch in einer aufklärerisch kritischen und doch auch mystischen Haltung an heilige Texte herangehen kann, habe ich in meinem neu erschienen Buch „Heiliges Studium – ein Leitfaden zur Herangehensweise an heilige Texte“ ausgeführt.
„Religion light“, also Religion, die sich selbst nicht ganz ernst nimmt, längst nicht mehr an die vermittelten Inhalte der eigenen Tradition glaubt, sich selbst entmythologisiert und sich selbst entzaubert hat, nimmt sicherlich ab in unserer Zeit. Es gibt dafür mehr Menschen, die sich als konfessionsfrei bezeichnen, die aber durchaus auch eklektisch aus religiösen Texten etwas lernen können und sie einfach als kulturelle Schatzkammern der Geschichte betrachten. Und es gibt aber auch zunehmend Menschen, die den Anschluss an die aufklärerische Tradition verpasst haben und heilige Texte wieder mittelalterlich wörtlich deuten. Fundamentalisten stellen nicht nur aufgrund ihres rückständigen ethischen Werteverständisses und Festhalten an archaischen Glaubenswahrheiten, sondern auch aufgrund ihres Gefühls der Bedrohung, welches sie radikalisieren lässt, eine Gefährdung der freien Gesellschaft dar. Diese Bedrohung in ihren Werten lässt sie noch intensiver Zuflucht nehmen in einem heiligen Bollwerk gegen die verdorbene säkulare Welt. So entsteht ein verbissener Religions-Zugang.
Sie fühlen sich verloren in der Unübersichtlichkeit der Welt und finden in den heiligen Traditionen wieder Anbindung und Verbindlichkeit. Fest Geltendes. Problematisch ist nur, dass man in diesem Aufgehobenheits-Bedürfnis auch aufnahmewillig wird für ethische und gesellschaftliche Werte, die aus prä-zivilisatorischen Zeiten stammen und die eine säkulare Gesellschaft längst überwunden hat. Verständlicherweise werden religiös verbissene Menschen nicht mehr ernst genommen in der aufgeklärten Welt und so wird dann die Moderne zu ihrem Feind, welche sie in ihren Anschauungen nicht mehr ernst nimmt. In dieser gefühlten Ausgrenzung entwickeln sie ein erstaunliches Aggressions-und Gewalt-Potenzial gegen diese Moderne.
Fundamentalismus
Der Name "Fundamentalismus" leitet sich von einer Zeitschriftenreihe ab, die Anfang des 20. Jahrhunderts in nordamerikanisch-protestantischen Kreisen publiziert wurde: "The fundamentals. A testimony of truth" wendet sich in ihren Ideen gegen die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft und gegen die liberale Theologie und setzt sich vehement für die Irrtumslosigkeit und Zuverlässigkeit der Bibel in ihrem Wortlaut ein.
So nimmt die sogenannte "Fundamentalismus-Bewegung" in protestantischen Kreisen Nordamerikas Anfang letzten Jahrhunderts ihren Beginn, die darauf beharrte, dass jeder Satz der Bibel wortwörtlich und ohne jede Interpretation zu verstehen sei.
Moderne Bibelwissenschaft, historisch-kritische Text-Exegese und das Gedankengut der Gleichheit aller Menschen, Demokratie und allgemein geltende Menschenrechte wurden verteufelt.
Diese ontologische Aufgescheuchtheit und Ungewissheit, die sich in Sehnsucht nach klaren, d.h. gott-gegebenen Regeln, ausdrückt, stellt die Grundlage des religiösen Fundamentalismus dar. Fundamentalismus ist verzweifelte Heimatsuche orientierungslos gewordener Menschen. Er ist der Aufstand gegen die Moderne.
Im verletzlichen Zustand in dieser Welt sucht man nun klare Konturen, für jedermann verständliche Orientierungsmuster. Dabei wird der Vernunftgebrauch eingeschränkt und die eigene Wahrnehmung der Wirklichkeit wird verweigert, denn man verlässt sich in seiner Weltdeutung auf klare, eindeutige Antworten. Differenzierung ist nicht mehr erwünscht, da man genau wissen möchte, wer die guten und wer die Bösen sind, wer recht hat und wer sich gänzlich irrt .
Religion wird zur Gefahr, wenn sie versimplifizierte Botschaften liefert und orientierungslosen Menschen einen Halt im Meer der Beliebigkeit verheisst. Menschen sehnen sich in der immer komplizierter werdenden Welt und Wirklichkeit nach eindeutigen Antworten, nach Sicherheit und ewiggültigen Wahrheiten.
Gefährlich, und mir auch unheimlich, wird die Eingeschworenheit von Fundamentalisten auf diese eine Programmierung, auf diese eine Linie, auf diese eine absolutistische Wahrheit. Der echte Gott-Glaube, der nicht mehr an Gesichertheit interessiert ist, versteht sich als einen Weg „dorthin“. Er weitert sich mit jedem Schritt, den man auf diesem Weg schreitet. Das bedeutet auch, dass alle Anweisungen, Regeln und Gebote der heiligen Schrift auch vorläufigen Charakter haben und man kann sie deshalb nicht als letztgültig hinstellen. Srila Bhaktivinod Thakur schreibt im „Caitanya Sikshamrita“, dass selbst alle Tattvas (philosophischen Grundverständnisse), die in den Schriften umschrieben werden, in dieser Welt noch provisorischen Charakter aufweisen.
Deshalb fordert ewige Religion die Seele erst einmal zum Aufbruch in die absolute Ungesichertheit auf und gibt dem Adepten nicht Scheinwissen, mit dem er sich über andere erheben kann. Diese religio perennis legt ein Urvertrauen in die Seele hinein, dass im Abbau der Sicherheit das Allerwesentlichste nicht verloren geht.
Fundamentalismus aber ist Erstarrung in der Rechtgläubigkeit. Die Heilung davon ist die heilige Ungewissheit.
Bei uns im Ashram haben wir auf einem Gebetsweg einen Wegweiser mit der Beschriftung „this way!“, doch er zeigt in zwei entgegengesetze Richtungen. Darunter haben wir einen kleinen Text, den ich hier einfügen möchte:
Verunsicherung ist wertvoller
als die Scheingewissheit
Viele vermögen den Segen der Seinsverunsicherung noch nicht wirklich zu verstehen. Er ist segensreicher als die vereinfachten religiösen Rezepte, nach denen das Sicherheitsbedürfnis greift.
Wir können kein Konzept eines Heilmittels anwenden, von dem wir glauben, es sei unser einziges und immerwährendes auf dem gesamten Weg. Wir brauchen immer neue, immer andere, immer die, die dem Augenblick angemessen sind. Das ist kein Weg der Kochrezepte; Kochrezepte sind für einfache Gläubige - die wollen wissen, wie es geht, wie man zu Gott gelangt, wie man ein guter Mensch werde und wie man in den Himmel komme. Vereinfacht will man alles aufgetischt bekommen - welche moralischen Werte man einhalten muss und welche es zu vermeiden gilt – und glaubt, das würde genügen. Einfach alles von einem Priester verschrieben bekommen…. Es scheint einfach und einleuchtend, ist aber nicht der Weg zur Wahrheit. Dieser führt erst einmal in die grundlegende Seins-Verunsicherung. Die gesamte säkulare Gesellschaft und auch die konfessionelle Spiritualität ist ein erfolgloser Versuch, der grundlegenden Unge-sichertheit irgendwie auszuweichen.
Aber gerade aus der Gnade der Ungesichertheit wird das Wahre geboren.
Wenn Religion Inseln der Geborgenheit in einem Meer der Unübersichtlichkeit liefern soll, gesicherte Werte in einer konfusen Welt oder die Einstellung, einer Gemeinschaft von Wissenden anzugehören, die sich von der unwissenden Welt abhebt, wird sie nicht nur fragwürdig, sondern gefährlich. Sie erhöht so nur die Hoffnungen des Eigennutz.
Fundamentalistisch interpretierte Religion vermag solch falsche Geborgenheit zu schenken. Wenn diese dann wiederum angezweifelt wird, erntet man nicht Dankbarkeit, sondern meistens Aggression.
Da religiöse Fundamente in den Augen eines Festhaltenden als unumstösslich gelten, werden sie mit allen Mitteln - auch mit jenen der Gewalt - zu erhalten versucht.
In ihrer verengten Sicht der Dinge lehnen Fundamentalisten naturgemäss auch moderne Prinzipien wie Pluralismus (also die Vielgestaltigkeit der weltanschaulichen, politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit), Toleranz und Säkularisierung ab. Die eigene Unsicherheit, der mangelnde Glaube, fühlt sich erst geschützt, wenn die gesamte Gesellschaft diese Überzeugung teilt.
So ist ein wesentliches Merkmal aller Fundamentalismen die ziemlich pauschale Ablehnung der modernen Gesellschaft in ihren verschiedenen Ausprägungen.
Fundamentalistische Denks-Systeme vertreten ein eigenes, in sich geschlossenes Weltbild, welches als das einzig 'wahre' gilt. Dabei sind die einzelnen Wahrheiten in diesem Weltbild so miteinander verkettet, dass die Infragestellung auch nur eines der Glaubens-Punkte das ganze System zu Fall bringen würde. Deshalb denken alle Fundamentalisten 'ahistorisch', das heisst, die jeweiligen geschichtlichen Entwicklungen und Änderungen im gesellschaftlichen Leben werden ignoriert und abgelehnt. Auch religiöse, ethische oder gesellschaftliche Werte, die aus der jeweiligen Zeit der Entstehung der Schrift stammen, bleiben für Fundamentalisten unveränderbar, ganz gleich, ob diese noch zeitgemäss sind oder nicht. In dieser Denkart hat man kein Problem, archaische Rechts-Sprechung, die wilde Beduinenstämme in der Wüste untereinander vor mehr 1300 Jahren praktizieren, als juristische Grundlage unserer Zeit anzuschauen.
Wer sich an solchen vor langer Zeit festgelegten Werten orientiert, sieht in der Welt natürlich eine klare Trennlinie zwischen den Guten und den Bösen: Auf der einen Seite: "wir" als die Vertreter der wahren, guten Welt, die Sicherheit bieten; "die anderen" als Vertreter jener Welt, die den falschen, bösen Wahrheiten anhängen, die der Aussenwelt als 'Schauplatz des Bösen' verhaftet sind.
Fundamentalismus lebt aus der Abgrenzung, die einem die Identität in der Begrenzung schenkt. Das Reine und Wahre steht immer auf seiner Seite.
Andersdenkende sowohl ausserhalb der eigenen Religionszugehörigkeit wie auch innerhalb, werden zumeist dämonisiert, und es wird ihnen mit Intoleranz sowie offener oder versteckter Aggression begegnet.
