Yoga des Essens

eine Reflektion über das Yoga des Essens

 

Mangelnde seelische Ernährung versucht man äusserlich zu kompensieren durch die Fresslust der Sinne.

Trotz anderslauternder Lehren kämpft man weiter.

Dies ist der Grund, weshalb die Entfaltung nur langsam voranschreitet.

 

Die Sinne sind unersättlich in ihrem Nahrungsaufnahmedrang. Deshalb besteht ein grosser Teil der Zeit vieler Menschen in der sogenannten Unterhaltung. Man muss unterhalten bleiben, was nichts anderes bedeutet als ständige Nahrungszufuhr.

Doch es dürstet den Menschen nur nach Seelenzufuhr. Die Seele verhungert, während die äusseren Bereiche des Körpers und des Geistes vollgestopft werden mit Nahrung.

Die Enthaltsamkeit ist eine Haltung, den Fluss umzudrehen.

Ein Mensch verbringt in seinem Leben durchschnittlich 8 Jahre nur mit Essen (ohne die Nahrungsmittelbesorgung dazu zu zählen!). Dabei verschlingt er etwa 30 Tonnen Nahrungsmittel. Das Verspeisen eines solchen Berges, aus dem dann dieser Körper wurde, prägt unser Bewusstsein. Doch dieser enorme Zeitaufwand, den wir zur Nährung unseres Organismus aufwenden, will in den inneren Weg integriert werden. Dazu sind die folgenden Anregungen gedacht.

 

Herrschaft, Streit und Krieg kreisten stets um Nahrung – um das Vorrecht, den eigenen Magen zu füllen. Mit dem Besten.

In der alten Tradition des Gastmahls wird demonstrativ auf die Ausübung dieses Vorrechts verzichtet.

Achtung und Respekt der gemeinsam Essenden drückt sich darin aus, dass sie teilen.

Jeder nimmt etwas in sich auf, jeder sieht, dass auch die anderen genug erhalten.

Wir teilen aus dem Verständnis heraus, weil wir uns alle als Beschenkte fühlen.

Dann wird das Essen zu einer feierlichen Handlung voller Achtung.

 

Die Mahlzeit ist ein sozialer Moment. Man begegnet sich zum Essen. Viele Menschen empfinden angesichts eines religiösen Ausdrucks wie dem Innehalten und Beten vor dem Essen eine Scham und Beklemmung. Speziell wenn man dies noch vor anderen Menschen zeigen müsste. Wenn man z.B. auf Youtube den Suchbegriff „Tischgebet“ eingibt, findet man da fast nur Veräppelungen und nicht aufrichtige Gebete. Heutige Menschen fühlen sich sehr hilflos angesichts eines Gebetsausdrucks. Es ist ihnen peinlich geworden.

Bei Martin Luther lautet die Überschrift in seinem „Kleinen Katechismus“, der täglichen Anleitung für die Gläubigen, über das Tischgebet:

„Wie ein Hausvater sein Gesinde soll lernen, das Benedicite und Gratias sprechen.“

Wir haben noch Jahrhunderte solcher Prägungen in unseren Genen…. Da ist es leicht verständlich, weshalb wir die natürliche innere Abwehr zum Gebet noch in uns tragen….

 

Während das Essen und Trinken in nie gekannter Weise öffentlich thematisiert wird, scheint das heilige Momentum, das mit diesem Tun während vieler Jahrtausende unserer Geschichte selbstverständlich verbunden war, immer weiter in den Hintergrund zu treten.

 

In Deutschland wird vor dem Essen nicht „en guete“ gewünscht, sondern „Mahlzeit“.

Das ist das Relikt von „gesegnete Mahlzeit“.

Der Austausch profaner Segenswünsche wie „Guten Appetit“, oder „lasst es euch schmecken“, ist als magere Kompensation des Gebetes zu verstehen. Man gibt sich die Hände oder erhebt die Gläser und prostet sich zu. Man ahnt irgendwie noch, dass der Beginn der Nahrungsaufnahme eigentlich eine heilige Handlung darstellt, und dass man nicht einfach ohne Bewusstheit mit dem Essen beginnen soll. Wir haben uns vom religiösen Hintergrund emanzipiert und sind irgendwie mit einer eschatologischen Leere zurück geblieben.

