Nichts-Sein

Nichts sein (Teil 1)

Lieber Sri Krishna 

Ich betrachte ein kleines Kind und sehe vergnügt in ein lachendes Gesichtchen.
Und nun gehe ich durch das Geschaute hindurch zu Dir selbst hin, hebe meinen Blick: dort ist der Vater, von dem alle Vaterschaft der verborgenen und ewigen Schönheit stammt, und der das Ziel dieses kleinen Kindes und auch das meine ist. So hebt mich alles hin zu Dir. Und genau dies ist der tiefste Sinn aller Geschöpfe: Dass das Geschöpf den Schöpfer sogar auch in dieser Schöpfung erkennt.

Dieses Hindurchschauen möchte ich einüben.
Es ist wunderbar, dem Vater (pitaham asya jagato-Du bist der Vater aller Existenz-Bg 9.17) wie ein Kind alles sagen zu können, auch die Fehler, an denen ich leide. Du hörst alles, nimmst alles an - und verwandelst alles. Nur muss ich es Dir überlassen, wozu und wohin. Wenn ich wieder auf Dein Herz schaue, Deine Absicht in mir zu verstehen suche, Deinen Plan annehme, erst dann vertraue ich wirklich.

Ich möchte in einem ganz einfachen Vertrauen leben, in der Hingabe an das, was Du in mir zu tun für gut befindest! WAS Du zu tun gedenkst geht mich gar nichts an. Es ist durchaus Deine Sache.
Lieber Krishna, Du willst doch nicht etwas von mir. Du willst nur mich! Was ist Dir meine Gabe, wenn ich selber nicht diese Gabe bin. Was sind mir Deine Gaben wert, wenn ich Dich nicht habe?
Immer, wenn ich nach Deinen Gaben greife, statt an allem vorbei einzig und allein Dich selber zu wollen, geht meine Sehnsucht ins Leere. Manchmal denke ich sogar, dieses Gefühl der Leere mit noch mehr Dingen der Welt wiederaufzufüllen, was sie aber noch noch brennender macht.

So ist es nun einmal mit der Liebe - sie will alles. Darum nimmst Du mir jetzt all meine Kräfte, Du machst mich zu-nichte und wirst aus mir das formen, was Dir beliebt. Dieser "Nullpunkt" scheint auch im spirituellen Leben nicht zu umgehen sein. Ich möchte Dir nun nur nichts in den Weg legen. Das "Ja" aus meinem Herzen macht der mich verwandelnden und leidenschaftlichsten Liebe den Weg frei.

Wenn ich mir klar werde, dass ja Du verherrlichst werden soll und nicht ich, dass Dein eigener Plan in bezug auf mich verwirklicht werden soll, dann wird es mir selbstverständlich leicht, mich Dir zu geben, ganz befreit zu überlassen und Dich auch angstlos tun zu lassen. An mir.

Diese reine Liebe zu Dir wächst auf dem Fundament der Demut und aus der Einsicht in die eigene Unzugänglichkeit. Dahin erziehst Du mich immer wieder.
Dann erkenne ich, dass beides nebeneinander ist: mein Elend, mein Versagen, meinen inneren Geisteszustand, die tatsächliche und zuinnerst auch erfahrene Schwäche und die ebenso wirkliche innige Liebe.
Die erkannte Schwäche sichert den Bestand der Liebe, weil diese sich nun nicht mehr auf das Ich, sondern immer nur auf dieses Höchste Du stützen wird, dem sie nun wieder zugewandt ist. Durch das Gebet wird immer tiefer klar, wie sehr man ein "Nichts" ist, aber ein "geliebtes Nichts".

Ich möchte lernen, die Anstrengung in meinem Leben wieder an die richtige Stelle zu verlegen, nämlich ins Gebet und in den Dienst zu Dir, statt ins übermässige Sorgen und Bemühen in weltlichen Belangen.

Du in mir, ich in Dir. Dich statt meiner. Es bleibt nur so viel von meiner alten Persönlichkeit übrig, als genügt, um die Hingabe zu verwirklichen, um das von Dir besuchte Herz Dir hinzuhalten. Man kann sich noch so klein und trocken, verdorrt und arm vorkommen - dieser Akt des Hinhaltens und -gebens kann man immer noch vollziehen. Dann kommst Du als Sri Krishna, der Herr von Vraja, wieder in meine Mitte hinein.

