Misogynie in der eigenen Tradition

 - Eine Betrachtung von frauenfeindlichen Aussagen in Srila Prabhupadas Werk

 

 

 

 

Vorgedanke

 

 

 

 Liebe Freunde der Radha-Krishna-Bhakti

mich haben gewisse Aussagen in den "heiligen Schriften" immer geschmerzt.

Ich hatte mich im März 2017 intensiv mit frauen-diskriminierenden Textstellen auseinandergesetzt und es ist eine kleine Abhandlung entstanden. Diese möchte ich gerne in einem grösseren Rahmen von Vaishnavas zirkulieren lassen. Ich weiss, dass sich viele Bhaktas von solchen Aussagen schon lange emanzipiert haben und denen keinen Glaubenswert mehr beimessen. Aber jedes Stillschweigen bedeutet immer noch Einverstanden sein. Dieses soll beendet werden. Es ist notwendig, dass ein reifer Diskurs über das Verständnis von solchen misogynen Aussagen angeregt wird, dass wir zeigen, dass wir solche nicht mehr zu tolerieren und mitzutragen bereits sind.

Im menschlichen Kollektiv haben wir Kannibalismus, Sklaverei, Rassismus und die Benachteiligung von Frauen überwunden. Religionen hinken halt gesellschaftlichen Entwicklungen immer ein wenig nach.

So viele Menschen haben sich schon empört an frauenfeindlichen und frauen-diskriminierenden Aussagen in den Büchern von Bhaktivedanta Swami. Es ist an der Zeit, dass die Vaishnavas selber daran nicht mehr beschönigend vorbei navigieren und Stellung beziehen.

Wenn wir in den schriftlichen Hinterlegnissen von vergangenen Heiligen wie Buddha oder Sankara auf misogyne Aussagen treffen, betrachten wir dies als ein Kuriosum, das der Begrenzung ihrer Zeit entspringt. Aber auf keinen Fall lassen wir uns davon beeinflussen und betrachten solche Verfehlungen mangels besserer Erkenntnis natürlich nicht mehr als Direktive für das eigene spirituelle Leben. Doch es gibt immer noch viele öffentliche Vertreter der Bhakti, welche diese Frauenbilder nicht nur glauben, sondern sogar noch unterrichten.  
Ein Beispiel dazu ist der Iskcon Guru Bhakti Vikas Swami, der ein Buch geschrieben hat mit dem Titel: "Women - masters or mothers?" Eine kleine Rezension ist in der Abhandlung beinhaltet.

Wenn wir dieses kulturelle Missverständnis aus der Bhaktibewegung heraus sondieren, besteht wieder Hoffnung, dass die theistische Bhakti von den spirituellen Suchern unserer Zeit ernst genommen werden kann.
Eine alte Vaishnavi sprach zu mir von Universitäts-Studien, die den Unterschied im Verhalten und im Erfolg von Menschen untersuchten, die von ihnen Lehrpersonen entweder "befähigt" wurden, oder von ihnen gesagt bekamen, dass bestimmte Aufgaben ohnehin von fast niemanden gelöst werden könne. Und sicherlich nicht von ihnen. Die Unterschiede in der Wachstumsfreude sind gravierend.

Die alten Schriften verleihen der Frau nicht nur keine "Befähigung", keine Ermächtigung zur Erkenntnis, sondern diskreditieren die weibliche Geburt. Das hat gemäss den erforschten Studien ebensolche gravierenden Folgen.


Ich weiss, dass Menschen aggressiv werden können, wenn man nur schon Fragmente ihrer Glaubensgrundlagen in Frage stellt.

Die Angst und der nagende Zweifel lassen neben der Einsicht und dem Mut zum Diskurs nur die Zerstörung zu. Den Tabubruch straft das System mit Ausgrenzung. Diese habe ich in der Gaudiya Vaishnava Welt oft beobachtet und auch selber erlebt. Es darf aber kein Grund dafür sein, die Wahrheit nicht zu sagen. Und zwar in keinem Kontext - ob politisch, familiär, in Partnerschaften oder in spirituellen Gemeinschaften. Verhält man sich nicht der Norm entsprechend und sagt nicht das, was das System erwartet, wird man zum Paria erklärt. Und damit zeigt sich das kritisch Gesehene in seiner wahren zweifelhaften Größe.

 

Die Auflösung der Dominanz eines Geschlechtes über das andere stellt eine der wichtigsten Aufgaben unserer Zeit dar. Denn solange im Zwischenmenschlichen noch Macht-Verhältnisse herrschen, wird die Einheit hinter den Geschlechtern verborgen bleiben.

Der Zustand gereifter Bhakti in unserer Zeit inspiriert sich vom gegenseitigen Miteinander und nicht von ausgedienten Rollenmodellen patriarchalischer Zeiten.

 

 

 

 

Einleitung

 

Es ist die fundamentale religiöse Aufgabe, immer wieder neu Widerspruch auszulösen und nie einfach nur mit dem Mainstream mitzufahren. Der Gotteszugang muss Aufruhr generieren, um den Tiefgang, die Harmonie mit der Ewigkeit, verwirklichen zu können. Jede religiöse Bemühung braucht den revolutionären Impuls, der sich gegen den Zustand der Welt wendet, wie er sich uns gerade zeigt. Denn die Welt, wie sie ist, stellt nie Gottes Wille dar, sondern nur Gottes Tolerierung der Eigenwilligkeit von Seelen, die in Verdeckung ihres eigenen Selbstes herumleben.

Deshalb sehe ich es auch als einen Auftrag von denjenigen an, die schon länger einen inneren Weg gehen, auch Themenbereiche in der eigenen Tradition aufzuwerfen, die man vielleicht lieber überschauen würde. Es ist immer leichter, unzumutbare Zustände bei Anderen anzukreiden als diejenigen seiner selbst oder auch diejenigen des eigenen religiösen Glaubenssystems. Doch klare kritische Betrachtung ist ungemein wichtig, da religiöse Texte als Offenbarung Gottes betrachtet werden und ihnen somit eine grosse Einflusskraft verliehen wird, wirken sie mehr noch grundlegender als politische und soziale Umstände enorm werteprägend auf uns ein.

 

Es gibt auch Themenbereiche in der eigenen spirituellen Tradition, die, wenn sie unüberdacht übernommen werden, eine grosse Blockade auf dem Weg generieren. Und leider wurden sie schon allzulange einfach überschaut. Ich liebe die Bhakti-Tradition und ihre Lehrer zutiefst. Gerade deshalb ist es doch so wesentlich, bestimmte disfunktionale Aspekte in der eigenen Überlieferung anzusprechen. 

Das Christentum hat während der Aufklärung den Kampf um Macht und politische Ansprüche verloren, und wurde von Wissenschaft und Denkern auf ihre Kernkompetenz der heiligen Ausrichtung zurückgewiesen. Im Verlust an irdischer Herrschaft und politischer Macht vermag aber erst die Reinheit von Gottes Gnadenstrahl wieder wahrnehmbar werden. Auch wenn sich patriarchale Denksysteme innerhalb religiösen Denkens auflösen, ist das eine grosse Chance für die Gesundung von deren Adepten und auch, dass die religiöse Tradition aus der Marginalisierung in der modernen Gesellschaft wieder herauskommen darf. Religion ist in ihrer Essenz eben nicht eine kulturelle Verhaltensformel aus längst vergangenen patriarchalen Zeiten, sondern der lebendige Appel an unseren innersten Wesenskern. Deshalb ist ihr Ruf an uns immer von grosser Wichtigkeit.

 

Die Entwicklung zur Gerechtigkeit

 

In archaischer Vorzeit gab es keine Menschenrechte. Man musste, um sicher zu sein, einfach dem richtigen Stamm und der richtigen Sippe angehören.

