sanfter Weg
Im Gebet begegnet man der eigenen Wirklichkeit.
Warum? Man entzieht sich den Zerstreuungen der Welt, die einem glauben lassen, alles sei in bester Ordnung mit einem. Genau da tritt man in einen Bereich, der einem die eigene Nacktheit spiegelt, das eigene Unvermögen, im Wesentlichen zu sein, aufzeigen.
Man betet. Vielleicht in Worten, vielleicht auch innerlich nur. Die Zerstreuungen umlagern einen, sie wandern durch das Innere und lassen sich nicht fortjagen. Kein Wegwenden nützt mehr. Sie sind da. Es ist, als wäre man ganz und gar von ihnen angefüllt, als wäre sonst für gar nichts anderes mehr Raum.
Wie unglaublich zerfahren man meistens ist, kommt gerade erst im Gebet, beim Verweilen in Krishna so richtig zum Vorschein: die endlose Reihe von Vorstellungen, die sich jagen, überkreuzen und vordrängen, ist auch sonst da, nur bemerkt man sie nicht. Die Fessel wird in dem Moment erkannt, wo man sich bewegen möchte. Sobald man versucht, ruhig zu werden, kommt die Unruhe erst richtig über einen. Gerade in dem Moment, wo man anwesend werden möchte, bemerkt man, wie heftig es einen nach allen Seiten wegholt.
Deshalb begegnet man im Gebet den Schattenseiten, seiner verdrängten Wut, Enttäuschungen, den Verletzungen seiner Lebensgeschichte, seiner Angst, der Unzufriedenheit, der Traurigkeit. Der Anfang des Gebetes ist, den Grundnöten zu begegnen:
der Angst vor der Vernichtung (Nichtung der eigenen Existenz), Verzweiflung gegenüber dem Absurden (Nichtung allen Sinns) und der Trostlosigkeit der Einsamkeit (Nichtung allen Beziehungen).
Der nächste Schritt im Gebetsleben ist, seine eigene Wahrheit, unser Ist-Zustand, Sri Krishna hinzuhalten. In diesem Sich-selbst-Darbringen, im Hinhalten und auch im Aushalten dessen, erfährt man ein Frieden und eine tiefe Ruhe.
Ganz leise zeichnet sich dann drinnen etwas völlig anderes ab. Das Herz weiss sich bei Krishna. Ganz still und voller Frieden. Es ist Ihm zugewandt und wird von Ihm angeschaut.
Durch die einem so offenbarten Schwächen im eigenen Inneren sollen wir uns nicht beunruhigen lassen. Sie beweisen gar nichts. Wenn wir sie Krishna hinhalten (dhainya) und dabei auch die Versuche der Korrektur nicht unterlassen, werden wir geheilt.
Diese Gemütsruhe, diesen Frieden erfährt man nicht, wenn man Krishna nur seine frommen und glorreichen Seiten hinhält, das, was man für ihn getan hat, geleistet hat - denn was ich Gott vorenthalte, fehlt mir an meiner eigenen Lebendigkeit.
Wenn mir jemand sagt, dass er nichts von Gott spüre, rate ich ihm immer, dass er auch seine dunklen Seiten Gott offenbaren soll, sie ihm hinhalten – und die Beziehung beginnt oft wieder aufzuleben.
Wenn man alles, was in einem ist, Krishna hinhält, darf man erfahren, dass man von Ihm bedingungslos geliebt ist und erfährt so eine heilende und liebende Gegenwart, die einen einhüllt. Krishna betrachtet mich immer aus einer anderen Perspektive als diejenige meiner eigenen engen Menschlichkeit. Er beurteilt und verurteilt einen nicht und befreit einen so von seiner eigenen urteilenden Instanz, von dem überkritischen, alles-bewertenden Über-ich. Beten bedeutet, diese Wertungen aufzugeben und sich kindlich anzuvertrauen. Man ist bedingungslos angenommen.
Das hilft einen, sich auch selber anzunehmen und lieben zu lernen. Wenn man sich ganz und gar geliebt weiss, dann ist man auch in seiner Zerrissenheit, in der Abgetrenntheit von vielen Persönlichkeitsteilen, letztlich im Vergessen seiner eigenen Svarupa (der ewigen Identität der Seele), schon heil und ganz. Krishnas Liebe hält das Zerrissene zusammen. Wenn man Krishnas Liebe seine Wunden hinhält, anstatt selber immer wieder neu in den eigenen Wunden zu wühlen, dann können sie sehr schnell ausheilen.
Es gibt Tendenzen, sehr aggressiv mit den eigenen Dunkelstellen und Wunden umzugehen, sie alle zu analysieren, sie aufzudecken, sie zu bearbeiten. Das Gebet ist ein sanfterer Weg. Man betrachtet alle seine Wunden – um das herum kommt man allerdings nicht und das hält bereits viele vom Gebetsweg ab – ohne sie aufzukratzen.
Man vertraut darauf, dass eine heilende Liebe, Radha-Krishnas Güte, die erfreut sind über die neuen Ansätze von Aufrichtigkeit ihnen gegenüber, die eigenen Wunden berührt und durchdringt und dann erfährt man sich auch mit all seinen Wunden heil und ganz.