Satsang
Vollkommene Realisation ist in diesem Moment möglich, denn es ist mein natürlicher Zustand. (Beispiel von Khatvanga)
Dies setzt aber ein intensives Wollen voraus.
muktir hitvanyatha rupam svarupena vyavastithih (Srimad Bhagavatam 2.10.6)
"Dieser natürliche Zustand (svarupa) ist die vollkommene Freiheit aller eingenommenen Identifikationen."
Satsang (satsang bedeutet Zusammensein mit Wahrheit) ist die Essenz von Religion, wo die Form, die Praxis, die Techniken, auf den Kern reduziert werden, nämlich der Möglichkeit der direkten Begegnung mit Sri Krishna!
Vom Wesen her ist satsang nie kontrovers, aber es erzeugt Kontroversen in uns, weil es festgefahrene Glaubensvorstellungen des Geistes hinterfragt.
Das Problem ist häufig, dass der Geist hin- und herpendelt zwischen dem Glauben und dem Bezweifeln.
Zunächst glauben wir etwas, und dann bezweifeln wir es, was bedeutet, dass entweder Leichgläubigkeit oder Zweifel im Vordergrund des Bewusstseins stehen. Viele machen es sich leicht, einfach alles zu übernehmen, was erzählt wird, und viele machen es sich leicht, indem sie es einfach apriori anzweifeln - aber beides ist Bequemlichkeit, eine Weise, der eigenen und direkten Erfahrung zu entgehen.
Satsang ist der Riss zwischen Annehmen und Zweifel. In diesem Riss ist es weder nötig zu bezweifeln noch einfach zu übernehmen, denn wenn ich in diesem Riss bin, bin ich das erste Mal offen. Und dann erst bin ich bereit für satsang.
Der Geist kommt zum satsang und ist bepackt mit Meinungen, Spekulationen, Annahmen, Interpretationen und "Wissen". Viele missbrauchen den Weg der Annäherung zu Gott als eine Deckung der wahren Berührung. Unser Geist - in seiner Tätigkeit als Jäger und Sammler - trägt einen riesigen Rucksack von samskaras, Identifikationen (Brillen, die meine Sicht verzerren) mit sich herum. Es hat nicht gereicht, dass ich bereits Gepäck aus der Vergangenheit hatte, dass ich emotional bereits überbeladen bin, einen Fleischsack als Identifikationsobjekt herumtrage - jetzt will ich auch noch „spirituelle“ upadis (Bezeichnungen) mir aufladen. Das Gepäck wird immer schwerer und das ursprüngliche Gehen eines Weges wird immer mühsamer und beschwerlicher. Irgendwann werde ich sogar aufhören zu gehen - und breche zusammen unter der Last des Angesammelten.
Erst in diesem Riss in der Mitte ist man das erste Mal offen, denn man erkennt, dass nichts zu verlieren ist und dass es gar nichts zu verteidigen gibt.
Satsang ist nur möglich aus einer Haltung vollkommener Offenheit. Es ist in gewisser Weise eine kindliche, unschuldige Haltung, aus der heraus die Erforschung der Realität möglich ist. Darin trennt sich der Geist von seiner Vergangenheit und der Zukunft, die einen bisher bestimmten und die wahre Natur verschleierten.
Das angelernte Wissen, die vermeintliche Gelehrsamkeit des Geistes ist das grösste Problem, besonders bei uns im Westen. Satsang bedeutet, einzukehren in einen Zustand jenseits von Vorstellungen, egal wie erhaben, nobel oder glaubwürdig sie auch erscheinen mögen. Aber wer ist bereit, sich wirklich von den Vorstellungen der Vergangenheit zu trennen (auch von angelerntem spirituellem Konzeptwissen)?
Diese Abtrennung ist eine feine Mittellinie zwischen der sich selbst anschwärzenden Haltung von "ich verstehe nichts, und ich darf nichts verstehen, und ich kann nichts verstehen" und der Arroganz, die meistens der Normalzustand ist. Arroganz ist das Wesen des bedingten Geistes: er glaubt, er wisse etwas. So will ich der Transzendenz begegnen und glaube, ich wüsste, wer ich bin und glaube, ich wüsste, worum es geht. Dass bedeutet nur, dass ich nicht bereit bin für satsang.
Und so könnte ich mit meiner spirituellen Praxis fortfahren, und würde vielleicht einmal merken, dass selbst nach Jahren nichts passiert ist.
Immer wieder sollen wir einkehren in einen ganz stillen Ort in uns, an dem man sich fragen darf: "was ist wirklich geschehen die ganzen Jahre hindurch?
Ist wirklich mein Realitätsverständnis erschüttert worden oder war es nur "Hin-und Hertragen von Papierstapeln"?
Wenn ich für Wahrheit nicht bereit bin, alles in Kauf zu nehmen, dann lebe ich in Lüge, dann ist es nur ein Hobby, das ich betreibe.
Die vollständige Erkenntnis kostet alles!! Deshalb wird in den sastras die volle Erkenntnis oft gleichgesetzt mit dem totalen Verlust.
Wir glauben, wir seien so beschäftigt, unsere kleine Welt gegen das Damokles Schwert des drohenden Verlustes zu verteidigen. Ich versuche mein kleines Spiesser-Glück, meine Familie, Kinder und Besitz zu verteidigen - mit so viel Hoffnung. Und das Schlimmste ist, dass ich im tiefsten Ort in mir weiss, dass ich den drohenden Verlust gar nicht verhindern kann, und dass der Kampf vergeblich ist. Es ist nur ein Herauszögern meiner Konfrontation mit dem Unvermeidlichen: dass ich sowieso alles verlieren werde.
Nur Dämonen lassen einen nicht widerstandslos ziehen. Sie drohen einen: "Ich bin noch nicht fertig mit Dir. Wir haben noch eine Rechnung offen. Bleib noch ein bisschen."
Aber wir haben keine Rechnung offen! Wir können alles bei vollem Bewusstsein zurücklassen. Solange wir glauben, wir hätten noch eine Rechnung zu begleichen (in dieser Welt), zögern wir diesen Moment heraus. Es hindert uns wirklich gar nichts, zu Krishna zu gehen.
Wir leiden nicht daran, dass wir die Wahrheit nicht finden; wir leiden daran, dass wir das, was uns hindert, die Wahrheit zu erkennen, nicht aufgeben wollen.
Inneres Verstehen ist erst möglich, wenn jeder Versuch des Verstandes es zu verstehen aufgegeben wird, denn dies würde nur bedeuten, dass ich sastrische Wahrheit in meine bestehenden Denkkonzepte einzuflechten versuche - und damit entferne ich mich. Es ist kein Verstehen ,das im Geist stattfindet, es ist ein Verstehen im Herzen.
Es ist nicht so, dass das Wissen von Satsang in den Alltag gebracht werden muss; es ist vielmehr so, dass das Unwissen des Alltags in den Satsang gebracht werden muss.