Der persische König Kyros der Grosse eroberte im 6. Jahrhundert vor Christus Babylon und tat etwas ganz Neues. Er deklarierte die Sklaven zu freien Menschen und etablierte, dass alle Menschen das Recht hätten, frei ihre Religion zu wählen. Auf einem Tontopf, dem Kyros-Zylinder, wurden solch neue Rechte festgehalten und bis in unsere Zeit überliefert. Es war die Geburt von allgemein gültigen Menschenrechten und in der damaligen Zeit noch fast ein Anachronismus. Mehr als 1500 Jahre später entstand in England die Magna Charta, die grosse Urkunde der Freiheiten, die ein Fundament für ein Verfassungsrecht darstellt. In der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung steht später, dass alle Menschen mit gleichen Rechten geschaffen sind. Aus der französischen Revolution gingen kurz später die „natürlichen Rechte“ hervor. Der Gedanke der Gerechtigkeit und Gleichheit für alle Wesen beginnt in der Menschheit Fuss zu fassen. Nachdem der zweite Weltkrieg 70 Millionen Todesopfer forderte, so viel, wie noch nie ein Krieg zuvor in der Geschichte, schloss sich die Welt in der Uno zusammen und unter der Führung von Eleanor Roosevelt wurden universale Menschenrechte formuliert. Das Erbe einer Jahrtausende langen kulturellen Entwicklung wurde praktisch zusammengefasst, um die Würde und den Wert eines jeden Menschen zu bekräftigen.

In der Charta der Menschenrechte, welche vor bald 70 Jahren von fast der ganzen Weltbevölkerung angenommen wurde, wird die Gleichstellung der Frau bereits in den ersten beiden Artikeln behandelt:

·       Artikel 1 (Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit)

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Geschwisterlichkeit begegnen.

·       Artikel 2 (Verbot der Diskriminierung)

Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.

 

Diese mit heftigem Widerstand gegen die Religionen erkämpfte Gerechtigkeit und Gleichheit aller Menschen ist moralisch fortschrittlicher als die Handlungsanleitungen der Religionen. Denn die Religionen sind zumeist Relikte aus früheren Entwicklungsperioden menschlichen Bewusstseins und deshalb kann man da solche ethischen Errungenschaften noch nicht erwarten. Wer also die ein naturgegebenes Patriarchat durch seine konfessionellen Überzeugungen legitimieren möchte, handelt klar gegen die von allen modernen Staaten verifizierten Menschenrechte.

Auch in der Schweizer Bundesverfassung (Artikel 8 Absatz 3) ist die Gleichheit zwischen Mann und Frau gesetzlich verankert.

Das erscheint uns heute alles selbstverständlich. Doch manche Fragestellungen, die uns völlig klar sind, waren in vergangenen Zeiten noch undenkbar.

 

Die Zulassung der Frauen zum Studium war ein langer und schwieriger Prozess im 19. Jahrhundert. Auch das Promovierungsrecht für Frauen an den Universitäten brauchte eine lange Zeit bis zu seiner Durchsetzung.

Bis Frauen die gleichen Rechte erhalten haben, war ein ausgedehnter zivilisatorischer Prozess nötig, der erst in Europa griff. Alle aussereuropäischen Länder waren da noch viel langsamer in der Entwicklung. Auch die Religionen stellten immer Nischen dar, sich den Errungenschaften zivilisatorischer Entwicklungen entgegenzustellen.  Sie waren und sind noch sehr rückständig was die Gleichstellung von Mann und Frau betrifft.

Religiöse Traditionen sind Brutstätten und Schwelherde, in welchen sich gesellschaftlich längst überwundene Werte noch immer erhalten können. Gerade ihre fundamentalistische Auslegungsweisen stellen Bollwerke dar, eine Gerechtigkeits-Entwicklung zu verhindern.

Natürlich bestehen naturgegebene Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Diese kann man auch nicht einebnen. Aber man darf jemand nicht apriori nur aufgrund des Geschlechts diskriminieren. Es geht auch nicht darum, dass das Weibliche das Männliche nachahmen soll, aber die gleichen Rechte und Möglichkeiten sollen allen zugänglich sein. Der Mann mag andere Aufgaben haben als eine Frau, doch stehen ihnen beiden die gleichen Rechte zu.

 

 

 

 

Misogynie in der eigenen Tradition

 

Schon seit längerer Zeit beschäftigen mich Dynamiken des spirituellen Lebens, welche Menschen sogar noch im Namen von Spiritualität von sich selbst entfremden.

Wenn diese rückständigen Tendenzen nicht direkt angesprochen und thematisiert werden, gären sie in uns weiter und werden Menschen, welche die religiösen Unterweisungen mit Aufrichtigkeit in Vollständigkeit akzeptieren möchten, letztlich in eine Glaubenskrise treiben. Die kritisch Denkenden wurden von den Religiösen, die mit ihrer oft eklatanten Werterückständigkeit an vergangene Jahrhunderte erinnern, in die religiöse Gleichgültigkeit getrieben.

 

Ich habe in den letzten 20 Jahren viele Bhaktas auf die fragwürdigen Aussagen in unseren Schriften bezüglich Frauen und ihrer dort zugeteilten Rolle angesprochen. Die meisten manövrieren sich über Jahre hinweg einfach an solchen Aussagen vorbei. Sie wollen ja gute Gläubige sein und sich nicht mit den Verkündern von Glaubenswahrheiten anlegen. Wahrscheinlich wäre aber genau dies dringlichst notwendig, um einen ehrlichen Weg zu begehen. Aber ganz subtil nagen solche zweifelhaften Statements, die man nicht offen anzuzweifeln wagte, letztlich eben doch am heiligen Grundvertrauen. Wenn sich jemand aufgrund grosser Ungewissheit, was er im Leben eigentlich soll, einer religiösen Gemeinschaft anschliesst, wird ihm die Sicherheitssehnsucht nicht erlauben, Aspekte der präsentierten Glaubenslehre als falsch und obsolet abzuweisen.

 

Amogha lila, ein Devotee, den ich gut kenne, erzählte mich vor ein paar Jahren, wie er auf den Strassen Bhagavad Gitas verteilte. Er traf eine intelligente wache junge Frau, welche die Gita in die Hand nahm und kurz durchflog. Als sie auf eine Aussage von Prabhupada stiess, dass Frauen weniger intelligent seien, gab sie ihm das Buch mit einem traurig nachdenklichen aber auch einem fast mitleidigem Kopfschütteln zurück. Er beschrieb mir, wie er dazumals traurig dastand und ihr am liebsten nachgerufen hätte, dass er auch denkt, dass man mit solchen Aussagen den Zugang von denkenden Menschen zur Bhagavad Gita hin verbaut.

 

Ich möchte in diesem Artikel ein paar Beispiele aus unzähligen diskriminierenden Textstellen als Muster herausgreifen.

Im Bhagavad Gita Kommentar von Bhaktivedanta Swami schreibt er bereits im ersten Kapitel (1.40): „So wie Kinder ganz leicht verleitet und irregeführt werden können, so sind Frauen anfällig für Degradierung. Deshalb benötigen sowohl Kinder als auch Frauen den Schutz eines älteren Familienmitglieds. Wenn man die Frauen mit verschiedenen religiösen Praktiken beschäftigt, werden sie nicht in den Ehebruch verleitet. ..... Frauen sind nicht sehr intelligent und sind deshalb nicht vertrauenswürdig.“

 

Ich sehe diese oben beschriebene Frau vor mir, wie sie mit Interesse die Bhagavad Gita in die Hand nimmt, kurz durchblättert und dann vielleicht auf einen solchen Kommentar stösst. Ich kann es gut nachvollziehen, dass diese Frau die Bhagavad Gita und speziell den Bhakti-Lehrer „Bhaktivedanta Swami“ als nicht mehr vertrauenswürdig empfindet.

 

Ein wenig später in der Gita folgt folgender Kommentar:

„Einer Frau sollte man keine Freiheit geben. Das bedeutet nicht, dass man sie wie Sklaven halten solle, aber sie sind wie Kinder. Kindern wird ja auch keine Freiheit gegeben....

Die Dämonen (das ist selber ein missglückter übersetzerischer Ausdruck für die widergöttliche Mentalität) missachten solche Anweisungen und denken, dass man Frauen gleich viel Freiheit geben solle wie Männern.“ (16.7)

Am 5. April 1977 spricht Prabhupada mit Schülern in Mumbai über die damalige indische Ministerpräsidentin Indira Gandhi. „Sie ist keine Führerin. Sie ist eine Prostituierte. Wenn man Frauen Freiheit gibt, bedeutet dies, Prostituierte. Freie Frauen heisst Prostituierte.“

 

 

Prabhupada hatte die Iskcon eigentlich als eine spirituelle Erneuerungsbewegung gegründet, die revolutionäre Impulse in einer missgeleiteten Gesellschaft setzen solle.

