Bereitschaft zum Sterben

 

Aus der Rebellion gegen die Oberflächlichkeit des Lebens wird eine Frage im Innersten wieder zugelassen: Was ist am Wichtigsten in diesem Leben?

Die erste Antwort, die einem auf der Hand liegt, ist: Es ist limitiert - wir sterben. Unsere Romanze mit dem Tod beginnt...

 

Die Erkenntnis, dass dieses Leben schon bald wieder vorbei ist, dem Leben hier, dem Streben nach innerweltlichen Errungenschaft, eine gewisse Bedeutungs- und Sinnlosigkeit. Alles wird wie Stroh umgehauen.

 

Die offene Auseinandersetzung mit diesem Ende wird deswegen so gefürchtet, weil dadurch so viele in einem noch offene Fragen auftauchen. Wofür ist diese provisorische und zeitweilige Existenz hier? Weshalb soll ich mich so in das Leben hineinstürzen? Wofür mich so bemühen? Es geht gar nicht lange, und niemand kennt nicht einmal mehr meinen Namen...

 

Deswegen will man den Tod aus seiner Aufmerksamkeit herausstreichen, ihn aus seinem Leben evakuieren. Genau dadurch limitiert man sein Bewusstsein, denn man kreiert Wunden, auf die man nicht hinschauen darf. Für die Aufrechterhaltung dieser Ausgrenzung wird so viel Lebensenergie investiert. Die Energie, die man für deren Verdrängung investiert, wird einem zum Leben fehlen... Es ist nicht nur natürlich, sogar kreatürlich, Angst vor dem Tode zu haben; das Ungesunde ist nur, sie zu ignorieren. Es ist ein Paradoxon, dass man für ihre Überwindung ihr auch ganz begegnen muss.

Nicht der Tod ist das Leiden, sondern nur die paranoide Flucht davor.

 

Der Tod ist aber nicht nur ein Wegnehmer sämtlicher Lebensumstände und allem, was einem lieb war. Er ist auch Sinngeber, nämlich dann, wenn man mit dieser Unvermeidlichkeit, dem Ende unserer hiesigen Existenz, in eine ernsthafte Beziehung tritt. Darin wird man zu einer ganz neuen Lebendigkeit erweckt.

 

Mit dieser "deadline" lernt man viel besser. Im Alltagsleben kennen wir das: wo nichts geschieht, wird plötzlich viel in Bewegung gesetzt, wenn wir eine „deadline“ bekommen. Der Tod erscheint als Grenze in unserem Leben, um innere Prozesse zu beschleunigen und einen aus der Banalität des Alltäglichen herauszunehmen und in Beziehung zu dem zu setzen, was durch keinen Tod bedroht wird.

 

„Bin ich jetzt bereit alles aufzugeben? Alles hinter mir zu lassen?“

 

Jede Anhaftung, jede Vorstellung und Hoffnung an den Körper oder an Gedanken und Gefühle führt zwangsläufig zu irgendeiner Art von Leere und Enttäuschung. Viele Menschen verbringen viele Leben in diesem mentalen Muster. Sie leben in der Vergänglichkeit und tun so, als wenn der Tod in weiter Ferne sei, obwohl er jederzeit greifbar nahe ist.

Der Geist macht auf sehr glaubwürdige Weise vor, dass etwas Schreckliches, etwas Grauenhaftes passiert, wenn der Körper aufgegeben wird. Wenn alles zusammenbricht.

 

Ich las einen Bericht eines Schiffbrüchigen, der auf der Fähre war, die im Winter 1996 mit 900 Leuten im Meer untergegangen ist, und er beschrieb diesen Moment im eiskalten Wasser, diese unwahrscheinliche Panik, diesen Terror, diese unheimliche Selbstverkrampfung vor dem Tod. Aber was interessant war, war der Moment, in dem bei diesem Mann - der vermutlich noch nie irgendwelche spirituellen Erlebnisse gehabt oder auf der Suche gewesen war - die Aufgabe dieser Todesverkrampfung geschah, und er nur noch Glückseligkeit erfuhr. Und diese Glückseligkeit überwand vollkommen den Schmerz des kalten Wassers und all den Terror um ihn herum. Das war der Moment, in dem er vollkommen bereit war, zu sterben.

Das ist das grosse Paradox: dass einzig aus der Bereitschaft zu sterben das Leben voll erfahren werden kann.

Der Geist sucht immer danach, subtil oder ganz plump, den Tod immer wieder auszublenden.

Es kostet einen eine ständige Anspannung, eine ständige Verkrampfung, sich gegen das zwangsläufige Sterben zu behaupten, und sich dagegen zu wehren. Aber in der vollkommenen Bereitschaft, den Tod wirklich einzuladen, liegt das Tor zur Glückseligkeit. Das ist der Moment, in dem einem aus der vollkommenen Bereitschaft zur Erkenntnis gleichgültig wird, ob man lebt oder stirbt. Man hat nun tiefere Existenz erahnt, die unberührt bleibt, wenn alles zusammenfällt - die unvergängliche Seele.

Diese Gleichgültigkeit ist keine Handlung; es bedeutet nur aufzuwachen, die Aufmerksamkeit vom Unwirklichen zurückzunehmen und sie wieder dahin richten, wo sie natürlicherweise hingehören würde - auf Radha-Krishna, auf Gott.

 

 

"Wenn deine Intelligenz aus dem dichten Wald der Täuschung herausgetreten ist, wirst du gegenüber allem, was gehört worden ist, und allem, was noch zu hören ist, gleichgültig werden."

(Bhagavad Gita 2.52)