 

Die Profanisierung der Essenskultur entfremdet uns auch von uns selber. Wenn jeder gleich anfängt zu essen, sobald etwas auf dem Tisch steht, kann kein Mahl mehr stattfinden, sondern nur noch ein stilloses Abfüttern.

Ohne Innehalten verkommt das Essen zu einem hastigen gedankenlosen Verbrauchen von Gütern, zu einer kulinarischen Tankfüllung. Das Gebet ist eigentlich der Eröffnungsritus zum Essen. Es markiert den gemeinsamen Beginn der Mahlzeit. Das gemeinsame Mahl ist nicht einfach nur ein sozialer Anlass, sondern Sangha, Gemeinschaft, welche in einem Momente des Ewigen wachrufen dürfen.  

Das Gebet beim Essen soll die Frage nach dem, WAS immer miteinbeziehen. Woher stammt die Nahrung und unter welchen Bedingungen wurde sie produziert? Das sind Fragen, die mit der Frömmigkeit eines Gebetes nicht einfach übergangen werden dürfen.

Die Tierrechtsorganisation PETA hat einen Werbespot produziert, in dem eine gutbürgerliche Familie am Weihnachts-Tisch sitzt. Die Gans wurde gerade aufgetragen. Die Mutter fragt ihre etwa zehnjährige Tochter, ob sie beim Essen vorbeten möchte.

„Willst du das Tischgebet sprechen?“

„Klar.

Lieber Gott, danke für die Gans, die wir gleich essen werden und danke für die Gänsefarm, auf der sie ihr ganzes Leben unter furchtbarem Stress verbringen musste. Danke für die Qualen, an denen viele Tiere bereits vor der Schlachtung sterben, und danke, dass die Gänse von Menschen getötet werden, die Spass daran haben. Tiere zu quälen. Und besonderen Dank für den Schmutz, die Chemikalien und die Medikamente, die in der Gans stecken, welche wir gleich essen werden… Amen.“

 

Gewaltlosigkeit, die Wahrnehmung der Verbundenheit mit allen Mitgeschöpfen, also die universelle Geschwisterlichkeit, stellt immer die Grundlage eines Vertiefungsweges dar.

 

Die Nahrungsaufnahme ist ein Tun, das in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Leben steht. Das Essen ist nicht nur ein physiologischer Vorgang, vielmehr kommt es darin zum unmittelbaren Erleben von Lebendigkeit ähnlich wie bei der Geburt, der Krankheit und dem Tod.

Diese Lebendigkeit nenne ich die „Spiritualität des Essens“. Es ist nicht eine religiöse Etikette, der man einfach Folge zu leisten hat. Nicht die „Ess-Zucht“. Eine solche würde eher in die Stumpfheit führen.

Die Integration der Absicht des Besitzers der Nahrung schenkt ein neues Weltverständnis und hat transformativen Charakter für einen selbst.

Im Essen erkennt man seine Abhängigkeit. Das Gebet als Antwort dieser Einsicht artikuliert die religiöse Ebene des Essens.

 

Dankbarkeit

Das Tischgebet ist praktisch das tägliche Erntedankfest, das einen daran erinnert, dass weder das Leben im Allgemeinen noch das Essen auf dem Tisch selbstverständlich sind.

 

Das Universum ist gratis. Es kann und braucht nicht verdient zu werden. Dieser einfachen Erfahrungstatsache entspringt dankbares Leben, ein Leben aus Gnade. Dankbarkeit ist die uneingeschränkte Antwort des Herzens auf eine uns gnädig geschenkte Welt. Denn wir haben sie weder gemacht  und wahrscheinlich noch nicht einmal voll akzeptiert. Dankbarkeit ist Begabung im doppelten Sinn: Durch sie wird und die Welt, mit der wir begabt sind, erst richtig zur Gabe. Und unsere Dankbarkeit macht uns begabt, anmutig und freudig, leicht am Tanz des Lebens teilzunehmen.