Das Pathetische ist nun, dass gerade seine eigenen Aussagen diese Bewegung ins gesellschaftliche Abseits führen und ausserhalb von Indien von Menschen nicht mehr ernst genommen werden kann. Die Fundamentalismen haben sich schon so festgesetzt, dass alle Vorschläge, solche problematischen Aussagen aus den Büchern herauszunehmen, vom Führungsgremium der Iskcon abgelehnt wurden.

 

Wenn man schon einmal ein verschrobenes Frauenbild hat, so erfindet man ständig neue Rechtfertigungen dafür.

Im Srimad Bhagavatam schreibt Srila Prabhupada in einer Erläuterung:

„Ein männliches Kind wird geboren, wenn der Ehemann sexuell stärker ist als die Frau, doch wenn die Frau stärker ist, wird ein weibliches Kind geboren. Es ist daher unbedingt notwendig, das System des brahmacarya zu praktizieren, falls man ein männliches Kind zeugen will, wenn man verheiratet ist.“ (4.28.3)

In einer Diskussion mit Syamasundar über Sigmund Freud führt er das noch weiter aus:

„Wenn du viel sexuellen Verkehr hast, dann verlierst du die Kraft, männliche Nachkommen zu zeugen. Wenn der Mann weniger kraftvoll ist, wird ein Mädchen geboren. Wenn der Mann sexuell kraftvoller ist, wird es einen Knaben. Das ist das vedische System. In unserem Land gibt es weniger Frauen, da die Männer noch stark sind. (Anmerkung des Verfassers: In Indien hat es den grössten Männerüberschuss der Welt, weil Mädchen aufgrund des herrschenden Patriarchates Millionenfach abgetrieben werden!) Wenn Frauen nun leicht zugänglich sind, werden Männer schwach werden. Dann werden sie nur Mädchen zeugen. Wenn man sexuellen Verkehr nicht einschränkt, wird also als Folge die weibliche Bevölkerung zunehmen.“

An einem Morgenspaziergang in Mayapur am 19. März 1976 diskutiert Prabhupada über dieses Thema mit seinen Schülern.

„Radhavallabha: In einem „Back to Godhead“ Artikel beschreibst du, dass die Zunahme von weiblicher Bevölkerung eine Naturkatastrophe darstelle.

Prabhupada: Ja.

Radhavallabha: Eine Frau, die den Artikel gelesen hatte, wurde sehr zornig.

Prabhupada: Sie kann schon zornig werden, aber das ist physiologisch. Wenn ein Mann dem Sexleben zu verhaftet ist, wird er impotent und wenn er dann ein Kind zeugt, wird es dann ein Mädchen werden. Ein Knabe zu zeugen bedarf eben Kraft.

Hamsaduta: Wenn wir um London herumziehen, um life-members zu machen, habe ich bemerkt, dass in so vielen Familien nur Mädchen sind.

Prabhupada: Ja, die ganze Welt ist voller Mädchen. Warum? Weil den Männern die Kraft fehlt. Sie sind impotent. Und wenn man einem Knaben eine Ausbildung als Brahmacari gibt, und er kein Sex hat, ist es sicher, dass bei der Heirat dann das erste Kind ein Knabe sein wird. Dass muss so sein. Ohne Zweifel.“

Das sind natürlich abstruse Ansichten. Wenn der Mann durch die Praxis von Zölibat lernt, keine Samen zu verlieren, würde er fähig sein, männliche Nachkommen zu zeugen....So viele Brahmacaris, die ich kenne und die dann geheiratet haben, erhielten auch Mädchen als erstes Kind.

Prabhupada beklagt sich dann auch, dass seine Schüler unfähig seien und so viele Mädchen zeugen würden.

 

In einem Brief an Dhananjaya, Bombay, am 9. November 1975, schreibt Prabhupada:

„Ich habe es vermerkt, dass ihr einem Mädchen Geburt gegeben habt. Das ist eben der Defekt. Ich möchte männliche Kinder. Aber ihr habt nicht die Stamina dazu. Als ich den Bauch von Visalaini sah, dachte ich wirklich, dass es ein Knabe würde. ..... Wieso bringt die Mehrheit meiner verheirateten Schüler nur Mädchen zur Welt?“

 

Jeder Mensch darf irgendwelche abstruse Behauptungen aufstellen. Das Problem bei einem Guru, dessen Schüler dann alles, was er sagt, als absolute Wahrheit betrachten, ist aber bedeutend komplexer. Denn die Schüler werden nun diese Aussagen als geltende Wahrheit annehmen und auch also solche verteidigen. Das generiert Menschen mit fundamentalistischen Denkensmustern.

Ich habe von Devotees bereits heftige Anklagen auf diesen Artikel erhalten, dass ich es wagen würde, Prabhupada in einem schlechten Licht darzustellen. Ich glaube aber, dass er dies selber tut und dass es die Aufgabe seiner Nachfolger, die ihn lieben, ist, das Absolute und Wahre von dem Missverständnis zu trennen und nicht im Namen von Guru-nistha (heiligem Vertrauen in den Guru) alles undifferenziert anzunehmen.

Doch die Stimme des inneren Gewissens kann man auch mit religiösen Überzeugungen nicht für immer wegdrängen. Irgendwann tauchen innere Zweifel auf und man bemerkt mit Erschrecken, was für menschenunwürdige Überzeugungen in religiöse Mäntel verpackt man da eigentlich mitgetragen hatte. Ich sprach mit vielen länger praktizierenden Bhaktas darüber, die mir erzählten, dass sie solche Aussagen, die ihnen im eigenen Gewissen immer schon menschenunwürdig vorkamen, einfach überlesen hatten. Durch ihr Nicht-Aufbegehren hatten sie solche aber still mitgetragen.

 

Prabhupada führt weiter aus: „Frauen haben im allgemeinen sehr starke sexuelle Neigungen. In der Tat heißt es, dass der Geschlechtstrieb einer Frau neunmal stärker ist als der eines Mannes. Es ist daher die Pflicht eines Mannes, seine Frau unter seiner Kontrolle zu halten, indem er sie zufriedenstellt, ihr Schmuck, gute Speisen und Kleidung gibt und sie mit religiösen Tätigkeiten beschäftigt. Natürlich sollte eine Frau ein paar Kinder haben und auf diese Weise den Mann nicht stören. (Bhagavatam Erläuterung 4.27.1)

Man muss sich nur einmal überlegen, wie solche Aussagen soziologisch auf seine Nachfolger wirken, die diese dann wörtlich nehmen. Leider gibt es noch zuviele, die das auch tun. Im Kontext der Bhagavad Gita (3.36) wird Begierde als grosses Hindernis des inneren Lebens verstanden. Somit haben solche Aussagen von Prabhupada, die in keiner vedischen Schrift stehen, das Frauenbild in seiner Institution geprägt und die Frauen dadurch in ihrem Wirken in den Hintergrund gedrängt.

Es sagt auch viel über das naive Frauenbild aus, wenn man Frauen zu kontrollieren glaubt, indem man ihnen ein wenig Schmuck und Kleidung gibt und sie einfach beschäftigt.

 

“Es muss klar gesagt warden, dass das Verständnis einer Frau immer niedriger ist als das Verständnis eines Mannes.” (Bhagavatam Erläuterung zu 6.17.34-35)

 

Das Herauseditieren von sexistischen Statments in Prabhupadas Büchern ist eigentlich die Pflicht und die Verantwortung eines loyalen Schülers. Denn Prabhupada stützte sich dabei auf materielle Quellen, die sich längst überholt hatten und als sich als falsch erwiesen haben. In seiner Schule in Kalkutta wurde er von dem christlich fundamentalistischen viktorianischen Gelehrten William Spence Urquhart diesbezüglich tief geprägt. Von ihm hat Prabhupada viele « alternative Fakten » gelernt. Zum Beispiel dass das männliche Gehirn 64 Unzen wiege und das von Fauen nur die Hälfte. (Srimad Bhagavatam Vorlesung in Montreal am 3. August 1968)

 

In seinem Hauptwerk, der Übersetzung und Kommentierung des Bhagavat-Purana, schreibt er, dass Ehescheidungen weibliche Schwachheit darstellten.