Für Dich ist meine Verfassung und meine Hilflosigkeit ja nichts Neues, nur für mich.

Nur auf Grund der Einsicht ins eigene Nichts kannst Du mich beschenken; sonst wird das Geschenkte zur Gefahr und mag zum eigenen Unheil (Stolz) führen.

Das innere Armwerden gehört ganz wesentlich zum Gebetsweg. Ich darf also immer froh sein, wenn ich auf diese oder jene Weise die Armut des Geistes in mir entdecke, denn selig sind die, die nicht sehen-und doch glauben - innig vertrauen. Ich spüre es ganz genau: Du willst mich genau an diesen Punkt bringen. Es ist die Bedingungslosigkeit:
"Ausser Krishna kenne ich keinen anderen Herrn, und er wird es immer bleiben. Auch wenn Seine Umarmung manchmal rauh ist oder Er mir das Herz bricht, da Er nicht vor mir gegenwärtig ist. Ihm steht es gänzlich frei zu tun, was Ihm beliebt, doch immer wird Er mein angebeteter Herr bleiben, geschehe, was da will."
(Sikshastaka 8)

Durch die Leere des Innersten wird das Sterben in mich hineingewirkt, damit das ganz andere Leben beginnen kann. Bei völligem und ruhigem Sich-Überlassen in jenes Dunkel hinein kommt grosse Stille und Gemütsruhe.

Ich möchte es mir nicht anfechten, dass ich nichts sehe und auch nichts weiss. Es hat auch keinen Zweck, immer herausbringen zu wollen, wie weit die eigenen Erfahrungen mit denen der Heiligen Übereinstimmen. Zuweilen darf ich es in aller Deutlichkeit sehen: dass ich die gleichen Erfahrungen mache wie sie. Dann aber ist alles wieder wie verwischt. Es gehört einfach zur Dunkelheit, dass ich wirklich nichts sehe.

Zuweilen ist mir, als ob alles entgleitet, und zwar so, dass wirklich gar nichts mehr da ist. Auch dann bete ich einfach, Du mögest diesen erschreckend leeren Raum mit Dir selbst besetzen. Auf diese Weise wird mir der Gedanke an den Tod und auch an alles Leid lieb und vertraut, da ich diese Dinge nun einfach als Tore wahrnehme, hinter denen Dein geliebtes Antlitz wartet.

Gerade als "Nichts" bin ich erst wirklich rein und vollkommen anzubeten imstande.
Wusstest Du eigentlich, als Du mich in meiner Armut erwähltest, was Du von mir zu erwarten hast? Nämlich nichts! Aber Du wolltest wahrscheinlich gerade an diese Stelle Deine Gnade hineinlegen und hier, an einem solchen dunklen Ort, Deine eigene Schönheit aufstrahlen lassen.
Meinen Schmerz um das Nicht-Weiterkommen ist bereits selber ein Weiterkommen, ist direktes Zugehen auf Dich, Syamasundara, der Du solchen Schmerz gerne aus meinen Händen annimmst, weil Du darin meine Liebe zu Dir erkennst.
Das Leid um die zu geringe Liebe ist eine sehr wertvolle Liebe. Und es ist bereits ein heiliges Geschenk von Dir, dieses Leiden erfahren zu
dürfen.
Es gibt Zeiten, in denen ich nicht getröstet werden soll!
Ich muss diese Pein des "Nichts", der eigenen Trockenheit, des Nicht-Verstehen-Könnens, des "Umsonst" so lange durchhalten, bis neues Sehen geboren wird. Ausharren und Verbleiben - jetzt halt aus der Treue heraus!

Meine innere Armut, die durch meine zu lange gelebte Verkehrtheit entstanden ist, ist das härteste Leid, aber auch zugleich die immer tiefere Quelle der Demut, die ja in dem Grade zunehmen muss, wie die Gnade in einem wächst.
Je bereitwilliger ich mein Leid annehme, umso wahrscheinlicher ist es, dass Du Dich mir schenktst.