Immer wieder wird von der gegebenen Wirklichkeit gesprochen, von gegebenen Tatsachen, vom gegebenen Moment. Die angemessene Reaktion auf eine gegebene Welt ist Dankbarkeit. Daraus entsteht eine Freude, mit dem Geber vertrauensvoll in Verbindung zu sein und seine Zuverlässigkeit als wichtiger zu erachten als die eigene Verbissenheit im Lebenskampf.

Warum ist es so schwierig, ein Geschenk als Geschenk anzuerkennen? Weil man darin zugibt, vom Geber abhängig zu sein. Das mag sich nicht sonderlich schwierig anhören, aber es gibt etwas in uns, das sich bei der Vorstellung von Abhängigkeit stäubt.

Ein Geschenk aber ist etwas, was man sich nicht selber beschaffen kann – zumindest als Geschenk. Man vermag vielleicht genau das Gleiche oder noch etwas Besseres kaufen, aber es wird kein Geschenk daraus, wenn man es sich selber besorgt.

Die Dankbarkeit zielt immer über sich selbst und dem Kreisen um das eigene kleine Greifen hinaus.

 

 

Besitzgedanken

Die Beziehung zum Urbesitzer von allem, Sri Krishna, und seinen Gaben wird im Gebet anerkannt und zur Sprache gebracht. Es ist eine Art Bekenntnis.

Nachdem man verstanden hat, dass alles Gottes Eigentum ist, erlebt man die gesamte Welt als Sein Geschenk. Dieses begehrt man aber nicht für sich selbst, sondern wertschätzt einfach Ihn selber in diesem Geschenk drin. Sobald die Aufmerksamkeit nicht mehr auf Ihn und seine gebende Hand, sondern nur noch auf die Gaben gerichtet ist, beginnt die Verzerrung der Wirklichkeit ihren Lauf zu nehmen. Wenn man auf Ihn schaut, ist das Geben sowie das Nehmen das Gleiche, da man die Aufmerksamkeit auf Ihn selber lenkt. Die gebende Hand ist genau die gleiche und hat die gleiche innige Schönheit wie die nehmende Hand. Wenn die Aufmerksamkeit auf die Gaben gerichtet ist, sieht man den Erfolg und den Verlust, das Gelingen und das Versagen unterschiedlich an und die eigene Involvierung mit der Dualität hat ihren Anfang.....

 

Was ist der Sinn der Sinne? Geniessen oder Entsagen?

Wenn die Beziehung zwischen Gott und der Welt verstanden wird, erklärt sich die Beziehung zwischen dem Geniessen und der Entsagung.

Wenn Gott der Besitzer und Geniesser der Welt ist, dann will die wache Seele dieser Einsicht auch Ausdruck verleihen in ihrem persönlichen Umgang mit der Welt.

Sie enthebt sich der Dualität zwischen selbstischem Geniessen und der Ablehnung der Entsagung, indem sie alles in der Welt akzeptiert – aber im Hinblick, dass es letztlich zur Freude Gottes existiert.

Es ist also nicht mehr ein persönliches Erfreuen an den Dingen, sondern man schaut alle Phänomene der Welt als Hinweis auf die allumfassende Liebe Gottes hin an.

 

Die Welt wird nicht als eigenes Eigentum für Selbstinteressen vereinnahmt, aber auch nicht als falsch und unwirklich zurückgewiesen, sondern dem Urquell gewidmet. Somit wird jede Interaktion mit der Welt zu einem Austausch mit Gott – nicht in einem pantheistischen Sinne, sondern effektiv zum Du Gottes.

 

Die Begründung für eine Lobpreisung vor dem Essen beruht auf der Vorstellung, dass die gesamte Welt Sri Krishna gehört. Alles ist im Eigentumsrecht Gottes. Wer ihn besingt, anerkennt dies und sein Essen stellt also gewissermassen nicht mehr einen Diebstahl dar, sondern ist dankbare Annahme nicht nur des Geschenkes der Nahrung, sondern auch innere Annehmung des Schenkers.