Der oder die Gegner werden zu emotionalisierten Feindbildern hochstilisiert. Solche Feindbilder fördern einerseits den inneren Zusammenhalt in der Gruppe und legitimieren aber andererseits auch die starke Abgrenzung nach aussen.
Ganz deutlich sichtbar wird das Bedürfnis nach Zuverlässigkeit und Sicherheit auch, wenn Gott als Autorität überstrapaziert wird: Sich immer und überall auf die göttliche Autorität und den göttlichen Willen zu berufen, drückt bei fundamentalistischen Menschen einen starken Wunsch nach Entlastung eigener Verantwortung aus.
Fundamentalisten lassen sich deshalb auf eine kritische, vernünftige Auseinandersetzung über ihre Standpunkte nicht ein, sondern bedienen sich einer beinahe 'formelhaften' Abwehrhaltung gegenüber allen anderen Ansichten. Das gibt einem das Gefühl der Besonderheit und der Einzigartigkeit. Man beginnt, sich auserwählt zu fühlen für einen Plan Gottes. Da heraus ergibt sich einen Missionsdrang, da man wirklich glaubt, die einzige Rettung für andere zu sein. Wenn diese Errettungs-Ideologie verinnerlicht ist, wird man bereit, Dinge zu tun, die man sonst als Verbrechen taxieren würde. Das normale menschliche Gewissen wurde ideologisch zugedröhnt. Religion kann dafür ein wirksames Instrument sein.
Das Überzeugungssystem wird somit von den Anhängern mit allen Mitteln, auch dem der Gewalt, zu rechtfertigen versucht und gegen jede Kritik von aussen abgeschirmt.
Von dem harmlosen Gottsucher kann, wenn man den Grundantrieb zu dieser Suche nicht genau betrachtet, erstaunlich schnell ein selbstentfremdetes Wesen werden.
Menschen mit gestörtem Selbstwertgefühl tendieren schnell zu fundamentalistischer Religion. Denn da erhält man Wert.
Deshalb ist ein wirklich heiliger Transzendenzbezug nur gesund, wenn er nicht vom Leiden (von der Not in der Welt) oder vom Minderwert her inspiriert ist.
Fundamente als solche sind für uns Menschen unerlässlich, bedeutungsvoll und wichtig. Wir brauchen sie, um schöpferisch leben zu können. Ohne den bergenden Schutz der Eltern, ohne Liebe, Fürsorge und Vertrauen können wir uns menschlich nicht entwickeln. Fundamente geben Halt, bieten Orientierung an und schenken Modelle zur Lebensbewältigung.
Die Religion ist nun eine spezifische Instanz, die solches Fundamentalvertrauen verheisst. Doch jede Religion basiert auf scheinbar unverrückbaren Fundamenten, die sich teils aus frühen Weltinterpretationen, Werten und Gesetzen, teils aus praktischen Lebensorientierungen, Sinndeutungen und auch aus dem Wissen persönlicher Erfahrung geformt haben.
Solche Fundamente müssen aber immer aufs Neue auf ihre Gültigkeit hin überprüft werden: Sind sie noch zeitgemäss? Geben sie noch Antwort auf die Fragen und Probleme der heutigen Zeit? Müssen bestimmte Fundamente aufgrund unseres erweiterten Wissensstandes als überholt angesehen werden?
Fundamentalisten wiederum fürchten nun gerade darum, dass diese 'alten' Fundamente ausgehöhlt oder gar untergraben werden könnten. Sie fürchten um die Sicherheit und die Orientierung, die ihnen 'ewiggültige Fundamente' bieten können.
Genau solch undifferenzierten Weltanschauungen, die man nur als Gesamtpacket akzeptieren soll, stellen eine grosse Gefahr für die heute Zeit dar.
Ich möchte dieses Phänomen des Fundamentalismus anhand von zwei Beispielen veranschaulichen. Erstens aus Textstellen aus dem Koran und dann auch selbstkritisch anhand von Textaussagen aus der eigenen Tradition.
Problematische Aussagen in den Quell-Texten
Angesichts der Radikalisierung religiöser Fundamentalisten ist es notwendig, die religiösen Traditionen selber unter die kritische Lupe zu nehmen. Dass man dies zu tun wagt und auch zu tun braucht, ist das Gut der Aufklärung.
Die Religionen schweben noch immer im Nimbus, dass man sie nicht kritisieren und kritisch betrachten solle. Wenn man es dennoch tut, wir einem dann gesagt, dass man die „religiösen Gefühle“ des Gläubigen verletze. Dass aber die Religionen selber sehr unzimperlich die Lebensrechte der Un- und Anders-Gläubigen übergehen, scheint über die Jahrhunderte einfach akzeptiert worden sein.
Warum soll man sich denn auf solche problematischen Aussagen fixieren? In den heiligen Texten steht doch so viel von Liebe, von Toleranz und von Respekt?
Stellen sie sich einfach vor, sie besuchen einen Vortrag über Freundschaft und Liebe. In einem Nebensatz offenbart der Referent dann inmitten von schönen Worten, dass er eigentlich ein bekennender Nationalsozialist ist und die Ausrottung niederer Rassen gutheisst. Wieviel Wert hätten nun seine ganzen schöngeistigen Ausführungen für euch?
Neben viel kostbarem Kulturgut findet man in den Offenbarungstexten der Religionen auch sehr fragwürdige Stellen, die man nicht einfach stehen lassen darf. Sie müssen betrachtet werden und es bedarf in unserer Zeit auch eine bewusste Distanzierung von solch archaischen Werten, die in den Religionen einen Raum fanden, sich zu konservieren. Findet keine öffentliche Distanzierung statt, hängt man drin in einem Geflecht, das Gewalt und Unterdrückung nicht nur legitimiert, sondern dazu noch auffordert. Die aufgeklärte westliche Gesellschaft kann solch mittelalterliche und vormoderne Wertvorstellungen und Verhalten natürlich nicht mehr ernst nehmen und so hat die fundamentalistisch verstandene Textauslegung ohne klar formulierte Distanzierung von problematischen Textstellen einen Grossteil der nachdenklichen Menschen in die Gleichgültigkeit zu religiösen Themen hingetrieben. Sie empfanden den Atheismus oder den Agnostizismus als fortschrittlicher. Moderne soziologische Studien zeigen auch, dass religiös erzogene Kinder weniger mitfühlend und zu härteren Bestrafungen anderer tendieren als ihre areligiösen Kumpanen.
Die grossen Offenbarungs-Religionen sind bei einer ethnozentrischen Weltschau stehen geblieben, das heisst, sie vermischen das kulturelle Umfeld der geographischen Zone, in der sie entstanden sind, mit dem spirituellen Inhalt des Gott-Bezuges. Deshalb stellen sie heute konservative Kräfte dar.
Sie schaffen keine neuen Werte für Gegenwart und Zukunft, sondern sind kulturelle
Zeitmaschinen, die überholte Vorstellungen vergangener Epochen in die heutige Zeit zu
transportieren versuchen. Dies erklärt auch, warum ein Grossteil der Werte, die den modernen Rechtsstaat und auch die Menschenrechte konstituieren, keineswegs dem Christentum entstammen, sondern vielmehr in einem Jahrhunderte währenden Emanzipationskampf gegen den Widerstand des organisierten Christentums erstritten werden mussten. Und zwar gleich welchen Aspekt des modernen Rechtsstaats wir auch fokussieren, ob Demokratie, Gewaltenteilung, ob die Freiheit der Meinungsäusserung, die Frage der religiösen Selbstbestimmung oder die Gleichberechtigung von Mann und Frau…
Inmitten unserer Gesellschaft gibt es Menschen, die ebenso alle technischen und humanitären Errungenschaften unserer Zeit benützen, doch an inneren Wertsystemen kleben, die aus archaischen primitiven Kulturperioden stammen. In dieser Dichotomie liegt eine Gefahr.
Daisetz Teitaro Suzuki (1870-1966) gilt als der international bedeutendste Theoretiker des Zen-Buddhismus. Bis 1945 kooperierte aber nicht nur Suzuki, sondern die meisten japanischen Zen-Meister mit den japanischen Militär. Suzuki trug in mehreren Abhandlungen zur Ausformulierung eines faschistisch-buddhistischen Kriegerethos bei. Während des Zweiten Weltkriegs würdigte er den Kamikaze-Einsatz der Selbstmordpiloten als Ausdruck der höchsten Erleuchtung.
Spirituelle Lehrer verschreiben sich der Kriegsideologie? „Wie ist das möglich?“, mag man sich fragen. Sie wurden jedoch von Kindheit an in der Tradition des japanischen Kaiserkultes erzogen. Wenn jemand die Indoktrinierung einer fatalen Ungerechtigkeit schon als Kind täglich eingeimpft bekommt, indem seine Umgebung dies als natürlich betrachtet, wirkt dies betäubend auf das innerste Gewissen. Diese partielle Ausschaltung des Gerechtigkeitsempfindens erleben wir ja in der westlich aufgeklärten Welt z. B. in Bezug auf das sinnlose Töten von Tieren nur zur Geschmacksbelustigung, dem Fleischessen. Man kann tatsächlich schnell betriebsblind werden. Das macht es um so dringlicher, fragwürdige Stellen in den heiligen Schriften genau zu betrachten und nicht einfach zu überlesen. Denn die religiösen Fundamentalisten übergehen diese sicherlich nicht und radikalisieren sich gerade aufgrund solcher.
Islam
Es gibt das objektive Aussage-System des Islam (Koran und Hadith-Sammlungen) und die subjektive Deutung von diesem Glauben. Es gibt verschiedene Varianten, subjektiv auf Textstellen zu reagieren.
Man kann sich streng gläubig daran halten; man kann versuchen sie zu überbieten – die Radikalisierung - ; man kann sich unterwerfen, damit man keine Schwierigkeiten erhält in der Umgebung der Glaubensgemeinschaft, oder man kann auch einen mutigen Schritt wagen, sich mit bestimmten vermittelten Anschauungen nicht einverstanden zu zeigen.
In der folgenden Betrachtung geht es nur um die objektiven Aussagen. Dass verschiedene Gläubige diese dann unterschiedlich verstehen und auch leben, ist selbstverständlich und ergibt die religiöse Diversität, die man ja bereits innerhalb einer jeden Tradition findet. Aber solange problematische Textstellen so dastehen, werden diese Schriften als Relikte der frühzeitlichen Geschichte auch ihren Einfluss haben.
In der post-aufgeklärten Gesellschaft ist Religion eine private Angelegenheit geworden, für die man sich entscheiden darf, aber auf keinen Fall soll oder muss.
