Die zehn Vergehen
Oft versteht man unter den Vergehen eine Art Warnung, die schon fast einschüchternd wirkt. Das ist natürlich nicht der Sinn davon.
Jede negative Anweisung hat in sich nicht viel wert. Denn jede Anweisung zur Vermeidung weist immer auf eine positive Seelenhaltung hin, die empfangen werden darf und dann die eigene Perspektive weitet.
Im Folgenden sind diese Vergehen gegen den Heiligen Namen (aus dem Padma Purana, Brahma-khanda 25.15-18) aufgelistet – zusammen mit der positiven Affirmation, auf welche die negative Formulierung „Vergehen“ eigentlich hinzeigt.
1. Die grossen Heiligen Persönlichkeiten zu schmähen, die ständig den Herrn rühmen, ist ein Vergehen gegen die Lotosfüsse des Heiligen Namens. Nam Prabhu wird eine solche Grobheit nicht tolerieren (und sich zurückziehen von einem solchen sadhaka), selbst wenn das Vergehen von einem scheinbar grossen Gottgeweihten ausgeführt wird. (Konkret bedeutet es, einen Vaishnava nach materiellen Kriterien zu beurteilen: seinem sozialen Hintergrund, seinen schlechten Gewohnheiten, die er in der Vergangenheit hatte oder unbeabsichtigte Fehler).
In der unberechtigten Kritik, der Sucht, das Schlechte zu sehen, liegt eine Haltung der eigenen Erhebung über Andere. Darin wird spiritueller Fortschritt verunmöglicht.
"Ich möchte immer ein Diener von den Vaishnavas sein. Ihre Zuneigung zu Krishna, die sie im Herzen tragen, möchte ich einfach nur wertschätzen. Wenn man selber seine künstliche Position erkannt hat, welche man in der Identifikationsrolle aufrechtzuerhalten suchte, dann entfallen alle Ansprüche, die dieses Rollenspiel forderte – und dies erlaubt einen, den aufrichtigen Seelen wirklich zu dienen"
Wenn man sich über die Eigenschaften von Gottesliebenden freut, öffnet dies einen Kanal, dass diese Faszination auch in das eigene Herz einfliessen darf. Das bedeutet nicht, in eine blinde Idealisierung einzutreten. Jeder Zweifel darf angebracht werden, denn die Wahrheit scheut die genauere Untersuchung nicht – nur die Lüge.
2. Der Heilige Name Sri Krishnas ist in dieser materiellen Welt allglücksverheissend. Sein Name, sowie Seine Formen, Eigenschaften und Lilas sind alle transzendental und absolut. Wenn daher jemand versucht, die Absolute Persönlichkeit Gottes von Seinem Namen oder Seinen transzendentalen Formen, Eigenschaften und Spielen zu trennen, indem er diese für materiell hält, begeht er ein Vergehen. Ebenso ist es ein Vergehen, den Namen Shivas von dem Namen Sri Krishnas zu unterscheiden.
"Ich möchte nicht nur theoretisch, sondern ganz direkt verstehen, dass Sri Krishna und Sein heiliger Name identisch sind und dass es in allen vierzehn Welten nichts Kostbareres gibt als dieser Name. In diesem Verständnis, über sambandha-jnan (meine Beziehung zu ihm) kontemplierend, möchte ich ganz hingegeben und mit grosser Freude den Heiligen Namen chanten. Er hat meine erste Priorität, denn er ist nicht weniger als Alles."
3. Es ist ein Vergehen gegen den heiligen Namen, die Unterweisungen des spirituellen Meisters nicht im Leben umsetzen zu wollen.
"Ich möchte Sri Guru zu meinem besten Freund machen, dem ich dieses Leben widme. Er ist kripa sakti murti – die direkte Manifestation von Krishnas Gnade in dieser Welt. Er ist mukunda-prestha, derjenige, der Mukunda sehr sehr lieb ist. An Sri Guru denkend, der mir den heiligen Namen geschenkt hat, will ich Krishna verehren und Seinen Namen chanten"
Ein aufrichtiger Schüler unterscheidet zwischen absoluten Unterweisungen, welche die ewige Beziehung zu Radha-Krishna betrifft und relativen Unterscheidungen. Es gibt praktische Bereiche im Leben, wo nicht der Guru, sondern eine Person, welche unser Wesen richtig kennt und versteht, einem besser beraten können.
