Offener Brief an denkende


Menschen

 

Weihnachtszeit bietet auch die Zeit, einen kritischen Blick auf unsere Essgewohnheiten zu richten. Es könnte ja sein, dass sich da ein paar Dinge verirrt haben, die eigentlich gar nicht dahin gehörten, oder dass wir, mit den Worten Plutarchs ausgedrückt, „unseren Tisch immer wieder mit toten Körpern zieren, die kurz zuvor noch geschrien und gebrüllt, sich bewegt und gelebt haben...“ und dies sogar noch Nahrung nennen.

 

Das Wort „Vegetarier“ leitet sich ab vom lateinischen „vegetus“, was „unversehrt, gesund, frisch und lebendig“ bedeutet. Das Fleisch, das Menschen essen, ist entbeint, verdorben und tot.

 

Die Natur hat die Menschen mit einem Reichtum von Nahrungsmitteln zur vollwertigen Ernährung versehen, sodass man nicht angewiesen ist, Tiere zu verspeisen. Diese Art der Ernährung würden wir verabscheuen, hätten wir uns nicht seit Generationen durch Brauch und Sitte an die markabre Praktik gewohnt, aus unseren Mägen Gräber für tote Tierkörper zu machen.

 

„Welch’ abscheuliches Verbrechen ist es, Eingeweide in Eingeweiden zu begraben.“ Pythagoras

 

„Ihr nennt Raubtiere – Löwen, Tiger und Schlangen  - gefährlich, während ihr selbst eure Hände mit Blut besudelt und ihnen in keiner Art der Grausamkeit nachsteht. Und doch ist das Töten für sie das einzige Mittel zu überleben, während es für euch ein überflüssiger Luxus ist. Warum tut ihr so, als ob die Erde nicht imstande wäre, euch zu erhalten und zu ernähren?“ Plutarch, 70 n.Chr

 

Wir wollen das Fleischessen einmal vom Standpunkt der Tiere aus betrachten. Sie haben ein Recht auf Leben, das wir nicht einfach verletzen dürfen. Wir aber jagen und töten auf grausame Art und Weise unsere nächsten Verwandten – ohne Mitleid. Haustiere werden aus ihren Familien gerissen, auf oft langen Reisen zum Schlachthof transportiert; dort, wahnsinnig vor Angst, in dem Gedränge, dem Geschrei und Gestank, werden die Tiere erschlagen, erstochen, erschossen, zum endgültigen Ausschlachten auf bewegliche Haken gehängt, ihre Kehlen durchschnitten – oft bevor alles Leben erloschen ist.

 

Wir können nicht Fleisch essen ohne Herzlosigkeit, Abgestumpftheit, Verdrängung .

 

„Wie konnten sie sich solch’ eine Beschäftigung aussuchen?“ fragte ein entsetzter Zuschauer einen Arbeiter im Zürcher Schlachthof. „Wir tun nur die Dreckarbeit für sie, mein Herr“, war die Antwort, die ihn zum Schweigen brachte.

 

Wer sein Leben von Ungerechtigkeit und Verbrechen rein halten will, darf nicht Handlungen, die er selber aus ethischen Gründen nicht ausführen könnte, einfach von anderen ausführen lassen. Die Tätigkeit hat man vielleicht delegiert, aber nicht die Schuld und die Verantwortung. Der Mensch ist nicht nur verantwortlich für das eigene Tun, sondern auch für die Dinge, die er veranlasst. Meine Nachfrage erzwingt ein Angebot. Mein Fleischkonsum, bewirkt das Leid der Tiere. (Der Durschnittsschweizer verspeist in seinem Leben 25 Kühe, 40 Schweine, und über 1200 Hühner. Ein halber Zoo..)

Wie kann man mit blutigen Lippen mit Verachtung von blutigen Händen sprechen?

 

Aber die Tiere fressen sich doch auch; wieso sollte dies denn uns vorenthalten sein?

 

Es ist interessant, dass genau diejenigen, die immer wieder des Menschen Sonderstellung betonen (Krone der Schöpfung, Gottesebenbildlichkeit, Vernunftbegabtheit) beim Fleischessen plötzlich ihre Ähnlichkeit mit den Tieren betonen.