Doch der Islam kennt die Naturalisierung seiner selbst, das heisst, dass die Grundnatur eines jeden Menschen letztlich islamisch sei. Dies führt in die Verabsolutierung des Relativen, nämlich einer konfessionellen Bezeichnung.
Der Islam hat den Drang nach weltlicher Normierung der Gesellschaft und des Individuums gemäss der sogenannten „Willens-Offenbarung“ Gottes.
Daraus wird ein Vorschriftenkatalog abgeleitet, nachdem sich alle Menschen unterwerfen sollen. Er ist eine religiöse Weltanschauung, der in seinen Grundinhalten und in seinem normativen Gesamtgerüst vor-aufklärerische Werte vermittelt, die systematisch kollidieren mit der menschenrechtlichen demokratischen Grundordnung.
Zum Beispiel gibt es keine Gleichberechtigung zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen. Muslime gelten immer als herrschaftsberechtigt. Den Ungläubigen wird das Existenzrecht entzogen, und es gibt keine gleichen Rechte für Männer und Frauen. Im Islam gibt es keine Wahlmöglichkeit zur Glaubensausübung, denn auf Apostasie steht im islamischen Recht die Todesstrafe. Es gibt keine Weltanschauungs-Freiheit etc.... Diese Werte sind nicht vorgesehen in der islamischen Grundlehre. In den letzten Jahrhunderten ist das Christentum zumindest eine Ent-Absolutierung hindurchgegangen, das heisst, es ist gebrochen worden als Instanz, die eine einzige Deutungs-und Normierungsmacht inne hat. Im Islam hat diese Entthronisierung noch nicht statt gefunden, was ihn potenziell gefährlicher macht. Im Westen ist Religion in Schranken gesetzt worden durch radikale Infragestellung. Doch diese Kritik wird vom islamischen Kollektiv als Sakrileg gedeutet und mit Morddrohungen belegt.
Der Islam ist eben nicht nur eine religiöse Anschauung, sondern proklamiert immer eine untrennbare Einheit zwischen Staat, Gesetzgebung, Rechts-Sprechung und Alltag-Regulierungs-Ideologie.
Der Orientalist und wahrscheinlich fundierteste Islamkenner Tilman Nagel schreibt, dass ein säkularisierter Islam kaum möglich sei, da für eine Übereinstimmung zwischen Islam und westlicher Gesetzgebung "wesentliche Partien des Korans und der Prophetenüberlieferung für nicht mehr gültig erklärt" werden müssten; und "insbesondere den zahlreichen Koranstellen und Prophetenworten, die zur Gewaltanwendung gegen Andersgläubige auffordern wäre ohne Wenn und Aber die ewige Geltung abzusprechen". (NZZ, 17. 3. 2005)
Dass solch rückständige und unmenschliche Anschauungen wie die Scharia für innerweltliche Regulierungsvorgänge eingesetzt werden sollen, ist ja genau die Forderung von radikalisierten Muslims.
Da kann man für die radikale Religionskritik Feuerbachs, Freuds und Fromms nur dankbar sein und in säkularen Wertmassstäben wie der Menschenrechte eine Erleichterung sehen.
Doch nach islamischem Verständnis ist jeder Mensch als Muslim geboren und erst widrige sozio-kulturelle Einflüsse würden ihn dann zu einem Polytheisten, Atheisten oder sonst irgendeinem Ungläubigen machen und verhindern somit seine naturgerechte Ausformung.
Die Ursprungsnatur wird also durch eine nicht-islamische Umwelt verdorben. Der durch negative äussere Einwirkungen zum Nicht-Muslim gewordene Mensch gilt als Folge als verdorbener Mensch, dem keine gleichen Rechte mehr zugestanden werden können.
Wer also in den Zustand des Nicht-Muslim-Seins abgedrängt worden ist oder durch Apostasie in diesen Zustand überwechselt, begibt sich in einen Zustand naturwidriger Verhältnisse und verliert dadurch die Menschenwürde.
In der religio perennis (Sanatan-Dharma) jedoch, wird die Grundnatur eines jeden Menschen nicht als die konfessionelle und kulturell bedingte Festlegung verstanden, sondern immer nur die brennende Gottesliebe, deren Wesensmerkmal die Absenz von persönlichen Interessen darstellt, nämlich Macht- oder Annehmlichkeits-Ansprüche, sowie die Überwindung des Befreiungs-Pragmatismus.
Im Verständnis des Korans sind es die Nicht-Muslime, die aggressiv und kriegerisch handeln indem sie die von Allah befohlene Islamisierung der Welt verhindern wollen. In dieser Sichtweise ist der Jihad nichts weiter als die geheiligte Rückeroberung von Gebieten, die den wahren Gläubigen gehören und von Nicht-Muslimen widerrechtlich besetzt sind.
Es ist erstaunlich, was für ethische Verzerrungen in den Geist eines Menschen gelangen können, der den Virus der fanatisierten Religion erhalten hat.
Ein paar solcher problematischer Stellen möchte ich anführen. Doch könnte man so eine Ausführung fast endlos fortsetzen, denn praktisch auf jeder Seite des Korans geht es um Kämpfen und Töten.
„Und kämpft um Allahs willen! (Sure 2,244)
„Und tötet sie (d.h. die heidnischen Gegner), wo (immer) ihr sie zu fassen bekommt, und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben haben! (Sure 2,191)
Der Herrschaftsanspruch des Islams wird schon früh klar gemacht:
„Als einzig wahre Religion gilt bei Gott der Islam“ (Sure 3,19)
Nun folgt eine kleine Sammlung solcher Koran-Texte, von denen bis heute noch keine offiziellen Distanzierungen existieren. Damit möchte ich nur ausdrücken, dass problematische Textstellen wirklich ein Motor für archaisches zwischenmenschliches Verhalten darstellen.
„Siehe, schlimmer als das Vieh sind vor Allah die Ungläubigen.“ (Sure 8,55)
„Diese, ihre Wehklagen, liessen nicht eher nach, als bis wir sie wie das Getreide abgemäht und gänzlich vertilgt hatten.“(Sure 21,15)
Es gibt eine offizielle Fatwa, in der es heisst, dass solange Muslime in der Minderheit sind, sollen sie von Frieden, Toleranz und Demokratie und Verständnis reden...
Anfänglich hat ja im Koran der Prophet Mohammed auch noch respektvoll über Juden und Christen gesprochen– da sie eine Buchreligion sind(Sure 5,82), und aufgrund seiner Wertschätzung für den Monotheismus(Sure 3,110).
Als er aber merkte, dass Juden und Christen nicht zum Islam konvertierten, entzog er ihnen seine Anerkennung und urteilte in überwiegend scharfen und hasserfüllten Aussagen über sie. Im Jahre 627 liess Mohammed in Medina einen gesamten jüdischen Stamm töten.
Nach Auslegung der islamischen Theologie gelten bei sich widersprechenden Aussagen die jeweils jüngeren Suren (Prinzip der Abrogation), also in diesem Fall die eher antijudaistisch und antichristlich geprägten Stellen (Sure 47, 35)
„Siehe die Ungläubigen vom Volk der Schrift (d.h. Juden und Christen) … Sie sind die schlechtesten der Geschöpfe.“ (Sure 98,6)
Das beharrliche Festhalten an einem absoluten Wahrheitsanspruch der eigenen Lehre scheint tatsächlich jedes Vergehen gegen Andersdenkende innerhalb wie ausserhalb der fundamentalistischen Gruppe zu rechtfertigen.
Jeder Pluralismus, also die Toleranz dafür, unterschiedliche, möglicherweise berechtigte Meinungen zuzulassen, werden von Fundamentalisten mit der Befürchtung kategorisch abgelehnt, dass der ganze Rest des Glaubensgebäudes irgendwann relativiert werden könnte. Leider finden sich eben auch unzählige Textstellen in den Schriften, die von Fundamentalisten in ihrer Eindeutigkeit auch umgesetzt werden.
Man muss sich nicht wundern, wenn ein primitiver Hirtenstamm in der Wüste, dem jegliche zivilisatorischen Werte unbekannt waren, so eine kriegerische Sprache spricht. Gefährlich wird es nur, wenn man solche Werte in die heutige Welt übertragen möchte.
„Ihr Gläubigen! Fürchtet Allah und trachtet danach, ihm nahe zu kommen, und führet um seinetwillen Krieg.“ (Sure 5,35)
„..aber in die Herzen der Ungläbigen will ich Furcht bringen. Darum haut ihnen die Köpfe ab und haut ihnen alle Enden ihrer Finger ab.“ (Sure 8,12)
„Die Juden sagen, Esra sei der Sohn Gottes, und die Christen sagen, Christus sei der Sohn Gottes. Sie sprechen mit ihrem Mund und sagen damit ähnliches wie die Ungläubigen, welche vor ihnen lebten. Allah wird sie schon ihrer Lügen wegen bestrafen. Allahs Fluch über sie!“ (Sure 9,30)
„O Gläubige, bekämpft die Ungläubigen die in eurer Nachbarschaft leben und lässt sie eure Härte spüren. Und wisst, dass Allah mit denen ist, die ihn fürchten.“ (Sure 9,123)
„Jene, die ungläubig sind und als Ungläubige sterben, über sie der Fluch Allahs und der Engel und der Menschen insgesamt! (Sure 2,161)
„Und wenn die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Heiden, wo ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie und lauert ihnen überall auf.“ (Sure 9,5)
„Ihr Gläubigen! Kämpft gegen diejenigen von den Ungläubigen, die euch nahe sind! Sie sollen merken, dass ihr hart sein könnt.“ (Sure 9,123)
Aufforderung zu Verstümmelungen und Züchtigungen, für die man in einem Rechtsstaat ins Gefängnis müsste, gehören zum Rechtsempfinden dieser heiligen Schrift.