 

Das Gebet vor dem Essen dient dazu, dass man in die Bereitschaft eintritt, die Gabe Gottes zu empfangen. Das ist nichts Einfaches. Die Würde der Empfängnis besteht darin, freudvoll von Sri Krishna zu empfangen, was er gerade geben möchte – unabhängig von unserem Kommentar. Das bedeutet, unabhängig davon, ob es einem in den eigenen Plan hineinpasst und als freudvoll empfunden wird, oder ob es eine vollständige Durchkreuzung der Eigenvorstellung darstellt.

Im Aufgeben jeglicher Eigenvorstellung liegt ein tieferes Glück als in seiner Erfüllung.

Die Verherrlichung Krishnas gründet also nicht in den Gaben selber. Es jubiliert in einem drin aufgrund der Gewahrwerdung des Gebenden.

Om purnam adah purnam idam (Anrufung der Isopanishad) „Alles, was von Ihm kommt, trägt den Geschmack seiner Herrlichkeit in sich.“

 

Wir dürfen vor dem Essen innehalten und beten. Der Mensch braucht sich nicht wie ein Tier sofort auf die einem dargebotene Nahrung zu stürzen. In der Zeitschlaufe zwischen Reiz und Aktion liegt tiefe Freiheit inne.

Mit dem vertiefenden Gebet wird der ursprüngliche Zusammenhang zwischen Gott und Gaumen, erinnert. Der Mensch kann sich über seine Nahrung reflektieren. Er erfährt, dass er sich selbst, bei aller menschlichen Leistung – Gott verdankt, der alles geschaffen hat.

Jeder Augenblick hängt von Krishna ab und wird von ihm durchdrungen.

 

Alle Handlungen und Tätigkeiten dürfen in die Beziehung mit Krishna eingebracht werden. Dann wird alles zu sacri-ficio, geheiligter Tat.

„Dein Reich komme zu uns, Dein Wille geschehe.“ Man möchte einfach, in der Verbindung und der Beziehung zu Ihm leben, der Welt enthoben, da sie nun von Krishnas Präsenz geheiligt ist. Das ist die wörtliche Bedeutung von Opfer (sacri-ficio – heiliges Handeln, ein Handeln, das keine Trennung zum Ursprung, zur Liebesbeziehung zu Krishna, mehr kennt).

Im Innenleben ist dies wahrscheinlich der spannendste Punkt: Wo man aufgrund innerlich erfahrener Substanz aufhört, Gott für sich selber zu instrumentalisieren. Das ist nicht nur das Einstellen einer Einkaufslisten-Spiritualität (vom Unbegrenzten die Erfüllung begrenzter Wünsche zu erhoffen, wie Gesundheit, Friede, gutes Gelingen eigener Vorhaben und ekstatische Erlebnisse im Gebet), sondern es ist das Ende eines anthropozentrischen, ja geozentrischen oder sogar universum-zentrischen Gottesverständnisses.

 

Heiligung bedeutet nicht die Verwandlung der Gaben in eine andere Wesenshaftigkeit. Vielmehr wird der Akt des Essens nicht einfach nur eine Tätigkeit der Körper-Erhaltung, sondern verwandelt sich in der Beziehung zu Gott in einen Moment, in dem jede universale Disharmonie überwunden ist. Die Seele gleicht sich dem Rhythmus Gottes, seiner Absicht, an.

 

Die Nahrungs-Darbringung soll immer nur als Lobpreis verstanden werden, und nicht als ein Gebet, von dem man sich Wirkungen in dieser Welt erhofft.

Es geht nicht um einen Gebetsspruch oder eine magische Formel, welche die Speisen aus der Unreinheit herausheben, sondern nur um die Rückbindung an RadhaKrishna, um die Wiederaufnahme der Beziehung zu ihnen.

In der christlichen Tradition wird diese Bitte um Wirkungen, in welcher nicht mehr die Verherrlichung Krishnas im Zentrum steht, sondern wo es mehr um die Gaben selbst geht, oft so ausgedrückt:

 

Erquicke uns, Herr, mit deinen Gaben,

und mit deiner reichen Güte erhalte uns.

Segne, Herr, deine Gaben,

die wir durch deine Güte empfangen haben.

