Angeln – die Kunst des Nicht-wissen-wollens
Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar (Ingeborg Bachmann)
Der Herbst scheint die große Zeit der Fotowettbewerbe zu sein.
Jedenfalls stieß ich in den vergangenen Wochen häufig auf
Bilderserien mit Überschriften wie „Mein schönstes Urlaubsfoto"
und dergleichen. Dabei fiel mir zweierlei auf: Erstens, daß es
sich hierbei erstaunlich oft um Anglerfotos handelt, zweitens,
daß die Textzeilen dieser Anglerfotos oft besonders unpassend
sind: „Die Seele baumeln lassen", „Friedlicher Tagesausklang"
usw. Dabei kam mir ein ähnliches Phänomen, das mir bereits
früher aufgefallen war, in den Sinn: Überraschend viele
„besinnliche" Bücher (über den richtigen Umgang mit der Zeit,
den Sinn des Lebens usw.) haben am Cover ein Anglerfoto.
Damit sind wir bei einem neben Gleichgültigkeit und Egoismus
weiteren wichtigen, aber oft vernachlässigten ursächlichen
Faktor der Tierausbeutung: bei der Dummheit. Die Menschen
scheinen nicht zu begreifen, was hier abgebildet wird: die
grausame Ermordung hilfloser Wesen - zum Spaß oder aus
Langeweile oder „zur Besinnung" bzw. das geduldige oder
„entspannende" Warten auf ein unschuldiges Opfer, das in die
hinterhältige Falle tappt. Wobei „Dummheit" präzisiert werden
muß, um der Sache gerecht zu werden. Es handelt sich hier
wohl weniger um die tatsächliche Unfähigkeit, einen eigentlich
offensichtlichen Zusammenhang zu begreifen, als vielmehr um
ein Nicht-begreifen-Wollen, um ein Nicht-wissen-Wollen.
Wie auch immer – der Bewußtheitsgrad in bezug auf diesen
Tiermißbrauch ist wohl tatsächlich geringer als etwa der in
bezug auf das Geschehen im Schlachthof. Kein Mensch käme
auf die Idee, eine Schlachthofszene mit der Bildunterschrift
„Friedlicher Tagesausklang" zu versehen. Was in Schlachthöfen
passiert, wissen die Menschen sehr genau, und daß es FÜR
SIE passiert, damit sie Fleisch essen können, wissen sie
ebenfalls ganz genau. Aber es ist den meisten offensichtlich
egal. Einige ziehen freilich aus ihrem Wissen die moralischen
Konsequenzen und hören auf, sich weiter an diesem
Verbrechen zu beteiligen.
Zurück zum Angeln. Wie auch immer „reduziert" das Bewußtsein
in bezug auf diesen Tiermißbrauch sein mag – daß es sich hier
um einen Tötungsvorgang handelt, kann wohl niemandem
verborgen bleiben. So wenig es jemandem verborgen bleiben
kann, daß es sich beim Stierkampf um einen Tötungsvorgang
handelt. In beiden Fällen ist viel Nicht-wissen-Wollen im Spiel.
Wenn etwa den Menschen weisgemacht werden soll – und dies
nur allzugerne geglaubt wird -, daß es sich beim Stierkampf gar
nicht um einen Kampf handle (was insofern richtig ist, als es
sich um eine Hinrichtung handelt), sondern um ein Kunstwerk,
um ein Schauspiel über Leben und Tod, bei dem der Stier quasi
die Regie führe.
Erfreulicherweise gibt es gegen alle Formen und Grade des
Nicht-Wissens und Nicht-wissen-Wollens ein Gegenmittel:
Information. Je häufiger, hartnäckiger und massiver, desto
besser! Erfolgreiche Vorbilder sind etwa die
Informationskampagnen in bezug auf die Sinnhaftigkeit des
Sicherheitsgurtes, die Schädlichkeit des Rauchens und die
Veränderung des Klimas.
Im Hinblick auf unseren Umgang mit Tieren bedeutet maximale
Beseitigung des Nicht-Wissens und damit maximale
Verringerung erfolgreichen Nicht-wissen-Wollens natürlich noch
nicht die Lösung – siehe oben (das Wissen um die
Schlachthausrealität führt nur bei einigen Menschen zur
Verhaltensänderung). Aber Wissensvermittlung ist ein Schritt in
die richtige Richtung. Vor allem ist Wissensvermittlung ein
MÖGLICHER Schritt in die richtige Richtung.
Und genau darum geht es: daß wir alles uns Mögliche tun, um
das Schicksal der Tiere zu verbessern. Also sagen wir jedem
bei jeder Gelegenheit laut und deutlich die Wahrheit: Wenn du
tierliche Produkte kaufst oder konsumierst, bist du am Leiden
und Sterben dieser Tiere schuld.