„Wenn ein Mann oder eine Frau einen Diebstahl begangen hat, dann haut ihnen die Hand ab.“ (Sure 5,38)
Verstoss gegen den Gleichheitssatz
„Die Männer stehen über den Frauen … Und wenn ihr fürchtet, dass Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie.“ (Sure 4,34)
„Und die Männer stehen (bei alledem) eine Stufe über ihnen [den Frauen].“ (Sure 2,228)
„Auf (ein Kind) männlichen Geschlechts kommt (bei der Erbteilung) gleichviel wie auf zwei weiblichen Geschlechts.“ (Sure 4,11)
Verstoss gegen allgemeine Persönlichkeitsrechte
„Eure Frauen sind euch ein Saatfeld. Geht zu (diesem) eurem Saatfeld, wo immer ihr wollt.“ (Sure 2,223)
Verweigern der Glaubensfreiheit
„Was haben sie auch anderes zu erwarten, als das die Todesengel zu ihnen kommen oder dass der Herr selbst kommt, um sie zu bestrafen.“ (Sure 6,159)
“Wenn sie sich abkehren, dann greift sie und tötet sie, wo immer ihr sie findet.” (Sure 4,89)
„Diejenigen aber, die ungläubig sind, – nieder mit ihnen!“
(Sure 47,8)
„Wenn ihr die Ungläubigen trefft, dann schlagt ihnen die Köpfe ab, bis ihr ein Gemetzel unter ihnen angerichtet habt.“ (Sure 47,4)
„Wahrlich, für die Ungläubigen haben wir bereitet Ketten, Halsschlingen und das Höllenfeuer.“ (Sure 46,5)
“Er ist es, der seinen Gesandten (Mohammed) geschickt hat mit der Führung und der Religion der Wahrheit, dass er sie siegreich mache über jede andere Religion. Und Allah genügt als Bezeuger.” (Sure 48, 28)
“Prophet! Führe Krieg gegen die Ungläubigen und die Heuchler (munaafiqien) und sei hart gegen sie! Die Hölle wird sie (dereinst) aufnehmen – ein schlimmes Ende!“ (Sure 66, 9)
Man braucht sich nicht zu wundern, dass die terroristische Gewaltbereitschaft der islamischen Extremisten ihre Wurzeln im Koran sieht.
Es gibt Stimmen, die den Hinweis auf Gewalt und Hass predigende Stellen im Koran nicht hören möchten und sie bagatellisieren. Man wird dann verwiesen, dass es doch auch tolerante und versöhnliche Aussagen im Koran gäbe. Doch diese Stellen beziehen sich nicht auf die Ungläubigen....
Eine solch versöhnliche Stelle im Koran, wie z. B. die Sure 2,256, lehnt den Zwang als Mittel der Bekehrung ab:
„Es gibt keinen Zwang im Glauben. Der richtige Weg ist nun klar erkennbar geworden gegenüber dem unrichtigen.“
Ferner wird von Kritikern eingewandt, dass die zu friedlichem Miteinander, Respekt und Toleranz aufrufenden Verse durch die sogenannte Abrogation offiziell vom Gründer Mohammed aufgehoben worden sind und daher über keine Verbindlichkeit und Gültigkeit mehr verfügen und durch Gewalt legitimierende Verse ersetzt worden sind.
Der Koran und andere Formulierungen muslimischer Glaubenssätze enthalten nur wenige Gebote zum Einhalten der Gewalt. Die Vorstellung der Gewaltfreiheit und Versöhnung ist muslimischer Lehre und Praxis fremd.
Die problematischen Textaussagen in den heiligen Schriften sind im christlichen geprägten Abendland von drei wesentlichen fortschrittlichen Errungenschaften in ihrer Aggressionskraft eingeschränkt worden:
-einer historisch kritischen Text-Exegese
-dem Zeitalter der Aufklärung
-der Trennung zwischen Staat (Rechts-Sprechung) und Religion.
Diese Errungenschaften fehlen im islamischen (und auch im indischen) Kollektiv vollständig. Es sind aber diese Umstände, welche in der christlichen Welt die wortwörtliche Auslegung von gewaltverherrlichenden Bibelstellen historisch relativierten und damit eine vollständige Neuinterpretation ermöglichten.
Nicht nur im islamischen Fundamentalismus, sondern auch in der offiziellen Theologie des orthodoxen Islam gilt der Koran als absolut, d.h überhistorisch bzw. überzeitlich gültiges Regelwerk.
Im Islam handelt es sich um eine vormoderne, totalitäre, archaische Herrschafts-Ideologie, die in grossen Teilen menschenrechtswidrig ist und eine umfassende Negation der säkular entstandenen Werte der Aufklärung darstellt.
Das ist nicht rassistisch oder islamophob, sondern eine einfache Betrachtung von unerhört grausamen Aussagen einer heiligen Schrift. Solange keine offiziellen Distanzierungen solch herabwürdigen Textstellen des Korans öffentlich macht und proklamiert, dass solche Aussagen keine Gültigkeit mehr haben in einer Rechts-Gesellschaft, braucht man sich nicht zu wundern, dass solche Verse von Fundamentalisten auch umgesetzt werden.
„Jene aber, die glauben und ausziehen, um für die Religion Allahs zu kämpfen, die dürfen Allahs Barmherzigkeit gewärtig sein.“ (Sure 2,219)
Man muss sich angesichts solcher Unterweisung nicht wundern, dass es auch willige Vollstrecker dieser Anleitungen gibt. Diese sind dann jene, die wir Terroristen nennen. In dem Wertesystem solch rückständiger Texte aber sind es Märtyrer.
Natürlich gibt es auch haufenweise menschenverachtende Textstellen bei Juden und Christen.
Aus dem Talmud:
„Der Hof eines Nichtjuden ist wie der Stall von Vieh. (…) Die Wohnung eines Nichtjuden wird nicht als Wohnung betrachtet.“ (Erubin 61b/ 62 a, 75a)
„Männer sind nur zum gemeinschaftlichen Tischgebet verpflichtet, wenn sie drei oder mehr an der Zahl sind, zwei aber nicht. Frauen, auch wenn sie hundert an der Zahl sind, zählen nicht mehr als zwei Männer. Dasselbe gilt auch von Sklaven.“
(Berakoth 45b)
„Es heisst (Jesaja 35,12): „Die Völker werden zu Kalk verbrannt“. „Gleich wie der Kalk keinen Bestand hat, sondern verbrannt wird, so haben auch die Völker der gojim (Nich-Juden) keinen Bestand beim Weltgericht), sondern werden verbrannt.“ (Sotah 35b)
„Eine Jüdin darf einer Nichtjüdin keine Geburtshilfe leisten, weil sie damit ein Kind für den Götzendienst gebären hilft.“ (Aboda zara 26a)
aus der Bibel:
„Das Vierte Buch Mose berichtet, wie Mose von Gott angestachelt wird, die Midianiter anzugreifen. Seine Armee macht kurzen Prozess, schlachtet alle Männer ab und brennt die Städte des gegnerischen Stammes nieder. Frauen und Kinder werden jedoch verschont. Über diese gnädige Selbstbeschränkung der Soldaten ist Moses wütend: Er erteilt den Befehl, auch alle männlichen Kinder umzubringen, ebenso alle Frauen, die keine Jungfrauen sind. „Aber alle Mädchen, die unberührt sind, die lasst für euch leben.“ (4. Mose 31,18)
„Aber in den Städten dieser Völker hier, die dir der Herr, dein Gott, zum Erbe geben wird, sollst du nichts leben lassen, was Odem hat, sondern sollst an ihnen den Bann vollstrecken, nämlich an den Hethitern, Amoritern, Kanaanitern, Perisitern, Hiwitern und Jebusitern, wie dir der Herr, dein Gott, befohlen hat.“ (5. Mose 20.16-17)
Menschenrechte werden extrem relativiert, wenn ein Grossteil der Menschen gar nicht als wirkliche Menschen gilt.
Im griechischen, ägyptischen und mesopotamischen Kulturkreis war es vor etwa 2500 Jahren (der Zeit der Entstehung des alten Testamentes) normal, Sklaven zu halten, weshalb auch das Alte Testament die Sklaverei gutheisst (z.b. 2. Mose 21, 1-10) und sie sogar als ein Gesetz Gottes bezeichnet. So sei es erlaubt, dass ein Vater seine Tochter in die Sklaverei (21,7) oder in die Prostitution (21,8) verkaufe.
Auch im 3 Buch Mose (25.44-46) wird die Sklaverei gutgeheissen: „Wenn ihr Sklaven und Sklavinnen braucht, könnt ihr sie von euren Nachbarvölkern kaufen. Auch Fremde, die bei euch wohnen, könnt ihr als Sklaven erwerben und ebenso ihre Nachkommen, die in eurem Land geboren wurdet. Ihr könnt sie für immer als euer Eigentum behalten und auch euren Söhnen vererben. Sie müssen nicht freigelassen werden. Die Israeliten jedoch dürft ihr nicht zu Sklaven machen.“ (Siehe auch 5 Mose 15.12-18)
Auch Atheisten und Ungläubige sollen getötet werden. „Führt den Gotteslästerer vor das Lager hinaus (…), die ganze Gemeinde soll ihn steinigen.“ (3.Mose 24,14 und nochmals in 24,16-17)
Als sich die abrahamitische Religion gebildet hat, erstaunt es nicht, dass im alten Testament viele Gesetze aus dieser Zeit zu finden sind, die von den damaligen Priestern und Stammesführern als göttliche Gesetze bezeichnet wurden.
Aus heutiger Sicht sehen wir, dass dies nicht alles göttliche Inspiration war.
Für aufrichtig Glaubende sind solche Stellen problematisch. Extremisten wollen solche Gesetze sogar wieder einführen. Denn wenn diese Stellen historisch relativ wären, dann vielleicht andere auch. Es würde ein Glaubensgebäude zum Einsturz bringen können.
In der Bibel heisst es „Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen“ (2. Mose, 22.17).
Wortgetreue Leser hat dies zur Hexenverbrennung angeregt. Dass solche Textstellen nicht zu verharmlosen sind, zeigt die Tatsache, dass deshalb über 50`000 Frauen in Zentraleuropa verbrannt wurden.
Religion wird heute oft wahrgenommen als Ursache für Hass und Konflikte. Terroristen berufen sich zur Rechtfertigung ihrer Greueltaten auf heilige Schriften und die Art Religion, welche Schlagzeilen macht, ist üblicherweise schrill und streitsüchtig. Viele Menschen glauben, dass allein ihr Verständnis des Heiligen richtig sei und haben Verachtung für diejenigen übrig, die für diese letztlich unausdrückbaren Dinge andere Wörter und Namen gebrauchen. In fast allen Religionen findet man die militante Form der Frömmigkeit, die man als Fundamentalismus bezeichnet. Darin drückt sich die Irritation über die Marginalisierung der Religion in der säkulären Gesellschaft aus – und der grimmige Entschluss, Gott und die Religion wieder einen Platz im Zentrum der Weltbühne zu verschaffen.
Menschen, die denken, sie hätten einen ausschliesslichen und privilegierten Zugang zur Wahrheit, stellen nicht ein Segen, sondern eher eine Gefahr für die Menschheit dar.
Eine solch fundamentalistische Denkanschauung führt aufrichtig suchende Menschen nicht zu frömmerem Leben, sondern viel eher in die religiöse Gleichgültigkeit, in den Agnostizismus.
Pathogene Religion ist eine selten diagnostizierte (wenn auch häufig auftretende) Form der geistigen Behinderung, die durch intensive Glaubensindoktrination ausgelöst wird.