 

Komm, Herr Jesus, sei uns Gast

Und segne, was du uns bescheret hast….

Prasad – die heilige Gabe

 

Die Ganga soll mit Gangeswasser verehrt werden.

Alle Dinge, die uns Krishna geschenkt hat, sollen wieder für ihn eingesetzt werden.

 

Durch das Medium des Prasad, der geweihten Nahrung, möchte man selber ein anderer werden. Man möchte zurechtgeformt werden zur Gottes-Gefährtschaft. Nicht die Speise wurde anders, aber der Speisende wird verwandelt.

Die Tatsache, dass Essen ein Vorgang ist, welcher seine prinzipielle Abhängigkeit von Gottes Schöpfung zum Ausdruck bringt, wird im Gebet bewusst gemacht.

 

Mit dem Essen geht es nicht einfach nur um Hungerstillung. Da ist eine unglaubliche Wucht enthalten, in welcher durch Geschmacksempfindung eigener Genuss erfahren werden möchte.

 

In der säkularen Kultur ist die Geschmackserfahrung stark in den Vordergrund getreten. Man spricht überall über die Art von Nahrung, die das jeweilige Mundwerk gerade am liebsten mag.

In den spirituellen Ansätzen geht es beim Essen primär um die Bekundung der geweihten Nahrung. Das „was“ ist dabei gar nicht mehr so wesentlich. Es geht vielmehr um die Wertschätzung der geheiligten Nahrung.

In der Vaishnava Tradition ist es ein wesentlicher Bestandteil, den Geschmack des Prasad nie zu beurteilen – also nicht die eigene Geschmackspräferenz auf das Prasad zu übertragen.

 

Als Raghunatha das Goswami in Puri lebte, nahm er nur so viel äussere Nahrung zu sich, um gerade den Körper und die Seele noch irgendwie zusammen zu halten.

Er ass nur das alt gewordene Maha Prasadam von Sri Jagannatha-Deva. Als er  ein wenig verrottete Reiskörner vom Boden nahm, welches selbst die Kühe nicht mehr gegessen hatten, rezitierte er das folgende Mantra.

 

atmanam ced vijaniyat

param jnana-dhutashayah

kim icchan kasya va hetor

deham pusnati lampatah

 

„Wenn man die Seele zu verstehen beginnt, wird diese in einem verankerte Erkenntnis alle materielle Hoffnung (auf Dinge und Umstände in der Welt) wegspülen.

Warum sollte so eine Person überhaupt noch fortfahren, seinen materiellen Körper zu erhalten und nähren.“ (Caitanya Caritamrita 3.6.314)

 

Dies ist nicht Ausdruck einer Weltverneinung, sondern nur seines intensiven und brennenden Wunsches, Sri Krishna direkt zu begegnen. Im letzten Werk, welches Raghunatha das Goswami am Radha Kunda geschrieben hatte, dem „Vilapa Kusumanjali“, betet er weinend zu Srimati Radharani und sagt, dass er sich nun mit Träumen, Visionen und Sphurtis (zeitweilige Einblicke ins ewige Lila) nicht mehr zufrieden geben könne. Er wolle nun nur noch den direkten Seva zu ihren Füssen.

Seine einzige Aspiration ist der ewige Seva in seiner ewigen spirituellen Identität (svarupa). Aus der Verwirklichung dieser Svarupa macht es für ihn keinen Sinn, das Vehikel der Trennung, den physischen Körper, überhaupt noch länger zu erhalten.
Dies ist eine hohe Ebene einer Person, welcher es überhaupt nicht mehr um die momentanen Gaben geht, sondern nur noch um das liebende Gegenüber.

 

Im Tischgebet wird nicht nur gedankt für das, was man glaubt, für den Körpererhalt zu gebrauchen. Es wird vielmehr die eigene Abhängigkeit ausgedrückt.

Sri Krishna als seinen Erhalter anzunehmen vertieft sich dann in Seinen Lobpreis und in die Versenkung Seines wunderbaren Tuns (sein lila). Man bleibt also nicht beim Essen hängen, das ja eine direkte Nutzniessung seines Segens ist. 

