Offener Brief an denkende Menschen 2019

 

Liebe Freunde

gerade war die Sonnenwende - mögen wir diese Wende-Kraft gleich zum Anlass nehmen, einen Aufstand des Gewissens zu zelebrieren.

 

Spächtli ist eine Kuh, die im letzten Frühling vom Stall abgehauen ist. Sie wanderte frei durch die Schweiz. Würde sie wieder eingefangen, erwartete sie das Messer vom Metzger. 

https://www.20min.ch/schweiz/bern/story/-Wir-sie-gefasst--droht-ihr-der-Tod--20274110

 

Die Leser-Kommentare nehmen natürlicherweise Stellung für Spächtli – «wenn jemand sie sieht, dann auf keinen Fall melden!»

Oder: „Hopp Spächti, lauf um dein Leben und lass dich von diesem Bauern nicht mehr einfangen.»

 

Es zeigt ja einfach auf, wie natürlich Menschen Gefühle für Tiere haben. Genau an diese natürliche Instanz des Gewissens, das zum Mitgefühl fähig ist, möchte ich appellieren. Doch genau diese Fähigkeit zur Empathie wird unterbunden und abgewürgt im Akt des Fleisch-Essens. Für Pazifisten wie Romain Rolland ist die Gewohnheit, täglich zerfetzte Leiber von Tieren auf seinem Teller zu haben die grösste Verrohung und Abstumpfung des inneren Gerechtigkeitsempfindens – was die moralische Schwelle zu weiteren Gewalttaten reduzieren wird. 

 

Der hier angehängte „Offene Brief an denkende Menschen“ schreibe ich schon seit bald 30 Jahren immer wieder neu. 

 

www.govindaradhe.jimdo.com/offene-briefe-an-denkende-menschen/

 


Noch immer wird dieser Brief von einigen Aktivisten vor Metzgereien verteilt.

Vielleicht braucht man ja für sein Umfeld noch eine kleine Weihnachts-Anregung, die über soziale Formeln hinausgeht. Auf dem inneren Weg ist schwer verdauliche Wahrheit unendlich viel erwünschter als liebreizende inhaltliche Leere.


in herzlicher Verbundenheit
krishna chandra

 

 

 

 

Offener Brief an denkende

 

Menschen 2019

 

Durch die moderne Forschung stellt sich heraus, dass wir nicht auf Fleisch angewiesen sind (weil es in unseren Breiten viele andere Nahrungsmittel gibt), dass Fleisch unserer Gesundheit schaden kann, dass die Fleischproduktion die Umwelt schädigt (etwa den Treibhauseffekt verstärkt) und die Welternährungssituation verschärft (weil der Umweg über tierliche Körper eine immense Ressourcenvergeudung bedeutet).. 

Die obigen Einsichten führen zur Schlussfolgerung, dass wir einfach weniger und nachhaltig produziertes Fleisch konsumieren könnten. 

 

Doch die wichtigste Frage ist, ob wir überhaupt ein Recht dazu haben, über das Leben eines Mitgeschöpfes so zu verfügen? Ob es gerecht sei, dass wir die Geschmacks-Momente, welche das getötete Tier auf unserer Zunge hinterlässt, für einen vertretbaren Tötungsgrund halten? 

 

Denn aus der ethischen Perspektive befindet sich die Forderung „Weniger Fleisch!“ auf der gleichen Ebene wie „Weniger foltern!“ oder „Weniger vergewaltigen!“ 

Martin Luther King träumte auch nicht von der Aufhebung der Rassentrennung jeweils am Montag-Nachmittag! Deshalb erheben Menschenrechtler auch NIE Forderungen wie „Weniger foltern!” oder „Weniger vergewaltigen!” – weil Foltern und Vergewaltigen vom Prinzip her falsch sind.

Fleischessen auch!

 

In der gesamten Geschichte der Menschen wurden ca 620 000 000 Menschen in gewalttätigen Konflikten und Kriegen getötet. Wir töten alle 2 Tage die gleiche Anzahl von Tieren – und das schliesst noch nicht einmal Fische und andere Meerestiere mit ein, deren Tötungen zahlenmässig so gross sind, dass nur noch in Tonnen bemessen werden können. 

 

Aber bevor wir all diese töten, haben wir sie gezüchtet, ein Leben lang eingesperrt und ausgebeutet – nur weil wir sie essen wollten.

Ihr gesamtes Leben, von ihrer Geburt bis zu Schlachtung, stellt ein Imperium von unendlichem Leiden und Blut dar. Dieses Massaker wird von Verbrauchern verursacht, denen erzählt wird, dass die Tiere ethisch behandelt wurden...dass ihr Tod human war (was heisst das?) Es gibt keine humane Tötungs-Art für jemanden, der doch eigentlich leben möchte. 

 

Durch den Konsum von Fleisch senden wir diese Tiere in den Schlachthof, in dem sie auf der anderen Seite als verpackte Ware herauskommen. 

Dann reden wir uns ein, dass auf diesem Weg etwas „Humanes“ passiert sei. So ist es ersichtlich, dass so ein Gewalt-System wie das Essen von Fleisch, nur mit psychologischen Rechtfertigungs-Mustern agieren kann, dann der Mensch wäre sonst nicht zu solcher Ungerechtigkeit fähig.

Was geschieht da in uns?

