Verrat an der Wahrheitssuche
Mein Engagement gilt einer fundamentalen Unerhrlichlichkeit:
Nämlich eine antrainierte Orientierung in welcher das vorrangigste philosophische Projekt nicht mehr die aufrichtige Bemühung ist, sich Wahrheit zu stellen, ihr zu begegnen, und sich von ihr berühren zu lassen (sich ihr zu öffnen), sondern eine bereits für einen definierte Wahrheit zu studieren, auswendig zu lernen, zu verinnerlichen, zu lehren und dann eben noch zu verteidigen. Dies wird zu vorverdauter Wahrheit, nach der man nicht mehr forscht, aber die einem serviert wird.
In dem verbissenen Festhalten, das aus der Unsicherheit oder sogar dem noch nicht bewusst gewordenen Zweifel zur eigenen Form der Spiritualität herrührt, erfüllt man nicht einmal mehr die
Grundanforderung eines Menschen, wie es im Vedanta Sutra an einen getragen wird: athato brahma jijnasa. ("Jetzt, wo du den seltenen menschlichen Körper erlangt hast, suche ständig nach
letztlicher Wahrheit.") Abgrenzung und Abwendung ist ein Symptom innerer Unsicherheit.
Ein aufrichtiger Sucher aber begegnet freudvoll und irgendwie neugierig selbst Lebensanschauungen, die einem bisher fremd waren. Denn vielleicht geht genau da die innere Führung weiter.
Man muss der Herausforderung der Konversion begegnen.
Soll die Begegnung eine echte religiöse sein, muss sie vor allem der Wahrheit treu und für die Wirklichkeit offen bleiben. Die echte religiöse Geisteshaltung weiss sich nicht nur der Vergangenheit verpflichtet (der eigenen Tradition), sondern auch der Gegenwart (der Weiterentwicklung des Glaubensinhaltes).
Ein religiöser Mensch ist weder ein Fanatiker noch jemand, der immer und auf alles eine Antwort bereit hat. Dieses Phänomen existiert nur in der Anfangsphase, wenn ein Spiritualist noch nicht das Ausmass der Wahrheit jenseits von Konzepten erfasst und berührt hat.
Er bleibt immer auf der Suche, ein Pilger, der seinen Weg zu finden hat, der auf keiner Karte verzeichnet ist. Die vor ihm liegende Spur ist noch jungfräulich und unberührt. Der religiöse Mensch erlebt jeden Augenblick als neu und ist umso mehr erfreut, wenn er darin das erregende Schöne einer persönlichen Entdeckung und zugleich die Tiefen eines bleibenden Schatzes findet, den seine Glaubensvorfahren an ihn weitergegeben haben.
Aber das Feld der religiösen Begegnung zu betreten stellt immer ein Wagnis und eine Herausforderung dar. Der religiöse Mensch betritt eine Arena ohne Vorurteile und vorgefasste Konzepte. Er ist sich voll im Klaren darüber, dass er möglicherweise bestimmte Teile seines Glaubensbekenntnisses oder gar eine bestimmte Religion überhaupt aufgeben und verlieren wird. Er vertraut der Wahrheit vollkommen. Sie führt ihn weiter. Er geht unbewaffnet hinein, bereit, selber ein anderer zu werden. Vielleicht wird er seine bisherige Identifikation verlieren, vielleicht wird er sein Leben verlieren – vielleicht wird er auch neu geboren werden.
Die Möglichkeit einer Bekehrung muss zugelassen werden – und sie kann so tiefgreifend sein, dass die Überzeugungen und Bekenntnisse, an denen man bisher festgehalten hat, sich vielleicht in Luft auflösen oder doch einem grundlegenden Wandel unterzogen werden. Das Unternehmen ist gefährlich und kaum jemand wäre dem gewachsen, wenn nicht aus dem Drang des Glaubens selbst heraus, der uns ermuntert, unser Leben furchtlos aufs Spiel zu setzen.
Anstatt alle Fähigkeiten unseres Bewusstseins dem angstlosen Streben nach Wahrheit zu widmen mit reflektiver und nachdenklicher Offenheit zu all dem, was sich zur Untersuchung oder Erfahrung
anbietet, schwenkt man nur den Banner von empfangener Wahrheit. Man glaubt, gefunden zu haben und verteidigt seine bisherige Anschauung. Komme da, was wolle, auch unabhängig inwiefern diese
"Wahrheit" mit der Wirklichkeit übereinstimmen mag.
