Offener Brief an denkende Menschen 2017

In der Schweiz werden jährlich 32 Mio. Tonnen Tierfutter produziert, aber nur 3,6 Mio. Tonnen pflanzliche Nahrungsmittel.

Über 70 % des Schweizer Landwirtschaftslandes wird für Futtermittel für Tiere verwendet. 

 

Doch damit lassen sich die Tiere, die wir für unsere Fleischproduktion halten, noch lange nicht ernähren. Es braucht mindestens noch einmal gleich viel Land, um pflanzliche Nahrungsmittel zu produzieren, die wir dann an Tiere verfüttern, um danach ihr Fleisch essen zu können.  Das heisst, wir besetzen für die Nahrung unserer Tiere Landwirtschaftsland in anderen Ländern – auch in Ländern, wo Hunger herrscht. Unser Fleischessen ist also nicht nur Tiermord, sondern lässt auch Menschen verhungern. 

Jeder Bissen Fleisch, den du isst, ist ein direkter Schlag auf das Gesicht eines vor Hunger weinenden Kindes...

 

Doch die eigentliche Frage aber lautet: „Darf man Tiere essen?“

Niemand in Mitteleuropa braucht Fleisch, um zu überleben. 

Wir essen allerdings nicht jedes Tier. Einen Schimpansen würden wir nicht schlachten und essen. Da hätten wir Hemmungen. Der ist ja auch ganz intelligent und nah mit uns verwandt. Aber: Schweine sind ebenfalls sehr intelligent. 

Manche Tiere sind des Menschen bester Freund, andere landen auf dem Teller. Wenn man selbst den Fleischessern mal das falsche Tier serviert - das zeigten Pferdefleisch-Skandale - ist der Aufschrei gross.

Ich kann mich an eine Situation erinnern, die ich kürzlich erlebt habe: Ich gehe auf dem Gehsteig und werde auf eine Unke aufmerksam, die ganz verschreckt auf dem Weg kauert. Sofort bleiben auch andere PassantInnen stehen. Ohne viel zu überlegen, basteln wir aus der Mütze einer Passantin eine Trage und bringen dieses Tierchen über die stark befahrene Straße und setzen sie im gegenüberliegenden grossen Park am Flussufer ab. Es ist offensichtlich, dass Tiere den Menschen nicht gleichgültig sind. Wenn es zu einem direkten Kontakt kommt, zeigen Menschen sehr viel Mitgefühl für die Tiere. 

Trotzdem wollen sie deren Körperteile essen, wofür die Tiere unter grosser Angst und Leiden getötet werden. 

Auch Fleischesser wissen, dass ihr Steak ein Tier war. Und sie ahnen, dass es nach einem kurzen und vielleicht leidvollen Leben auf der Schlachtbank endete. Trotzdem bleibt ihnen kein Bissen im Hals stecken.

Wissenschaftler nennen dies das «Fleisch-Paradox». Was gemeint ist, zeigen Experimente australischer Forscher (Steve Loughnan “the role of meat consumption in the denial of moral status”). Bei Befragungen beschrieben Fleischesser Schafe und Rinder durchwegs als empfindsame und intelligente Wesen – solange sie auf einer Weide gezeigt wurden. Wenn sie aber im Zusammenhang mit der Fleischproduktion zu sehen waren, war das plötzlich anders. Die gleichen Befragten wiesen den Tieren markant weniger empfindsame Eigenschaften zu. Das macht das Fleischessen erträglicher – zumindest für sie. Es schränkt aber ihr Mitgefühl ein.

Dieser Konflikt zwischen Wertvorstellungen und Verhalten führt zu kognitiver Dissonanz. Fleischesser erleichtern sich ihren Konsum von Tierleichen, indem sie den Tieren, die sie essen, nur im geringen Mass Intelligenz, emotionales Erleben und einen moralischem Wert zusprechen.Sie minimieren die Tiere als bewusste und schmerzempfindliche Wesen, da sie diese als Nahrung betrachten möchten. 

