Beobachten der Unbeständigkeit aller Phänomene
Keine Erscheinung in dieser Welt ist beständig. Alle Dinge sind ausnahmslos in einem unaufhörlichen Prozess der Umwandlung begriffen.
Da sich alles, was uns umgibt, ständig verändert, ist uns nichts zugehörig.
Wenn man tief und eingehend über die Unbeständigkeit reflektiert, erkennt man, wie in jedem Augenblick eine Veränderung, ein Wandel stattfindet.
Es ist nicht nötig, diese alldurchdringende Veränderlichkeit negativ zu bewerten, nur weil sie einem die Dinge, die einem lieb und teuer sind, mit aller Sicherheit wegnimmt.
Eine Blume empfängt ständig „nicht-Blume-Elemente“ wie Wasser, Luft und Sonnenschein und sie gibt ständig etwas an das Universum zurück. Eine Blume ist also ein Strom des Wandels. Sie wird also fortwährend geboren und stirbt fortwährend. So ist es auch mit menschlichen Wesen und der gesamten Schöpfung. In jedem Augenblick wird etwas aufgenommen und etwas abgegeben.
Die Wellen mögen hoch oder niedrig sein, aber die Essenz der Welle, das, aus was sie besteht, ist weder hoch noch flach, ist weder entstehend noch vergehend. Alle Bezeichnungen der Wellen wie hoch, aufgewühlt, türmend oder ruhig bezeichnen nicht das Wesen des Wassers.
Wir weinen oder lachen gemäss den Merkmalen, die wir wahrnehmen, da wir das Wesen der Dinge noch nicht erfasst haben. Wenn wir nur die Erscheinungsform der Welle sehen, wie sie geboren wird und wieder vergeht, dann leiden wir. Betrachten wir aber das Wasser, aus dem alle Wellen bestehen, dann hat man nichts zu befürchten.
Am Anfang der Meditationspraxis lebt man in der Hoffnung nach Beständigkeit der Dinge und leidet in jeder Veränderung. Und da die Veränderung konstant ist, ist auch das Leiden beständig und lebensprägend.
Wenn man die wahre Natur der Dinge erkennt, wird man gelassen und es macht einem nichts mehr aus, ob man jung ist oder alt, lebendig oder tot. Es wird einem klar, dass man gar nicht sterben kann, in dem man meint, man hätte existiert und würde dann aufhören zu existieren. Alles im Leben ist Transformation, Verwandlung, unterworfen.
Das führt zur Erlöschung der Erwartung, der Hoffnung in der Welt. Man erwartet aus den Projekten des Begehrens keine Freude oder Erfüllung.
Fischer benützen manchmal künstliche Köder und Fische beissen an, weil sie die Köder für echt halten – und leiden. Viele Menschen leben im Glauben, durch die Arrangierung von äusseren Umständen bereichert und erfüllt zu werden. Man leidet an den falschen Vorstellungen der Welt – und die kreiert man selber, ständig neu.
Wenn man die Natur des Wandelns erkennt und anerkennt, verschwindet auch den Wunsch nach Konstanz und Beständigkeit, den man in die äussere Welt hineinprojiziert hatte.
Eine Rose, eine Wolke, ein Mensch, ein alter Baum – sie alle sind im Prozess der Auflösung. Alles durchläft die Stadien von Geburt, Dauer, Verwandlung und Verschwinden. Wer mit Meditation beginnt, sollte ganz genau, diese Unbeständigkeit aller Dinge beobachten.
Einige denken, dass dass diese Betrachtung einem zu einer pessimistischen Lebenshaltung führen würde, dass sie einem die Liebe und Freude zum Leben nehmen würde.
Die Wirklichkeit ist immer heilend und befreiend. Man wird der Begrenztheit enthoben, an die man sich selber geklammert hat. Die Isolierung des Selbstes von der Wirklichkeit hat Namen wie: „mein Haus“, „mein Partner“, „meine Kinder“, „meine Haus“, „mein Besitz“, „mein Reich“….
Wenn man diese Selbstbegrenzungen ablegt, erkennt man, dass der Verfall der Erscheinungen das Leben selbst, die ewige Seele, gar nicht berühren kann, dass das Entstehen und Vergehen der Welle, das Wasser nicht beeinflusst.
Beobachtet man die Erscheinungen auf diese Weise und erhellt ihren Verfall, so bleibt man gleichmütig angesichts von Leben und Tod und erlebt sogleich eine stille tiefe Freude, einen Frieden, der durch Verlust nicht weniger wird, und durch Gewinn nicht angereichert wird.
Gewöhnlich fürchtet man, die Dinge zu verlieren, wenn man loslässt. Aber in der genauen Beobachtung erkennt man das genaue Gegenteil. Je mehr man loslässt, desto freier wird man.
Man muss nicht nicht die Dinge loslassen, sondern nur die verkehrten Wahrnehmungen der Wirklichkeit, alle falschen Vorstellungen und Hoffnungen.
„Hoffnung zu haben ist das grösste Leid. Hoffnungslosigkeit die grösste Freude. (SB 11.8.44)
Loslassen bedeutet also, Vorstellungen über einem Selbst (das Selbstbild) und die Lebensspanne zu überwinden. Man denkt, das Leben begänne an dem Tag, an dem die Mutter einem geboren hat und ende, wenn der Totenschein ausgestellt werde. Das ist nur die Limitation auf einen Körper. Wirklichkeit bleibt unberührt.