Darin liegt eine ungeheure Arroganz, dass man die momentane Einsicht in die Wahrheit als sakrosankt versteht und die Offenbarung selber als etwas Abgeschlossenes.
Das loyale und hartnäckige Verteidigen der empfangenen "Wahrheit" in Anbetracht einer nicht begrenzten und unendlichen Wirklichkeit ist nicht das mutige Auflösen von Illusion, um heilige Wahrheit zu schützen, sondern vielmehr ein feiges Verstecken vor möglichem Aufdecken von Inkonsistenz der eigenen kleinen Wahrheit. Dies ist eine brüchige Sicherheit, die vorgibt, erleuchtende Gewissheit zu sein. Es ist aber ein Verrat zur echten Wahrheitssuche.
Liebe Freunde
Oft werde ich angefragt, wieso ich Sadhus, Gaudiya Vaishnavas, die nicht in der Iskcon sind, nach Zürich einlade, und mit ihnen Festivals organisiere. Mir geht es wirklich nicht um Srila Narayana Maharaja oder irgend welche anderen Sadhus und Gruppen, sondern um eine fundamentale intellektuelle Unehrlichkeit, die ich in den 14 Jahren Tempelleben immer wieder beobachtet habe, und die durch die Begegnung mit anderen Gaudiya Vaishnavas einem erst auffällt:
Nämlich eine antrainierte Orientierung in welcher das vorrangigste philosophische Projekt nicht mehr die aufrichtige und disziplinierte Bemühung ist, sich Wahrheit zu stellen, ihr begegnen, sich von ihr berühren zu lassen (sich ihr zu öffnen), sondern eine bereits für einen definierte Wahrheit zu studieren, auswendig zu lernen, zu verinnerlichen, zu lehren und zu verteidigen. Dies wird zu vorverdauter Wahrheit, nach der man nicht mehr forscht, aber die einem serviert wird. Der Herdentrieb, das „Gruppen-Denken“ sind Ausdrücke, Folgen von dieser Haltung. Eigenständiges, Selbstständiges Denken zu welchem Srila Prabhupada uns eigentlich hinerziehen wollte („Krishna Consciousness Movement is for training men to be independently thoughtful and competent in all types of departments of knowledge and action, not for making bureaucracy. Once there is bureaucracy the whole thing will be spoiled.“), ist natürlich die Grundlage für das freiwillige Sichzuwenden zu Gott.
In dem fanatischen Festhalten, das aus der Unsicherheit oder sogar dem noch nicht bewusst gewordenen Zweifel zur eigenen Form der Spiritualität herrührt, erfüllt man nicht einmal mehr die Grundanforderung eines Menschen, wie es im Vedanta Sutra an einen getragen wird: athato brahma jijnasa. ("Jetzt, wo du den seltenen menschlichen Körper erlangt hast, suche ständig nach letztlicher Wahrheit.") Dies sehe ich als das Grundproblem des religiösen Fundamentalismus.
Anstatt alle Fähigkeiten unseres Bewusstseins dem angstlosen Streben nach Wahrheit zu widmen mit reflektiver und nachdenklicher Offenheit zu all dem, was sich zur Untersuchung oder Erfahrung anbietet, schwenkt man nur den Banner von empfangener Wahrheit (man glaubt, gefunden zu haben und verteidigt dann nur noch sein Dogma). Komme da, was wolle, auch unabhängig inwiefern diese "Wahrheit" mit der Wirklichkeit übereinstimmen mag.
Das loyale und hartnäckige Verteidigen der empfangenen "Wahrheit" in Anbetracht einer nicht bestätigenden Wirklichkeit ist nicht das mutige Auflösen von Illusion, um heilige Wahrheit zu schützen, sondern vielmehr ein feiges Verstecken vor möglichem Aufdecken von Inkonsistenz der eigenen kleinen Wahrheit. Dies ist eine brüchige Sicherheit, die vorgibt, erleuchtende Gewissheit zu sein. Es ist aber ein Verrat zur echten Wahrheitssuche.