Gebetsweg
er Gebetsweg den Lotosfüssen Krishnas entgegen mag uns in einer Entsprechung deutlicher werden:
Die Begegnung mit einem "fremden" Menschen hat zunächst etwas mehr Förmliches. Man hat sich nicht so viel zu sagen, vielleicht die üblichen Grussformeln. Dazu kommt ein Reden über ganz allgemeine
und "unverbindliche" Dinge: das Wetter, die Politik...all das könnte man genauso mit jedem beliebigen anderen Menschen bereden, ohne auch nur das geringste dabei abzuändern. Trotzdem braucht ein
solches Gespräch nicht nur Formel zu sein. Es wird auch am eigentlichen Menschlichen seinen, wenn auch erst bescheidenen, Anteil haben. Das Herz ist irgendwie mitbeteiligt an dem, was der Mund
zum Ausdruck bringt.
Je mehr es Ausdruck ist, desto eher wird sich die Beziehung der beiden Menschen vertiefen. Bald wird man auch persönliche Dinge ins Gespräch einbeziehen. Immer besser versteht man sich. Es bedarf schon nicht mehr so vieler Erklärungen, Umschreibungen und Erläuterungen. Man hat sich schon in entscheidenden Dingen gefunden.
Nun sind längst Gebärden nicht mehr so sehr zur Unterstützung der Worte einbezogen, sondern sie treten bereits an die Stelle von Worten: ein zartes Lächeln, eine ganz leise Bewegung der Hand, eine fast unmerkliche Bewegtheit in der Stimme, ein Blick-und es genügt. Es ist darin mehr ausgesprochen als früher in langen Unterredungen. Man versteht sich. Andere kommen da nicht mehr mit: viel zu persönlich ist schon alles zwischen den beiden geworden.
Schliesslich wird das Wort beinahe lästig. Man geht miteinander hinaus, viele Stunden weit, und kaum wird etwas geredet. Wozu? Man hat sich ganz gefunden. Was der eine lebt, erlebt der andere auch. Jetzt ist das Wort nicht mehr mühsame Brücke. Es quillt auf, kommt wie von selbst, es muss nicht Fäden der Beziehung knüpfen-es drückt die vorhandene aus. Das gemeinsam gewordene Leben ist in den Worten zugegen, sie ganz erfüllend, beseelend und zugleich unendlich weit über sie hinausgehend... Jeder weiss, wie es um den anderen steht, er fühlt es. Da sind Weisen des Wahrnehmens und Teilnehmens, die sonst kein anderer Mensch mithat, denn hier haben sich zwei Menschen ins innere Antlitz gesehen.
Was wir da im Werden der Beziehung zwischen zwei Menschen betrachteten, geht auch vor sich im Werden und Reifen der Liebe zwischen Krishna und der Seele.
Auch auf dem Gebetsweg gibt es sehr wesentliche Etappen. Die erste liegt dort, wo das förmliche Gespräch in ein freies, ungezwungenes und selbstverständliches übergeht.
Beten ist Umgang ist Gott in Ehrfurcht, Innigkeit und ein langer Weg voll von Ereignissen, Spannungen, Entdeckungen, Leiden und tiefem Glück. Am Anfang der Liebesbeziehung zwischen Gott und mir
steht das einfache Mantra, das auswendig gelernte Gebet, das sehr wohl von Herzen kommen kann und um dessen Echtheit und Herzlichkeit man sich sehr zu bemühen hat.
Wird das Mantra ehrlich und aufrichtig im Innern geschrien, so kommt in ihm das Herz mehr und mehr zum Ausdruck. Die Weise des Sichausdrückens wird leichter, ungezwungener und natürlicher, die
Worte werden nicht mehr nur als solche genommen. Um dies zu erreichen bedient sich der sadhaka wiederholender Mantras, wodurch die Suche nach Worten aufgegeben wird, um durch sie zum Herzen zu
gelangen. Sie sind dann wie ein leichter und zarter Schleier über der Bewegung des Herzens. Das Mantra steigt von selbst in einem hoch, legt sich selbst in den Mund. Es wird nicht mehr ein
Lippengebet, aber ein Ausdruck des Herzens.
In einer zweiten Etappe erwacht ein anhaltender Wille Krishnas ewiges Wesen wirklich verstehen zu wollen, Ihn nicht mehr abstrakte und entfernte Person bleiben zu lassen. Man spürt, dass es dort
drüben nicht weniger gewünscht wird.
Die Seele empfindet deutlich, dass sie weiter muss-tiefer eindringen in das geliebte Wesen, das sie zu Sich hinzieht und bindet. So geht sie daran, über ihr geliebtes Du nachzudenken, sich Seine
Art, Seine Form, Seine Eigenschaften, Seine lilas klarzumachen...
Sie kennt ja dieses Du nun schon lange, ein wenig auch aus der eigenen Erfahrung - hauptsächlich aber aus den Berichten der shastras.. Sie hat die Gewissheit Seiner Existenz, aber noch die
Ungewissheit Seines Seins.
Die Seele will das Von-innen-her-Erfassen des Geliebten vollziehen. Sie ist nun für alles bereit.
Der letzte, endgültige und entscheidende Übergang liegt an der Stelle, wo zum ersten Male das wortlose Verstehen aufzuckt: die Gewissheit, dass man beim anderen angelangt ist, angehört und
aufgenommen wurde.
Dann kommt die Zeit, wo ihr alles methodische Betrachten schal und geradezu qualvoll wird. Die anfängliche Reguliertheit, die einem vor Verführungen und verfremdeten Wünschen des Geistes
bewahrte, wird nun eher zu einer hemmenden Wand zwischen ihr und dem Gegenstand ihrer Sehnsucht. Es ist aber ein Über-schreiten der Regulierung (dies bedeutet, dass die vorgeschriebenen
Gebetsübungen der Seele nicht zu anstrengend, denn dies wäre einfach nur Faulheit, sondern zu wenig erscheinen)
Eine ganz neue Weise des Zusammenseins kommt herauf. Die zwei, Gott und die Seele, verstehen einander ohne viele Worte. Sie wissen umeinander und sind in einer sehr reinen und grossen Liebe tief
verbunden. Gewiss wird auch jetzt noch das Wort seine gelegentliche Rolle spielen-auch die miteinander eng verbundenen Menschen schweigen ja nicht "nur" miteinander. Sie erzählen und berichten
und tauschen ihr Inneres aus, aber eben nicht als Mittel zum Hinübergelangen, sondern als den ganz natürlich gewordenen Ausdruck des Schon-angelangt-Seins. Die Seele wird auch auf der Stufe des
Ganz-nahe-Seins bei Gott noch "reden", aber das Kennzeichnende ihres jetzigen Zustandes ist die Stille, das einfache und selbstverständliche Mit-Ihm-sein und Ihn-bei-sich-Haben: satatam
kirtayanto mam (BG 9.14) Den Heiligen Namen ohne Unterbruch chantend.
Krishnas Liebe wartet auf uns. Vielleicht manchmal ein wenig erstaunt, da sie sieht, mit welcher Gründlichkeit wir uns an ein anderes Geschöpf oder gar an uns selber verlieren.
Das Gebet wird zu einer starken Freude, zu einem Drängen und Verlangen. Nicht immer, aber oft. Die Seele merkt, wie Krishna sie zu sich hinzieht und sie beansprucht, vollständig erfüllt.
Seine Liebe tut weh, solange sie noch nicht alles von uns hat. Diese wunderbare, alles gebende und alles fordernde Liebe!
Was für ein Geschenk es doch ist, von dieser Liebe und in diese Liebe gerufen zu sein!