Morgen sterbe ich

Wenn man sich vorstellt, dass man morgen sterben wird, dann würde man den heutigen Tag sehr bewusst und intensiv erleben. Man würde den Augenblick kosten. Man würde sich auf die Begegnungen vorbehaltslos einlassen. Man würde auf jedes Wort achten, dass man spricht, und abwägen, was man eigentlich sagen möchte. 

 

Alle wissen, dass sie eines Tages sterben werden. Und alle glauben, es werde nicht morgen sein. 

Täglich den Tod vor Augen zu haben ist eine wichtige spirituelle Übung. Daraus soll nicht resultieren, dass man morbid und traurig durch das Leben geht, sondern sie sensibilisiert einen für das Wesentliche. 

 

Sich vor Augen zu halten, dass man sterben wird, bedeutet, menschlich zu leben, so zu leben, wie es unserer menschlichen Existenz entspricht, die ja sterblich ist. 

Und es heisst, achtsam und wach zu leben, sich immer wieder des Geheimnisses inne zu werden, zu leben, dass man da ist, dass man atmet, dass man erfühlt, eine einzigartige individuelle Seele zu sein, für die Sri Krishna einen einzigartigen Plan hat. 


Das Gedenken an den Tod dient dem Leben. Was bedeutet es, einmalig zu sein? Was heisst es, etwas zu vermitteln, was nur ich selbst vermag?

Was bedeutet es wirklich, wenn Krishna sagt: mamaivamso jiva loka „dass man ein Wesensteil Seiner selbst ist“?

 

Spätestens mit 30 Jahren muss sich der Mensch mit seinem Tod vertraut machen. Es muss bewusst das Absteigen seiner biologischen Lebenskurve annehmen, um seine psychologische Linie weiter entwickeln zu lassen in Richtung Individuation.

 

Jung sagt: „Von der Lebensmitte an bleibt nur der lebendig, der mit dem Leben sterben will.“

 

Das Paradox ist, dass gerade Menschen, die während ihres Lebens immer wieder gejammert haben, das das Leben so schwierig sei, dass sie nichts davon hätten, sich mit aller Kraft ans Leben krallen, sobald es ihnen genommen wird.

 

Diese Angst und Verkrampfung vor dem Tod ist letztlich: Nicht leben wollen.

Denn leben, lebendig bleiben, reifen kann nur, wer das Gesetz des Lebens annimmt, das sich auf den Tod als sein Ziel hinbewegt.

 

 

Übung:

 

Stelle dir vor, du stehst nun kurz vor deinem Tod. Überlege dir, welchem Menschen du noch einmal etwas schreiben möchtest. 

Und dann schreibe einen Brief, in dem du diesem Menschen sagst, was du im Leben vermitteln wolltest, das die eigentliche Botschaft deines Lebens sein sollte. 

Du brauchst keine Angst vor grossen Worten zu haben. Wir werden nie ganz leben, was wir im Tiefsten unseres Herzens ersehnen. Aber trotzdem tut es einem gut, die Leitidee seines Lebens einmal zu formulieren. 

Warum und wofür steht man jeden Morgen auf, warum nimmt man all die Schwierigkeiten in Kauf, die das Leben mit sich bringt? Was möchte man in jeder Begegnung den Menschen vermitteln? Was sollen sie an mir, an meiner Seele, an meinem Herzen, an meinen Augen, an meinen Worten ablesen?

Was ist die tiefste Motivation meines Lebens, was möchte ich als mein Vermächtnis den Menschen hinterlassen? 

 

Bewahre diesen Brief auf, damit di dir von Zeit zu Zeit bewusst machst, was deine prophetische Sendung in diese Welt heute ist, was die tiefste Botschaft deines Herzens ist, was du den Menschen mit deinem ganzen Leben vermitteln möchtest.