 

Srila Prabhupada: “Im allgemeinen geschieht die Trennung der Ehepartner wegen des Verhaltens der Frau; Scheidung geschieht aus weiblicher Schwachheit. Das beste für eine Frau ist es, sich den Befehlen ihres Mannes zu fügen. So wird das Familienleben sehr friedvoll. Manchmal mag es Missverständnisse zwischen Mann und Frau geben ... aber eine Frau sollte den Schutz ihres Ehemannes wegen solcher Mißverständnisse nicht verlassen. Wenn sie es doch tut, geschieht es aus weiblicher Schwachheit. (Srimad-Bhagavatam, 4. Canto, 4. Kapitel, Vers 3)

 

In einem Gespräch mit Schülern spricht Prabhupada darüber, dass man die Ehefrau wie Haustiere schlagen soll: “…. Ebenso, pasu, Tiere, wenn du sagst, "Mein liebes Hündchen, du sollst da nicht hinlaufen". Zack! (lacht) "Nein, liebes Hündchen." Zack! So ist es richtig. Ebenso, Frauen. Wenn du nachsichtig wirst, dann wird sie Ärger machen. In Indien immer noch, in den Dörfern, wann immer es Streit gibt zwischen dem Mann und der Ehefrau, dann wird sie vom Mann geschlagen und sie ist wieder zahm (lacht). “Room conversation”, 12. April 1969, New York

 

Nur Religionen sind Nischen, in denen sich falsche Erkenntnisse über Jahrhunderte aufrecht erhalten können und von deren Adepten sogar noch als wahr verteidigt werden. Diese Dynamik entstammt der schwächlichen Unsicherheit, die einfach nur Gewissheit sucht. Ich nenne das den «Verrat an der Wahrheitssuche ».

Aufrichtige Menschen und wirkliche Sucher können in solch rückständiger Religion und deren Wertersystemen nichts mehr finden, was sie inspiriert, anspricht und zum Gottesergebungspfad anstösst.

 

Ich möchte hier noch ein Zitat anfügen, das mir schon öfters fragend von Personen zugeschickt wurde, die sich mit Prabhupadas Schriftfundus auseinandergesetzt hatten:

"Du fragst mich über die Hochzeit, ja, in der Tat möchte ich, dass alle Frauen in der ISKCON verheiratet sind. Aber welches Training ist erforderlich für Hausfrauen und Mütter? Dafür bracht man keine Schule, nur Nachahmung. ... Die wahre Aufgabe einer Frau ist es, sich um den Haushalt zu kümmern, alles sauber und ordentlich zu halten, und wenn genügend Milch zur Verfügung steht, sollte sie immer damit beschäftigt sein, Butter zu machen, Joghurt, Quark, so eine schöne Abwechslung an Speisen, alles aus Milch. Die Frau sollte immer putzen, nähen, so was. Wenn ihr also diese Dinge immer selbst ausführt und sie anderen vormacht, werden sie von ganz alleine lernen, man braucht keine formelle Ausbildung darin." - Brief an Chaya dasi, 16. Feb.1972

 

Prabhupadas Ansicht, dass man Frauen keine Ausbildung geben müsse und sie keiner Schulbildung bedürften, stellt eine extreme Verzerrung der Vernunft dar.

Hypatia – eine der erstaunlichsten Frauen, eine grosse Wissenschaftlerin der Frühzeit, die vor genau 1600 Jahren auf dem Altar einer Kirche als Ungläubige getötet wurde, schrieb:

 „Fabeln sollten als Fabeln gelehrt werden.

Mythen als Mythen und Wunder als poetische Fantasien.

Das Schrecklichste ist es, wenn man Aberglauben als Wahrheit darlegt.“

Der kindische Geist nimmt Aberglauben schnell an und wird mit Verbissenheit an ihm festhalten.

Das lateinische Wort „superstitio“ (über / stehen) meint, dass man über das Wahre ein Verständnis darüber legt, das nichts mehr mit der Eigentlichkeit des Gotteszuganges zu tun hat, das aber noch immer für dieses gehalten wird. Die Verwechslung des Überbaus (super-stitio) mit dem eigentlichen Gotteszugang ist Ausdruck von Aberglauben.

Jede spirituelle Tradition im Sinne von Transzendenzbezug hat sich verstrickt mit kumulativer Tradition, in dem eben dem Überbau der confessio Wertgehalt zugesprochen wird, den er gar nicht aufweist. Der klare Wahrheitsforscher entstrickt die vielen abergläubischen Tendenzen aus dem Geflecht des Glaubens.   

Reife Christen passen die Aussagen der Bibel dem Verständnis und der Entwicklung in der Menschheit an. Dies ist ja genau, was ich auch vorschlage im Umgang mit den problematischen Textstellen Prabhupadas. Ich möchte dies an einem Beispiel von drei Bibelübersetzungen aus drei unterschiedlichen Zeitepochen des 20 Jahrhunderts aufzeigen.

Es handelt sich also immer um die gleiche Stelle des Lukasevangeliums, die einfach unterschiedlich formuliert wurde und offensichtlich von späteren Bibelübersetzern als problematisch verstanden und dann neu interpretiert wurde.

In der Einheitsbibel von 1912 heisst es: 


"Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein."

 

In der Einheitsübersetzung der achtziger Jahre tönt das dann bereits anders:

„Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben geringachtet, dann kann er nicht mein Jünger sein.“

Und in der neuesten Übersetzung heisst es dann aber:
"Wenn jemand zu mir kommen will, muss ich ihm wichtiger sein als sein eigener Vater, seine Mutter, seine Frau, seine Kinder, seine Geschwister und selbst sein eigenes Leben; sonst kann er nicht mein Jünger sein." (Lk 14,26).

Diese Neuformulierung ist nicht ein Wegfall von der Lehre, sondern eine Verfeinerung des Inhaltes.

 

Ich glaube, wenn wir als Bhaktas und Nachfolger von Srila Prabhupada den Zugang zu aufrichtigen Wahrheitssuchern nicht verlieren möchten, dann ist es absolut dringlich, diese Stellen entweder zu streichen, da sie schlicht unwahr sind, oder dann zumindest zu erörtern, weshalb ein heiliger Mensch, dem viele Menschen nachfolgen, so etwas schreibt. Es muss klargelegt werden, dass der Guru auch relative Bereiche hat, wo er sich irren und sogar gewaltig irren kann.

 

An einem Morgenspaziergang in Mumbai (9. Jan 1977) spricht Prabhupada mit vielen älteren Schülern über die gesellschaftliche Position von Frauen.

„Prabhupada: Es ist eine Tatsache. Ich sagte ihnen (an einer Pressekonferenz in Chicago), dass Frauen keine Freiheit haben können. Denn sie haben nur 34 Unzen Hirnsubstanz und der Mann hat dagegen 64 Unzen. ... (Alle Schüler lachen)“

 

Natürlich ist dieser Fakt, den Prabhupada da präsentiert, falsch. Zudem muss man an seiner Ansicht zweifeln, ob denn das Recht auf Freiheit nur von der Grösse des Hirns abhängt und nicht von der Fähigkeit zu leiden oder eigene Lebensaspirationen zu haben?

 

Prabhupada spricht weiter: „Wie könnten Frauen auch gleiche Rechte haben? Bis zum jetztigen Stand der Geschichte gab es nicht eine einzige Frau, die eine grosse Wissenschaftlerin oder eine grosse Philosophin wäre....“

Ein indischer Arzt wendet ein: „Madame Curie war eine grosse fähige Wissenschaftlerin...“

Prabhupada: „All bogus.“ (Die Schüler lachen wieder)

 

Eigentlich liegt ja das Problem nicht nur in den falschen Aussagen des Guru, sondern in der antrainierten Absenz von Widerspruch und Aufruhr in den Schülern. Auf diese Weise setzen sich Ungeheuerlichkeiten in der Geschichte fort.

 

 

Frauenfeindlichkeit als spirituelle Blockade

 

Im Folgenden möchte ich noch drei Beispiele dieser tief verankerten Misogynie geben. Diese sind mir in der Vorbereitung auf diesen Artikel beim Durchblättern von Prabhupadas Schriftwerk gerade in die Augen (und ins Herz) gestochen. Ich führe sie noch auf, da man zur Behebung einer jeden Haltung, diese erst einmal klar betrachten und anerkennen muss.

