Verlust
Die Erfahrung von Verlust ist schmerzlich im Moment. Aber mache ich nachträglich wirklich die Erfahrung, etwas verloren zu haben?
Spüre ich die Verkrampfung, die darin besteht, Angst zu haben, etwas zu verlieren?
Wie wäre es, wenn ich alles verlieren würde, in einem Moment, IN DIESEM MOMENT?
Wie wäre es, wenn ich bereit bin, die Erfahrung zu machen, alles zu verlieren und dann zu beobachten, ob ich WIRKLICH alles verloren habe?
Wenn ich den Körper verliere - ich werde ihn sowieso verlieren - warum nicht jetzt? Wenn ich Gefühle verliere - ich mache ohnehin ständig die Erfahrung, dass Gefühle in mir wieder verblassen - warum nicht jetzt?
Wenn ich Gedanken verliere - sie entgehen mir ohnehin dauernd - warum nicht jetzt?
Mein Problem besteht darin, dass ich Dinge für mich in Anspruch nehme, in Besitz nehme, die mir nicht gehören. Und wenn ich Dinge in Besitz nehme, die mir nicht gehören, dann leide ich darunter, weil ich glaube, sie festhalten zu müssen.
Ich bin frei, wenn all diese Dinge in mir auftauchen und wieder abtauchen, ohne dass ich sie in Besitz nehmen muss, ohne dass ich sie zu mir in Beziehung setzen muss.
Das Problem ist nicht, dass Gedanken und Gefühle in mir auftauchen - sie werden immer auftauchen, irgendwann, irgendwie - aber ich muss sie nicht in Besitz nehmen, sie auf mich zuordnen - denn sie haben keine Zuordnung auf mich.
Ich muss nicht so tun, als seien es meine Gefühle oder mein Körper oder meine Gedanken.
Denn in dem Moment, in dem ich mich mit euphorischen Gefühlen identifiziere (Lotogewinn oder Verliebtheit), identifiziere ich mich bereits unbewusst mit negativen Gefühlen (Verlustangst).
Ich greife nach dem Leiden, nehme es in Besitz und beklage mich dann darüber, dass ich leide. Wer hat mir gesagt, dass das, was an die Oberfläche meines Bewusstseins tritt, mir ist?
Ich kann in diesem Moment die Erfahrung machen, wie es ist, wenn ich einfach ganz still bin, und die ganze Geschichte, die ganzen Emotionen nicht berühre.
Sie kommen und gehen von alleine ohne meine Beteiligung. Immer neue tauchen auf.
Nun lasse ich sie wiederkommen, aber ich lasse sie in Ruhe. Es ist ganz willkürlich, wenn ich bestimmte Gefühle einfach zu MEINEN Gefühlen mache.
Irgendwelche auftauchenden Phänomene werden selbstherrlich als ICH erklärt..
Das ist tatsächlich die Bedeutung des Wortes Arroganz: dass ich etwas für mich in Anspruch nehme, das mir nicht gehört.
Was bleibt, wenn ich alles verliere?
Ein Babaji am Radhakund hat mich vor vielen Jahren einmal gefragt: "Hast du die Bereitschaft zu verlieren, was du meinst, bereits gewonnen zu haben?"
Ich hatte auch das Bild, den spirituellen Weg als einen Pfad anzusehen, auf dem man seine innere Trophäensammlung erweitern könne. Auf dem wir etwas dazugewinnen könnten, was wir nicht haben (Freiheit, Glück, Frieden, Stille).
Es gilt nicht etwas zu gewinnen, sondern alles zu verlieren - in vollstem Bewusstsein.
Der Verlust ist für den Geist schwer zu verstehen. Er ist verbunden mit dem Schmerz des Abschieds. Verlust der Identität an der wir uns orientieren und mit der wir durch die Welt gehen. Man hat nicht wirklich ein positives Verhältnis zum Moment des Verlustes.
Man hat den Wert dieses Momentes nie zu schätzen und lieben gelernt. Es ist einem nie beigebracht worden.