Sie führt zu deutlich unterdurchschnittlichen kognitiven Leistungen wie zu unangemessenen emotionalen Reaktionen sobald die Glaubensinhalte nur schon im Geringsten angezweifelt werden.
Bemerkenswert dabei ist, dass auch gescheite Menschen, die in ihrem täglichen Leben durchaus zu kritischem Denken in der Lage sind, davon eingenommen werden können.
Es gibt Insel-Begabung (in einem bestimmten Lebensgebiet genial zu sein, aber vielleicht nicht einmal die geringste soziale Kompetenz aufzuweisen), aber es gibt auch Inselbehinderung (normal funktionierende Menschen, die partielle Entwicklungsstörungen haben). Das kann die Denkhemmung religiöser Fundamentalisten erklären.
Während sich aus der individuellen Beschränktheit der Ameisen eine kollektive Intelligenz ergibt, resultiert aus der individuellen Intelligenz der Menschen eine kollektive Beschränktheit, die man auch als Schwarm-Dummheit bezeichnen könnte. Diese zeigt sich speziell an Menschenansammlungen mit hedonistischer Grundlage wie an Musikkonzerten oder Sportanlässen und auch ausgeprägt in religiösen Gemeinschaften.
Religiös fanatisierte Menschen werden in ihren Gemeinschaften, die oft Binnenzirkel rückständiger Werte sind, noch aufgeladen und bestätigt in ihren Wahnvorstellungen. Deshalb ist es ein Grundgebot auf dem inneren Weg, immer wieder längere Zeit alleine und fern von der eigenen Überzeugungsgruppe Zeit in Reflektion zu verbringen.
Die Mehrheit der Menschen im aufgeklärten Westen fühlen sich von der Sprache religiöser Erzählungen aus vergangenen Jahrhunderten nicht mehr berührt. Man will die Lehrformeln nicht mehr hören, welche die Menschheit über viele Jahrhunderte lang in ein doktrinales Gefängnis geführt haben.
Und doch gibt eine Renaissance der Sinnfrage. Menschen suchen nach Lebensbedeutung. Nur ist dieser Sinn nicht mehr so vorgegeben, wie es in vergangenen Zeiten war.
Wenn die Trampelpfade der Wahrheit nicht einfach nur vorgelegt werden, dann ist das eine Chance zur Wesentlichkeit, eine Möglichkeit zur aufrichtigen Suche.
Es ist wesentlich, die Problematik der Quell-Texte zu betrachten. Aber nicht nur bei den anderen, sondern auch in der eigenen Tradition.
Problematische Aussagen und Textstellen im Krishnabewusstsein
Gerade weil ich die Bhakti-Tradition und deren hervorstehender Lehrer in der westlichen Welt, Srila Prabhupada so liebe und sie mir so wertvoll sind, möchte ich auf ein paar bedenkliche fundamentalistische Tendenzen in der eigenen Tradition hinweisen.
Es scheint ein wenig stark kritisch zu sein und ich möchte mich dafür entschuldigen. Aber was ich hier nur sanft ausdrücke, sind Themenbereiche, die ich schon seit 25 Jahren beobachte. In unzähligen Gesprächen habe ich gesehen, dass diese Themen die Sucher auf dem Weg belasten und dennoch ist es wie eine Tabu-Zone, die man nicht öffentlich ansprechen darf. Den Werten der Aufklärung, „sapere aude!“, fühle ich mich mehr verpflichtet als den Altlasten der Religionen, die diese fragwürdigen Textstellen als alte Relikte noch immer in ihrem Vermittlungskatalog mitschleppen. In einer Reflektion über religiösen Fundamentalismus und was er mit den Menschen macht, ist es unerlässlich, ein paar Beispiele einmal aufzubringen.
-Die Angst ist sinnbildlich die Hölle des Diesseits. Die Angst vor dem Tod reduziert uns auf menschliche Dimensionen und ist quasi das Rezept gegen die Selbstvergottung.
Das ist ihre natürliche Schutzfunktion.
Aber alle Glaubensgemeinschaften instrumentalisieren die Angst der Menschen für ihre Zwecke. Aus psychologischer Sicht ist die Drohung mit der Hölle ein Disziplinierungsinstrument, das bei Kindern traumatische Reaktionen auslösen kann. Bei Erwachsenen erzeugt es eine Schwere, welche die ursprüngliche Freude und Leichtigkeit des inneren Weges zerstört. Als ob das Diesseits nicht schon genug Ängste auf Lager hätte, bauen praktisch alle grossen Religionen seit Tausenden von Jahren eine Drohkulisse für das Leben nach dem Tod auf.
Ein post-mortales Auschwitz wird einem da gedroht, wenn man die Gebote nicht genau befolgt. Kein diktatorischer und tyrannischer Staat hat jemals so drakonische Strafen gesetzt wie die religiösen Traditionen, welche die ewige Verdammnis kennen. Das Bild Gottes ist deshalb besonders angstbesetzt.
Glaubensgemeinschaften, die Gläubigen mit der Hölle oder postmortalen schlimmen Konsequenzen drohen, bräuchten dringend eine Aufklärung. Wir haben in der Zivilgesellschaft die schwarze Pädagogik dank den Menschenrechten überwunden und die Welt menschlicher gemacht. Es wäre wesentlich, dass diese Menschlichkeit auch in die Religionen Einzug hält. Auf diese Erkenntnis sollten die Weltreligionen verpflichtet werden können.
Das Bhagavatam selbst sieht die Hölle als einen symbolischer Zustand. Krishna erklärt in der Uddhava-Gita (11.19.42–43): „Hölle ist das Ausdehnen von Tamas (Trägheit, geistige Dunkelheit). Himmel ist das Ausdehnen von Sattva (innere Harmonie, Verankerung im Selbst).“
Die kritische Text-Exegese und auch Bhaktivinoda Thakur (in der Krishna-Samhita und in „The Bhagavat) erklären, dass das 26. Kapitel vom 5.Canto des Bhagavatam, welches furchtbare Höllenbeschreibungen beinhaltet, später dazugekommen ist. Es wurde von Brahmanen, welche dem moralischen Leben ein wenig Druck machen wollten, erfunden und ins Bhagavatam interpoliert.
Wenn ich dies mit Vaishnava-Gelehrten diskutiert hatte, waren sie auch dieser Ansicht. Und dennoch habe ich nirgendwo öffentlich gesehen, dass man sich davon distanziert. Die Folge ist, dass gutgläubige Vaishnavas dies noch immer lesen und aufnehmen. So wird der innere Weg mit der Angst vor schlimmsten Höllenqualen besetzt, die selbst für lapidare kleine Vergehen angedroht werden.
Solche ewigen Höllen-Androhungen werden einen Schatten auf den freudvollen inneren Weg legen und hat viele Seelen in eine disfunktionale Spiritualität gedrängt bis hin zu einer ekklesiogenen Neurose. (siehe: „wenn Glaube krank macht“ – www.radhe.ch unter „kritischer Blick“)
Die Lehre der Verdammnis ist schwerwiegend und stellt nicht ein Richtspruch Gottes dar, sondern eine krankhafte Manifestation des Vernichtungstriebes.
Da sich diese Lehre über Jahrtausende in das kollektive Gedächtnis der Menschen eingebrannt hat, braucht es schon eine aussergewöhnliche Bemühung, ihren Einfluss in der menschlichen Psyche wieder zu neutralisieren.
In einem drin hält etwas eine emotionale Bindung an diese Lehre aufrecht. Es ist das naive Gefühl eines Aufgehoben-Seins, wenn Gott als Richter einfach einige belohnt und andere verdammt. Daraus ergibt sich eine sehr klare moralische Struktur, die den Kleingeist heimisch werden lässt.
Bereits der frühe Kirchenvater Origenes wendet sich gegen die Lehre einer Höllen-Verdammnis mit einer Apokatastasis-Lehre, die auf die Wiederherstellung des perfekten Zustandes hinzielt.
Dabei deutet er die biblischen Aussagen über die Hölle als Sinnbilder, die übertragen werden müssen. Von Platon beeinflusst, vergeistigt er das Höllenfeuer und sieht darin die rein geistigen Qualen des Gewissens, die im Betrachten des Lebens an seinem Ende entstehen. Nach ihm wird selbst der Teufel in die All-Versöhnung mit eingeschlossen. Dass diese Interpretation von Macht-Institutionen als unbequem gesehen wurde, weil sie die naive Vorstellung von Lohn und Strafe aufhebt, zeigt sich im 6. Jahrhundert mit dem Edikt Kaiser Justinians, welches im Jahre 543 Origenes zum Häretiker verurteilte.
Viele Vaishnavas verstehen diese Höllenbeschreibungen aber noch immer wörtlich.
-Im 10 Kapitel der Bhagavad Gita spricht Krishna über Vibhuti-Yoga, wie die Dinge in dieser Welt nicht nur isoliert für sich selber stehen, sondern einen Anstoss für die Erinnerung an ihn schenken können.
So heisst es dann in der Gita (10.21):
„...unter den leuchtend hellen Himmelskörpern bin ich der Mond.“
In der Gita-Übersetzung, die von den meisten westlichen Bhakti-Praktizierenden gelesen wird (Bhagavad Gita, „Wie sie ist“), steht aber: „.... und unter den Sternen bin ich der Mond.“
Als ob das nicht schon bedenklich genug wäre, wird das noch kommentiert:
„Aus diesem Vers geht hervor, dass der Mond zu den Sternen gehört; folglich reflektieren die Sterne, die am Himmel funkeln, ebenfalls das Licht der Sonne.... es gibt nur eine Sonne, und genauso wie der Mond das Licht der Sonne reflektiert, tun dies auch die Sterne.“
Da wird modernen Suchern effektiv wieder eine mittelalterliche Kosmologie präsentiert.
Gemäss Prabhupada ist der Mond auch weiter von der Erde entfernt als es die Sonne ist (Kommentar zu Bhagavatam 8.10.38). Ich denke mir nur, wie das wohl auf Personen wirkt, die darüber nachdenken?
-In einer Raum-Konversation am 9. Juli 1975 sagt Prabhupada, dass die Hirnsubstanz bei Männern fast doppelt so gross sei wie bei Frauen.
Vaishnavas, die nun aber alles von Prabhupada als sakrosankt annehmen möchten und auch seine falschen Aussagen als absolut verstehen, getrauen sich bei solchen offensichtlichen Fehlern noch immer nicht zu sagen, dass es falsch ist, sondern versuchen irgendwie, es wieder zurecht zu biegen, damit man den Absolutheitsanspruch beibehalten könnte.