Man könnte effektiv Hunderte von extrem patriarchalischen Aussagen finden. Sie sind quer durch die ganzen Schriften hindurch gestreut. Und oft haben sich Bhaktas schon dermassen an sie gewöhnt, dass diese für sie nicht einmal mehr schockierend wirken. Aber dies zeigt nur, dass man sich schon recht weit vom Puls unserer Zeit entfernt hat. Und von dem Geist der Gerechtigkeit und Wahrheit.

Wenn ich von aufrichtig spirituell Suchenden gefragt werde, was dann mit solchen Aussagen in den Büchern sei, dann erkläre ich offen, dass es sich dabei um gravierende kulturell konditionierte Irrtümer handle. Ein solches Eingeständnis hat nämlich gerade zwei wünschenswerte Folgen: Einerseits ermöglicht es diesem Menschen, die Kostbarkeit der Bhakti-Tradition weiter zu verfolgen und andererseits gibt es ihm gleich eine Warnung, die Auseinandersetzung mit diesen Texten mit grosser Kritikfähigkeit anzugehen, da sie von relativen Aussagen gespickt und durchdrungen sind.

 

-Im Caitanya Caritamrita (3.6.60) heisst es: „bedeutende Menschen“ Prabhupada übersetzt natürlich gleich „bedeutende Männer.“ Diese Selbstverständlichkeit, mit welcher er so etwas schreibt, repräsentiert seine Haltung, von welcher er im konservativen Indien des beginnenden 20. Jahrhunderts geprägt wurde.

 

-Im Bhagavatam (7.7.16) heisst es, wie Prahladas schwangere Mutter von Narada unterwiesen wurde. Prahlad spricht diesen Vers und sagt, dass er sich durch die Gnade Naradas an die Worte erinnern könne, aber seine Mutter sie vergessen hätte, da die Unterweisung ja schon lange her sei. Prabhupada schreibt da noch einen Zusatz dazu, der gar nicht im Vers steht: „weil sie als Frau weniger intelligent ist“.

 

-Im dritten Canto des Bhagavatam (3.31.41 Kommentar) schreibt Prabhupada:

„Es ist gut, wenn eine Frau an einen Mann angehaftet wird. Sie kann sich so erheben, indem sie im nächsten Leben ein Mann wird.

Aber wenn ein Mann an eine Frau angehaftet wird, degradiert er und muss im nächsten Leben die Form einer Frau annehmen.“

Doch der Vers macht eine ganz andere Aussage: „Ein Lebewesen, das als Folge der Anhaftung an eine Frau in seinem vorangegangenen Leben mit der Form einer Frau ausgestattet ist, betrachtet törichterweise Maya in der Form eines Mannes, ihres Gemahls, als den Spender von Reichtum, Nachkommenschaft, einem Haus und anderen materiellen Dingen.“

Dieser und der nächste Vers (43) beschreiben eigentlich gerade das Antonym dessen, was Prabhupada da beschreibt.

„Eine Frau soll daher ihren Ehemann, ihr Haus und ihre Kinder als Vorkehrungen betrachten, die die äußere Energie des Herrn für ihren Tod getroffen hat, geradeso wie der liebliche Gesang des Jägers für das Reh den Tod bedeutet.“

Sri Kapiladeva erklärt hier, dass die Orientierung am anderen Pol der Dualität das bindende Prinzip ist und nicht der eine Pol selber. Es ist ein einfaches Prinzip der Bhagavad Gita, dass die Bewusstseinsausrichtung auf den anderen Pol bindend wirkt. Aber es ist natürlich niemals die eine Seite der Polarität selbst. Prabhupada sagt hier jedoch, dass die ganze Problematik im einen Pol, im Weiblichen, liege. Jede empirische Dualität wird von unseren Sinnen erlebt, die uns bruchstückhafte Wahrheiten anbieten. Die Gita (2.15) sagt, dass der Gleichmut zu den Polen und nicht die Verteufelung des einen, zum Gleichmut und somit zur Unsterblichkeit führt. Wenn ich die Fixierung meiner Sinne aus dieser Gefangenschaft der Dualität zurückziehe, erreicht man die Gelassenheit, die Ebenheit, die Ausgeglichenheit, die Gleichheit des Geistes und dies führt zur Unsterblichkeit (amritatva) .

Es ist das Zentrum der Waage, von dem aus die beiden Pole beobachtet werden können, ohne der Beeinträchtigung, Faszination oder Knechtschaft ausgesetzt zu sein.

 

In der Bhagavad Gita (7.28) heisst es: „Wer frei von der Verblendung der Wahrnehmung in Gegensätzen ist, vermag mich mit grosser Entschlossenheit verehren.“

Wenn jemand nun die Unterstelligkeit der Frau als natürlich gegeben betrachtet, wird folgedessen dieses Denken zu einem grossen Hindernis in spiritueller Entwicklung. 

„Als das lodernde Feuer des Todes erzeuge ich das Prinzip „Angst“ in denjenigen, welche den geringsten Unterschied zwischen sich selbst und anderen Lebewesen sehen.“

(Bhagavatam 3.29.26)

Natürlich sieht man die Unterschiedlichkeit in allen Wesen. Doch ist die Gleichheit von Mann und Frau eine zivilisatorische Errungenschaft und ebenfalls auch eine der ganz tiefen und wesentlichen spirituellen Einsichten. Deshalb ist die Unterdrückung und Benachteiligung der Frau nicht nur ein Verbrechen aus rechtsstaatlicher Sicht, sondern stellt eine ganz grosse Erkenntnisblockade des inneren Weges dar.

Die meisten Anhänger von Bhaktivedanta Swami Prabhupada antworten auf die misogynen Vorwürfe gegen ihren Guru, dass es ja auch frauenfreundliche Aussagen von ihm gibt. Aber die zählen angesichts dieser Faktenlage genausowenig wie die Rechtfertigung eines Diebes, der zu seiner Verteidigung sagt, dass er ja auch manchmal redlich und ehrlich lebte.

 

 

 

Dankbarkeit zur Religionskritik

 

Ludwig Feuerbach betrachtet die Religion nicht als Weltdeutungssystem, sondern allein als völkerkundliches Forschungsgebiet. Denn wenn man solche Verirrungen, wie das naturgegebene und dadurch legitimierte Patriarchat, genau betrachtet, darf man Religion nicht als heilige Orientierung oder moralische Richtlinie betrachten. Da würden aufgeschlossene Religiöse Feuerbach nur dankbar zustimmen. Solche gegen die Menschenrechte verstossende Anschauungen zeugen nicht von einer Liebe Gottes, sondern nur von rückständigen kulturellen Werten, welche die Menschen in der Entstehungsgeschichte ihrer heiligen Schriften in sich verankert getragen haben und ein solches Verständnis auch in ihre Schriften hineingewoben haben. Denn es ist immer so, dass man seine eigene Konditionierung auch ins das Aufnehmen von heiliger Offenbarung hineinmischt. Wenn jemand bewusstseinsmässig noch nicht in einem nicht-dualen Bewusstsein jenseits weltlicher Dualität gefestigt ist, hört er zum grossen Teil nicht die Stimme Gottes, sondern nur eine Bestätigung von Wertesystemen, die er durch Introjektion in sich aufgenommen hatte.

 

Religiöse Tradition systematisiert die in der gängigen Kultur vorhandenen Moralvorstellungen und stabilisiert sie mit einer Autorität, die sie ausserweltlich begründet.

Dadurch erstarren sie auch und so muss man sich nicht wundern, dass Religionen Relikte aus längst vergangenen Zeiten bis in die Moderne transportieren. Nur durch den normativen Charakter von Religion konnten sich patriarchalische Systeme aus der Frühzeit unserer Geschichte bis in die heutige Zeit hinein erhalten. Da nun aber die Menschen mehr dazu gelernt haben und die Gefahr des Mangels an Gleichstellung von Mann und Frau verstanden hatten, wirken diese veralteten kulturellen Anhängsel der Religion als Anstoss, dass sich Menschen von Religion ablösen.

