Offener Brief an denkende Menschen
Albert Schweizer prägte den Begriff „Ehrfurcht vor dem Leben“. Es bedeutet, dass jedes Leben kostbar und schützenswert ist.
Was heisst das? Unabhängig von allen faktischen und moralischen Unterschieden, egal ob jemand hochbegabt oder schwerbehindert, steinreich oder bettelarm ist, ob er Mitmenschen rettet oder tötet,
jeder Mensch ist gleich wertvoll und Träger von Menschenrechten. Diese Einsicht ist eine Errungenschaft langer menschlicher Entwicklung.
Was ist denn nun die Funktion, die Auswirkung dieser fundamentalen Gleichwertigkeit aller Menschen? Die Antwort ist einfach: Diese Gleichwertigkeit impliziert eine elementare Schutzfunktion. Sie
sichert dem Individuum einen Mindeststandard an Ansprüchen, insbesondere das Recht, nicht gefoltert oder getötet zu werden.
Die Gleichwertigkeit bleibt auch bei Senilen, Dementen und geistig Behinderten intakt, also bei Personen, deren Intelligenz sich nicht mehr auf einem uns vertrauten menschlichen Niveau befindet.
Gibt es nun vernünftige Gründe, Tieren diesen Schutz durch Gleichwertigkeit vorzuenthalten?
Denn viele Tiere, wie etwa Hunde, Katzen, Rinder oder Schweine sind auf einem höheren geistigen Niveau als viele Senile, Demente oder geistig Behinderte. Die „begabtesten" Tiere sind schlauer als die „unbegabtesten" Menschen. Daran ist nicht zu rütteln und dabei braucht man nicht einmal an Primaten zu denken, die sich mit der Zeichensprache mit Menschen unterhalten. Es genügt, einerseits an Blindenhunde zu denken oder an Kapuzineräffchen, die Behinderte betreuen, andererseits an im Bett vor sich hindämmernde Demente.
Man stelle sich vor, wir würden mit Hunden, Dementen oder geistig Behinderten machen, was wir mit den 6 Millionen Schweinen machen, die wir jährlich alleine in der Schweiz schlachten! Oder mit den 160 Millionen Hühner (in der Schweiz – männliche Küken inbegriffen), bei denen wir unserer Geschmackslust - die paar Augenblicke, wo ihre Leichenteile über unsere Zunge gleiten - ihrem Drang zu leben den Vorrang geben….
Wenn Intelligenz und Vernunftsbegabtheit wirklich das Kriterium der Moral einer Gesellschaft ist, dann stünden wohl eine Menge Menschen auf dem Menü.
Laurence Rees beschreibt in seinem Buch "Auschwitz. Geschichte eines Verbrechens" eine Liebesbeziehung zwischen einem SS-Mann und einer Jüdin. Für diese eine Jüdin, die er liebte, tat er alles, und riskierte sogar sein Leben, um ihre Schwester zu retten. Auf der anderen Seite brachte er andere Juden mitleidslos "nach Vorschrift" um.
Diese Konstellation hat eine Parallele zwischen der Beziehung Mensch-Nutztier und Mensch-Haustier.
Warum fühlen wir uns unwohl bei dem Gedanken, einen Hund zu verspeisen aber lustvoll hungrig in der Erwartung, einen Schweinebraten zu essen?
Warum schaffen es so viele Menschen, Fleisch zu essen und sich zur gleichen Zeit als Tierliebende zu bezeichnen? Niemand tritt in der Natur absichtlich auf einen unbeholfenen Feuersalamander am Boden. Doch am Abend verspeist man eine ebenso harmlose Kuh – oder zumindest einige Teile von ihr – auf dem Teller. Mein Konsum war der Todesauftrag für sie.
Man könnte diesen offensichtlichen Widerspruch zwischen der Lust des Menschen, Fleisch zu essen und ihrer aufrichtigen Sorge für das Wohlergehen von Tieren als das „Fleisch-Paradox“ bezeichnen.
Damit man diesen Widerspruch aufrechterhalten kann, braucht es das Vergessen der Verbindung zwischen dem Fleisch und den leben-wollenden Tieren. Diese Tiere durchlaufen einen gänzlich unnatürlichen Prozess bis sie von der Weide auf meinem Teller landen. Diese Verdrängung erlaubt einen, Tiere gedankenlos zu verspeisen ohne an die Schweine und Kühe zu denken.