Obwohl wir uns eigentlich als tierliebende Menschen bezeichnen würden, unterhalten wir die grösste Tötungs-Industrie der Weltgeschichte.  

 

Stelle dir vor, ein Fleischesser, ist bei Freunden eingeladen und die Stimmung ist heiter und das Essen schmeckt so gut, dass er den Gastgeber nach dem Rezept fragt. Geschmeichelt sagt er ihm, dass das Geheimnis im Fleisch liege: Es sei das Fleisch eines Golden Retrievers. 

Nimm du dir nun einen Moment Zeit, um über seine Reaktion und Gefühle nachzudenken. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass das, was er eben noch lecker empfand, in ihm nun Ekel erweckt. Denn das, was er eben noch als Fleisch betrachtete, sieht er nun als ein Stück totes Tier. Obwohl das Fleisch noch immer dasselbe ist und es ihm eigentlich auch geschmeckt hat, ist nun eine ganz andere Wahrnehmung da. 

 

Damit der Mensch Fleisch essen kann, bedient er sich unterschiedlichen psychologischen Verteidigungsstrategien und Schutzmechanismen, um den eigenen Fleischkonsum für sich selber zu rechtfertigen. 

Jedes gesellschaftlich akzeptierte Unrecht bedient sich bestimmter Blendungs-Mechanismen zur Selbst-Legitimation. 

Das ist einerseits Leugnung, die sich in Unsichtbarkeit äussert. In der Schweiz kommen auf 1000 Einwohner 220 Kühe, 438 Schweine und 1908 Hühner. Wie viele Tiere siehst du davon an einem Tag? Menschen sehe ich viele, aber es gibt hierzulande 2.5 Mal so viele Nutztiere! Wo sind also diese Tiere? Ihre Körperteile sehen wir praktisch überall, wo wir hingehen, sei es beim Einkaufen, im Restaurant, beim Essen oder an der Imbissbude um die Ecke. 

Die allermeisten Tiere, die wir verspeisen, sehen wir ja nie auf Weiden, denn sie stammen aus Zuchtfabriken. Durch Ausblendung kümmern wir uns nicht um ihr Schicksal. 

 

Dazu kommt eine Wahrnehmungsverzerrung. 

Sie bewirkt, dass wir Tiere eher als Objekte anstatt als Individuen zu sehen. Wenn wir Poulet essen, meinen wir, etwas zu essen und nicht jemanden.

Dass das Verspeisen von Kühen und Schweinen keinen ähnlichen Aufschrei der Empörung wie das Essen des Golden Retrievers hervorruft, zeigt, dass wir unterbewusst ein Zwei-Klassen-System für Tiere verinnerlicht haben. Der Hund wird zum personifizierten „jemand“, das Schwein zum sachlichen „etwas“. 

Unser Umgang mit Tieren ist widersprüchlich und irrational: mal hätscheln wir sie, weil sie “süss” sind, mal foltern wir sie, weil das “nützlich” ist. Einige Tiere sind Freunde und andere gelten als Nahrung.

Die Kategorisierung in Haustier und Nutztier folgt offensichtlich keinen biologischen Merkmalen der jeweiligen Tiere, sondern nur unseren angenommenen Überzeugungen gegenüber einer Tierart.

Dadurch, dass wir Tiere in einzelne willkürliche Kategorien betrachten, vermögen wir sehr unterschiedliche Gefühle und Verhaltensweisen gegenüber verschiedenen Spezies auszudrücken (Hunde streicheln, Schweine essen). Oder wir betrachten Nutztiere als Eigentum, als Objekte, anstatt als Lebewesen. In der Industrie gibt man ihnen Nummern anstatt Namen. 

 

Wenn es um das Thema Tiere essen geht, ist unsere Wahrnehmung größtenteils von unserer Kultur bestimmt. Angewöhnte Grausamkeit durch Sozialisation. Tatsächlich gibt es in fleischessenden Gesellschaften nur eine kleine Anzahl an Tieren, bei denen wir als Kind gelernt haben, sie als essbar zu klassifizieren. Bei der weitaus grössten Anzahl an Tieren haben wir gelernt, sie als nicht essbar und deswegen als ungeniessbar oder ekelhaft einzustufen. Ekel beim Gedanken ans Fleischessen ist also nicht die Ausnahme, es ist vielmehr die Regel. Die Ausnahme ist die Abwesenheit von Ekel. 

Warum empfindet man keinen Ekel, wenn es um die 6 Tierarten geht, die wir gelernt haben, sie als essbar zu betrachten?

 

Genau hier wirken diese psychologischen Wahrnehmungsverzerrungen, die das Furchtbare als alltäglich und normal erscheinen lassen. 

Möge nun die natürliche Empörung wieder erwachen, die einem vor den unbewusst wirkenden Abwehrmechanismen, der gewohnheitsmässigen Einschläferung erweckt, welche Fleischessen überhaupt ermöglichte. 

Tiere zu essen ist nicht einfach nur eine Sache persönlicher Ethik. Es ist das erschreckende Resultat einer Ignoranz, welche die Verbindung zwischen dem Fleisch auf dem Teller und dem Lebewesen, das es einmal war, vernebelt. 

Das Erwachen aus Verstandes- und Gefühles-Vernebelung wird uns nicht nur vor dem Fleisch-Essen heilen.