"Mein geliebter Herr, jemand, der ständig darauf wartet, dass ihm Deine grundlose Gnade zuteil wird, und der fortfährt, die Reaktionen auf seine vergangenen Missetaten zu erdulden, indem er Dir aus dem innersten seines Herzens achtungsvolle Ehrerbietungen darbringt, wird Dich zweifelslos erreichen." (SB 10.14.8)

Lieber Krishna, wenn Du in meinem Nichts geehrt sein willst, dann will ich es um keinen Preis anders. Andere sollen Dich mit Worten grüssen, der Poet Dich lobpreisen, mir teilst Du zu: dass ich Dich in diesem schweigenden Nichts, in dieser Müdigkeit und seelischen Trockenheit ehre. Und so will ich nur dies - solange Du es willst. 

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Nichts sein (Teil 2)

Lieber Gopal 

Ich erkenne, dass es auf dem Weg zu Dir, im Krishnabewusstsein, nicht um den ungestörten Genuss schöner Gefühle geht, sondern an allen Gefühlen, Vorstellungen und eigenen Anstrengungen vorbei nur um Dich.
Ich möchte nun wieder Platz für Dich schaffen, dass Du in meinem Dasein inkarnieren kannst, dass der Unendliche in meinem begrenzten Rahmen erscheinen vermag.
Anfangs meiner spirituellen Praxis empfand ich grosse Befriedigung und, wenn ich mich anstrengte, konnte ich einen Überfluss warmer Gefühle und "Verwirklichungen" in mir hervorrufen.
Doch dann klärst Du die Seele auf, dass sie in der Anspannung ihrer Kräfte letztlich wieder nur sich selber und ihrem eigenen unruhigen ängstlichen Suchen und kleinlichen Wünschen begegnen wird.
Eine echte Begegnung mit Dir lässt sich nicht fabrizieren. Gottesverwirklichung ist nicht produzierbar.

Du sagst es oft: atah sri krsna namadi na bhaved grayam indriyaih
"Du kannst nicht mit diesen stumpfen Sinnen gehört, gesehen oder verstanden werden.
Ich kann zwar Deine Namen chanten, doch der wirkliche Name kann gar nicht mit einer weltlichen Zunge erzeugt werden.
Natürlich ist eine ganz feine Spiegelung Deiner Selbst bereits in den Silben Deiner Namen enthalten, sodass in ihrer Gemeinschaft eine Ahnung von Deinem wirklichen Wesen erweckt werden kann.

Die Einstellung, dass ich Sadhana ausführe, sozusagen das Selber-machen der spirituellen Praxis, muss aufgegeben werden, wenn ich tiefer gehen will.

Gerade wenn man ernsthaft Fortschritt machen möchte, muss man zunächst gründlich scheitern - einsehen, dass die bisherige Praxis von mir selber erzeugt war - mit bestimmten Ritualen versuchte ich die Transzendenz zu zwingen, in meinem Leben zu erscheinen, aber gerade im Bereich echter Liebe hat Mechanik nichts zu suchen - und auf diese Weise langsam und mühevoll lernen, alles eigene Können und Machen loszulassen.

Viel schwieriger als alle Selbstkasteiung und Askese fällt einer Seele das Aufgeben des selbsterwählten Weges.

Oft glaubte ich, mich ganz in Deine Hände gegeben zu haben, und muss doch immer wieder erkennen, dass ich in subtiler Weise immer noch auf mein eigenes Machen und meine eigenen Pläne baute und selber etwas erreichen wollte.
Theoretisch habe ich eigenes Können und Machen vielleicht schon länger relativiert und lebe im Bewusstsein meiner menschlichen Gebrechlichkeit und Unzulänglichkeit, aber in der Praxis ist das Wegfallen alles Eigenen dennoch wie ein Schock, bei dem der Atem stockt.