“Obwohl Vergewaltigung von Gesetzeswegen nicht erlaubt ist, ist es eine Tatsache, das eine Frau einen Mann mag, der Experte ist in der Vergewaltigung ist.” (Srimad Bhagavatam 4.25.41 Erläuterung) In der gleichen Erläuterung heisst es auch, dass ein Mann eine Frau unter Kontrolle halten kann, in dem er ihr einfach Schmuck, Essen und Kleider schenke.
“Wenn eine ledige Frau von einem aggressiven Mann angegriffen wird, dann versteht sie seine Handlung als Barmherzigkeit.” (Kommentar zu Bhagavatam 4.25.42) . Und “Generell kann man sagen, dass eine Frau, die von einem Mann angegriffen wird – ob es nun ihr Ehemann oder sonst jemand ist – diesen Angriff geniesst, da Frauen so lustvoll sind.” (Kommentar zu Bhagavatam 4.26.26)
In einem Brief an Chaya Dasi vom 16. Feb. 1972 schreibt Prabhupada, dass Frauen nicht in die Schule zu gehen brauchen. Sie sollen sich einfach um den Haushalt kümmern, “Butter stampfen”, “Die Frau sollte immer putzen, nähen… und dafür braucht man keine formelle Ausbildung”.
Warum reagiert niemand auf solche Aussagen? Ich habe dem Verlag und auch dem GBC-Greminum mehrere längere ausführliche Briefe mit dutzenden solcher problematischer Textstellen zugesendet mit der Bitte, diese doch aus den Büchern zu streichen, da sie wache und denkende Suchende nur von der Bhakti abschrecken würden. Ich schrieb ihnen auch, dass solch fragwürdige Stellen selbst gegen das sälular entstandene Schweizer-Gesetz seien. Ich erhielt dann einen offiziellen Brief vom GBC, in dem es hiess, man könne diese Bücher auf keinen Fall verändern, denn sie seien „die Gesetzbücher für die nächsten 10`000 Jahre.“
Im deutschsprachigen Raum hat man ältere Bücher, die diskriminierende und despektierliche Wörter enthielten, in der Neuauflage geändert, auch wenn der Autor vielleicht schon längst gestorben ist. In der Literatur werden immer wieder neue Fassungen herausgegeben. Goethe hat seinen „Werther“ 1787 gleich selber ebenfalls neu überarbeitet.
In „Die kleine Hexe“ dürfen die Wörter „Negerlein“ nicht mehr auftauchen.
In Pipi Langstrumpf wurde ihr Vater, der Negerkönig, zum Südseekönig.
Kasperli singt:
„Tra tra trallala tra tra trallala
Mir reised jetzt uf Afrika und lueget deet all Neger aa.“ Dies wurde gestrichen.
Denn Sprache konstruiert Wirklichkeit. Wörter prägen eine Weltanschauung. Sprache ist eine Manifestation, wie man die Welt betrachtet. Deshalb wird sich mit einer Bewusstseinsänderung natürlicherweise auch die Sprache verändern. Und umgekehrt prägt der Gebrauch der Sprache auch die Weltanschauung.
Die Sprache vergangener Zeiten beinhaltet natürlicherweise auch die kollektiven Missverständnisse, die da herrschten.
Wenn man nun die alte Sprache nur wiederholt ohne sie zu reflektieren, stellt das eine Wiederaktivierung alter Wertvorstellungen dar, die man im Kollektiv unserer Zeit eigentlich längst überwunden hat.
Die moderne Welt ist da speziell sensibilisiert im Bereich der Kinderbücher und auch in der religiösen Literatur, da diese beiden Bereiche speziell werteprägend sind. Romane werden nicht überarbeitet, weil man sie, ähnlich einem Steinzeit-Relikt, als einen Ausdruck dieser Zeitepoche betrachtet.
„Die höheren Menschenklassen sind weiss und die niederen Klassen von Menschen sind schwarz.“ (Kommentar zu Bhagavatam 3.5.9)
Als ich dem GBC (dem Führungsgremium der Iskcon) einen Brief geschickt habe mit ganz vielen solcher Zitat-Stellen, und auch anfügte, dass viele von Prabhupadas Aussagen dermassen verleumdend seien, dass sie nicht nur Menschen von Bhakti-Yoga fernhielten, sondern auch das Vertrauen seiner Anhänger zerstören würden, erhielt ich eine interessante Antwort: Wenn ich nicht willig sei, Srila Prabhupada vollständig anzunehmen mit all seinen Aussagen, dann sei es besser, ich würde die Iskcon verlassen. „Prabhupada sagte tausende von Malen, dass der Guru wie Gott anzusehen sei. Wenn du nicht willig bist, Krishnas Aussagen, wie sie sind, anzunehmen, ist es besser, du verlässt die Institution.“
Mir geht es ja nicht darum, was ich machen soll, sondern darum, dass hier Aussagen sind, denen kein wacher Mensch zustimmen würde, und dennoch dürfen sie nicht abgelehnt werden, da das blinde Vertrauen fordert, dass man alles akzeptieren müsse.
Prabhupada spricht über sein Verständnis von vedischer Zivilisation:
„Eine Frau ist schön in dem Masse wie sie eine Sklavin von ihrem Ehemann ist.
Das ist Schönheit, nicht die persönliche Schönheit. Sondern in wie fern sie es gelernt hat, eine Sklavin des Ehemannes zu sein.“ (Morgenspaziergang am 19. März 1976 in Mayapur)
Die amerikanische Gesellschaft hat Sklaverei und Rassismus überwunden. Aber in Prabhupadas Anschauungswelt gelten solche Errungenschaften von Menschlichkeit nicht:
„Schwarze soll man als Sklaven halten.. und ihnen einfach Essen und Kleider geben.
Seit man ihnen in USA gleiche Rechte gegeben hat, gab es einfach nur Probleme mit ihnen.“
Schwarze seien nur eine Störung und unkultivierte Trinker. (Room conversation 14. Feb 1977 in Mayapur, auch in seinem Kommentar zum Bhagavatam 4.14.45):
„Sudras haben kein Hirn. Amerika gehörte einst den Indianern. Warum konnten sie keine Verbesserung machen in Amerika? Es war ihr Land. So mussten Europäer kommen und eine Verbesserung machen in diesem Land. Sudras können das eben nicht.“ (Diskussion mit Syamasundar das - siehe Folio „belonged tot he Red Indians“)
Aus Prabhupadas Perspektive haben die dummen Indianer keine Industrie und keine Städte gebaut. Zum Glück sind da aber noch Europäer gekommen und haben noch etwas gemacht aus diesem von Indianern besetzen Amerika.
In einem Gespräch am 12. April 1969 in New York sagt Prabhupada, dass man Frauen wie Haustiere schlagen soll.
….”Wenn du nachsichtig wirst, dann wird sie Ärger machen. In Indien immer noch, in den Dörfern, wann immer es Streit gibt zwischen dem Mann und der Ehefrau schlägt, der Mann sie und dann ist sie wieder zahm (lacht).”
Was geschieht mit Menschen, die solche Dinge lesen und dann nicht reagieren? Wie wirken solche Textstellen auf wache und suchende Menschen unserer Zeit?
Erst wenn man solche Aussagen mit einer durch Sozialisation erlernten verdrehten Ethik, oder aus der Taubheit heraus, weil man diese halt schon so oft gehört hatte, liest, kann man diese einfach so stehen lassen und übergehen.
Die meisten überprüfen ja gar nicht, was in den Texten und von ihren Lehrern eigentlich gesagt wird, sondern sind einfach simple Nachfolger.
Aber was ist mit denjenigen, die genauer wissen wollen, was denn ihr Lehrer eigentlich sagt? Was für eine Person musst man sein, wenn man solche Aussagen kennt und sich sie nicht lautstark kritisiert, auch wenn sie in der eigenen Tradition sind.
Was macht es mit einem Menschen, der solche Aussagen einfach stillschweigend toleriert?
In der Bhagavad Gita (9.32) sagt Krishna (Übersetzung von Srila Sridhara Maharaj):
“O Sohn Prthas, auch Kaufleute, Frauen, Arbeiter und Menschen von niederer Herkunft, können das Höchste Ziel erreichen, sobald sie vollkommen bei Mir Zuflucht suchen.”
In Prabhupadas Übersetzung tönt das allerdings sehr anders.
Aufgrund dieser Fehlübersetzung von Prabhupada haben sich nur schon in der Schweiz viele Menschen von der Radha-Krishna-Bhakti distanziert.
Warum bringe ich so etwas auf? Ich habe Prabhupada sehr gerne und fühle tiefe Dankbarkeit ihm gegenüber.
Eigentlich tut es der Heiligkeit von Franz von Assisi nichts ab, am ptolemäischen Weltbild zu hängen. Nur wenn man ihn in allen Bereichen verabsolutiert und diesen kollektiven Irrtum seiner Zeit nun auch zum eigenen machen möchte im Namen von spirituellem Vertrauen zu ihm, dann wird die Spiritualität disfunktional.
Die Begrenztheit der Zeit, an der offensichtlich auch Heilige teilhaben, gibt mir die Erklärung. Aber würde man den Guru als allwissend erklären, als jemand, der nicht nur eine grosse Reinheit hat in seiner Absicht, Gott zu verehren, sondern ihm auch noch die Kenntnis über alle Bereiche dieser Welt zuschreibt, dann hat man ein grosses Problem mit solch entwürdigenden Aussagen.
Wie kann den ein Heiliger solche Aussagen machen? Auch ethisch hochstehende, ja heilige Menschen partizipieren an den kollektiven Irrtümern ihrer jeweiligen Zeitepoche. Das tut ihrer Heiligkeit auch nichts ab. Aber es fordert uns auf, zwischen wesentlichen ewigen Inhalten und den kulturellen Beschränktheiten, die in den Schriften und von den spirituellen Lehrern auch vermittelt werden, genau zu unterscheiden.
Gemäss Vedanta gibt es mehrere Unterschiede zwischen einer selbstverwirklichten Seele und Paramatma (Gott). Und das erstgenannte ist die „Allwissenheit“.
Prabhupada hatte veraltete Weltanschauungen, die er zu beginn des 20. Jahrhunderts im konservativen Bengalen erlernt hatte. Das tut für mich seiner Heiligkeit nichts ab. Ich nehme Radha-Krishnas Gegenwart in ihm wahr und glaube, dass er die Fähigkeit hat, eine Seele wirklich dahin zu führen und durch seine Liebe diese Faszination auch in mir zu erwecken.
Belässt man jedoch solch ethisch rückständige Aussagen einfach unkommentiert, werden sie in seinen Nachfolgern einfach angenommen. Ich habe noch keine einzige öffentliche Stellungnahme und Distanzierung von der Iskcon für solche bedenklichen Aussagen gesehen.
