Offener Brief an denkende
Menschen
Ich schreibe Ihnen heute im Namen von Freunden, deren Los mich im Hinblick auf Weihnachten, dem Fest der Nächstenliebe, immer ganz besonders beschäftigt.
Es handelt sich um Tiere. Tiere, die gerade in diesen Tagen unsretwillen zu Tausenden und Abertausenden auf schrecklichste Art und Weise geschlachtet werden, so dass kaum Höllenvisionen damit konkurrieren könnten. Schreiende und brüllende Tiere werden, wenn es gut geht, durch Hammerschläge oder Elektroschocks halbwegs betäubt. Mit einem Haken werden sie dann an den Hinterbeinen in die Luft gezogen, und auf vollautomatischen Fliessbandanlagen durch Fabriken des Todes befördert. Die Kehle wird ihnen oft bei lebendigem Leibe durchgeschnitten, und ihr Körper schon verarbeitet, während sie noch zu Tode bluten – alles unsretwillen.
„Seine Unterarme triefen vor Blut. Nach jedem zehnten Stich hilft nur der Wasserschlauch. Eine Sau ist aus der Tötebucht entwischt, und quiekt zitternd im Blutbad ihrer „abgestochenen“ Artgenossen. Der Schlächter bugsiert sie aus der Wanne zur Stromzange zurück....“ (Stern, Nr. 37/85)
Sie werden hier einwenden: „Hört doch auf mit diesen Blutgeschichten, sonst wird mir noch übel.“ Menschen wenden sich lieber vom Widerwärtigen ab, als etwas dagegen zu tun.
Ist es nicht sonderbar, dass wir diesem Aspekt von dem, was wir selber verursachen gerne aus dem Wege gehen. Eigentlich sollte dies schon ein Misstrauen in ein Tun geben, das solche Schattenseiten produziert, die wir mit viel Aufwand einfach zu ignorieren suchen.
„Schmeiss ihn raus, er bricht mir das Herz!“, sagte der Bankier Fürstenberg einst zu seinem Diener, als ihm ein Bettler das Elend seiner fünf Kinder ausmalte.
Die dunkle Seite des Hedonismus muss ausgeblendet werden, dass man den scheinbaren Geschmack an der anderen noch irgendwie aufrechterhalten kann. So kann Mitleid auch aussehen...
Mitleid bedeutet buchstäblich „das Leid des anderen nachzufühlen“. Bemitleidenswert sind hauptsächlich unglückliche Kinder, Kranke und Gebrechliche, alle Wehrlosen und Missbrauchten. Dazu gehören die meisten Tiere. Wir müssen uns gar nicht fragen, ob sie in den Himmel kommen können, ob sie Vernunft haben, ob sie sprechen, zählen oder abstimmen können, wir müssen uns nur die eine Frage stellen: „Können sie leiden?“ Und zu ihrem Unglück sind sie nur allzu leidensfähig.
Wir töten Tiere nur um sie zu essen. Es ist unser Weihnachtsvergnügen. Was ist das für eine Freude für die andere ihr Leben lassen müssen? Haben wir alles Mitgefühl ausrangiert, alles Nachdenken evakuiert vor dem Massaker, das unsere begehrende Zunge erzeugt?
Festtage sind undenkbar ohne Festessen, das ist verständlich. Leider verirren sich aber dabei Tiere auf unsere Teller und Speisepläne, oder mit den Worten Plutarchs ausgedrückt „zieren wir immer wieder unseren Tisch mit toten, verwesenden Körpern, die kurz zuvor noch geschrien und gebrüllt, sich bewegt und gelebt haben....“
Warum?
Jeder weiss, dass das Fleischessen mit dem Töten der Tiere verknüpft ist. Doch wer könnte schon dem vor Angst bebenden Rind den Todesstoss versetzen?
„Wer mit dem Messer die Kehle eines Rindes durchtrennt, und gegenüber den Angstschreien taub bleibt, wer kaltblütig das schreiende Böcklein abzuschlachten vermag, und den Vogel verspeist, dem er selbst das Futter gereicht hat – wie weit ist ein solcher noch vom Verbrechen entfernt? Oder was sollte sonst ein Verbrechen sein?“ (Phytagoras)
Wer liebt es zu töten? Warum esse ich bedenkenlos weiter? Nur weil es mir mundet? Weil mir ihr Fleisch schmeckt? Darf ich so bedenkenlos einfach über das Leben anderer verfügen?
Steht das Blutmeer in einem Verhältnis mit meinem befriedigten Gaumen? Warum steht auf dem Fleischpaket der Name der Kuh nicht mehr drauf?
Woher aber nehmen wir das Recht, andere Lebewesen grausam auszubeuten, willentlich zu quälen und ihnen ein schreckerfülltes Ende zu bereiten, nur mit der Begründung, dass es uns schmeckt, dass wir es gerne tun? Könnte man mit dieser billigen Begründung nicht auch andere Gewaltverbrechen rechtfertigen? Was könnte ich nicht noch alles mit dem Argument rechtfertigen, nur dass es mir zur Zeit gerade angenehm erscheint? Würde aber irgendein Gericht der Welt eine solche Erklärung für einen Mord, eine Vergewaltigung oder eine Folter gutheissen? (Es hat dem Quäler Freude bereitet...) Hier geht es nicht um die absolute Gleichstellung von Mensch und Tier, aber um eine legitime Fragestellung.
Wir töten Tiere nur für ein paar Sekunden „Geschmack“ auf unserer Zunge.
„Aus wie viel Marterstunden der Tiere lötet der Mensch auch nur eine einzige Festminute für seine Zunge zusammen!“
Jeder möchte doch das Leid in der Welt so gering wie möglich halten. Das ist der moralische Imperativ. So muss ich mich ehrlich fragen, ob ich mir durch den Verzicht auf Fleisch wirklich grössere Leiden zufüge, als das von mir verspeiste Tier in einem angstvollen Schlachthaustod erdulden musste.
Und woher nehme ich mir überhaupt das Recht, das Leben eines Tieres auszulöschen, das aufs neue anzuzünden mir die Macht fehlt? Normalerweise töte ich ja nicht einmal selbst – ich lasse töten. Meine Nachfrage aber erzwingt ein Angebot...
Soll ich Weihnachten weiterhin gedankenlos im Blute sterbender Kreaturen feiern, und mich der stummen Bitten seitens der Tiere verschliessen?
Mehr Informationen zum Thema „Vegetarismus, gewaltlos, aber geschmacksvoll essen, sende ich ihnen gerne zu.