Offener Brief an denkende
Menschen
Gewalt kommt von „walten, stark sein, beherrschen“
Gewalt ist, wenn man Schwache ausnützt. Wir können Tiere töten. Aber die Frage ist, ob wir das dürfen. Stärke gibt nie Recht.
Im Schlachthaus, wo die Schmerzensschreie der unschuldigen Opfer menschlicher Genusssucht in unser Herz eindringen, muss man sich ehrlich und aufrichtig die Frage stellen, ob man durch Fleischkonsum weiterhin Auftragsgeber des Tötens bleiben möchte?
Kurz hinter der Hygiene-Schleuse schlägt einem der intensive Gestank getöteter Tiere entgegen…. Ein älterer Herr auf der Schlachthof-Führung musste sich in die Darmwanne übergeben. Wir erhalten die Anweisung, flach zu atmen, damit der Geruch des Todes nicht den Würgreiz auslöst. Seit drei Uhr morgens treiben Bauern Tiere über die Rampe in den grellgrünen Stall. Es ist unerträglich laut vom Brüllen, Schreien und Stampfen der Tiere, die ihr Schicksal genau kennen…. Sie können sich nicht wehren, sie können nicht mehr fliehen. Das Licht soll gedämpft sein, die Farben beruhigend. Inmitten der fahlen Beleuchtung stehe ich nun – hilflos neben meinen Freunden - und mit ihnen geschieht in den nächsten Minuten das Unfassbare. Es sind geschundene Kreaturen menschlicher Essenslust. Ich fühle Empörung über die Gier und Anmassung des Menschen….
Die letzten Minuten ihres Lebens verbringen Rinder einzeln fixiert in Boxen. Unendliche Verzweiflung ist in ihre Augen geschrieben. „Bitte hilf mir!! Steh nicht einfach tatenlos da Was habe ich euch angetan? Warum sollte ich weniger Recht auf Leben haben wie du?“
Hilflos stehe ich mit grossem Herzweh nebenbei.
Dem panikerfüllten Warten des braunen stämmigen Jungstiers in der Todeszelle setzt ein junger Mann ein Ende. Er tippt die Nummer in den Computer, lädt die Bolzenschussmaschine und drückt sie dem Stier auf die Stirn. Immer noch hoffe ich auf Wunder. Es darf doch nicht geschehen…
Aber es geschieht tagtäglich. Tausende unschuldige Opfer – nur aus einer Begründung: weil an fein gedeckten Tischen Leute sitzen, die nun einfach einmal Lust haben, sie zu verspeisen.
„Warum?“
Das wunderschöne Tier macht verzweifelt seinen letzten Versuch der sinnlosen Grausamkeit zu entkommen. Es wirft seinen Kopf hin und her, will ausweichen, kann aber nicht, da es in der Todesbucht festklemmt. Resigniert schauen die angsterfüllten wunderschönen riesigen Augen auf mich und wartet ohnmächtig auf den Knall. Ein Bolzen schiesst sich 8mm ins Hirn des Tieres.
Der Knall ist dumpf… der riesige Leib fällt in sich zusammen.
Ich stelle dem Schlächter die Frage, ob er das gerecht fände und was er dabei denke. Die Antworten sind knapp, „keine Ahnung“, „ja, an nichts“.
Vor dem nächsten Schuss schaut er mich an als wollte er mir sagen: „Stör mich nicht in meinem Job – ich töte im Auftrag jedes einzelnen Fleischessers“
Das im besten Fall bewusstlose Rind stürzt in die Tötungsbucht. Ein Mann, dem das Blut in verzweigten Rinnsalen über die Plastikschürze fliesst, nimmt das Tier in Empfang und legt ihm eine Kette an den Fuss. Der massige Körper schnellt in die Höhe, und kopfüber gondelt es strampelnd in den Tod. Einige Tiere sind dabei noch bei vollem Bewusstsein.
Mit langer Klinge schneidet der Anstecher die Hauptschlagader des zuckenden Tieres. Ich starre traurig ins Rot, das sich wie ein breiter Strom unter dem Tier in einem Becken sammelt. Unwirklich grosse ausblutende Tierleiber, die riesigen grauen Zungen hängen aus den offenen Mündern, segeln am Förderband auf mich zu und reissen mich aus meiner Erstarrung.
Weiter hinten stehen Männer blutüberströmt, die mit stoischer Miene und grimmigem Gerät die Tiere öffnen. Einer zwackt mit einer überdimensionierten Gartenschere Ohren und Hörner ab. Der Kopf wird abgeschlagen…. Die blutigen, abgetrennten Köpfe der Kühe hängen zu Dutzenden auf Stahlhaken – Trophäen unserer Barbarei – und nicht viel erinnert daran, dass dies vor kurzer Zeit lebendige, sensible Gesichter waren, die mich mit wunderschönen Augen flehend anschauten. Eine Frau zieht ihnen mit Hilfe einer Maschiene die Haut ab.
Die nackten Rinderkörper rücken am Laufband weiter. Erhöht auf einer Gitterplattform stehen Männer und sägen an den immer kleiner werdenden Tierleichen herum. Es hat sich ein Übergang vollzogen… vom Tier zum Fleisch.
Das Unfassbare ist geschehen. Die Erde beschwert von einem nie wieder rückgängig machbaren sinnlosen Tod.
Fleisch ist ein Stück Lebenskraft; solange es lebt!
An allem Verbrechen sind nicht nur die schuld, die es verüben, sondern auch die, die es nicht verhindern.
Wenn man sich nicht wehrt, erteilt man damit dem Status quo seinen Segen, und das stellt bereits eine Entscheidung dar.
Die Billigung eines Verbrechens ist genauso ein Verbrechen wie das Verbrechen selbst.
Es ist ein fataler Fehler, nichts zu tun, weil man glaubt, nur wenig tun zu können.
Sich nicht zu engagieren ist auch ein Votum – nämlich für die bestehenden Zustände.
Abraham Lincoln sagte einmal: „Damit ein Unrecht geschieht, brauchen nur genügend gute Leute nichts tun.“
Die Fleischindustrie ist ja nicht der einzige Bereich, in dem Dinge, die wir verurteilen, geschehen. Beim Wettrüsten war es beispielsweise genauso. Was haben wir da gemacht?
Wir haben dagegen demonstriert! Fleisch zu verweigern, ist auch eine Art Demonstration. Wir zeigen damit, dass wir es falsch finden, unschuldige, leidensfähige Lebewesen für so triviale Zwecke wie unsere Geschmacksvorlieben zu töten.
Martin Luther King ruft seinen Gegnern zu:
„Werft uns ins Gefängnis, wir werden euch trotzdem lieben! Wir werden so lange an euer Herz und an eure Seele appellieren, bis wir auch euch gewonnen haben.“
In diesem Sinne ist auch dieser Aufruf zu verstehen. Eine Fürbitte für die Tiere, ein Aufruf aufzuhören, sie zu verspeisen.
Jeder Bissen Fleisch ist direkter Auftrag für das Töten derjenigen, die einem lebendig auf der Weide so viel Freude schenken, die genauso ein Anrecht auf Leben haben wie wir.
Enge Beziehungen zwischen Menschen und Tieren sind ja alles andere als selten. Man liebt sein Haustier innig. Ist es nicht inkonsequent, EIN Tier zu hätscheln, während man andere, die genauso sensibel sind und die einem ebenfalls „überhaupt nichts getan haben", aufisst und zulässt, ja sogar veranlasst, dass sie zu Tode gequält werden?
Solidarität bezeichnet das Zusammengehörigkeitsgefühl mit allem Lebendigen