Ich möchte da nur noch eine persönliche Anmerkung anfügen. Das sind nicht einfach nur ein paar herausgesuchte problematische Aussagen, sondern ich sammelte mehrere hundert davon im Verlaufe der letzten 25 Jahre.
Mich wundert es und macht mich wirklich nachdenklich, dass es nun im 21. Jahrhundert noch Vaishnavas gibt, welche diese problematischen Aussagen effektiv noch vertreten, sie still gutheissen und nicht einmal protestieren, wenn sie solches lesen. Das zeugt mir von einer autoritären Struktur, in welcher die Stimmung konstanter Infragestellung nicht willkommen ist.
Die meisten Hare Krishnas umgehen diese Stellen etwa so, wie ein frommer Muslim die problematischen Koran-Stellen einfach meidet. Man will ja einfach ein Gläubiger sein und behält seine ideologischen Scheuklappen an. Aber es müsste doch ein öffentlicher Aufschrei geben, dass in der eigenen Glaubensgrundlage solch menschenverachtende Textstellen existieren.
Wenn man da nicht reagiert und einfach weiterhin nur ein stiller Gläubiger bleibt, sitzt man eigentlich im gleichen Boot mit extremistischen Fundamentalisten, welche diese Textstellen der heiligen Schrift für wahr nehmen.
Waches Menschsein und angemessene Spiritualität im 21. Jahrhundert fokussiert auch den irrationalen, reaktionären repressiven und anti-emanzipatorischen Charakter der problematischen Aussagen in den heiligen Schriften.
Religiöse Herrschaftsideologie, das Gesinnungs-Diktat, ist grundlegend freiheitsfeindlich und widerspricht dem Grundgeist der Gotteszuwendung (Bhagavad Gita 18.63).
„Gott“ wurde geschichtlich immer gebraucht zur Herrschaftsstabilisierung
Das normative Zusammenleben wurde mit einem übermenschlichen und überhistorischen Etiquett „Gott“ versehen, sodass es dann auch noch in kommenden Zeiten gelten soll. Dadurch wird es zementiert.
Wie soll der Mensch nun umgehen mit einem solchen ambivalenten Kulturerbe?
Vertraditionalisierte Religion vermag überkommene Glaubenssätze und nicht mehr zeitgemässe Weltanschauungen nicht einfach aufgeben, da sie ein Bestandteil einer fixierten Überlieferung ist.
Ein Wahrheitssucher (sanatan-dharma) hat darin keine Hemmungen. Er lässt falsche Ideen sterben, bevor Menschen für falsche Ideen sterben müssen.
Bei Schimpansen kann man beobachten, je günstiger man sich durch Demutsgebärden zum Alpha-Männchen stellt, desto höher erhebt man sich selber in der Säugetier-Hierarchie.
Religion findet aber kein analoges Verhalten im Tierreich.
Wahrheitssuche legt sich an mit der Konvention und der übernommenen Tradition.
Die aufklärerische Tugend der Hinterfragung einer Glaubensorientierung („Ist es vernünftig, sich am Wertesystem einer primitiven israelischen Hirtenkultur zu orientieren oder sein Verhalten von mittelalterlichem bengalischem Dorfverhalten leiten zu lassen?“) ist eine tiefe religiöse Grundhaltung.
Wenn Religion nur Unterwürfigkeit und gehorsame Gefügigkeit fordert, stellt sie nur ein menschliches Konstrukt einer Übertragung auf ein transzendentes Alpha-Tier, Gott, dar.
Der kategorische Imperativ besteht darin, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, geknechtetes, verlassenes, verachtetes Wesen ist.“ (Karl Marx)
Die innere Würde widersetzt sich auch innerer Tyrannei und den Rillen eigener Konditionierung.
Dieser brennende Freiheitsimpuls scheint der ursprüngliche Sozialismus mit Religion gemeinsam zu haben.
Wage zu zweifeln – und entflamme den Glauben!
All dies schreibe ich als jemand, der tief den transzendenten Inhalt der Offenbarungs-Religionen glaubt und dem es einfach weh tut, dass sich durch solche bedenklichen Textstellen viele denkende und aufgeweckte Menschen unserer Zeit verständlicherweise von Religion abwenden.
Religiöser Glaube und Zweifel scheinen sich auf den ersten Blick gegenseitig auszuschliessen. Wer wirklich glaubt und vertraut, zweifelt nicht. Und wer ernsthaft zweifelt, kommt nicht zum Glauben. Für diejenigen, die an Gott glauben, scheint der Ansatz, Gottes Existenz grundlegend in Frage zu stellen, irrelevant, ein Zurückgehen oder vielleicht sogar Apostasie - den Abfall vom wahren Glauben. Zweifel wird als die Gefährdung des im ersten Gebot geforderten Gehorsams gegen Gott verstanden.
Dieser Ausschluss des Zweifels aus dem Feld des Heiligen führt zu einer Verkrampftheit in religiösen Anschauungen. Und weil aufgeweckte Menschen unserer Zeit diese Last nicht mehr tragen möchten, hat es sie in die religiöse Gleichgültigkeit getrieben. Wenn die Zweifel nicht willkommen waren, dann nimmt man halt Abstand von dem Bereich, welchen man so sakrosankt und erhaben nicht sehen konnte.
In vielen Religionen wird dann die Leichtgläubigkeit (unüberlegtes Akzeptieren) als verdienstvoll angesehen und Zweifel und kritische Zurückhaltung gelten dagegen als sündhaft (siehe Kommentar zu Bhagavad Gita, „Wie sie ist“, 16.6). Die ersten Schritte der Gotteshingabe beinhalten gemäss Bhagavatam zwei essenzielle religiöse Prinzipien: Demut und das Streben nach Wahrheit. Demut ist das Eingeständnis, dass mein momentanes Bewusstsein und all meine Erkenntnis der Wahrheit noch ein Provisorium darstellen und die Suche nach Wahrheit hält einen für die Weiterführung auch effektiv offen.
Die echte religiöse Geisteshaltung weiss sich nicht nur der Vergangenheit verpflichtet (der eigenen Tradition), sondern auch der Gegenwart (der Weiterentwicklung des Glaubensinhaltes). Ein religiöser Mensch ist nicht jemand, der immer und auf alles eine Antwort bereit hat. Dieses Phänomen existiert nur in der Anfangsphase, wenn der spirituell Reisende das Ausmass der Wahrheit jenseits von Konzepten noch nicht erfasst und berührt hat. Er bleibt immer auf der Suche, ein Pilger, der seinen Weg zu finden hat, der auf keiner Karte verzeichnet ist. Die vor ihm liegende Spur ist noch jungfräulich und unberührt. Der religiöse Mensch erlebt jeden Augenblick als neu und ist umso mehr erfreut, wenn er darin das erregende Schöne einer persönlichen Entdeckung und zugleich die Tiefen eines bleibenden Schatzes findet, den seine Glaubensvorfahren an ihn weitergegeben haben. Die Offenbarung wird durch die Eigenerfahrung bestätigt.
Skeptizismus hat sich den absoluten Zweifel an der Erkenntnisfähigkeit des Menschen zum Prinzip gemacht. Es ist praktisch ein a priori Nicht-Glauben-Wollen. Dahingegen versteht die Methode des religiösen Zweifelns, des grundlegenden Infragestellens, einfach nur, dass all unsere Vorstellungen des Heiligen sich im Bereich eines Provisoriums befinden und durch den Zweifel erst die Möglichkeit zur Vertiefung und damit zur Substanz erfahren.
Da der transzendente Gott in seiner Unendlichkeit und Ewig-Neuheit nie vollständig erfasst und erkannt werden kann, ist der Zweifel die dialektisch am nahesten stehende menschliche Antwort auf Ihn, welche sich mit dem bisher Erkannten und Verwirklichten nicht zufrieden geben möchte und immer wieder tiefer ergründen möchte. Nur schon damit ist ein nicht zu unterschätzender Fortschritt gegenüber Programmen erreicht, die den Zweifel ignorieren oder verbieten wollen.
Wenn versucht wird, den existenziellen Zweifel mit unhinterfragbar gültigen Glaubensgrundlagen still zu legen, dann ist das bereits ein Alarmzeichen der inneren Unsicherheit. Diese krallt sich dann noch intensiver an die Form, die zum Selbstläufer wird, und der wesentliche Inhalt, auf den ja eigentlich hingewiesen werden wollte, wird verdeckt. Fundamentalismus führt zu einer Gottesverdunkelung.
Deshalb darf man religiöse Aussagen nicht gegenüber Anzweiflung immunisieren.
Nicht nur Gott und die heilige Offenbarung sollen der genaueren Prüfung unterliegen, sondern natürlich auch das eigene Konstrukt, welches man „Selbst“ nennt. Viele Menschen auf dem inneren Weg landen nach einer gewissen Zeit in einem diffusen Raum, in einer Art Antriebslosigkeit und Motivationslosigkeit. Diese sind Symptom dafür, dass man zwar glaubte, in der Wahrheit zu verankert sein, aber es vom Innersten her nicht wirklich ist.
Oberflächliche Gottesgläubigkeit betet den Satz „Dein Wille geschehe“ sehr vorschnell aus. Das ist gedankenloses Dahin-Beten.
Man kann es aussprechen und dennoch nicht aufrichtig meinen.
Was dies aber wirklich bedeutet, braucht durch tiefe Innenschau (innerstem Echo), verweilendem Gebet, heiligem Studium und sadhu-sanga immer wieder neu und frisch erfasst werden. In der Tiefe begegnet man unausweichlich erst einmal dem eigenen Unwillen zur Hingabe. Erst in dieser Begegnung mit dem Gotteswiderstand beginnt ein Ringen mit dem Willen Gottes und ein Einwilligen Seine Absicht hinein. Dies führt sicherlich erst einmal in die Demut hinein.
Die grosse Gefahr einer unvollständigen und halbfertigen spirituellen Erfahrung ist, dass sich das Ego derer bemächtigt. Was ursprünglich vielleicht eine authentische Offenbarung, ein Durchdringen Gottes zu mir hin war, wird nun als Mittel eingesetzt, seine eigene Dominanz zu bewahren. Das ist die Haltung, die letztlich die Aufrechterhaltung des Egos gewährleistet.