Die natürliche Neigung, mich auf mich selbst zu stützen und auf das, was ich erreicht habe, meldet sich immer wieder zu Wort. Dann bin ich in Gefahr, mich wieder nur auf mich selber zu beziehen und mich ans Ich zu klammern, statt für Krishnas liebevolle Nähe offen zu sein.
In einem langwierigen Prozess körperlicher und psychischer Folter lernt man ganz allmählich zuzulassen, wie die eiserne Mauer von der anderen Seite aus niedergerissen wird. Der Prozess der Nichtung meiner falschen Identität ist wie eine Umkehrung des Schöpfungsvorganges, eine Entwerdung.
Genau das ist es, was Mahaprabhu mit a-maanina meint, und dann kommt erst: kirtaniyah sada harih (dann möche Nam Prabhu in den von mir gesprochenen Silben erscheinen)
Schliesslich findet man wirklich überhaupt nichts mehr in sich selbst, auf das man noch pochen könnte, um Krishnas Gnade oder seine Liebe zu verdienen, keine heldenhafte Leistung, keine liebenswerte Eigenschaft, keinen selbsterrungenen Erfolg. Man ist von selbstischen Wünschen und Plänen entmischt: man hängt nur noch an Syamsundar und wird auf passive Weise in Sein Reich hineingesaugt.

Solange ich vor Dir jemanden sein möchte, Dir etwas anzubieten oder vorzuweisen habe, kann ich nicht wesentlich, d.h. mit wahrem Wesen, bei Dir sein.
Ich erlebe mich selber als unendlich weit von Dir entfernt und es erscheint mir unmöglich, den Abstand zwischen Dir und mir, zwischen Gott und Geschöpf jemals zu überbrücken.
Ich erkenne, dass der Weg zu Krishna ein Weg der Selbst-auflösung, das heisst der Enttrohnung meines majestätischen Ichs, ist. Schritt für Schritt lerne ich nein zu sagen zu jeder Versuchung, selber der Mittelpunkt meines Lebens zu sein und alle Fäden in den Händen zu halten.
Erst in dem Moment, wo ich Krishna erlaube, mich entblösst von all meinem "Etwas" in meinem "Nichts" zu lieben, bemerke ich auch wirklich eine Erwiderung. Krishnas Liebe braucht sich nicht zu verdienen. Krishna kam mir immer schon zuvor und gönnt mir Seine Liebe ohne Gegenleistung. Liebe ist per Definition gratis und bedingungslos (ahaituki also auch von Krishnas Seite aus! siehe SB 1.2.6)
Ich kann nichts anderes tun, als in meinem Nichts (a-maanina) zu bleiben, und Krishna alles machen zu lassen.


Was man aus eigener Bemühung nicht machen konnte - nämlich vollkommen werden in prema, göttlicher Liebe -, bekommt man nun auf passive Weise, indem man sich in purer Empfänglichkeit und unvermischter Selbstgabe der Berührung Radha-Krishnas aussetzt. Offen und frei beginnt man nun aus sich selbst herauszutreten.

Lieber Gopal, um Deiner Gnade, Deinem Wunsch, mich zu beschenken, wirklich Raum zu lassen, muss vorallem meinen Anspruch, zu den Besseren, den Heldenhaften, den Auserwählten, den Heiligen und Besonderen zu gehören, total aufgelöst werden. Gerade der grösste spiritueller "Fortschritt" kann sich als grösste Verführung erweisen.

Wen wundert es, dass eine so kleine und zunichte gewordene Seele in allen Umständen und Gegebenheiten so ruhig und erfüllt bleiben kann? Ein Nichts stört sich an nichts. Ein Nichts kann man nicht kränken und man kann ihm nichts antun, auch kein Unrecht. Ein Nichts kann nichts begehren, fordern oder erwarten. Und somit auch nicht klagen. Ein Nichts will und besitzt nichts. Es braucht sich nicht mehr um sich selbst zu sorgen. Ein Nichts ist wirklich unempfindlich gegenüber allen Dingen dieser Welt!
Welch grosses Gut besitzt so jemand!

Bhakti, die zärtlichste Umarmung der inneren Energie (hladini sakti) kann nie erzwungen oder programmiert werden, sondern kann nur als freiwillige Gabe, als Geschenk, von der anderen Seite, auf die Seele zukommen.