Zum Gebet gehört immer auch die bewusste Haltung dazu, mit aus welcher es gesprochen wird. Vielleicht gehört ein Moment der Stille dazu, in welcher Sammlung geschehen darf. Vielleicht hat man eine bestimmte Gebärde, welche die innere Stimmung unterstützt (gefaltete Hände, eine bewusste Verneigung oder ein gerade gerichteter Rücken)

 

„Ich bringe dies dir, Sri Krishna, als Darbringung dar.

Was sind dir meine Gaben wert, wenn nicht ich selber die Gabe bin.

Krishna, was sind mir deine Gaben wert, wenn nicht Du Selbst die Gabe bist.“

 

Als Empfänger des Prasad vereinigt man sich vor Sri Krishna als Tischgemeinschaft, als Seelen auf dem Weg zu ihm hin. Man gedenkt Krishnas Schöpfergüte, die nicht nur den innerweltlichen Erhalt des Lebewesens zum Ziele hat, sondern vor allem endlos viele Arrangierungen zum Erwachen in diese Schöpfung hineinlegt.

 

In der Yoga-Tradition sprechen viele Menschen diesen Vers der Bhagavad Gita (4.24) vor dem Essen:

brahmaarpanm brahma havir

brahmaagnau brahmamaa hutam

brahmaiva tena gantavyah

brahma-karma-samaadhinaa

 

 „Brahman, das Eine, ist die Opferhandlung; Brahman als Opferspende wird geopfert durch das Brahman in dem Feuer Brahman; Wer sich so in das das Tun des Brahman versenkt, wird wahrlich ins Brahman gelangen.“

 

Darin liegt ein tiefes Verständnis verborgen (die Nummern in den Klammern bezeichnen die Verse der Gita):

-Die Hände, mit denen ich esse, sind Gott. „Seine Hände und Füsse existieren überall.“ (13.14)

-Die Nahrung ist Gott. „Ich bin die geschmolzene Butter, das Ghee.“ (9.16)

-Das Feuer der Verdauung ist auch Gott. (15.14)

-Die Tätigkeit, das Essen dem Verdauungsfeuer zuzuführen ist auch Gott. „Ich bin das Ritual und das Opfer.“ (9.16)

-Die Frucht, des Essens der Überreste des Opfers ist auch Gott. „Diejenigen, welche die geweihten Speisen essen, erlangen das ewige Absolute.“ (4.31)

-Alles ist Gott. vasudevam sarvam iti (7.19)

Der Bhakta betet, niemals satt zu werden in der Vertiefung zu ihm, im Hören von ihm und in der Anrufung Seiner Namen. Das ist die wirkliche Nahrung…

 

Ein Sadhu sagte mir, dass er das gesamte Leben lang nie gegessen hätte. Aber er sah dennoch recht beleibt aus. Auf mein Nachfragen hin sagte er, dass er immer nur Prasadam akzeptiert hätte.

 

 

Ist Krishna hungrig?

 

Es ist ein Mysterium, dass Krishna den Dienst seines Geweihten direkt annimmt. Er weilt weit jenseits aller materiellen Sphären in der spirituellen Wirklichkeit, wo kein Mangel herrscht. Er benötigt nie etwas. Er hat nie Durst oder Hunger oder kennt nie irgendeine Unvollständigkeit. Alleine durch seine iccha-Sakti, seine Wunscheskraft, schöpft und zerstört er in einem einzigen Augenblick unzählige Universen.

Muss Krishna nun einfach aus Gefälligkeit so tun, als würde es ihn wirklich erfreuen? So wie es ein erwachsener Mensch tut, wenn er ein Gekritzel von einem Kleinkind erhält und ihm sagt, dass sei nun wirklich ein schönes Kunstwerk.

Dann wäre das Gottsein eine unglaublich verkrampfte Existenz.

Krishnas eigene Lila-sakti „Yoga-maya“ lässt ihn effektiv seine Allmachtposition vergessen und blendet in ihm aus, dass er alles durchdringt und besitzt. So fühlt Krishna effektiv Hunger, Durst etc, das heisst, wirkliche Bedürftigkeit. Er fühlt sich unvollständig und die Beziehung zu seinem Geweihten empfindet er nicht nur als faktische Bereicherung seiner Selbst, sondern sie bedeutet ihm alles.