4. Es ist ein Vergehen gegen Sri Harinam, die Heiligen Schriften zu schmähen, da sie der Atem des Heiligen Namens sind, und ihnen nicht täglich Achtung zu erwiesen (d.h. sie zu studieren), denn es sind sie, die die Herrlichkeit von Nam offenbaren.
"Mit grossem Vertrauen will ich Sri Krishna hören und dann gehören, zuhören, da ich Ihm zugehörig bin. Der transzendentale Klang der Offenbarungsschriften hallt Seinem Erscheinen nach." (krsna sva dhamopagate – Bhagavatam 1.3.43). Ich will wieder erkennen, dass die Offenbarungsschrift bhagavat-svarupa (eine Form Gottes in dieser materiellen Welt) ist.
Durch ihre Weisung gelange ich zu einem Verständnis des Heiligen Namens.
5. Die Herrlichkeit des Harinam für Einbildung oder Übertreibung zu halten. Nam Prabhu hat unendliche Füllen. Im Vergleich dazu sind alle anderen Bemühungen im Universum überflüssig, unnötig und vergeblich. Aufgrund von Anhaftung an ihr gegenwärtiges „Sein“ und „Tun“, glaubt die bedingte Seele – um sich in ihrer Weltlichkeit schützen zu wollen – dass die Herrlichkeit von Sri Harinam einfach nur Einbildung sei oder einfach nur ein Verlockungsmittel, einem zum Beten des Harinam zu verleiten.
"Ich möchte wieder fühlen, wie Du allein - in Deiner Erscheinungsform als Heiliger Name - mir für immer genügst. Harinam ist vollkommen unabhängig und selbstmanifestiert (sabda-avatara). Jeder einzelne Name ist wie ein Same, der bald in uns spriessen wird in Form von intensiven spirituellen Wünschen (lobha). Harinama ist ewige spirituelle Vastu (Substanz) und Er offenbart in uns unsere spirituellen Sinne. Er ist Absolute Wahrheit, eine Person, und wenn ich Ihn nicht für wirklich halte, kann ich nicht Seine Gnade erhalten.
O Harinam Prabhu, Du bist weit mehr, als ich momentan zu fassen vermag"
6. Eine weltliche Interpretation in den Heiligen Namen hineinzulegen (zu denken, man könnte materielle Vorteile wie vergängliche Güter, Gesundheit oder Ansehen aus Sri Harinam bekommen).
"Ich will, was Du willst. Nimm mich mir und mach mich ganz zu eigen Dir. Ich möchte Dich nicht verzwecken, Dich für mein Leben und dessen kleinlichen Bedürfnisse benützen. Es geht nicht darum, Dich auf meine Welt zu beziehen, sondern mich nur auf Deine Welt einzulassen.
Du bist prem-nam (willst uns ausschliesslich Prema schenken)“
7. Wer glaubt, er könne, da der Heilige Name die Kraft hat, allem schlechten karma (also Handlungen, die entgegen der Weltharmonie ausgeführt wurden) entgegenzuwirken, mit seinem unharmonischem Handeln fortfahren und dann einfach Harinam zu chanten, um dieses zu neutralisieren, begeht das grösste Vergehen gegen die Lotosfüsse des Heiligen Namens.
"Ich möchte nun erkennen, was ich denn wirklich in all den weltlichen Tätigkeiten, von denen ich mir eine Erfüllung versprochen hatte, gesucht habe. Es warst immer Du.
Der Heilige Name soll das Objekt meiner Verehrung werden, und nicht mehr ein Mittel bleiben. Dieser Name kann mir prema geben und der direkte Dienst zu Radha-Syama, aber ich benützte diese transzendentale Klangschwingung nur um mich von der Unzulänglichkeit innerweltlicher Ansätze zu entheben.
Du bist Inhalt per se und ich möchte dich nicht mehr verzwecken."