Aber unter zivilisierten Menschen gilt nicht das Recht des Stärkeren. Nicht das Können zählt, sondern inwiefern ich die Handlung verantworten kann.

Tiere können nichts, was sie nicht dürfen, der Mensch aber sehr viel. Tiere können deshalb nicht unsere moralischen Vorbilder sein, weil sie gar nicht moralisch handeln können.

Mit dem Argument, dass sich Tiere unter sich manchmal töten, könnten wir uns ha auch dafür einsetzen, dass Frauen ihre Männer, Eltern ihre Kinder und wir alle unsere Fäkalien essen, da Spinnen, Bären und Schweine manchmal dergleichen tun.

Kann man unser millionenfaches Abschlachten mit dem Argument rechtfertigen, dass es gewisse Tierarten aus einer Überlebensnotwendigkeit heraus tun? Und wir tun es ja nur, um den Geschmacksknospen im Gaumen einige Reize zu verleihen.

„Gerechter Gott! Aus wie vielen Marterstunden der Tiere lötet der Mensch eine einzige Festminute für seine Zunge zusammen.“  Jean Paul (1763-1823)

 

Aber wir haben doch schon immer Fleisch gegessen.

 

Ein Fehler bleibt auch dann ein Fehler, wenn ich ihn für Tausende von Jahren begehe. Die Beständigkeit in meiner Fehlhaftigkeit macht nicht ein Unrecht zu einem Recht, nur weil ich mich nun an das Fehlverhalten gewöhnt habe und die ethischen Bedenken aus meinem Leben evakuiert habe. Ein Unrecht bleibt auch dann ein Unrecht, wenn es alle verüben und wird deshalb nicht plötzlich gerecht, nur weil es gesellschaftlich anerkannt ist. Wieso sollten wir uns dann gegen Kriege einsetzen, die es ja auch schon seit „immer“ gab?

 

Eine Schale mit Früchten ist von Natur aus ein Genuss für das Auge, während der Geruch und Anblick toter und verwesender Tiere den meisten Menschen tiefst zuwider ist. Frisches Gemüse oder Früchte bedürfen keiner Verschönerung und können ohne Bedenken, so wie sie sind, auf den Tisch gestellt werden. Aber beim Kadaver einer Kuh kann ich das nicht tun – er bedarf der geschickten Hand eines Metzgers, um sein wahres Aussehen und vor allem seine Herkunft zu verbergen. Diese beschönigende Verschleierung drückt sich auch in der Sprache aus: ein Steak ist ein Muskel, Chateaubriand ein Stück aus dem Rücken eines Kalbes und Rocky-mountain Austern sind nicht anderes als Schweinehoden... Diese Euphemismen dienen dazu, einem die brutale Realität der Herkunft und Identität der verspeisten Tiere vergessen zu lassen.

„Ich esse Fleisch“ – das klingt so harmlos verdinglicht. Der Vorgang, der mir das Fleisch verschafft, ist der grausame Akt des Tötens, der sich in diesem heruntergeschluckten Bissen leiblicher Faser manifestiert. Fleischvertilger leben vom täglichen Sterben ihrer Nächstverwandten. Genauer gesagt vom nächtlichen Sterben, denn geschlachtet wird nachts. Die Menschen haben eben doch ein schlechtes Gewissen, so fliessbandrollend zu töten. Das Geächze und Geschreie ihrer lieben Mitlebenden zu hören würde den Zusammenhang zwischen deren Angst und Not und dem heruntergeschlungenen Rinderschmorbraten wiederherstellen.

Hyäne, Aasgeier – schlimme Schimpfwörter gegen den Menschen. Wir sind es: Verzehrer von verwesenden Tieren – wir tun es mit Gewürz.

 

Je wehrloser ein Wesen ist, gegen das ein Mensch Unrecht verübt, desto mehr stumpft er sein Gerechtigkeitsgefühl dabei ab.

„Wage es, weise zu sein! Höre auf, Tiere zu töten! Wer die Stunde des rechten Lebens hinausschiebt, gleicht dem Bauern, der darauf wartet, dass der Fluss versiegt, ehe er ihn überquert.“  Horaz (65 v. Chr.)