 

Im Srimad Bhagavatam (11.27.18 a) offenbart Krishna ein Geheimnis:

„Opulente Darbietung von einem Nicht Bhakta interessiert ihn nicht.

Aber die unbedeutendste Darreichung aus den Händen seiner liebenden Geweihten erfreut ihn über alles.“

Obwohl Krishna bereits alles besitzt, ist er dennoch freudig berührt, wenn ein Bhakta ihm ein unbedeutendes Blatt mit Liebe darbringt (Bhagavad Gita 9.26).

Brahma, der Schöpfer aller Welten schenkt Sri Krishna das gesamte Universum. Aber die einfache Darbringung seines Geweihten, der ihm in liebender Versunkenheit ein wenig Wasser schenkt, erfreut ihn viel tiefer.

 

Der Grund dafür ist, dass die Bhakti im Herzen von Krishnas Geweihten selbst auf Sri Krishna anziehend wirkt (Sri Krishna akarsini).

„Ich renne immer hinter meinen Geweihten hinterher, sodass ich vom Staub ihrer Füsse gereinigt werden möge“

Sri Krishna im Srimad Bhagavatam 11.14.16

 

Krishna geniesst Hladini Sakti, seine ihm eigene Freudenkraft. Diese ist in sich faszinierend und berauschend. Wenn Sri Krishna nun die ihm eigene Freudenkraft geniesst, nennt man dies „svarup ananda“.

Aber Krishna kostet seine Glückseligkeits-Kraft ungemein viel mehr, wenn sie über die Herzen der Bhaktas auf ihn zurück reflektiert wird. Die Geweihten tragen in sich einen leidenschaftlichen Wunsch des Dienens gemäss ihren eigenen stayi-bhava (der inhärent in die Seele eingepflanzten Art des Liebens).

Nun vermischt sich die Hladini Sakti mit den Stimmungen im Herzen der Geweihten (stayi-bhava) und erzeugt unendliche Vielfältigkeit im Liebesaustausch (vaicittris), die Krishna immer und immer wieder neu zu betören vermögen.

 

Unzählige Stellen der heiligen Schriften bezeugen dieses Mysterium.

Krishna in Dvaraka war begierig für die paar zerbrochenen und über riechenden Körner Bruchreis, welche ihm sein Geweihter Sudama mitbrachte (Srimad Bhagavatam 10.81)

 

 

Prasad Seva

Die Nahrung wird also nicht nur Krishna dargereicht, sondern das Prasad wird vor dem Akzeptieren auch noch verherrlicht. Denn je mehr innere Aufmerksamkeit in der heiligen Handlung innewohnt, desto lebendiger wird sie einen auch machen.

Das Annehmen des Prasad ist eine meditative Handlung. Oft wird dabei geschwiegen, damit man wirklich meditativ sich versenken kann. Die Zunge verarbeitet nicht nur die Nahrung, sondern vibriert gleichzeitig Krishnas Namen.

 

Das Folgende ist ein selbstformuliertes Gebet, das wir manchmal im Ashram miteinander singen.

„Ungezählte Zeitalter dumpfer Erwartung haben diesen wachen Augenblick unseres Lebens vorbereitet und herbeigeführt.

 

Wir möchten uns dafür dankbar erweisen.

 

Unser Leben hängt von dieser Nahrung ab.

 

Wir möchten uns dafür dankbar erweisen.

 

Die Mühe zahlloser Wesen hat uns diese Speise geschenkt.

 

Wir möchten uns dafür dankbar erweisen.

 

Lebendiges ist hier für uns gestorben.

 

Wir möchten uns dafür dankbar erweisen.

 

Lieber Krishna, du schenkst uns jetzt die Möglichkeit der Erinnerung an dich.

 

Wir möchten uns dafür dankbar erweisen.

 

Radha und Krishna erscheinen in dieser Form vor uns. Prasadam vermag eine Brücke der Erfahrung zu Ihnen zu sein.

 

Von den zahllosen Lebewesen im Universum wollen nur wenige tatsächlich frei werden.

