DAS FESTESSEN

von Liane Ludwig, 2011

 
Der Bauer

Der Geruch der warmen Exkremente umfasste ihn wie eine gewaltige Windböe. Der Drahtboden war mit gelb-braunem Kot verschmiert und das rosafarbene, fette Tier grunzte satt und zufrieden mittendrin. Fahles Licht, das durch eine kleine vergitterte Wandöffnung in die Zelle kroch, warf vergilbte Flecken auf die Trostlosigkeit der Kulisse.

Wieder packte er heute den Schlauch, um den Wasserstahl auf den zusammengekauerten Körper zu richten. Verschreckte Grunzlaute steigerten sich zu einem heftigen Quieken, die Beinchen humpelten haltlos in alle Seiten und schließlich rutschte das Vieh ungelenk aus der Trefflinie. Kot vermischte sich mit Wasser und spritzte zurück, dass der Bauer sich mit einem schnellen Sprung zur Seite rettete.

"Arbeit und Mühe ...", murmelte er, während er sich gleichzeitig auf den zarten, buttrigen Geschmack besann. Sie holten es sich jedes Jahr immer schön ausgehöhlt und tiefgefroren, diesmal aber wünschte sich seine Frau von Herzen etwas ganz Frisches fürs Festessen. Und das würde sie auch bekommen, denn ihre Freude war seine Bestimmung.

Die Rasse war nicht allzu lang gezüchtet worden, sie war billig und schnell zu mästen, fast unbehaart und anspruchslos. Vorausgesetzt man schlachtete sie sehr jung. Die nur wenig älteren Exemplare bekamen bereits unschwer Krankheiten, man hatte lauter Ärger mit den Arzneien und all den nervenden Bestimmungen. Nein, er mochte es nicht Tiere zu züchten. Viel zu viel Dreck und Strapazen. Seine duftenden, endlosen Kräuterfelder und seinen bunten Obstgärten waren ihm da schon immer lieber gewesen.

Die Kälte drang plötzlich in seine Haut wie winzige Glassplitter. Er drehte das Wasser ab, ließ den Schlauch zurückrollen und eilte nach draußen.

Die frische Luft empfing ihn wie eine unverhoffte Belohnung für die getane Arbeit. Er sog sie gierig ein, während er langsam den belaubten Pfad zur Haustür hinter sich ließ. Als er im Haus verschwand, hatte sich der Gestank in seinem Inneren völlig verflüchtigt.

Sein Zuhause. Von ihm selbst gebaut, Stein für Stein, wie ein langes Gebet. Er blickte sich um in seiner großen Küche und nahm die Schwingungen seines Alltags in sich auf, das ganze Glück das sein Leben ausmachte: seine mollige, hübsche Frau, die fast nur aus Lachen und Schwung zu bestehen schien, die zarte Gestalt seines Kindes - ein Mädchen mit Augen so riesig und grau wie ein Wintersee, der herbe Duft der Kräuterbündel die von der Decke hinunterhingen und die wärmende Brise Holzrauch, die sanft die Räume durchstreifte.

Die Liebe überflutete ihn, doch sie wurde begleitet von einer dumpfen Furcht. Der Furcht all das auf einmal verlieren zu können.

Sein Leben war ein Segen und er war ein dankbarer Mann.

Als der Bauer den kleinen Stall wieder betrat, war das Morgenlicht noch ein regungsloser Schleier ohne jegliche Schatten. Das Haus lag still und dunkel hinter ihm und das Geäst der Bäume hing wie ein zweidimensionales Bild auf dem stumpfen Himmel.

Der Gestank drehte ihm fast den Magen um. Das Tier wachte leise stöhnend auf und näherte sich dem Trog, in Erwartung des süßen Breies.

Kaltes Wasser schoss mit unerwarteter Wucht aus dem Schlauch und jagte es jaulend an das andere Ende seines Verließ`. Es kauerte zitternd mit dem Rücken zum Strahl um den Bauch zu schützen, instinktgesteuert und völlig vergeblich, nur verschwendete Energie.


Der Bauer säuberte jeden Winkel gewissenhaft, so wie er immer alles tat.
Rollte den Schlauch wieder ein und überprüfte die Werkzeuge.
Befestigte die Haken zum Ausbluten.
Zog seine schwere Schürze an und nahm das Messer und das Stromgerät an sich.
Öffnete den Käfig und trat hinein.


Die Bäuerin

Die kühle Leere neben sich spürend, machte sie die Augen auf. Sie sah noch ihren Mann als er wie der Schatten eines Traums das Zimmer verließ. Sie schloss die schweren Lider, kuschelte sich vergnüglich in das nach Gras duftende Bett und dachte schlummernd über den Tag nach.

Ihr Kleines wurde gestern von den Großeltern abgeholt. Heute wollte sie alle mit dem Fest überraschen und richtig verwöhnen.

Ihre Gedanken, zu jung um dem Tag zu begegnen, trödelten und blieben an ihrem kleinen Wunschkind hängen - das Mädchen mit dem ernsten, sanften Blick aus metallgrauen Augen, die Frieden in alle Seelen brachten ... Sie kam sich wie eine Diebin vor, fast schon erwartete sie dass jemand auftauchte und das Kind zurückverlangte.