In Bezug auf Fleischkonsum gibt es also zwei Möglichkeiten: Wir erkennen die Leidensfähigkeit von Tieren an und hören dann auf, sie zu verspeisen - oder wir essen Tiere und werten als Folge davon ihre Leidensfähigkeit und somit gleichzeitig auch unsere eigene Empfindsamkeit ab. Deshalb erkannten Pazifisten wie Gandhi und R. Rolland, dass die Gewohnheit, zerfetzte Leiber auf dem Teller zu haben, die Hemmschwelle zum Töten mindere und die Würde vor dem Leben schwäche. 

 

Die Forscher befragten Menschen zu 32 Tierarten, wie sie deren geistige Fähigkeiten einschätzten und wie sehr sie sie als essbar einstuften. Es ergab sich ein kulturübergreifendes Bild: In Amerika, Kanada, Hong Kong und Indien werteten die KonsumentInnen die geistigen Eigenschaften der Tiere umso mehr ab, je höher sie ihre Essbarkeit einschätzten. Es handelt sich laut psychologischer Forschung um eine unbewusste Vermeidungs-Strategie, welche die Fleischesser vor einem moralischen Konflikt bewahren soll: 

Loughnan und seine Kollegen gaben einer Versuchsgruppe von Universitätsstudenten Nüsse zu essen, einer anderen Gruppe Rindfleisch. Danach befragten sie die TeilnehmerInnen, wie sehr sie die Leidensfähigkeit einer Kuh einschätzten. Diejenigen, die Rindfleisch verzehrt hatten, schätzten die Leidensfähigkeit einer Kuh viel niedriger ein als die Versuchsgruppe, die Nüsse gegessen hatte. Sie massen den Tieren weniger moralischen Wert zu und sprachen Kühen die Fähigkeit ab, einen mentalen Zustand zu erreichen, der auch die Fähigkeit zu leiden beinhaltet.

Das unsichtbare Glaubenssystem der Rechtfertigung des Tötens mindert somit auch die eigene Menschlichkeit. 

Diese kognitive Dissonanz bei Fleischessern blockiert unser Bewusstsein und unser Empathie-Vermögen.  

 

Mit der einen Hand essen wir einen Burger, während wir mit der anderen unseren Hund streicheln – während wir die Haut von Kühen tragen. Dabei sind Schweine und Kühe mindestens genauso intelligent wie Hunde und haben die gleiche Fähigkeit, Emotionen und Leid zu erleben. Der dahinterliegende Mechanismus findet sich übrigens auch in menschlichen Ausbeutungsverhältnissen. Manche Leute bombardieren wir, andere retten wir. Manche werden versklavt, andere verherrlicht. Der Unterschied hat aber nichts mit dem Individuum an sich zu tun. Der Unterschied hat etwas mit unserer Wahrnehmung der Gruppe zu tun, zu der sie gehören.

 

Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun“ (Edmund Burke 1729-97)


Zeitungen berichteten vor einiger Zeit, dass vier Kühe vom Schlachthof fliehen konnten und auf den Spielplatz eines Kindergartens Zuflucht nahmen. („20 Minuten“ vom 9. Dezember 15). Die Tiere wurden dann da erschossen, doch schaute man genau, dass die Kinder das Umbringen der Tiere und der Abtransport ihrer Leichen nicht mitbekommen mussten. 

Genau solche Tierkadaver werden diesen Kindern aber jeden Tag aufgetischt! Nur heissen sie dann Filet, Kottelet, Geschnetzeltes, Gehacktes, Plätzli usw....
Ist denn die Begegnung der Leichen in dieser Form plötzlich zumutbarer geworden?

 

Bitte verzichte auf Fleisch, Fisch und Milchprodukte – den Tieren und auch dir selbst zuliebe.