Im Totschlagen der Zeit tötet sie uns

Alle versuchen, die Zeit totzuschlagen und dennoch will keiner sterben. Es ist ein paradoxer Satz, den dieses französische Sprichwort formuliert. Wir schlagen die Zeit tot. Aber indem wir die Zeit totschlagen, wollen wir dem Tod selber aus dem Weg gehen, um ihm nicht begegnen zu müssen. 

Der eine schlägt die Zeit tot, indem er Lebenszeit vor dem Fernseher verbringt, der andere, indem er seine Zeit mit leeren Aktivitäten voll stopft oder sich erfüllt fühlt im Beruf, in der Arrangierung seines Körpererhaltes. Der eine weicht der Zeit aus, indem er sich dem Gerede hingibt und mit Belanglosigkeiten das Loch zu stopfen versucht.

Man möchte die Zeit nicht spüren, weil man mit der Zeit auch ihre Begrenzung wahrnehmen würde und in dieser Begrenzung schaut der Tod in unsere Zeit hinein. Er ist die eigentliche Grenze für unsere Zeit. Wir schlagen lieber die Zeit tot, als uns mit dem Tod zu konfrontieren, als ihm in die Augen zu schauen. 

Doch nur wer sich dem Tod stellt, wird die Zeit bewusst wahrnehmen und erleben. Erst in dieser Begegnung kann Zeitlosigkeit, Ewigkeit in den Bereich der Zeit hineinbrechen. Und erst das ist der Kontakt mit dem Leben.

 

Der Tod weist uns hin, worauf es wirklich ankommt. Wir können nichts mitnehmen, weder unseren Erfolg noch unseren Besitz, noch die Menschen, die wir lieben. Wir können nur unsere leeren Hände ausstrecken und uns in liebende Arme fallen lassen. Im Angesicht des Todes können wir gelassen leben, im richtigen Abstand zu den Dingen und nicht mehr bestimmt von tausend Nebensächlichkeiten und nicht mehr gedrängt von den Dringlichkeiten der Welt.

Unsere Arbeit, unser Besitz, die Menschen um uns herum – alles erhält sein richtiges Mass. Mit dem Tod zu leben heisst auch, bewusst und ganz in der Gegenwart zu leben, spüren, was Leben im letzten ist: jeder Moment, jeder Atmzug ist Geschenk. Es kommt nicht auf unsere Leistung an. Lebendige Zeit gelingt dem, der den Tod wahrnimmt.

Tot wird die Zeit, wenn der Tod verdrängt wird. 

Zeit wird zur tötenden Kraft (kalo smi loka ksaya krit – Bhagavad Gita 11.32), wenn wir nur die Zeit totschlagen.