Viele Unterdrücker und Diktatoren, wie zum Beispiel Erich Honegger oder sogar ein Adolf Eichmann, glaubten wirklich bis ans Ende ihres Lebens, dass sie nur das Beste für die Menschen getan hätten. Was ist Einsicht? Es ist ein Moment scheinbarer Demütigung, weswegen sie der Uneinsichtige vermeiden will. Es ist ein Eingeständnis, dass die Art und Weise, wie man die Welt bisher betrachtet hatte, nicht in der Wahrheit gegründet ist. Wahrheit ist anfänglich eine Demütigung. Allerdings nicht für das, was wir sind, sondern für das, was wir angenommen und übernommen haben und nun glauben, dass wir dies seien. Wenn man durch diese erste Empfindlichkeit, dieses Aufbegehren des Alten, einmal durchgetaucht ist, bleibt nur noch Erleichterung übrig. Das alte System wollte sich durch Aufbäuschung bewahrheiten wie alles, was keine wirkliche Substanz hat. Das Festkrallen an etwas, was in der Ewigkeit keinen Bestand hat, ist die innere Not. Ist man für die Einsicht bereit? Erst das grundlegende Fragezeichen des Zweifels durchdringt die Selbstzufriedenheit an der Oberfläche.
Innerhalb dieser Welt gibt es die verschiedensten Weltanschauungen. Und was mich persönlich dabei beschäftigt ist, dass eine Seele, die sich nach effektiver Transzendenz sehnt, sich der ungeheuren Vielfalt von Perspektiven stellen muss ohne dabei irritiert zu werden. Es ist praktisch eine Offenheit auf 360 Grad - nach allen Seiten hin. Aus dieser Konfrontation frei von Angst, etwas zu verlieren, was einem lieb war, kann Krishna einen erst weiter führen. Sonst liegt man dem "Betrug der Überseele" auf, den Krishna in der Bhagavad Gita beschreibt (7.21) - dass er nämlich einfach die Weltsicht unterstützt, die man gerade haben möchte... auch wenn diese gar nicht der Wahrheit, der Absicht Gottes, entspricht. Das abgeschlossene sakrosankte Weltbild ist die Perspektive der Verhaftung und nicht im Geiste der Wahrheitssuche (Srimad Bhagavatam 2.9.36). In dieser konzeptionellen Flexibilität muss Paramatma, der Immanenz-Aspekt Gottes, nicht einfach nur das unsichere Gemüt stabilisieren, sondern nun darf Krishna wahrhaft intervenieren.
Ein saragrahi Vaishnava (Essenz-Sucher der Wahrheit) ist nicht verwirrt oder angehaftet an einer bestimmten Theorie oder religiösen Doktrin. Denn Gott ist immer mehr als Alles, immer der „gänzlich andere“, derjenige, der alle Widersprüchlichkeiten in sich zu vereinen mag. So gerät der Suchende, nicht in Schwierigkeiten in seinem Vertrauen und in seinem Glauben (der Art, die Welt zu betrachten), wenn es widersprüchliche Aussagen gibt. Der Zweifel ist für ihn ein grundlegender Antrieb zur Vertiefung, da er sich nicht einfach mit seinem Wohlbehagen (Wohlfühl-Spiritualität) zufrieden gibt, sondern sich auch unbequemer Wahrheit stellt.
Die Seele auf dem Weg vereint die beiden Randpositionen – einerseits lässt sie den Zweifel zu und lädt genaueres Verstehen ein, und andererseits kann sie noch immer tief an Gott glauben und sein Leben ihm anbieten. Darin verbindet sich der aufrichtige spirituelle Sucher mit dem Rationalisten. Bertrand Russells erstes Gebot in den „Zehn Geboten eines Liberalen“ heisst: „Fühle dich keiner Sache völlig gewiss.“ Vernünftiger Glaube wird durch den Zweifel nicht erschüttert, sondern gefestigt, ausgeweitet und bekräftigt. Wahrheit scheut die genauere Untersuchung nicht. Nur die Lüge scheut das genauere Hinschauen.
Epilog
„deus lo vult“ war der Schlachtruf des ersten Kreuzzuges, als tausende von Rittern im Jahre 1096 loszogen, um Jerusalem zu erobern. „Gott will es!“
Der Ausdruck gibt Zeugnis für ein religiöses Sendebewusstsein, das zur Erreichung seiner Ziele auch Gewalt einzusetzen bereit war. Militärische Gewalt wurde entsprechend dem Modell des gerechten Krieges als auf Verteidigung bzw. Rückeroberung widerrechtlich angeeigneter Gebiete ausgerichtet für sittlich vertretbar, ja sogar für gottgewollt gehalten. Der Kreuzzug als Krieg der Papstkirche wurde – so die Intention des Ausdrucks – in der Stellvertreterschaft Gottes geführt. Die grösstmögliche Verdrehung besteht darin, der Wille Gottes zu seinem eigenen zu gestalten. Die ultimative Aufblähung des Ichs besteht darin, dem Ich göttliche Legitimation zu geben. Gottes Wille und mein tiefster Wille sind kongruent. Sie sind dieselben. Es bedeutet aber, dass sich der Eigenwille dem Gotteswillen ein gesamtes Leben lang immer wieder anzupassen hat. Dazu muss man erst einmal die Unergründlichkeit dieses Willens annehmen. Denn daraus ergibt sich eine aufrichtige Erforschungsreise, die mit dem radikalen Zurücknehmen des Glaubens an den Ichwillen fragmentweise die Offenbarung des wirklich grossen eröffnet. Staunen und Freude ist das Resultat davon. Verbissene Rechthaberei und Gewaltbereitschaft – der eigentlich verzweifelten Einsicht, im Unrecht zu sein - können in der Gegenwart der Wirklichkeit nicht mehr bestehen.
Die Religionen sind kulturelle Schatzkammern der Menschheit, in denen man Vernünftiges und Menschenfreundliches, aber eben auch Widersinniges und Menschenverachtendes findet. Die entscheidende Frage ist, wie wir heute mit diesem ambivalenten Kulturerbe umgehen. Die Religionen haben hier das Problem, dass sie veraltete und unmenschliche Glaubenssätze nicht einfach aufgeben und streichen, sondern allenfalls exegetisch umdeuten können. Zumindest aber bräuchte es offizielle Stellungsnahmen, in denen man solche Textstellen nicht mehr einfach nur peinlich übergeht oder beschönigt, sondern sie als primitive kulturelle Relikte alter Zeiten darlegt, die wir glücklicherweise überwunden haben. Das relativiert den transzendenten Glaubenskern nicht, sondern befreit ihn nur von kulturellem Ballast.
Wahrheit ist nicht limitiert auf die Formulierung der Wahrheit.
Wenn eine suchende Seele sich nicht mehr stören lässt durch Unterschiedlichkeiten und Widersprüche an der Oberfläche, vermag er die wirkliche Essenz der Gotteszuwendung wahrzunehmen, die nicht mehr konfessioneller Art ist und sich nicht mehr über Äusserlichkeiten definiert.
Wenn man sich über äusserliche Unterschiedlichkeiten streitet, verliert man die eigene Anbindung und Perspektive zum Heiligen hin. Wenn ein saragrahi-Vaishnava an einen anderen Ort der Verehrung hingeht, versteht er: „Die Menschen hier verehren meinen Herrn, einfach auf andere Art und Weise. Aufgrund meiner eigenen spirituellen Ausbildung kann ich das vielleicht nicht voll und ganz verstehen, aber die Bereicherung dieser Begegnung erhöht die Wertschätzung für den gleichen Gott, der einer ist. Deshalb verneige ich mich hier und bete, dass sich einfach meine Liebe zu ihm vergrössern und intensivieren möge.“
Wenn sich jemand in der Begegnung mit anderen Formen der Verehrung nicht so verhält und stattdessen das Verehrungssystem kritisiert, Hass, Neid, Zorn oder sogar Gewalt dagegen zeigt, verliert er mit Sicherheit Zugang zu seinem eigenen heiligen Ziel.
Der Gottsucher lebt aber nicht einfach in einem philosophischen Relativismus: Er stellt Denksysteme in Frage, die der reinen Liebe entgegengesetzt sind. Z. B. Atheismus, Materialismus, Pantheismus, Polytheismus, und Monismus. Reine Liebe ist die Funktion der Seele. Wenn das Ziel wieder diese reine Gottesliebe darstellt, dann braucht man sich nicht über die Unterschiedlichkeiten der einzelnen Systeme zu kümmern.
In der Krishna Samhita schreibt Bhaktivinod Thakur: "Die Regeln und Regulierungen, die man durch die Schülernachfolge erhalten hat, betreffend Sadhana (spiritueller Praxis) und Sadhya (eschatologisches Verständnis), verändern sich im Laufe der Zeit gemäss der Mentalität und Örtlichkeit der Menschen. Eine Regel, die in einer Gemeinschaft befolgt wird, mag von einer anderen Gesellschaft nicht unbedingt akzeptiert werden. Deswegen ist die eine Gemeinschaft von einer anderen verschieden. Aber in fortgeschrittenen Seelen existiert keine Spur von Sektierertum. Sie sehen in solchen Veränderungen eine umfassende Entwicklung."
In seiner Abhandlung zum Srimad Bhagavatam (The Bhagavat) schrieb er 1859: "Höre nie auf zu zweifeln und weiter zu fragen. Natürlich ist Gott nicht beleidigt oder gekränkt dadurch, vielmehr sind
sie Anzeichen einer/s richtig Suchenden.
Freiheit ist das Prinzip, das wir als wertvollstes Geschenk Gottes betrachten. Wir müssen uns nicht leiten lassen von denen, die lange Zeit vor uns gelebt und gedacht haben. Es braucht
eigenständiges Denken und die Offenheit, Aspekte der Wahrheit zu entdecken, die noch nicht entdeckt sind und momentan für einen noch im Verborgenen liegen. Im Bhagavatam werden wir angewiesen,
den Geist, die Stimmung der heiligen Schriften aufzunehmen und nicht die Wörter oder Buchstaben."
Wenn das Bewusstsein einer Person von rajas verblendet ist, und in diesem Zustand auf andere Wesen hinschaut, nimmt es Unterschiedlichkeit und Verschiedenheit wahr (Bhagavad Gita 18.21). In dieser Wahrnehmungsfähigkeit sieht man unterschiedliche Lebensformen, Rassen, Geschlechter (man nimmt die Polarität von Mann oder Frau wahr), Menschen von unterschiedlichem Alter, geografischer Herkunft und verschiedener religiöser Traditionen. Da die Rajas-Perspektive nur die äusserste Hülle sichtbar macht, bleibt man an Fassaden stehen und schaut nur auf Unterschiedlichkeit. Wenn nun diese Perspektive noch mit tamas verdunkelt wird, versteht man die Unterschiedlichkeit als Bedrohung, die nivelliert und bekämpft werden soll (18.22).
In sattva nimmt man die unterschiedlichen Überkleider von Geschlecht, Religion oder Rasse zwar wahr, aber gleich dahinter erkennt man die Verbundenheit und Gleichheit mit allen Wesen als spirituelle Seelen.
Jede Generation von spirituellen Suchern hat ihre Herausforderungen und ihren Kampf zu kämpfen, um ihre Religion auch wirklich religiös zu gestalten.