Was habe ich jemals durch Sterben verloren?
einen Nachruf an einen Herzensfreund
Tibor, einer meiner engsten Devotee-Freunde, der mich schon seit über 30 Jahren begleitet und von dem ich so viel lernen durfte, hat am 21.
September seinen Körper verlassen. Ich habe noch eine ganze Nacht bei ihm verbracht, wo wir uns als Gefährten in diesem Leben verabschiedet hatten und dann die Aufmerksamkeit auf Vraja-Dham
richteten. Wir sangen Gopi Gita, Venu Gita und haben Vilapa Kusumanjali Verse meditiert.
Er war Gymnasial-Lehrer und was immer er auch unterrichtete, darunter schwang immer die heilige Sehnsucht nach reiner Gottesliebe mit. Viele Schüler haben es aufnehmen können und immer wieder
sind Schüler von ihm bei uns im Ashram aufgetaucht.
Tibor war ein Mystiker. Er nahm die innerste Essenz der Bhakti tief in sich auf, doch hätte er sich nicht einfach mit einer Zughörigkeit zu einer irdischen Ausdrucksweise der heiligen Sehnsucht
zufrieden gegeben.
Der interreligiöse Dialog führt zu einem respektvollen Austausch von Ideen. Das reichte Tibor aber noch längst nicht, denn er hat nach aufrichtiger Begegnung gebrannt.
Inter-Spiritualität ist eine Reise in die direkte Begegnung, welches gänzliches Einlassen erfordert.
Organisierte Religion ermutigt nicht, die Praxis anderer spiritueller Ansätze zu erforschen und erfahren, denn sie definiert sich ja selber gerade durch Nachläufer und nicht durch Mit-Denker und -Leber.
Doch der heilig Liebende kennt nur Entfaltungsmöglichkeiten und feiert das Wahre, wo immer sich eine Spur Gottes erkennen lässt. Das ist die Dynamik von interspiritueller Mystik und der Prüfstein, ob man es ernst meint mit seiner heiligen Beziehung. Es ist eine Liebe, welche alles fordert.
Als ich Tibor an einem Fest kennen lernte, hatten wir gerade eine ganze Nacht miteinander gesprochen - und um uns herum brausten feiernde Jugendliche, während wir über die Nicht-Verzweckung der Gottesliebe sprachen.
Fast alle Menschen verbringen ihr gesamtes Leben, ihr mentales Selbstbild zu leben. Das ist die „Selbstverwirklichung“ der Identifikations-Rolle.
Doch das falsche Selbst muss sterben. Wir bedürfen diesem sowieso nicht mehr. Dieses getrennte Selbst ist nur ein Ersatz für unsere tiefste Wahrheit. Für unsere Ursprünglichkeit. Für die Sehnsucht dieser Seele.
Das war Tibor auch auf dem Sterbebett ganz klar. Es geht um ein viel umfassenderes Sterben als nur einen Körperwechsel.
Wir dürfen uns in einen heiligen Raum hineinziehen lassen. In diesem Schwellenraum findet Transformation statt. Darin darf man ausharren – zwischen den Welten. Die alte Welt liegt hinter uns, aber wir sind in der Neuen noch nicht zuhause.
Es ist der Ort, in dem Gott am besten an uns arbeiten kann, weil wir nicht mehr im Wege stehen. Es ist ein Auslieferungsraum.
Man darf nicht einfach durch Schicksalsschläge in diesen hineingestossen werden, sondern muss ihn gänzlich freiwillig betreten...Erst dann manifestiert sich die Kraft des Schwellenraumes.
Wenn wir solche Schwellenräume meiden, beginnen wir, die Normalität zu ver-gotten. Das wäre die Verwelkung des Lebens.
Diese Übergangszeit ist unmatta kala «verrückte Zeit» - Sie hat nicht mehr gewohnten Anblick – genauso wie die Zeit nach dem Tod deines liebsten Menschen.
Ich glaube, dass es die einzigartige Aufgabe der Religion ist, uns jetzt in die verrückte Zeit zu geleiten.
Ich bekomme manchmal Anfälle von Religionskritik, wenn ich beobachte, dass die Religion nicht nur das System der Normalität bestätigt, sondern den Menschen auch noch beibringt, sich darin gemütlich einzurichten. Sie verstärkt noch unser Festsitzen in der alten Welt.
Wir möchten nicht, dass die Heiligen, das System abbauen. Wir wünschen uns, dass sie den Status Quo absegnen.
Religion würde dann überwiegend nur noch der Legitimation der Kuschel-Ecke dienen.
Doch wir dürfen Heimatlosigkeit betreten in diesem Schwellenraum. Wiedergeburt ist nicht der passive Vorgang, von der Zeit einfach herumgeschoben zu werden. Es ist Neuschöpfung.
Der Mensch ist das einzige Wesen, das nicht abgeschlossen geboren wird, sondern welches tatsächlich eine 2 Geburt nehmen soll...
Das hat Tibor auf solch eindrückliche Weise innerlich getan, dass einfach schon seine Gegenwart bei anderen Menschen natürlicherweise ein tieferes Nachdenken über die Bestimmung der Seele bewirkt hatte.
Es sind nicht viele Menschen bereit, in der ständigen Anwesenheit des Todes zu leben.
Die Missverständnisse und Fehlkonzepte, die sich auf eine solche Weigerung aufbauen, sind ungemein vielfältig.
Nur in der vollständigen Einladung des Todes vermag man die gesamte Bewusstseinskraft aufbringen, die für den inneren Weg notwendig ist und einen in den endlosen Verzettelungen immer nur partiell zur Verfügung steht.
Es geht also nicht um die Vorbereitung auf den Tod in irgendeiner Zukunft, sondern um die Anwesenheit des Todes jetzt in diesem Augenblick.
Tibor, deine Sterbezeit war bewusste Einladung dieser Kraft. Dies ist mir in unseren Gesprächen sehr eindrücklich klar geworden.
WAS HABE ICH JEMALS DURCH STERBEN VERLOREN? Dieser Frage darf aller Raum geschenkt werden.