Eine Person, die schwach ist und sich nicht getraut, ihre eigene Mündigkeit für das Leben zu übernehmen, wird leicht geneigt sein, die normativen Vorgaben der religiösen Tradition als Lebensdirektive anzunehmen. Dadurch entfremdet sie sich von sich selbst und wird dann natürlich die heilige innere Führung des Gewissens immer schwächer wahrnehmen.

Das kreiert dann Menschen, die bigott und verbissen ein Glaubenssystem und sogar noch deren veraltete Moralvorstellungen verteidigen müssen, da in ihnen sonst gähnende Leere droht. Wenn man sich gänzlich an das anpasst, was von den Vorgaben prämiert wird, glaubt man, nicht mehr falsch liegen zu können. Das ist das verführerische Potenzial der Religion.

Mündig werden kann der Mensch nur, wenn er sich erst einmal von diesen religiösen Bindungen und vor allem vor deren problematischen Wertevorstellungen freimacht.

Der zornige Gott mit seinem Drohgehabe und den Verurteilungen derer, die nicht nach seinen Vorgaben handeln, hat mit Phobien eines sich bedroht fühlenden Volkes zu tun, aber nichts mit Gott selber. So sind auch die religiös legitimierten Diskriminierungsaussagen der religiösen Texte natürlich keine heilige Offenbarung, sondern nur Ausdruck der patriarchalisch archaischen Denkweise von Kulturen auf ihrem jeweiligen Unwissenheits-Stand. Die religiös gerechtfertigte Ungerechtigkeit wie der gottgewollten Unterwürfigkeit der Frau wirkt da besonders rückständig.

Der nicht grössenwahnsinnige Mensch setzt aus sich heraus ethische Massstäbe, die das meiste, was von den alten religiösen Offenbarungen kommt, kleinlich und hässlich aussehen lässt. Das ist der Grund, weshalb es schon legitim ist, eine Geschmackskritik an den Göttern anzubringen.

Diese tief in uns verwurzelte Instanz, das innerste Gewissen, hat ein interessantes Kriterium, das Wahre vom Unwahren zu unterscheiden. Es nimmt wahr, wie gewisse Überzeugungen auf dieses Innere weitend wirken und andere erzeugen eine Engheit. Die Tatsache, dass wir dieses Unterscheidungs-Instrumentarium in uns tragen, also zwischen Enge und Weite unterschieden können, ist so kostbar, dass wir diese Instanz mit religiös begründeten Übernahmen nicht einnebeln lassen dürfen. Wir sind dazu fähig, ungesunde religiöse Vorgaben und Überzeugungen, wie die Ungleichheit der Geschlechter, zu überwinden. In der Tatsache, dass wir fragwürdige Strukturen in den Religionen bezweifeln und entschlossen ablehnen, zeigen wir, dass der ur-religiöse Impuls der Wahrheitssuche in uns weiterlebt. Es braucht den Mut, die religiöse Struktur, die sich zwar als Letztbegründung im Sinne einer heiligen Offenbarung darstellt, zu hinterfragen, weil das innerste Gewissen in ihr auch Falschheit erkennt. Das natürlich und gottgegebene Patriarchat ist sicherlich eine solche.

In der Kalama-Sutra lehrt der Buddha die Schüler, dass sie sich unabhängig von jedem Text, jeder Lehre oder Autorität jeweils selbst aufrichtig fragen sollen, was angemessen und gesund und was unangemessen und ungesund ist.

Diese „furchtlose moralische Bestandesaufnahme“, wie sie bei den Anonymen Alkoholikern genannt wird, tut Lehrern und Schülern gleichermassen Not und sollte laufend geübt werden.

 

Wie oft habe ich Menschen in unserer spirituellen Tradition nach ihrem Befund gefragt, als sie mit den frauen-verachtenden Aussagen konfrontiert wurden. Sie haben mir alle von dieser Enge gesprochen, die sie dann in sich wahrnahmen.

Prokrustes, ein Riese der griechischen Mythologie, bot Reisenden zuerst ein Bett, eine Ruhestätte, an. Wenn sie zu gross für das Bett waren, hackte er ihnen die Füsse bzw. überschüssigen Gliedmassen ab; waren sie zu klein, hämmerte und reckte er ihnen die Glieder auseinander, indem er sie auf einem Amboss streckte.

Als Prokrustesbett bezeichnet man redensartlich eine Form oder ein Schema, wohinein etwas gezwungen wird, das dort eigentlich nicht hineinpasst. In beiden Fällen geht der Mensch zugrunde, wenn er in äussere Schablonen, auch diejenigen, die von religiösen Traditionen angeboten werden, hineinpassen soll. Wenn man andere Menschen beäugt, ob ihr Leben den äusseren Normen entspricht, und das Augenmerk auf diese Kontroll-Instanz legt, tötet man sie.

Wer nicht immer wieder introspektiv in sich hineinhorcht, und nicht mehr nach der Spur, die Krishna in unser Herz hineingelegt hat, fleht, folgt sonst schnell den Vorstellungen des eigenen Ehrgeizes oder Bildern, die andere von aussen auf einen überstülpen. Religion darf nie zu solchem Nachfolgertum degradieren.

Die heilige Tradition will nicht intojektiv, also von aussen her bestimmte Formen geben, denen man dann zu entsprechen hat, sondern nur unterstützend wirken, die ureigenste innerste Spur diese Seele wieder zu finden. Sie weckt nur ganz fein das innerste Gewissen. Es gibt dann mannigfaltige Möglichkeiten, dies konkret in der Aussenwelt zu leben.

 

Es ist meiner Ansicht nach unumgänglich wesentlich, auf dem spirituellen Weg auch dessen ungesunde Ausprägung zu betrachten. Diese mag fromm wirken, kann aber schnell in geistlosen Formalismus verkommen, wenn eben die Übereinstimmung auf äussere Form und theologische Formeln stark betont wird. Wenn der religiöse Ausdruck in dieser Welt nicht mehr durch ein inneres Erleben, also durch eine Erfahrung, gedeckt wird, und dienend auf diese hinweist, verkommt er zu einem Götzen, der sich selbst als Selbstweck erhoben hat.

 

Man kann einer äusseren Form endlos zu entsprechen versuchen, doch dient das verbissene Festhalten an der Tradition, der Konfession, am religiösen Ausdruck dann nicht dem inneren Wachstum, sondern nur noch, um sich gegen eigene Ängste abzusichern und sich als besonders darzustellen. So gelebte Spiritualität führt nicht mehr in die Weite und in die Lebendigkeit, sondern in eine enge Ängstlichkeit.

Der etymologische Ursprung vom Wort „Angst“ ist das lateinische angustia, was „Enge, Beengung, Bedrängnis“ bedeutet.

 

 

Ein aktuelles Beispiel: „Women – masters or mothers?“

 

Fundamentalismus ist ein erstaunliches Phänomen und wenn es nicht so gefährlich wäre, könnte man über das Mass menschlicher Verirrtheit nur staunen.

Bhakti Vikas Swami, ein Guru und Sannyasi der Iskcon, hat ein Buch mit dem Titel "Women: Masters or Mothers?" geschrieben. Auf dem Titelbild finden sich zwei Darstellungen von Frauen. Auf der einen Seite ist eine im Sari gekleidete Frau mit einem Baby auf dem Arm und daneben eine Frau im Kampfanzug mit einem Maschinengewehr in der Hand. Zumindest hat dieses Buch für Empörung in der Vaishnava-Welt gesorgt.

In einer Vorlesung erklärt er sein werte-rückständiges Buch.

https://www.youtube.com/watch?v=XnO_ssi35io

Darin liest er ein entrüsteter Brief einer Schülerin von ihm vor, die bereits über 20 Jahren aufrichtig Bhakti-Yoga praktiziert, und kommentiert ihn auch. Sie schreibt ihm nach der Lektüre dieses Buches, dass sie dieses unausgewogen und verfehlt empfinde.

Der Guru antwortet ihr erst einmal darauf, dass ihr Zweifel in den Guru für sie eine spirituelle Krise darstelle.

Wenn man eine relative Seite des Guru, wo er auch falsche Dinge proklamiert, in Frage stellt, und dann des fehlenden Grundvertrauens bezichtigt wird, ist das ein gravierender Ausdruck von disfunktionaler Lehrerschaft. Von einer fragwürdigen Guru-Kratie.