Während sie sich behaglich im Bett umdrehte, zwang sie sich wieder in die heutige Wirklichkeit. Zuerst ein bescheidenes Frühstück, dann das Haus schmücken, den Tisch decken, den Festraum herrichten und so weiter und so fort, bis sie endlich mit der angenehmsten Arbeit des Tages beginnen konnte: das Essen vorbereiten.


Die Vorfreude munterte sie gleich auf. Sie stemmte sich mit einem Ruck hoch, sie war eine große, mächtig gebaute Frau die ausgezeichnet kochte und gerne aß. Der Mann an ihre Seite wusste all das zu schätzen: ihren wiegenden Leib, ihr frohes Gemüt, ihren praktischen Sinn und ihr himmlisches Essen.


Gedanken darüber flogen durch sie hindurch wie farbige, schwindende Streifen, während sie sich wusch und konzentriert überlegte.

Sie würde das Tier im Ganzen zubereiten, nach alter Tradition, sie mochte diese Rituale sehr, sie gaben dem Leben einen Sinn und ihr ein unbeschreibliches Gefühl der Geborgenheit.

Eine Kräuterfüllung wollte sie herrichten und einen kleinen grünen Apfel in das Maul einklemmen. Alles sollte dann vorsichtig auf einem roten Gemüsebett aufgelegt und in den heißen Ofen geschoben werden. Bis das Fleisch sich fast, aber nur fast, von den Knochen löste. Ihr rann das Wasser im Mund zusammen, als sie sich das köstliche Kunstwerk vorstellte.


Die Bäuerin hielt auf einmal inne, mitten in einer Bewegung ... Sie waren wunschlos glücklich, der Schöpfer hat es wirklich gut gemeint mit ihnen, sie hatten alles was sie sich wünschten. Eine Woge der Dankbarkeit durchflutete sie und hinterließ ihr Gänsehaut.

Jähes Kreischen von draußen schreckte sie plötzlich hoch. Im selben Augenblick fiel ihr das Tier ein und sie atmete erleichtert aus.

Beschwingt, schaukelnd und duftend hastete sie aus dem Raum.


Das Kind

Das Mädchen zuckte aus dem Schlaf mit leisem, gepressten Wimmern. Der selbe Albtraum hatte sie wieder in seinen Krallen gehabt und sie vom großen, weichen Körper ihrer Mutter fortgerissen.

Sie fühlte die Grabesstille um sich herum, den harten, kalten Boden und die unverrückbare Einsamkeit. Das kleine Herz hämmerte so laut und so schnell in ihrer Brust, dass sie kaum noch Luft bekam: es war kein Albtraum! Sie war allein und eingesperrt und fühlte sich unfassbar schwach ... sie wusste nicht wie und warum es so war. Die Panik lähmte sie fast vollständig...

Eins. Zwei. Drei. Vier. Fünf. Dann die andere Hand. Sie zählte ihre pummeligen Finger, eine Hand nach der anderen, so wie es ihre Mutter ihr beigebracht hatte. "Zuerst die Finger mein Engel, dann die Zehen. Nachher sagst du ganz laut deinen Namen: Maja. Sag ihn wieder und wieder, bis die böse Angst weg ist."


Sie schluchzte leise ihr Mantra vor sich hin, mit geschlossenen Augen, seufzend und schniefend: "Ich bin Maja ... fünf Jahre alt ... Maja … hab zwei Hände mit eins ... zwei ... drei ..." Ein unruhiger, liebloser Schlaf überkam sie irgendwann.

Die Ewigkeit entfaltete sich wie eine steinerne Decke über dem zusammengerollten Leib.


Das Fest

Sie standen im Kreis und hielten sich. Die empathischen Vibrationen erfüllten den Raum. Sie spürten sich einander wie Engel. Lichter glitzerten in allen Farben, die Luft knisterte elektrisch.

Das kleine Mädchen war auch hier. Sie genoss das erste bewusst wahrgenommene Fest in ihrem jungen Leben. Eine Wunderwelt baute sich auf, verschwand plötzlich, kam dann zurück wie eine elfenhafte Berührung, um sich schließlich wieder aufzulösen ... lebendig gewordene Liebe, die die Familie stärkte und verband.


Sie setzen sich um den großen Tisch herum und warteten voll zurückgehaltener Begierde, dass der Vater und Herr des Hauses seine Pflicht tat.

Der Bauer ließ eine klebrige Tentakel aus seinem braunen, mit behaarten Atemlöchern bedeckten Körper herauswachsen und holte sich das Messer. Seine zwei kristallenen Augenpaare bogen ihre Stiele elegant in die Richtung des Festmahls.


Mitten auf dem feierlich geschmückten Tisch - goldbraun gebraten, mit knusprigen Ohren, mit zwei Händchen und zwei Füßchen, mit aufgeschnittenem runden Popo und köstlich gefüllt - lag das Tiermädchen Maja. Geschlachtet im richtigen Alter. Fünf Jahre.