8. Es ist ein Vergehen, Harinam für eine fromme ritualistische Handlung zu halten und Ihn gleichzusetzen mit der Ausführung von religiösen Zeremonien, Opfern und tapasya (Entsagungen). Jemand, der zu Harinam für Resultate, die man auch durch sat-karma (frommes Handeln) erhalten kann, betet, begeht dieses Vergehen, denn sein Tun offenbart sein Verständnis, dass er Harinam und frommes Tun irgendwie für vergleichbar hält.
Dieses Vergehen umschreibt ein magisches Verständnis von Religion.
Es beinhaltet auch das Denken, durch mechanische Übung und Ausführung von Gegebenem in eine Liebesbeziehung treten zu können.
"Ich möchte den genauen Unterschied verstehen zwischen Heiligem und frommem Handeln. In der Form des Heiligen Namens ist alles enthalten. Er ist gänzlich anders als einfach nur frommes Tun. Bei Ihm möchte ich bleiben - auch nach der Befreiung. Nam ist sadhana (der Vorgang, das Ziel zu erlangen) und sadhya (das letztliche Ziel einer jeden Seele – Prema). Ich möchte Zuflucht in Nam nehmen mit dem Verständnis, dass es nicht darum geht, etwas zu erreichen, sondern tiefer zu lieben.“
9. Es ist ein Vergehen, die Herrlichkeiten des Heiligen Namens denen zu erklären, die nicht hören wollen. Denn zwanghafte religiöse Indoktrination führt zu grösserer Stumpfheit und Indifferenz gegenüber dem Heiligen als die ursprüngliche Unwissenheit selber.
"Der Liebesdienst zu dir und die Freude über dich weitet sich natürlicherweise auf deine Schöpfung aus. Ich möchte die Herrlichkeiten des Heiligen Namens mit anderen Mitmenschen teilen. Aber nur, wenn sie auch begierig danach sind und auch nicht, um mich dabei selber zu verherrlichen (die Selbstüberhebung als Gebender des Heiligen vollzieht sich so schnell).“
10. Jener träge Mensch, der, selbst nachdem er über die transzendentalen Herrlichkeiten von Harinam gehört hat, seine materialistische Lebensvorstellung beibehält und glaubt: "ich bin dieser Körper und alles in Beziehung zu ihm gehört mir" (aham mameti) und der weder Respekt noch Zuneigung gegenüber Sri Harinam zeigt, begeht ein Vergehen gegen den Heiligen Namen. Wenn man von Heiligen aus der Offenbarungsschrift hört, kommen Momente in einem auf, dass die Wirklichkeit doch völlig anders sein könnte, wie ich es mir gedacht habe. Aber wenn man die Konsequenzen eines solchen Gedankens auszumalen beginnt – eine völlige Umkehrung – verdrängt man solche Erkenntnis ganz bewusst und fährt mit dem Altbekannten fort. Dies ist nam-aparadha - die kleinen erwachenden Fünkchen der Sehnsucht der Seele werden dann einfach wieder zertreten.
"Ich will nun wirklich ernsthaft werden und den Heiligen Namen verehren und Ihm dienen, aber nicht als die fiktiv gehaltene Person (Maske) mit der ich mich bisher identifizierte, sondern als gopi bhartu pada-kamalayor dasadas anudas, in der Identität als ewiger Diener Deiner geliebten Geweihten in Vrindavan.
Ich will offen sein für deine Führung und jeden Hinweis wach aufnehmen. Dann wird sich deine Weiterführung konkretisieren.“
11. Die Wurzel aller Vergehen ist, unaufmerksam und innerlich verzettelt zu beten.
Die Gleichgültigkeit ihm gegenüber resultiert in der peripheren Anziehung zu Reichtum, Partner, Position und Erfolg. Dieses Vergehen heisst pramada, Verrücktheit. Denn ich rufe nach Krishna durch Harinam und zur gleichen Zeit ignoriere ich Ihn, indem ich Ihm keine Aufmerksamkeit schenke.
"Ich möchte dem Heiligen Namen wieder all meine Zeit und auch mich selber schenken, denn er schenkt mir Ewigkeit.
Die eigentlichste Krankheit, an der ich litt, hiess vimukhata (meine Aufmerksamkeit von ihm abgewendet zu haben). Nun in diesem Moment der Besinnung möchte ich wieder erkennen, dass die Hinwendung zu Gott den wesentlichsten Auftrag der Seele darstellt"