 

Das 2. Vatikanische Konzil, welches die dringliche und längst anstehende Anknüpfung der Kirche an die Moderne bedeutete, und auch die Position der Frauen aufwertete, bezeichnete er als Kompromiss, der die wahre Kirche verriet. (19:13)

Die katholischen Priester mussten noch bis ins 20. Jahrhundert einen Antimodernisten-Eid schwören. Manchmal dünkt es mich, dass Devotees selbst im 21. Jahrhundert sich noch immer gegen die Moderne wehren und nicht nur Bhakti, sondern effektiv auch eine ideologisierte vedische Kultur wiederbeleben möchten. (39:30)

Mit seinem Buch möchte er die frauenfeindlichen Aussagen von Prabhupada als eigentliche Ideale für die Schüler und zukünftigen Generationen darstellen.

Er empört sich sogar, dass einige Vaishnavas diese kontroversen Aussagen von Prabhupada über Frauen nicht mehr wörtlich nehmen wollen. (1.55:00).

Fundamentalismus kann schon enorm verdrehte Auswüchse kreieren.

Bhakti Vikas Swami wurde in den letzten Jahren auch öfters noch in den Züricher Tempel eingeladen, um da zu unterrichten.

Ein amerikanischer Präsident vor etwa 200 Jahren, Thomas Jefferson, verbrachte seine schlaflosen Nächte in seinem Amtssitz damit, indem er die Verse aus dem neuen Testament zusammenstellte, die er allen Menschen auf dieser Erde zumuten könnte. Er liess diese Stellen weg, die er für nicht menschenwürdig empfand und was bei wörtlicher Auslegung zu einem Bruch mit all unseren Erfahrungen und ethischen Werten führen würde.

Aus sechs verschiedenen Exemplaren des neuen Testaments schnitt er mit einem Rasiermesser die ausgewählten Passagen heraus und klebte sie in ein leeres Buch. Er hat diese „Jefferson-Bibel“ kreiert, da er in der Bibel so viel Unverantwortbares fand, dass er sich schämen würde, diese in guter Gesellschaft auch nur zu zitieren.

Diese Scham kenne ich auch, wenn ich Vaishnava Literatur lese, die im 21. Jahrhundert noch misogyne Aussagen enthält.

 

der häretische Imperativ

 

Weltliche Firmen in unserem Wirtschaftssystem leisten sich Berater von aussen, die aufrichtiges Feedback geben, damit Ideenbörsen und Erneuerung ermöglicht und angeregt werden. Solche Betriebe gedeihen dadurch, dass sie sich ständig verändern und sich mit Selbstkritik belohnen. In religiösen Kreisen jedoch gilt die Tugend der Hinterfragung jeglicher Konzepte; Lehrperson oder Autorität als Zeichen von Ungehorsam, Auflehnung oder Unglaube. Doch ein gesunder Gotteszugang und ein tiefer Glaube kann nur auf ihr gründen.
Die Angst und der nagende Zweifel lassen neben der Einsicht und dem Mut zum Diskurs nur die Zerstörung zu. Den Tabubruch straft das System mit Ausgrenzung. Diese habe ich in der Gaudiya Vaishnava Welt oft beobachtet. Wie oft wurden Menschen, welche die offizielle Doktrin anders betrachteten, ausgegrenzt und es wurde vor ihnen gewarnt. Es darf aber kein Grund dafür sein, die Wahrheit nicht zu sagen. Und zwar in keinem Kontext - ob politisch, familiär, in Partnerschaften oder in spirituellen Gemeinschaften. Verhält man sich nicht der Norm entsprechend und sagt nicht das, was das System erwartet, wird man zum Paria erklärt. Und damit zeigt sich das kritisch Gesehene in seiner wahren zweifelhaften Grösse.

Viele Propheten, einschliesslich Jesus, wurden von den eigenen Leuten getötet, die schnell zur Aggression greifen, wenn ihr sakrosanktes Überzeugungsgebäude von den Heiligen verändert oder sogar zerbrochen wird. Genau eine solche ständige Zerstörung dessen ist aber notwendig, damit sich die Seele der Wirklichkeit annähern kann. Es bedarf dieser heiligen Aufscheuchung, welche die Wahrnehmungskraft der Seele schärft und in die Wachheit führt.

 

Denn nicht alles, was die Religionen proklamieren, ist religiös. Das effektiv Heilige daraus herauszusuchen ist die Aufgabe von aufrichtig Betenden und Begehern des inneren Weges.

Es gibt wirklich Goldadern in den Texten, die zum Teil aber auch viel Unsinn enthalten. Man muss die Nachfolger von Religion in dem natürlichen Misstrauen trainieren. Und zwar gegenüber allen Schriften, Gurus und auch gegenüber sich selbst. Wenn einem wirklich etwas an Freiheit liegt und man nicht in religiöser Geiselhaft darben möchte, dann wird von uns diese Hinterfragungsinstanz und der Mut, das Menschenfeindliche auch zurückzuweisen, effektiv gefordert. Vernünftige Menschen verstehen die heiligen Schriften auch als historische Ausdrucksform, die sprachlich und inhaltlich variiert werden muss. Die Offenbarung Gottes ist ambivalent und kann auch auf verschiedenen Ebenen verstanden werden. Deshalb:

Das, was man oft als das Gegenteil der Religion betrachtet hatte, die Skepsis, ist das eigentliche religiöse Vollzugsorgan.

Die Häresie (das Heraussuchen dessen, was man glauben kann und darf), stellt effektiv die Grundlage einer inneren Praxis dar. Die häretische Funktion ist die eigentlich Religiöse, weil sie das Ermittlungsverfahren einleitet, nachdem man immer noch glauben kann, wenn man alles zersetzt hat. Das Wahre wird übrigbleiben. Häresie heisst „herausreissen“. Man muss sich also das Recht nehmen, den wirklich inneren Kern herauszuschälen und den ganzen kulturellen Überbau dabei weglassen. Deshalb ist der häretische Imperativ ein Fundament der wirklich religiösen Suche. Dabei wird die Folklorisierung der historischen Religionen auf der Strecke bleiben.

Denn nicht überall pocht unser innerstes Gewissen, welches auf heilige Offenbarung anspricht und grosse Weite erzeugt. Denn da koexistieren auch viel menschliche Beschränktheiten im Gewande von heiliger Tradition.

Wir tragen in uns ein Kriterium zur Unterscheidung, was an den Religionen noch heilig ist. Nämlich, wenn etwas zu innerer Weite und Gelassenheit führt. Wenn dieser innere Geigerzähler aber übergangen wird, dann ist Engstirnigkeit, Verbissenheit und Fundamentalismus die Folge, denn man muss ja etwas als Wahrheit deklarieren, was es in Wahrheit nicht ist. In einem solchen Zustand kann man für die Rückbeziehung auf die Vernunft, der Proklamation der Aufklärung, nur dankbar sein.

Die Säkularisierungstendenz in unserer Zeit ist ja nur die Folge wacher Menschen auf die geistige Verbohrtheit, die sich in den heiligen Schriften noch immer konservierte.

Die Säkularisierung ist keine Zerfallsgeschichte des heiligen Glaubens, sondern eine Chance, die Freiwilligkeit des Gotteszuganges zu sichern. Die Verschonung Isaaks von Seiten Abrahams war eine befohlene und hat deshalb keine wirkliche Kraft. Es bedarf des freiwilligen Engagements damit die Innerlichkeit Durchschlagskraft erhält. Das ist die Möglichkeit unserer säkularen Zeit.

Es ist gehört zur fundamentalen Aufgabe von Menschen des inneren Weges, säkulare, d.h. religionsbefreite Vernunft auch gegen religiöse Vereinnahmungen und Ansprüche zu verteidigen.

Säkularisierung ist nämlich die Emanzipation des Religiösen. Denn wenn das Heilige von der Versozialisierung (den Steuerungsmechanismen des gesellschaftlichen Daseins) entlastet wird, darf sie wieder auf ihr Kerngeschäft zurückgeworfen werden. Nämlich den Transzendenzbezug. Aufklärung und Mystik – geöffnete Augen und geschlossene – bilden für mich keinen Widerspruch, sondern bedingen sich gegenseitig.