Ein brennender Freiheitsdurst ist seltener.

Ein kontinuierliches Freiheitsstreben ist noch seltener.

Wesen, die sich nicht mehr auf die Körpersinne fixieren, sind ganz und gar ungewöhnlich.

Wer auf des Messers Schneide wandelt, ist ein Ausnahmefall.

Und nicht von dieser Schneide herunterzufallen ist das Ungewöhnlichste überhaupt.

Ganz wenige nur erkennen ihr eigenes Selbst in Beziehung zu Sri Sri Radha-Madhava.

Berge von Verdiensten (sukriti) haben uns an diesen Ort getragen.

Die Chance ist einmalig und nicht zu vergeben.“

 

 

Das Gebet zur Verherrlichung des Prasad kann frei gesprochen werden oder auch ein Formelgebet sein.

 

Viele Vaishnavas singen täglich das folgende Gebet aus dem Gitavali von Srila Bhaktivinod Thakur. Dabei sind sie immer wieder bedacht, dies nicht zu einer Routine verkommen zu lassen und die Bedeutung immer wieder neu zu reflektieren.

 

 

 

 

Prasadam seva

 

maha prasade govinde

nama brahmani vaishnave

svalpa punya vata rajam

vishvaso naiva jayate

 

 

sarira avidya-jal, jodendriya tahe kal,

jive phele vishaya-sagore

tar madhye jihva ati, lobhamoy sudurmati,

ta´ke jeta kothina somsare

krishna boda doyamoy, kori bare jihva joy,

svaprasad-anna dila bhai

sei annamrita pao, radha-krishna-guna gao

preme daka caitanya-nitai

 

Sri Krishna caitanya

prabhu nityananda

sri advaita gadadhara

srivasadi gaura bhakta vrinda

 

Hare Krishna Hare Krishna

Krishna Krishna Hare Hare

Hare Rama Hare Rama

Rama Rama Hare Hare

 

“Der Höchste Herr, der stets unabhängige Gott, lässt sich von seinem Geweihten bezwingen, der sein Vertrauen und seine Zuflucht in die Namen Gottes, in die Heiligen und die Speise, die der Herr persönlich gekostet hat, setzt.“

 

Wenn die Seele in der Identifikation mit einem materiellen Körper lebt, existiert in den Sinnen eine kreatürliche Tendenz, Aufmerksamkeit nach aussen zu richten und sich in der materiellen Welt zu zerstreuen…. Identifizierung mit dem, was vergeht, bedeutet Tod.

(Bhakti ist die natürliche Eigenart der Seele, wenn alle Tendenzen auf das eigentliche Objekt der Liebe gerichtet wird – auf Radha und Krishna. Das ist die ursprüngliche Intention der Sinne)

 

Von all diesen Sinnen ist die Zunge am ungestümsten und unkontrollierbarsten — ja, es ist in dieser Welt äußerst schwierig, die Zunge zu beherrschen.

Sri Krishna ist jedoch sehr barmherzig. Er möchte nicht, dass die Seele in einen Widerstreit mit den Objekten der Sinne tritt. So schenkt er uns die Überreste Seines eigenen Essens (prasadam). Somit braucht sinnliche Tätigkeit nicht eingestellt werden, und doch darf innerste Sammlung beibehalten werden.

Durch die Gnaden-Intervention Gottes schenkt er den Sinnen von aussen her ein Objekt, welches der Transzendenz zugehörig ist. Die alte Sinnes-Tendenz des Greifens im Aussen wird auf diese Weise zur Gottesbegegnung.  

Laßt uns nun dieses nektargleiche Prasadam empfangen und die Herrlichkeiten von Sri Sri Radha-Krishna besingen! In Liebe laßt uns rufen: Chaitanya-Nitai!

 

 

 

Auch nach dem Annehmen des Prasad, also nach dem Essen, wird noch einmal innegehalten und seine Wertschätzung ausgedrückt.

Wir haben nun Radha-Krishnas Prasadam zu uns genommen. Damit Sie geehrt sein mögen und damit wir leben und den Weg zu Ihnen gehen können.