Speziell ausgeblendet werden muss die Tatsache, dass diese Tiere fühlende Wesen sind, fähig zum Liebesaustausch. Wir wollen beim Verspeisen der Kuh nicht ihren Namen wissen, nicht daran denken, was für ein hohes Schmerzempfinden sie hatte und wie ihr Kalb ihr traurig nachschaute, als sie in den Tiertransporter hineingezwängt wurde. Und dass die Kuh dem Bauer, der sie nährte, dankbar vertraute als er sie verrat und dem Tod auslieferte.
Experimente an der psychologischen Fakultät der Universität Oxford zeigen auf, wie die Verdrängung der Gefühlsfähigkeit der Tiere unser Fleischparadox löst.
Im Verlauf des Versuches wurden einer Gruppe Teilnehmer ein Stück Rindfleisch, und einer anderen Gruppe Cashewnüsse zum essen gegeben. (Alle Teilnehmenden waren Fleischesser.)
Dabei wurden sie gebeten, alle Tierarten aufzuzählen, die es nach ihrer Erwägung Wert seien, dass man ihnen gegenüber eine moralische Verantwortung spürt. Danach wurde ihnen ein Bild einer Kuh gezeigt und sie sollten ihre mentalen und emotionalen Fähigkeiten werten.
Die Teilnehmer, die gerade Rind gegessen hatten, betrachteten 60% weniger Tierarten eines moralischen Schutzes seitens der Menschen würdig als die Testgruppe, die Cashew-Nüsse ass. Die erste Gruppe bewertete auch die Wahrnehmungs-Kapazität einer Kuh in etwa gleichem Prozentsatz geringer wie die Cashew-Nuss-Gruppe.
Die Verdrängung der Wahrnehmungs- und Leidens-Fähigkeit eines Tieres desensibilisiert unser eigenes Empathievermögen. Der Akt des Fleischessens bedeutet, dass man sein Opfer entpersönlichen muss und dabei entmenschlicht man sich selbst.
Fleischessen beeinträchtigt menschliches Verhalten.
SCHLUSS-GEDANKE:
Wenn ich das Tier, dessen Leichenteile ich im Restaurant bestelle oder im Laden einkaufe, selbst töten müsste, käme bei mir höchstwahrscheinlich Mitleid auf. Da dieses Tier aber im Rahmen eines institutionalisierten und industrialisierten Herstellungs- und Verarbeitungsprozesses irgendwo von irgendjemandem umgebracht wird, entsteht bei mir kein Mitleid. Oder: Beim Piloten, der aus grosser Höhe eine tödliche Bombe auf ein Gebäude, in dem sich hundert Personen befinden, abwirft, wird kein (direktes) Mitleid aufkommen. Wenn er die gleichen Menschen aber eigenhändig und einzeln erschiessen müsste, sähe sie Sache vermutlich ganz anders aus.
Schweizer Tierschutzgesetz (Artikel 1):
"Niemand darf ungerechtfertigt einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen, es in Angst versetzen oder in anderer Weise seine Würde missachten. Das Misshandeln, starke Vernachlässigen oder unnötige Überanstrengen von Tieren ist verboten."
Nur:
Die Befriedigung des Gaumens wird offiziell als gerechtfertiger und notwendiger Grund angesehen, um Tiere in Ställen einzusperren, zu mästen und dann umzubringen…
Du stehst im Supermarkt vor einer schönen Wurst... und hast die freie Wahl, sie zu kaufen oder nicht. Aber nur solange man ausblendet, dass diese vermeintlich freie Entscheidung mit dem Verlust des Lebens anderer Lebewesen erkauft wird. Natürlich kann ich diesem Salami nicht mehr verhelfen, wieder zu einem Schwein zu werden. Aber ich kann durch mein Verhalten verhindern, dass in Zukunft noch mehr Schweine als Wurst enden.
"Ich esse ja nur wenig Fleisch…".
Ja, kann denn das Tier weiterleben, wenn ich nur ein kleines Stück davon esse?
Nicht ZUVIEL Fleisch ist falsch, sondern jeder Bissen Fleisch ist generell falsch.
Wir fordern ja auch nicht "Weniger Foltern!" oder "Weniger Vergewaltigen!" Warum? Weil Foltern und Vergewaltigen prinzipiell falsch sind. Und Tiere zu essen, ist ebenso grundsätzlich falsch - egal, wie wir sie aufziehen und an welchen Wochentagen wir sie essen.
Deshalb ist das Gerede von "Bio" und "weniger Fleisch essen" und "bewusst Fleisch essen" vom Wesen her absurd - weil es ganz einfach um etwas viel Wesentlicheres geht: Leidensfähige Lebewesen für einen kurzen Gaumenkitzel umzubringen ist ein durch nichts zu rechtfertigendes Unrecht.
Dein Schritt, Vegetarier zu werden, ist ein wesentlicher. Bitte gehe ihn.