Erst die Entwicklung der kritischen Vernunft erlaubte es, uns von den Fesseln abergläubischer, auf bloßer Überlieferung beruhender Denkmuster zu befreien. Mit Hilfe unserer Ratio haben wir gelernt, kritisch zu hinterfragen und sinnvolle Schlussfolgerungen einzufordern, wo wir geschichtlich gesehen zuvor zu blindem Glauben verdammt waren. Ohne sie würden wir heute noch von religiösen Institutionen eingetrichtert bekommen, dass die Erde Mittelpunkt des Universums sei und dass die Frau naturgegeben für den Dienst zum Mann geschaffen sei.

Erst in der Ausschöpfung des Denkbaren, in der wirklichen Nutzung der gottgegebenen Vernunft, vermag Offenbarung geschehen. Am Rand des Möglichen, nachdem man an der Grenze des Machbaren vor dem unbegrenzten Gott kapituliert, eröffnet sich erst die Schau zum Heiligen hin. Ohne diese Bemühung der Vernunft gestaltete sich die Hingabe einfach nur als eine Ausrede der Denkfaulheit.

Natürlich ist unsere Gesellschaft vom Heiligen gänzlich weggekommen und auch von den Handlungsvorgaben, welche die religiösen Traditionen gesetzt haben. Diese Abwendung war eine Reaktion auf die Eingeschränktheit des religiösen Denkens. 
Die Frommen sehen in der Säkularisierung den Wegfall von Gott, also das Böse. Aber es ist ein heilsamer Prozess, sich aus der Herrschaft von religiösen Würdenträgern, die meist keine Weitsicht hatten, zu befreien. Die Prä-Säkularisierungs-Religion fühlt sich schnell bedroht und reagiert auf ihre Infragestellung mit Aggression und Gewalt. Das Resultat davon können wir in Geschichtsbüchern nachlesen. Friedliche Mitbürger mit religiösem Hintergrund können ganz schnell, wenn nur schon ein Fragment ihres Überzeugungsgebäudes angezweifelt wird, eine erstaunliche Kaltblütigkeit an den Tag legen. Mich haben solche Drohgebärden und Bannflüche seitens von religiösen Menschen immer erschreckt und ich fühlte mich in einer vernünftigen gottfreien Gesellschaft aufgehobener.
Auf der Basis von den säkular errungenen Werten (Gleichheit, Freiheit und Geschwisterlichkeit) wird eine neue Gottessuche beginnen. Dies ist genau die Entwicklung, die ich mir ersehne. Sie ist Trans-säkular.

Auch Indien wird von diesem Prozess nicht verschont.

Als ich zu Beginn der neunziger Jahre viel Zeit in Indien verbrachte, sah ich noch eine recht intakte spirituelle Kultur. Viele Menschen orientierten sich an den heiligen Schriften und hatten effektiv auch eine spirituelle Praxis. Wenn ich jetzt in Indien mit jungen Menschen spreche, spüre ich, dass sie grossteils den Bezug zum spirituellen Erbe ihres Landes verloren haben und sich nur noch weltlich orientieren.

Auch in der säkularen Gesellschaft in der westlichen Welt existiert nicht nur im Religiösen, sondern auch in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht eine Diskrimination von Frauen. Dies ist so, obwohl seit über 200 Jahren der Wert der égalité gewertschätzt und akzeptiert wird. Wie viel schwieriger haben es dann Gesellschaften, deren religiöse Quelltexte die Gleichwertigkeit und gleichen Rechte und sogar noch bekämpfen und bestreiten?

sapere aude!

 

 

 

Epilog

 

All dies schreibe ich als jemand, dem die grundlegenden Inhalte von Srila Prabhupadas Lehren enorm kostbar und lieb sind. Aber ich habe zu viele Bhaktas beobachtet, welche die innerste Gewissensstimme nicht mehr wegdrücken konnten. Sie haben sich deshalb von ihm abgewandt. Ich denke hier vorallem an meine liebe Purnamasi, eine aufrichtige und ganz tiefe Vaishnavi, die ein richtiges Forschungsprojekt über die patriarchale Struktur in der Vaishnava-Bewegung begonnen hatte. Die Empörung über die Textstellen hätte sie noch irgendwie aushalten können, aber als dann von ihren eigenen Glaubensgeschwistern massive Angriffe auf sie hinzukamen, wieso sie es wagen würde, die Absolutheit von Prabhupada anzuzweifeln, musste sie ihrer eigenen Integrität halber den Bhaktiweg verlassen.

Ich schreibe dies gerade aus meiner Liebe zu Prabhupada. Es ist doch so wie in jeder substanziellen Liebe. Wenn man auch das ausdrücken kann, was einem stört und für einem nicht stimmig ist, darf die wirkliche Liebe übrigbleiben. Wenn so viel gegenseitiges Vertrauen vorhanden ist, darf sie Bestand haben. Srila Prabhupada ist jemand, der mein Leben gänzlich in Frage stellte und mich zu einem Gottesergebungsprozess aufforderte.

„O Bhaktivedanta Swami Prabhupada, wie oft hast du mein Leben aufgewühlt und deine Intensität der Bhakti hatte mich inspiriert, dieses Leben für den Seva zu Radha-Krishna zu weihen.“

Ein Bekannter von mir war Anfang 90 er Jahre an einer Tagung unterschiedlichster spiritueller Lehrer in Dharmashala, an welcher auch der Dalai Lama teilgenommen hatte. Eine westliche Nonne erwähnte dort, wie hart es für Frauen und weibliche Ansätze innerhalb der buddhistischen Gemeinschaft sei. Sie würden auch in der Öffentlichkeit weggedrückt und in ihrer Lehrtätigkeit ignoriert. Sie verwies auf die vielen Buddhas und exquisiten tibetischen Rollbilder im Raum mit der Bemerkung, dass sie alle nur Männer darstellten. Dann bat sie den Dalai Lama und die anderen Lamas und Meister, die Augen zu schliessen und sich folgende veränderte Situation vorzustellen: Die Versammlung hätte noch nicht begonnen, und sie beträten den Raum, wo sie sich vor der vierzehnten weiblichen Inkarnation des Dalai Lama verbeugten. Sie wäre wie eh und je nur von Beraterinnen umgeben, an den Wänden hingen Buddha- und Heiligenbilder, alle selbstverständlich in weiblicher Gestalt. Natürlich würde nie die Unterlegenheit des Mannes gelehrt. Trotzdem würden Männer ganz selbstverständlich gebeten, sich nach hinten zu setzen, still zu sein und nach dem Treffen die Küchenarbeit zu erledigen. Die männlichen Mönche dürften nur am Rande der Klöster leben, oft ohne Unterricht, ohne Essen und ohne Unterstützung.

Nach der Meditation sah man unter den Männern verdutzte Blicke. Der Dalai Lama stützte den Kopf in die Hände und weinte und versprach, sich nach besten Kräften für eine grössere Gleichberechtigung der Frau in seiner Gemeinschaft zu sorgen.

Und trotzdem haben sich in sämtlichen buddhistischen Ländern in den seither vergangenen Jahren viele ältere Lehrer gegen diese Veränderungen mehr oder weniger vehement gewehrt. Manchmal im Namen der Tradition und manchmal aufgrund ihrer psychologischen und kulturellen Konditionierung.

Ich bin mir sicher, dass Prabhupada auch geweint hätte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

-(Alle angegebenen Zitate finden sich leicht im Folio Programm, das die Werke von Bhaktivedanta Swami digital geordnet hat.)

 

-Während ich das geschrieben habe, sandte mir jemand ein Zeitungsartikel zu, dass in Indien jede dritte Frau Opfer von häuslicher Gewalt sei. Der Schatten der Minderwertgebung von Frauen hat auch tragische Folgen für die Menschen in dieser Kultur selber.

http://www.20min.ch/ausland/news/story/-Sie-war-fuer-mich-ein-Gebrauchsgegenstand--21220706

 

-Viele andere problematische Aussagen von Prabhupada habe ich in dem Artikel „Die Terroranschläge von Paris und die Hare Krishnas“ bereits eindringlich behandelt:

 

https://govindaradhe.jimdo.com/kritischer-blick/die-terror-anschläge-in-paris-und-die-hare-krishnas-eine-reflektion-über-religiösen-fundamentalismus/