So dass man diesen Moment innerlich erst neu erfahren muss. Er bringt nichts als Entlastung mit sich.
Wir sind wie Bettler, die an ihrem letzten Hemd festhalten, in Wirklichkeit aber in einem Königreich der Fülle stehen, das wir nicht erkennen können, weil wir so beschäftigt sind, um unser letztes Hemd zu kämpfen.
Erkenntisweg ist immer ein Weg des bewussten und ganz akzeptierten Verlierens. Es ist Weg des Verlierens, des Verlustes, Aufgebens und Nichts-dafür-Bekommens.
Verlust
Ein frommer Brahmana lebte glücklich mit seiner Familie - einer bewundernswerten Ehefrau und zwei geliebten Kindern.
Einmal musste er beruflich mehrere Tage verreisen. Während seiner Abwesenheit sind seine zwei Söhne bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
Die Mutter litt schweigend. Aber da sie eine gläubige und starke Frau voller Gottvertrauen war, ertrug sie den unermesslichen Schmerz tapfer. Wie sollte sie ihrem Mann diese Nachricht vermitteln?
Er war nämlich schon mehrmals wegen Herzproblemen im Krankenhaus gewesen, und seine Frau befüchtete, dass er, wenn er von der Tragödie erfuhr, gleich ebenfalls sterben würde.
Ihr blieb nur, zu Gott zu beten, damit er ihr riete, was nun zu tun sei - sich ganz seiner Führung anzuvertrauen.
Sie betete - und es wurde ihr die Gnade einer Antwort zuteil.
Als am nächsten Tag der Brahmana von seiner Reise zurückkehrte, umarmte er seine Frau und fragte dann nach seinen Söhnen. Die Frau meinte, er solle sich nun nicht darum sorgen, sondern ein Bad nehmen und sich ausruhen.
Als sie später beim Essen sassen, fragte sie ihn nach seiner Reise und er erzählte, was er alles erlebt hatte. Dann fragte er abermals nach den Söhnen.
Seine Frau antwortete ihm: "Lass die Söhne einstweilen. Ich möchte dich zuerst bitten, mir zu helfen, ein schwieriges Problem zu lösen."
Der Mann, der bereits die Besorgnis in sich trug, fragte: "Was ist passiert? Du wirkst niedergeschlagen! Erzähl mir, was du auf dem Herzen hast, ich bin sicher, dass wir mit Gottes Hilfe gemeinsam jedes Problem lösen werden."
"Als du weg warst, hat mir ein Freund zwei Schmückstücke von unschätzbarem Wert in Verwahrung gegeben. Es sind äusserst kostbare Schmuckstücke! Schönere habe ich noch nie gesehen! Er wird sie wieder abholen, und ich bin nicht bereit, sie ihm zurückzugeben, denn ich habe sie liebgewonnen. Was sagst du mir dazu?"
"Nun, dein Verhalten ist mir unverständlich. Du bist doch nie eitel gewesen."
"Ich habe noch nie so etwas Schönes gesehen! Ich kann den Gedanken nicht ertragen, sie zu verlieren, sie nicht mehr bei mir zu haben.!"
Darauf antwortete der Brahmana entschieden:
"Niemand kann etwas verlieren, was er nicht besitzt. Wie kannst du Anspruch haben auf etwas, dass nicht bei dir bleiben kann? Die Schmuckstücke zu behalten, wäre Diebstahl! Wir werden sie zurückgeben, und ich werde dir helfen, den Verlust zu überwinden."
"So sei es, mein Lieber, dein Wille geschehe. Der Schatz wird wieder zurückgegeben. In Wahrheit ist dies bereits geschehen.
Die kostbaren Schmuckstücke waren unsere Söhne.
Der Herr hat sie uns anvertraut, und während du auf Reisen warst, hat er sie wieder geholt. Sie sind gegangen."
Der Brahmana verstand sofort. Er umarmte seine Frau, und sie vergossen beide viele Tränen. Aber er hatte zur gleichen Zeit auch die Botschaft verstanden.....